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Veröffentlicht am 23.02.2022

Im Land der Schwyzer

Tell
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Wilhelm Tell – wer kennt ihn nicht, den legendären Schweizer Freiheitskämpfer. Seine Geschichte wird auf das Jahr 1307 datiert, Schiller setzt ihm später mit seinem Drama ein Denkmal. Und jetzt greift ...

Wilhelm Tell – wer kennt ihn nicht, den legendären Schweizer Freiheitskämpfer. Seine Geschichte wird auf das Jahr 1307 datiert, Schiller setzt ihm später mit seinem Drama ein Denkmal. Und jetzt greift Joachim B. Schmidt nach ihm, nach Tell - hoch droben im Isenthal lebt er.

Ein hartes Leben führen sie, die vom Tellhof. Wilhelm ist unterwegs mit seinem ältesten Sohn Walter in diesem unwegsamen Gelände, in dem man immerzu fürchten muss, einen falschen Tritt zu machen. Es ist verboten hinaufzuklettern, beim Wildern dürfen sie sich nicht erwischen lassen und doch gehen sie, Walter muss mit ob er will oder nicht. Ein unguter Mensch scheint der Vater zu sein, wortkarg eher, unerbittlich und hartherzig. Sein Wort gilt. Drei Generationen leben in der Hütte, alle müssen sie mit anpacken, es wird ihnen nichts geschenkt.

Ein wenig annähern musste ich mich schon, mit Hedwig beginnt der Roman. Draussen hockt ein Bär, mitten auf der Wiese und Wilhelm greift nach seiner Armbrust, das Fleisch könnten sie schon brauchen. „Hep, hep, hep“ – zwei Topfdeckel schlägt sie Großmutter aufeinander, um das Tier zu verscheuchen. Wilhelm gefällt dar gar nicht, brüllt nach seinem Sohn.

Der Ton ist rau, Tell ein Eigenbrötler – auch dem kargen, entbehrungsreichen Dasein geschuldet, so kam es mir vor. Bis sich immer mehr seine ganz eigene Geschichte offenbart. Kurze Kapitel aus den Blickwinkeln der Familienmitglieder wechseln sich ab mit denen des Landvogts, auch sein Untergebener Harras kommt zu Wort. Ein harter Hund ist der, geht immer einen Schritt zu weit und genießt es sichtlich, wie sich alle vor ihm ducken, hat auch ein Auge drauf, dass der Hut auch ordentlich gegrüßt wird…

…Der habsburgische Landvogt Gessler lässt der Legende nach einen Hut auf eine Stange stecken und jeder Untertan hat ihn zu grüßen, sobald sie an ihm vorübergehen. Auch Wilhelm, der mit seinem Sohn Walter unterwegs zum Viehmarkt ist, muss vorbei. Der eigensinnige Tell denkt gar nicht daran zu grüßen und so nimmt der Apfelschuss Gestalt an.

Joachim B. Schmidt interpretiert die Geschichte des Wilhelm Tell neu. Und doch könnte es so oder so ähnlich gewesen sein, ich habe seine Auslegung mit Vergnügen gelesen, auch wenn es zuweilen ganz schön brutal zuging. Das Bild des Wilhelm Tell, des ungehobelten Bergbauern, ist mitsamt seiner Familie für mich gut nachvollziehbar gezeichnet. Auch der Landvogt und seine Gesellen wirken glaubhaft, jeder für sich ist ein ganz eigener Charakter – der zaghafte, total überforderte Gessler ebenso wie der grobschlächtige Harras und die jungen, noch unerfahrenen Söldner.

Ja, er hat hier gelebt. „Manchmal kann man sein Gesicht in den Felsen erkennen.“ Die letzte Klappe fällt, der Rückblick lässt sie alle los, Schmidts Neuinterpretation klingt aus.

Ein Wort zum Cover – unverkennbar ein Diogenes-Buch. Es braucht wenig, um alles zu sagen. Der Apfel als Symbol für den Apfelschuss – mehr wäre hier zuviel gewesen.

