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Veröffentlicht am 15.02.2022

The German in Laramie

Alle Toten fliegen hoch
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Joachim ist achtzehn, als ihm seine Großeltern ein Austauschjahr in den USA spendieren. Der Junge aus der kleinen norddeutschen Provinzstadt zieht in die große weite Welt, so dachte er jedenfalls, doch ...

Joachim ist achtzehn, als ihm seine Großeltern ein Austauschjahr in den USA spendieren. Der Junge aus der kleinen norddeutschen Provinzstadt zieht in die große weite Welt, so dachte er jedenfalls, doch er landete in Laramie, einer Kleinstadt mitten in der Prärie in Wyoming. Dort war alles komplett anders als zu Hause, besonders das Wasserbett machte ihm Probleme. Auch mit der englischen Sprache kam er anfangs nicht zurecht. Zum Glück waren seine Gasteltern sehr nett und er verstand sich gut mit ihnen. Weniger gut war sein Verhältnis zu Don, dem jüngsten der drei Söhne seiner Gastgeber, mit dem er das Badezimmer teilen musste. Doch bald gewöhnte sich der Erzähler an sein neues Leben, an die ungewohnte Freiheit und findet erste Freunde. Der Gipfel des Glücks war für The German, wie er in seiner Schule allgemein genannt wurde, als er in das Basketballteam aufgenommen wird. Doch dann kommt ein Anruf aus Deutschland, der alles verändert …

Der Autor Joachim Meyerhoff, Jahrgang 1967, ist Schauspieler am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters. Nach seinem autobiographischen Roman „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“, in dem er über seine Kindheit und Jugend auf dem Gelände der von seinem Vater geleiteten Psychiatrie erzählt, ist „Alle Toten fliegen hoch“, in welchem er über seine Erlebnisse als Austauschschüler in den USA berichtet, sein zweiter Roman. Meyerhoff hat zwei Töchter und einen Sohn. Er lebte bis 2019 in Wien und seither in Berlin.

Dass er erzählen kann, beweist der Autor auch hier wieder. Großartig, wie er in seinen Erinnerungen kramt und dabei eine Anekdote nach der anderen hervorzaubert. Ob er das alles erlebt hat, weiß nur er selbst. Ist auch egal, Hauptsache er unterhält, und das tut er ausgezeichnet. Sein Schreibstil ist sehr bildgewaltig und ausdrucksstark, das Geschehen wechselt geschickt zwischen Humor und Ironie, zwischen Komik und Tragik. Bei seinem Rückblick auf die 80er Jahre ist Meyerhoff recht unsentimental und beschreibt die Ereignisse so detailliert, dass man sie als Leser bildhaft vor Augen hat. Obwohl der Humor überwiegt gibt es auch ernste und traurige Begebenheiten, von denen er hier erzählt und verschweigt auch nicht die mannigfachen Schwierigkeiten, die sich ihm in den Weg stellten.

Fazit: Ein unterhaltsames Buch, gekonnt geschrieben, schonungslos ironisch und irrsinnig komisch, dennoch berührend und tiefsinnig.

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Veröffentlicht am 08.02.2022

Vom Kampf gegen die Unmenschlichkeit

Die Nachtigall
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Oregon 1995: Aus Anlass des bevorstehenden Umzugs in ein Seniorenheim entdeckt eine alte Dame einen Koffer, dessen Inhalt sie an längst vergangene Ereignisse erinnert. Es war in Frankreich im Sommer 1939, ...

Oregon 1995: Aus Anlass des bevorstehenden Umzugs in ein Seniorenheim entdeckt eine alte Dame einen Koffer, dessen Inhalt sie an längst vergangene Ereignisse erinnert. Es war in Frankreich im Sommer 1939, kurz vor Ausbruch des Krieges. Die 18jährige Isabelle Rossignol wohnt noch in Paris bei ihrem Vater, während ihre ältere Schwester Vianne bereits verheiratet ist, eine 8jährige Tochter hat und im ländlichen Carriveau im Loiretal lebt. Die beiden Schwestern sind in ihrem Wesen grundverschieden - Isabelle begann nach dem frühen Tod der Mutter zu rebellieren und musste deshalb öfters das Internat wechseln, Vianne jedoch passte sich der Situation an, verliebte sich früh, heiratete bereits mit 17 Jahren und ist immer noch sehr glücklich. Doch dann marschieren die Nazis in Frankreich ein, Hitlers Truppen besetzen Paris, Viannes Mann Antoine wird eingezogen und Isabelle wird zu ihrer Schwester aufs Land geschickt. Kaum haben die beiden Schwestern ihr neues gemeinsames Zusammenleben arrangiert, als auch Carriveau von den Deutschen besetzt wird und bei ihnen ein Wehrmachtsoffizier einquartiert wird. Jetzt wird die Situation besonders für Vianne und ihre kleine Tochter sehr gefährlich, denn Isabelle kann ihre Meinung über den Feind nicht für sich behalten. Die Lage spitzt sich zu, die Wege der Schwestern trennen sich und jede kämpft von nun an auf ihre Weise ums Überleben …

