Im Land der Schwyzer
TellWilhelm Tell – wer kennt ihn nicht, den legendären Schweizer Freiheitskämpfer. Seine Geschichte wird auf das Jahr 1307 datiert, Schiller setzt ihm später mit seinem Drama ein Denkmal. Und jetzt greift ...
Wilhelm Tell – wer kennt ihn nicht, den legendären Schweizer Freiheitskämpfer. Seine Geschichte wird auf das Jahr 1307 datiert, Schiller setzt ihm später mit seinem Drama ein Denkmal. Und jetzt greift Joachim B. Schmidt nach ihm, nach Tell - hoch droben im Isenthal lebt er.
Ein hartes Leben führen sie, die vom Tellhof. Wilhelm ist unterwegs mit seinem ältesten Sohn Walter in diesem unwegsamen Gelände, in dem man immerzu fürchten muss, einen falschen Tritt zu machen. Es ist verboten hinaufzuklettern, beim Wildern dürfen sie sich nicht erwischen lassen und doch gehen sie, Walter muss mit ob er will oder nicht. Ein unguter Mensch scheint der Vater zu sein, wortkarg eher, unerbittlich und hartherzig. Sein Wort gilt. Drei Generationen leben in der Hütte, alle müssen sie mit anpacken, es wird ihnen nichts geschenkt.
Ein wenig annähern musste ich mich schon, mit Hedwig beginnt der Roman. Draussen hockt ein Bär, mitten auf der Wiese und Wilhelm greift nach seiner Armbrust, das Fleisch könnten sie schon brauchen. „Hep, hep, hep“ – zwei Topfdeckel schlägt sie Großmutter aufeinander, um das Tier zu verscheuchen. Wilhelm gefällt dar gar nicht, brüllt nach seinem Sohn.
Der Ton ist rau, Tell ein Eigenbrötler – auch dem kargen, entbehrungsreichen Dasein geschuldet, so kam es mir vor. Bis sich immer mehr seine ganz eigene Geschichte offenbart. Kurze Kapitel aus den Blickwinkeln der Familienmitglieder wechseln sich ab mit denen des Landvogts, auch sein Untergebener Harras kommt zu Wort. Ein harter Hund ist der, geht immer einen Schritt zu weit und genießt es sichtlich, wie sich alle vor ihm ducken, hat auch ein Auge drauf, dass der Hut auch ordentlich gegrüßt wird…
…Der habsburgische Landvogt Gessler lässt der Legende nach einen Hut auf eine Stange stecken und jeder Untertan hat ihn zu grüßen, sobald sie an ihm vorübergehen. Auch Wilhelm, der mit seinem Sohn Walter unterwegs zum Viehmarkt ist, muss vorbei. Der eigensinnige Tell denkt gar nicht daran zu grüßen und so nimmt der Apfelschuss Gestalt an.
Joachim B. Schmidt interpretiert die Geschichte des Wilhelm Tell neu. Und doch könnte es so oder so ähnlich gewesen sein, ich habe seine Auslegung mit Vergnügen gelesen, auch wenn es zuweilen ganz schön brutal zuging. Das Bild des Wilhelm Tell, des ungehobelten Bergbauern, ist mitsamt seiner Familie für mich gut nachvollziehbar gezeichnet. Auch der Landvogt und seine Gesellen wirken glaubhaft, jeder für sich ist ein ganz eigener Charakter – der zaghafte, total überforderte Gessler ebenso wie der grobschlächtige Harras und die jungen, noch unerfahrenen Söldner.
Ja, er hat hier gelebt. „Manchmal kann man sein Gesicht in den Felsen erkennen.“ Die letzte Klappe fällt, der Rückblick lässt sie alle los, Schmidts Neuinterpretation klingt aus.
Ein Wort zum Cover – unverkennbar ein Diogenes-Buch. Es braucht wenig, um alles zu sagen. Der Apfel als Symbol für den Apfelschuss – mehr wäre hier zuviel gewesen.
Nachdem ich „Kalman“ so sehr ins Herz geschlossen habe, musste ich „Tell“ natürlich lesen. Auch wenn ich skeptisch war, was denn aus der so bekannten Geschichte herauszuholen wäre, hat mich Joachim B. Schmidt eines Besseren belehrt. Ein literarischer Leckerbissen, der gelesen werden will!