Mutig ist, wer es versucht
Léna läuft davon; vor ihrer Arbeit in Frankreich, vor dem Tag im Juli, vor ihrer Wut, vor allem aber läuft sie ihrer unendlichen Trauer davon. Nun also Indien, mit dem sie keine Erinnerungen verbindet ...
Léna läuft davon; vor ihrer Arbeit in Frankreich, vor dem Tag im Juli, vor ihrer Wut, vor allem aber läuft sie ihrer unendlichen Trauer davon. Nun also Indien, mit dem sie keine Erinnerungen verbindet und das weit genug weg ist von ihrem alten Leben. Dort lässt sie sich treiben, überlässt sich ihrer Verzweiflung und Dunkelheit. Bei einem ihrer morgendlichen Schwimmgänge treibt die Strömung sie weit hinaus aufs Meer und ohne die Geistesgegenwart eines kleinen Mädchens, das dort täglich ihren Drachen steigen lässt, wäre Léna ertrunken. Das Kind spricht nicht und schnell merkt Léna, dass es auch weder lesen, noch schreiben kann. Als Lehrerin fühlt sie sich verpflichtet, ihren Dank zumindest damit auszudrücken, dass sie der Kleinen etwas beibringt. Dies stellt sich schwerer heraus als erwartet, denn das Kind hat Pflichten zu erfüllen und muss den ganzen Tag im Restaurant ihrer Angehörigen schuften. So leicht gibt Léna aber nicht auf.
Es ist schwer für mich, in Worte zu fassen, was ich beim lesen empfunden habe und immer noch empfinde. Die persönliche Geschichte von Léna wird lange nur angedeutet und im Mittelteil erst verraten, was ihr zugestoßen ist. Ihre Verzweiflung und Trauer muss man aushalten können, diese bricht nämlich immer wieder durch. Aushalten können muss man aber auch die Lebensumstände in Indien; das Kastensystem, die Kluft zwischen arm und reich, den Hunger, den Dreck, die Kinder- und Frauenarbeit sowie Unterdrückung der Mädchen und Frauen. Ich schwankte zwischen Entsetzen, Mitgefühl, Abscheu und Hass. Ich konnte die Verzweiflung nachvollziehen, litt und hoffte mit. Es ist ein trauriges und sehr emotionales Buch, über dem aber auch immer die Hoffnung und der Glaube schweben auf eine andere, eine bessere Welt. Aufgeben ist keine Option, egal wieviele Hindernisse und Mauern auftauchen auf dem Weg.
Ein aufrüttelndes und wichtiges Buch. Ein weiteres literarisches Highlight für mich. Fünf Sterne und eine Leseempfehlung sind das mindeste.