Kristin Hannah, die Autorin des Buches „Die Nachtigall“, ist eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen der USA. Sie wurde 1960 im südkalifornischen Garden Grove geboren. Sie studierte Jura und arbeitete, bevor sie 1991 zu schreiben begann, als Rechtsanwältin in Seattle. Seither schrieb sie zahlreiche Romane, die alle auch auf Deutsch erschienen sind. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn auf einer kleinen Insel im Pazifischen Nordwesten der USA.

Selten hat mich eine Geschichte so erschüttert und betroffen gemacht, zumal sie, wie zu lesen ist, nach den wahren Schicksalen französischer Frauen erzählt wurde. Es sind die Männer, deren Heldentaten in die Geschichtsbücher eingehen, die Kämpfe der Frauen bleiben im Verborgenen. Hier wird über die Frauen im Zweiten Weltkrieg berichtet, über ihren Mut, ihre Stärke, ihren Kampfgeist, ihre Opferbereitschaft und ihren Willen zum Überleben.

Der Schreibstil ist dabei von beeindruckender Intensität. Der Autorin gelingt es, eine bildhafte, aufwühlende Atmosphäre von Angst, Brutalität und Erbarmungslosigkeit zu schaffen, die jedoch immer wieder mit Lichtblicken von Hoffnung und Zuversicht unterbrochen wird. Die Figuren der Geschichte scheinen lebendig, ihre Sorgen um die Familie, der Hunger und ihr verzweifelter Kampf um Lebensmittel und Brennmaterial empfindet man sehr real und nachvollziehbar. Die Gräuel des Krieges werden nicht verschwiegen und durch kleine Rückblenden und Erinnerungen wird der Kontrast zu Friedenszeiten besonders deutlich.

Fazit: Ein Roman der betroffen und nachdenklich macht und die Frage aufwirft, wie man selbst in solchen Situationen handeln würde. Ein Lese-Highlight, das ich gerne weiter empfehle.

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Veröffentlicht am 28.12.2021

Der Schwur des Jan Otlin

Die Brücke der Ewigkeit
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Bei einem schweren Unwetter im Februar 1342, bei dem das Hochwasser der Moldau die alte Judithbrücke in Prag zum Einsturz brachte und die Mutter von Jan Otlin in die Fluten riss, schwor der 12jährige Knabe ...

Bei einem schweren Unwetter im Februar 1342, bei dem das Hochwasser der Moldau die alte Judithbrücke in Prag zum Einsturz brachte und die Mutter von Jan Otlin in die Fluten riss, schwor der 12jährige Knabe zu Gott, er werde ihm eine steinerne Brücke für die Ewigkeit bauen, wenn seine Mutter am Leben bliebe. Jetzt, 15 Jahre später, hat Jan, der inzwischen in Avignon zum Steinmetz und Baumeister wurde, die Möglichkeit seinen Schwur einzulösen. Kaiser Karl IV. hat ihn mit dem Bau der neuen Brücke, die bis heute als „Karlsbrücke“ bekannt ist, beauftragt. Doch Jan Otlin hat Konkurrenten die ihm dieses Amt neiden – und besonders Rudolph von Straßburg wird zu seinem erbitterten Widersacher …

Wolf Hector ist eines von mehreren Pseudonymen (Ruben Laurin – Tom Jacuba – Jo Zybell) des mehrfach preisgekrönten Autors von Krimis, Fantasy- und historischen Romanen, Thomas Ziebula. Zuletzt wurde er mit dem goldenen HOMER für den besten historischen Roman des Jahres 2019 ausgezeichnet. Seit 1997 ist er freier Autor und lebt abwechselnd in der Nähe von Karlsruhe und in der Gegend von Wismar.