Nachdem ich „Kalman“ so sehr ins Herz geschlossen habe, musste ich „Tell“ natürlich lesen. Auch wenn ich skeptisch war, was denn aus der so bekannten Geschichte herauszuholen wäre, hat mich Joachim B. Schmidt eines Besseren belehrt. Ein literarischer Leckerbissen, der gelesen werden will!

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Veröffentlicht am 19.02.2022

Historischer Krimi und mehr

Die Verschwörung der Krähen
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Markus Gasser hat mit „Die Verschwörung der Krähen“ ein interessantes Stück Zeitgeschichte um den Schriftsteller Daniel De Foe vorgelegt. Daniel Defoe - wer kennt ihn nicht. Robinson Crusoe – dieses Werk ...

Markus Gasser hat mit „Die Verschwörung der Krähen“ ein interessantes Stück Zeitgeschichte um den Schriftsteller Daniel De Foe vorgelegt. Daniel Defoe - wer kennt ihn nicht. Robinson Crusoe – dieses Werk verbinde ich mit ihm. Lang ist es her und doch ist dieser so bekannte Roman sofort gegenwärtig.

Es ist die Zeit des beginnenden 18. Jahrhunderts. Der Journalist Daniel de Foe lebt in London, es ist eine gesetzlose Welt, von der wir lesen. „De Foe, „the foe“, der Feind, der Widersacher – das war er für sie von Anfang an. Ja, zunächst reinen Gewissens… dann voller Verachtung und Zorn.“ Unter Queen Anne Stuart werden politisch Andersdenkende zu Staatsfeinden erklärt, auch De Foe landet im Newgate Prison, seine Schmähschriften richten sich gegen ihr Regiment. Er prangert an, macht sich Anne Stuart zur Feindin. Nach seiner Freilassung, die er Harley, dem Speaker des Unterhauses, zu verdanken hat, bringt er eine Zeitschrift heraus, deren Artikel er meist unter diversen Namen selbst verfasst genauso wie Leserbriefe und die entsprechenden Antworten auf diese.

Auch damals waren Fake News an der Tagesordnung, seine Meinung zu äußern war gefährlich, der Henker ganz nah. Es sind zwei Welten – die Krone zieht mit Hilfe der Kirche alle Fäden, die Unterwelt, einhergehend mit all den schrecklichen Verbrechen, kämpft dagegen an. Man spürt zwischen den Zeilen direkt die Düsternis, auch die Pest war gegen sie.

Der Bezug zur Gegenwart blitzt immer wieder auf, auch heute ist es nicht anders. Lediglich der Kerker bleibt den Andersdenkenden erspart, das Gefängnis nicht immer.

Ja, nur einer weiß, wie diese Leichenteile an das Ufer der Themse gelangen konnten. Ein abenteuerlicher Krimi, für den man sich die Zeit nehmen sollte, um richtig drin zu sein, es lohnt sich. Am Ende hat man viel über das Leben damals erfahren. Es war beileibe kein leichtes, aufmucken endete oftmals im Kerker und wer weiß, wann und ob überhaupt man aus den Rattenlöchern befreit wurde.

„Die Verschwörung der Krähen“ ist ein historischer Abenteuerroman über unsere Gegenwart. So steht es auf der Rückseite des Einbandes. Die Parallelen zu unserem Heute sind nicht zu übersehen. Eine Mördersuche, sie so viel mehr ist.

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Veröffentlicht am 17.02.2022

Sehr lesenswerte Kurzgeschichten

Milch Blut Hitze
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In elf Kurzgeschichten erzählt Dantiel W. Moniz in ihrem eindrucksvollen Debüt von den Leben derer, die es wohl nie ganz nach oben schaffen. Sie leben in Florida, dem Sunshine State, auf der Sonnenseite ...

In elf Kurzgeschichten erzählt Dantiel W. Moniz in ihrem eindrucksvollen Debüt von den Leben derer, die es wohl nie ganz nach oben schaffen. Sie leben in Florida, dem Sunshine State, auf der Sonnenseite des Lebens stehen sie nicht unbedingt.

