Ein Schicksal besteht nicht nur aus Erinnerungen
Said lebt in Berlin-Neukölln mit seiner kleinen Familie und zunächst verstehe ich nicht, warum das etwas Besonderes ist. Denn Said ist einer, der mit Informationen über sich nur sehr zögerlich ...
Said lebt in Berlin-Neukölln mit seiner kleinen Familie und zunächst verstehe ich nicht, warum das etwas Besonderes ist. Denn Said ist einer, der mit Informationen über sich nur sehr zögerlich und erst nach und nach herausrückt - und das, obwohl es in diesem Roman um ihn geht und dieser auch noch sehr kurz ist.
Allmählich wird klar, dass Said auf alles andere als eine problemlose Vergangenheit zurückblickt. Er musste schon als sehr junger Mann aus dem Irak flüchten, das Unstete, Unsichere ist seitdem in ihm verwurzelt: er geht nie ohne Reisepass aus dem Haus und auch sonst ist er in jeder Hinsicht wachsam. Und das, obwohl er seit etlichen Jahren deutscher Staatsbürger ist. Aber keinem zu trauen, nichts für gegeben zu nehmen - das steckt tief in ihm drin.
Und oft genug ist es nicht nur eine Erinnerung an ein Ereignis, sondern gleich mehrere, ohne dass er genau sagen kann, welches denn nun die Richtige ist. Oder ist es am Ende gar keine?
EIn Roman, der den Leser mit dem Innersten eines Geflüchteten vertraut macht, dessen Seele offen vor ihm ausbreitet - und das allein ist schon ein großes Geschenk. Abbas Khider schreibt kein Wort zu viel - und genau deswegen sollte man jeden einzelnen Satz tief in sich einsaugen und überlegen, wie das möglicherweise mit anderen politischen Flüchtlingen in Zusammenhang stehen könnte.
Und was man tun kann, um ihnen zu ein bisschen Ruhe und Geborgenheit zu verhelfen.
Ich habe den starken Verdacht (eigentlich ist es sogar mehr als das), dass der Autor hier über sich selbst schreibt - wenn man die knappen Eckdaten seiner Biographie mit dieser Geschichte zusammen bringt, passt alles punktgenau.
Und macht mir deutlich, warum meine längst verstorbenen Eltern, die als Kindersoldat (Vater) bzw. Kind (Mutter) nach Deutschland kamen, sich hier nie so ganz zu Hause fühlen konnten, auch wenn es ihnen die meiste Zeit nicht sehr schwer gemacht wurde und sie beide den größten Teil ihres Lebens hier verbrachten.
Auf jeden Fall lesenswert - und sei es nur, um den Rezipienten zum Nachdenken zu veranlassen!