Fremd im eigenen Leben
Die Buchhändlerin: Die Macht der Worte… fühlt sich Christa oft. Für ihre ehemaligen Schulfreundinnen ist sie zu progressiv, weil sie nicht deren Träume teilt („Man ist ja erst wirklich eine Frau, wenn man verheiratet ist und Kinder hat …“ ...
… fühlt sich Christa oft. Für ihre ehemaligen Schulfreundinnen ist sie zu progressiv, weil sie nicht deren Träume teilt („Man ist ja erst wirklich eine Frau, wenn man verheiratet ist und Kinder hat …“ (S. 133)), sondern eine Karriere anstrebt. Für die nachfolgende Generation ist sie zu konservativ, weil es für sie selbstverständlich ist, sich um den Haushalt zu kümmern.
Dabei hatten die 50er so gut angefangen. Christa arbeitet gern in der Buchhandlung und liebt ihren Lesekreis, schreibt an ihrer Doktorarbeit und will danach als Lektorin arbeiten, kümmert sich liebevoll um den adoptierten Heinz und ist mit Werner, dem Lebensgefährten ihres Onkels Martin, verheiratet, damit diese trotz §175 den Schein waren können. Nur ihr Wunsch nach einer leidenschaftlichen Ehe und eigenen Kindern kommt dabei zu kurz.
„Die Macht der Worte“ schließt fast nahtlos an den ersten Band „Die Buchhändlerin“ an. Christa, Werner und Heinz bilden eine kleine, ungewöhnliche Familie, in der alle ihre Freiheit haben. Werner lebt abwechselnd bei ihr und Martin in Basel, Christa führt eine glückliche Beziehung mit dem Dichter Jago, ihre Doktorarbeit ist fast fertig geschrieben. Doch Jago will mehr, eine richtige Familie mit eigenen Kindern. Sie soll sich scheiden lassen und ihn heiraten. Da eröffnen ihr plötzlich zwei Schicksalsschläge neue Wege, aber um welchen Preis will sie die gehen?! „Sie führte ein Leben, das sie so nie gewollt hatte. Sie spürte immer drängender, dass es Zeit war, etwas zu ändern. Grundsätzlich zu ändern.“ (S. 43)
In ihrer Fortsetzung beschreibt Ines Thorn Christas Leben in den Jahren 1951 bis 1968. Es ist eine sehr bewegte Zeit, die Welt im ständigen Wandel, dabei sind die Wunden des Krieges noch nicht mal verheilt und zu vieles wird einfach verdrängt.
Christa muss ihre Rolle als Frau in der Familie und Gesellschaft immer wieder überdenken und ggf. neu definieren, aber das Selbstbewusstsein der nachfolgenden Generation ist selbst ihr nicht geheuer. Sie verliert ihre eigenen Wünsche und Träume aus den Augen, fühlt sich für das Glück aller anderen verantwortlich und nimmt ihnen alles ab, da kommen dann eben doch die Ansichten ihrer Mutter und die Erziehung in der Bräuteschule durch. Doch auch, als sich ihr Traum von der eigenen Familie endlich erfüllt, ist sie nicht glücklich, weil sie dafür einen anderen aufgeben muss ...
Die Autorin zeichnet ein sehr umfangreiches und lebendiges Bild der damaligen Zeit, lässt Musik, Kinofilme und vor allem die neueste Literatur einfließen. Ich habe mich gern wieder in den Strudel von Christas aufregendem und nicht alltäglichem Leben reißen lassen und mit ihr mitgefiebert, konnte aber auch ihr Schweigen verstehen, und dass sie ihre größten Geheimnisse mit niemandem teile wollte oder konnte.
Auch Deutschlands Vergangenheit und aktuelle Ereignisse spielen hier eine große Rolle, die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen, Studentenunruhen, Aufstände und der Bau der Berliner Mauer. Außerdem werden Themen wie der §175, das Gleichberechtigungsgesetz, Abtreibung und (sexuelle) Gewalt in der Ehe behandelt. So lange diese Dinge Christa oder ihr direktes Umfeld betrafen, fand ich das wirklich spannend, aber ein paar Mal hat sich die Handlung für mich leider in Nebensächlichkeiten verloren oder wurde zu ausufernd.