Blutschwestern sind sie, noch ganz jung - sie wollen ausprobieren wie es sich anfühlt, einfach vom Dach zu springen, sie spielen mit dem Tod. Und da ist die Ehefrau, die den Krebs nicht mehr besiegen will. Kinder, die es weit hinaus treibt aufs Meer und noch so viel mehr, direkt aus dem Leben gegriffen. Geschwister haben sich schon lange nichts mehr zu sagen, um dann nochmal gemeinsam eine Sache anzupacken, es geht nicht anders.

Wie nebenbei erzählt Dantiel W. Moniz von Krankheit und Suizid, nicht immer einfachen Mutter-Tochter-Beziehungen, von Freundschaft und Verrat. Es sind überwiegend Frauen jeden Alters, deren Ängste und Nöte in diese Kurzgeschichten verpackt sind. Jede einzelne Story für sich sagt viel aus, erzählt eindrucksvoll davon, wie sie umgehen mit ihrem Schicksal und lässt es dann wie schwebend ausgleiten, das Letzte bleibt ungesagt und doch weiß man um das Ende. Die Hautfarbe spielt keine Rolle und doch blitzt sie durch.

Nicht immer mochte ich gleich die nächste Geschichte lesen, ich musste erst das eben Gelesene Revue passieren lassen, mich wieder frei machen, um für die nächste bereit zu sein. Den Figuren haftet eine Bedrücktheit an, ihre Geschichten berichten von Trauer und Schmerz, von Aufgabe und manchmal auch von Neuanfang.

Lebendig und kraftvoll, voller Poesie und tieftraurig sind diese elf Kurzgeschichten. Ein eindrucksvolles Leseerlebnis, das mich sehr beeindruckt hat, das mich nachdenklich zurücklässt.

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Veröffentlicht am 12.02.2022

Anders sein geht gar nicht

Die dritte Hälfte eines Lebens
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Krimmwing ist überall. „Die dritte Hälfte eines Lebens“ ist irgendwo in Österreich angesiedelt. Anna Herzig erzählt von der Intoleranz, die sich durch die Dorfgemeinschaft in ihrer Borniertheit noch verstärkt.

In ...

Krimmwing ist überall. „Die dritte Hälfte eines Lebens“ ist irgendwo in Österreich angesiedelt. Anna Herzig erzählt von der Intoleranz, die sich durch die Dorfgemeinschaft in ihrer Borniertheit noch verstärkt.

In dieses schmale Buch musste ich schon erst hineinfinden, aber dann kommt es umso wuchtiger daher. Wuchtig nicht im Sinne von Action, die einfachen Sätze, die paar Wörter reichen, um alles zu sagen.

Jeder weiß alles von jedem und manchmal weiß der andere sogar mehr als man selbst. So ist das eben im Dorf. Es war schon immer so und wird immer so sein. Wenn du anders bist, nicht gerade der Norm entsprichst, hast du es hier nicht einfach.

Was man gehört hat – das erzählt Anna Herzig zuerst. Von dem Rathbauern, der sich schminkt, der sich schöne Sachen bestellt. Niemand weiß, was in den Päckchen ist, aber dass er anders ist, das hat man gehört. Der Seppi mit seiner dunklen Hautfarbe kann das eh nicht verbergen, aber spüren soll er schon, dass er anders aussieht. Und dann erst die Rosa, alleinerziehend ist sie, das geht doch nicht! Hier auf dem Dorf herrscht Zucht und Ordnung. Meint man. Was die Leute sagen - das ist das, was sie daraus machen. Aus all den Gerüchten, den Unterstellungen entstehen Ausgrenzungen. Unerbittlich sind sie in ihrer Engstirnigkeit. „Die Wahrheit interessiert niemanden, weil sie nichts hergibt.“

„Die dritte Hälfte eines Lebens“ beweist, dass es nicht immer vieler Worte braucht, um die zwischenmenschlichen Unzulänglichkeiten glasklar darzulegen. Nicht anklagend, eher wie nebenher erzählt und doch so treffend.

Der nicht mehr ganz so frische Apfel auf dem Tisch des Covers sieht nicht gerade zum Anbeißen aus. Findet sich noch einer, der ihn wertschätzt? Da gibt es so einiges auszusetzen an ihm – eine Metapher für die dörfliche „Idylle“?

