Zeitreise mit einer großzügigen Prise Humor
Inhalt:
Als Zoe, eine deutsche Austauschschülerin in einem Londoner Internat, auf einer verbotenen Mitternachtsparty in einen magischen Spiegel schaut, erwacht sie als Zofe Traudelwald im Jahre 1816. ...
Inhalt:
Als Zoe, eine deutsche Austauschschülerin in einem Londoner Internat, auf einer verbotenen Mitternachtsparty in einen magischen Spiegel schaut, erwacht sie als Zofe Traudelwald im Jahre 1816. Dort wird sie als Zofe der schüchternen Miss Lucie angestellt, um diese auf die bevorstehende Ballsaison vorzubereiten. Doch Zoe kämpft nicht nur mit Miss Lucies wankendem Selbstvertrauen, sondern muss sich auch arroganten sprechenden Hunden, dem eingeschränkten Radius von Mädchen und Frauen im 19. Jahrhundert und einer Geheimgesellschaft stellen. Und dem jungen Lord Hayden Falcon-Smith, einem weiteren Zeitreisenden, mit dem sie gezwungenermaßen zusammenarbeiten muss. Denn je länger sie in der Vergangenheit weilen, desto höher wird die Gefahr, mit der Zeit einfach zu verblassen…
Meinung:
Das Buch war in der Retrospektive auf jeden Fall ein Lesevergnügen, obwohl ich anfangs ein paar Schwierigkeiten mit dem Schreibstil hatte. Zwar wird versucht, mit der Sprache das Alter und die Heimatzeit der Protagonistin widerzuspiegeln, was im Großen und Ganzen – vor allem im Kontrast zu hochgestochenen Ausdrucksweise des Regency-Adels – auch gelingt, jedoch war es besonders zu Beginn (ob ich mich an den Schreibstil gewöhnt habe oder er sich im Laufe der Geschichte gemäßigt hat, kann ich nicht sagen…) immer ein Quäntchen zu viel wie beispielweise ein übertrieben hoher Gebrauch von Anglizismen.
Die Figuren in der Geschichte haben mir dagegen sofort gut gefallen (außer Prickelton, Lucies sprechender, den-geduldfaden-gefährlich-in-die-länge-ziehenden Hund), allen voran natürlich Zoe. Sie ist super sympathisch und erzählt einfach mit einer herrlichen Prise Humor:
»Mit viel Geschnaufe und unterdrücktem Ächzen sowie einer wackeligen Performance, über die ich mich hier aus Pietätsgründen ausschweige, bückte sich Arthur und hob die Büste auf.« (S. 96)
Mir gefällt auch Zoes Idee sehr gut, ihren Influencer-Content aus der Instagram-Zukunft auch zweihundert Jahre in der Vergangenheit unter ihre Follower zu bringen: mithilfe von ihren WhisperWhisper-Briefen, die den adligen Mädchen eine einfühlsame Freundin mit Tipps, Tricks und Gedankeninputs zur Seiten stellen. Ein wenig seltsam war es vielleicht, dass sie ihre Zeitreise so gut meistert, dass sie es innerhalb von eineinhalb Wochen in einer fremden Zeit schafft, ein 1816er Geschäft souverän zu schmeißen. Außerdem scheint sie sie sich kaum darüber zu wundern oder den Kopf darüber zu zerbrechen, warum um Himmels Willen sie durch die Zeit gereist ist, alles einfach so hinnimmt und sich mit allem problemlos arrangiert. Es fehlen so ein paar WTF-Momente, die ihren Charakter noch authentischer gemacht hätten.
Auch Hayden mochte ich gern, der als potentielle Love Interest (für meinen Geschmack) erst recht spät eingeführt wird. Doch an ihren Zusammentreffen passt einfach alles: von Dialoggefechten, über gemeinsame Verstecke bis zu gemeinsamen Fluchten… Einziges Manko hier ist, dass der Altersunterschied der beiden: Sie ist fünfzehn, er ein neunzehnjähriger Student. Fünf Jahre Altersunterschied mögen später ein okayer Altersunterschied sein, aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die beiden kommen aus vollkommen unterschiedlichen Lebenssituationen, was Zoe gelegentlich sogar auffällt.
Ansonsten gefällt mir auch die Figur der Marquise de Minuit richtig gut, einer weiteren Zeitreisenden und Geheimagentin im Dienste der Krone. Sie erinnert mich damit irgendwie an Milady de Winter aus »Die drei Musketiere«.
Eine Frage, die bisher – vielleicht wird sie ja in der Fortsetzung geklärt – offen bleibt ist, wieso es überhaupt eine 1816er Version der Zeitreisenden Zoe und Hayden gibt bzw. was mit den wahren historischen Personen passiert ist, deren Plätze sie eingenommen haben…
Letztlich endet die Geschichte tatsächlich ziemlich abrupt (wobei Prolog und Ende einen wunderbaren Rahmen bilden) – und stachelt damit ordentlich die Neugier auf die Fortsetzung an…
Fazit:
Für jüngere Leserinnen oder ältere Leserinnen mit Lust auf eine entspannte und leichte Zeitreisegeschichte ist das Buch auf jeden Fall ein Lesevergnügen. Zwar gab es schon ein paar Ecken und Kanten, aber das Gesamtwerk war aus meiner Sicht dann doch eine runde Sache, sodass es für vier von fünf Sternen reicht. Und wer weiß, vielleicht sind die Sterne ja auch mit Mondscheinmagie aufgeladen…
Postskriptum:
Ich griff nach einem bauschigen Nachthemd mit gerafften Ärmeln. »Ich könnte mir die Augen dunkel schminken und eine Lady spielen, die sich vor Liebeskummer das Leben genommen hat und nun durch die Gemäuer spukt, erfüllt von unerwiderter Leidenschaft.« (S. 247) – Anne Shirley, bist du das in Zoes Körper?