In einem packenden, bildgewaltigen Schreibstil entführt uns der Autor nach Prag ins 14. Jahrhundert und lässt uns am Bau der berühmten Karlsbrücke teilhaben. Wir erhalten Einblick in das alltägliche Leben der Bewohner und erfahren interessante Details zum Brückenbau in der damaligen Zeit. Eine einfühlsame Liebesgeschichte, eingebettet zwischen Mord und Totschlag, erhöht die Spannung und macht das Lesen zum Erlebnis. Neben den fiktiven Protagonisten sind auch einige historische Personen in die Handlung mit einbezogen, wie man zu Beginn in einem Personenverzeichnis nachlesen kann. Eine Zeittafel mit interessanten historischen Daten sowie ein Glossar über die wichtigsten damals verwendeten Begriffe und ihre Bedeutung sind ebenfalls im Buch zu finden und runden das Geschehen gekonnt ab.

Fazit: Ein historisch korrekt recherchierter Roman, der durch seine bildhafte Erzählweise besticht und ganz nebenbei auch einiges Wissen vermittelt. Sehr empfehlenswert!

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Veröffentlicht am 11.12.2021

Verhängnisvolle Heimkehr …

Ein Sohn der Stadt
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Plötzlich ist er wieder da, nachdem er acht Jahre spurlos verschwunden war – Jack Burdette, der einstige Liebling und bewunderte Footballstar der verschlafenen Kleinstadt Holt im US-Bundesstaat Colorado. ...

Plötzlich ist er wieder da, nachdem er acht Jahre spurlos verschwunden war – Jack Burdette, der einstige Liebling und bewunderte Footballstar der verschlafenen Kleinstadt Holt im US-Bundesstaat Colorado. Damals, als er über Nacht verschwand, hinterließ er seine schwangere Frau Jessie samt seinen zwei kleinen Söhnen, sowie die wütenden Farmer und Mitglieder der lokalen Landwirtschafts-Kooperative, die er um 150.000 Dollar betrogen hatte samt einigen erbosten Kaufleuten, bei denen er sich zuvor noch auf Kredit neu eingekleidet hatte. Nun sitzt er in einem roten Cadillac mitten auf der Main Street, alt geworden, fett und verbraucht. Er hat nichts zu befürchten, seine Taten von damals sind verjährt – doch alleine seine Anwesenheit weckt alte Erinnerungen und manch einer leidet mehr, als ihm lieb ist …

„Ein Sohn der Stadt“ ist der zweite Roman des US-Schriftstellers Kent Haruf (1943-2014), erschienen erstmals erschienen 1990 unter dem Originaltitel „Where You Once Belonged“ in New York und wurde nun, 2021, in deutscher Sprache herausgebracht. Der in Colorado beheimatete Lehrer schrieb insgesamt sechs Romane, von denen fünf bereits ins Deutsche übersetzt wurden. Alle Romane des Autors, für die er einige Preise und Auszeichnungen erhielt, spielen in der fiktiven Kleinstadt Holt in Colorado.

Wir sind wieder in Holt, der beschaulichen Kleinstadt in Colorado, und erfahren von den Sorgen und Nöten, aber auch von fröhlichen und alltäglichen Erlebnissen der Bewohner. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Pat Arbuckle, dem Herausgeber der örtlichen Zeitung, der früher mit Jack Burdette befreundet war. Wir erfahren von dessen Kinder- und Jugendzeit, seinem Elternhaus, seinem rabiaten Vater und seiner streng gläubigen Mutter, die maßgeblich zu seinem späteren Verhalten beitrugen. Nicht nur die um ihr Geld betrogenen Bürger Holts sind über Jacks Rückkehr erbost, auch unser Erzähler Pat hat unter dessen Auftauchen zu leiden. Muss er doch befürchten, dass ihm Jack das bisschen Glück und Frieden, das er nach dem Tod seiner Tochter und nach der Trennung von seiner Frau gefunden hat, zunichtemachen kann.

Wie von Kent Haruf gewohnt, ist der Schreibstil eher nüchtern und sachlich und erinnert, da der Erzähler aus dem Zeitungsmilieu kommt, manchmal gar an eine Reportage. Wir lesen über einfache, normale Menschen, über alltägliches und banales, und sind beeindruckt, denn Kent Haruf gelingt es großartig, den Gefühlen der einzelnen Charaktere breiten Raum zu geben. Beinahe ausweglose Situationen wechseln mit Momenten voller Hoffnung, Not und Leid sind hier ebenso zuhause, wie Freundschaften und Liebe. Der Schauplatz des Romans, das fiktive Provinzstädtchen Holt in Colorado, vermittelt dabei ein einzigartiges Bild der Mentalität des Mittleren Westens der USA in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts.