Ein paar Mußestunden braucht es schon, um dem Buch gerecht zu werden. Wer sich auf diese Dorfgemeinschaft einlassen will, sollte sich „Die Dritte Hälfte eines Lebens“ nicht entgehen lassen.

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Veröffentlicht am 11.02.2022

Interessante Einblicke in die Anfänge des Krankenhauses Waldfriede

Sternstunde
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„Sternstunde“ ist der erste Band um die Schwestern von Waldfriede. Corina Bomann hat mir mit der Geschichte des Klinikums Waldfriede nahe Berlin kurzweilige Lesestunden beschert.

Im Sommer 1916 rudert ...

„Sternstunde“ ist der erste Band um die Schwestern von Waldfriede. Corina Bomann hat mir mit der Geschichte des Klinikums Waldfriede nahe Berlin kurzweilige Lesestunden beschert.

Im Sommer 1916 rudert Martin mit seiner Hanna hinaus, sie sind jung und glücklich, machen Zukunftspläne. Natürlich wollen sie heiraten, was sonst. Der Einberufungsbefehl kommt ihnen dazwischen, schwer verwundet wird er zurückgebracht und kurz darauf stirbt er. Bald danach bekommt Hanna das Angebot, ins neu gegründete Klinikum Waldfriede zu gehen. Die junge Krankenschwester packt mit an, ist maßgeblich am Aufbau der Klinik beteiligt. Der Klinikleiter Dr. Conradi schätzt sie sehr, was natürlich so manchen Neider auf den Plan ruft.

Corina Bomann hat sich von der Chronik des Hauses inspirieren lassen. Diese wurde von Hanna Rinder niedergeschrieben – in „Sternstunde“ heißt sie Hanna Richter. Sie war Röntgenschwester und Dr. Conradis rechte Hand. Wenn man sich ein wenig mit den Anfängen des Krankenhauses beschäftigt stellt man schnell fest, dass dies alles wirklich so war. Dr. Conradi war Adventist, er erwarb ein ziemlich heruntergekommenes Gebäude mit einem großen Grundstück im Bezirk Zehlendorf, das – unterstützt von den Adventisten – in mühevoller Arbeit im April 1920 seinen Betrieb aufnehmen konnte. Er hatte Widersacher und doch gelang es ihm, in schweren Zeiten durchzuhalten.

Den einzelnen Teilen vorangestellt sind Auszüge aus der Chronik des Krankenhauses Waldfriede. Sie geben kurze, sehr interessante Einblicke, mit welchen Herausforderungen sie zu kämpfen hatten, aber auch welche Fortschritte sie machten. „Es war der 29. Dezember 1919…“ „… ergab die oberflächliche Besichtigung des Sanatoriums auch ein leidlich befriedigendes Ergebnis, so stellte sich doch bald heraus, dass die Anstalt, die während des Krieges als Lazarett gedient hatte, stark verwohnt war und einer gründlichen Überholung bedurfte…“

Der Beginn der vierteiligen Saga um das Klinikum Waldfriede ist bestens gelungen. Die Autorin ist immer nahe an der Wirklichkeit, die Aufbaujahre dieses Krankenhauses und den medizinischen Fortschritt bringt sie ihren Lesern unterhaltsam näher. Das historisch belegte wird mit den fiktiven Elementen moderat angereichert. Hanna ist eine sehr einfühlsame junge Frau, die man einfach mögen muss. Sie hat das Herz auf dem rechten Fleck, auch wenn sie in privaten Dingen manchmal zu zaghaft agiert. Andere Charaktere gehen da schon forscher vor. Wohl dosiert fließen das Zwischenmenschliche mit all den Intrigen, Bosheiten und Neid mit ein, aber auch Freundschaft, Vertrauen und ein wenig Liebe gehören dazu und runden das Ganze ab.

Es hat mich gefreut, die Schwestern und all die anderen von Waldfriede ein Stück ihres Weges begleiten zu dürfen, dem Klinikalltag nachzuspüren. Von 1919 bis 1924 war ich dabei und bin auf den im Sommer dieses Jahres erscheinenden zweiten Teil „Leuchtfeuer“ sehr gespannt.

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