Fazit: Wie von allen bisher übersetzten Büchern des Autors bin ich auch hier restlos begeistert und kann „Ein Sohn der Stadt“ nur wärmstens weiter empfehlen.

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Veröffentlicht am 08.11.2021

Deutsch-französische Liebe in der Nachkriegszeit

Schnell, dein Leben
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Louise wird kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs in den französischen Alpen geboren. Ihr Vater ist Zahnarzt, es geht ihnen gut, trotzdem muss ihre Mutter ihn täglich ums Haushaltsgeld bitten. Über die ...

Louise wird kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs in den französischen Alpen geboren. Ihr Vater ist Zahnarzt, es geht ihnen gut, trotzdem muss ihre Mutter ihn täglich ums Haushaltsgeld bitten. Über die Zeit als ihr Vater im Krieg gegen die Deutschen kämpfte, wird in ihrer Familie geschwiegen. Nach Abschluss ihres Abiturs erlaubt ihr Vater, dass Louise in Lyon studieren darf. Dort lernt sie den deutschen Austauschstudenten Johann kennen und verliebt sich in ihn. Johann stammt aus einer wohlhabenden Familie aus einem Dorf bei Frankfurt. Auch in seiner Familie herrscht Schweigen über die Kriegserlebnisse des Vaters. Als Louise und Johann beschließen zu heiraten, sind ihre Eltern zunächst entsetzt. „Ein deutscher Schwiegersohn, das kommt gar nicht in Frage!“ Doch die beiden heiraten und Louise geht mit Johann nach Deutschland. Sie hat es nicht leicht in ihrer neuen Heimat, zumal sie kein Wort deutsch spricht. Als sie dann durch einen gemeinsamen Freund den Beweis erhalten, dass Johanns Vater an Kriegsverbrechen beteiligt war, droht die junge Ehe daran zu zerbrechen …

Die deutsch-französische Schriftstellerin Sylvie Schenk wurde 1944 in Chambéry (Frankreich) geboren, wuchs in Gap/Hautes-Alpes auf und studierte in Lyon Latein, Griechisch und Französisch. Seit 1966 lebt sie in Deutschland, war zunächst Lehrerin für Französisch und ab 1976 freischaffende Autorin für Schulfunk und Schulbuchverlage. Sie veröffentlichte unter ihrem Geburtsnamen Sylvie Gonsolin drei Gedichtbände auf Französisch und schreibt seit 1992 Romane und Kurzgeschichten auf Deutsch. Sie wandert gerne und verbringt viel Zeit in den Bergen, meist in den französischen Alpen. Sylvie Schenk lebt mit ihrem Mann Dr. H.J. Schenk in Stolberg bei Aachen und in La Roche de Rame (Hautes Alpes) in Frankreich.

Der Schreibstil ist zunächst etwas ungewohnt, liest sich aber dennoch wunderbar flüssig, so dass die Seiten nur so dahin eilen. Die Autorin bedient sich zum Erzählen einer unbekannten dritten Person, die die Protagonisten stets persönlich anspricht – als Leser ist man dabei neutraler Beobachter. Der Titel „Schnell, dein Leben“ passt ausgezeichnet zum Inhalt, ist es doch ein ganzes pralles Leben, das auf 160 Buchseiten zusammengefasst wurde. Trotz allem hat man aber nicht das Gefühl, etwas Wesentliches verpasst zu haben – es wird alles gesagt und die Zwischentöne kann man sich selbst sehr gut vorstellen. Ausgezeichnet beobachtet von der Autorin ist die allmähliche Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich nach der Unterzeichnung des Elyseevertrags zwischen De Gaulle und Adenauer. Bemerkenswert ist auch wie intensiv sie Louises Gefühle beschreibt, die die deutsche Sprache lernen muss, ihren Traum zu schreiben verwirklichen will, Ehe und Familie rettet und die Kraft dafür in ihren gelegentlichen Spaziergängen im Wald schöpft. Dabei ist nicht zu übersehen, dass Sylvie Schenk hier in Grundzügen Teile ihres eigenen Lebens wiedergibt, wie man in ihrer Vita nachlesen kann.

Fazit: Ein beeindruckendes Buch mit solidem geschichtlichen Hintergrund, einfühlsam und unterhaltend. Sehr empfehlenswert!

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