Außergewöhnlich, authentisch, ehrlich, wichtig und ergreifend!
Ey hör mal!Als ich das erste Mal von „Ey hör mal!“ hörte, konnten der originelle Titel und das auffällige gelbe Cover meine Neugierde sofort wecken. Da mich auch der Klappentext direkt ansprach und der Roman zudem ...
Als ich das erste Mal von „Ey hör mal!“ hörte, konnten der originelle Titel und das auffällige gelbe Cover meine Neugierde sofort wecken. Da mich auch der Klappentext direkt ansprach und der Roman zudem als die Jugendbuch-Sensation aus Norwegen gilt, stand für mich ziemlich schnell fest, dass ich das Debüt von Gulraiz Sharif kennenlernen möchte.
Die Sommerferien haben in Norwegen begonnen. Für die meisten norwegischen Norweger ist dies ein großer Grund zur Freude, endlich können sie verreisen und Urlaub machen. Wenn man aber ein Norweger mit pakistanischen Wurzeln ist und nicht das Geld für tolle Hütten am Berg oder See hat, sind Sommerferien nicht so eine super Sache. Der 15-jährige Mahmoud, der aus einer pakistanischen Einwandererfamilie stammt, hat sich schon auf viele ziemlich lange Tage in seinem Plattenbau-Viertel am Rand von Oslo eingestellt, in denen er nichts groß tun wird als zum Supermarkt zu gehen und Einkäufe für seine Mutter zu erledigen. Doch in diesem Jahr wird der Sommer anders. Onkel Ji aus Pakistan kommt zu Besuch und Mahmoud soll den Stadtführer für ihn spielen. Es könnte eigentlich doch ein recht guter Sommer werden, wäre da nicht Mahmouds kleiner Bruder Ali, dessen merkwürdiges Benehmen dem Onkel irgendwann auffällt. Ali spielt gerne mit Puppen, er interessiert sich für Disney-Prinzessinnen und verhält sich überhaupt nicht so, wie sich ein Pakistani-Junge verhalten sollte.
Ungewöhnlich – dies wäre das erste Wort, das mir in den Sinn kommt, um das Debüt von Gulraiz Sharif zu beschreiben. Dem norwegischen Autor ist mit „Ey hör mal!“ zweifellos etwas Einzigartiges gelungen, das sich von der Masse abhebt und das in meinen Augen zurecht so viele positive Kritiken erhalten hat. Jedermanns Sache wird dieses Buch wohl nur wahrscheinlich nicht sein. Die Art und Weise wie die Geschichte geschrieben ist und erzählt wird, kann man nur als speziell und gewöhnungsbedürftig bezeichnen. Was man aber definitiv auch über sie sagen kann: Sie passt einfach nur perfekt zur Story und verleiht dieser enorm an Authentizität.
Hinsichtlich des Schreibstils sollte ich nur vielleicht besser mal vorwarnen: Wir bekommen es hier mit sehr viel Umgangssprache zu tun. Wörter wie „Alter“ und „Digga“ fallen ständig und wer sich an so etwas stören sollte, wird vermutlich nicht so viel Freude mit dem Buch haben. Ich habe in der Regel kein Problem damit, wobei ich schon sagen muss, dass es mir mit dem Jugendjargon manchmal dann doch schon wieder etwas zu viel des Guten war. Zudem habe ich ein kleines bisschen gebraucht, ehe ich mich an den umgangssprachlichen Slang gewöhnt habe. Nachdem ich mich aber einmal reingefuchst hatte, hat sich das Buch für mich angenehm flüssig, mitreißend und ausgesprochen amüsant lesen lassen. Manche Formulierungen und Vergleiche unseres 15-jährigenHauptprotagonisten fand ich einfach nur herrlich, da bin ich aus dem Schmunzeln teils gar nicht mehr herausgekommen.
Mahmoud, aus dessen Sicht alles in der Ich-Perspektive geschildert wird, besitzt eine wunderbar unterhaltsame Art uns von den Geschehnissen zu berichten. Ich mochte Mahmouds Humor auf Anhieb, auch wenn er manchmal schon recht derb und fäkal ist. Unser Protagonist macht dabei aber niemals einen ungebildeten Eindruck oder so, ganz im Gegenteil. Trotz seiner sehr flapsigen Ausdrucksweise wird sofort deutlich, dass er ein äußerst kluger und intelligenter Junge ist und sich über vieles seine Gedanken macht. Also ich fand Mahmoud großartig, er ist ein total witziger und herzlicher Typ, mir war er vom ersten Moment an sympathisch, und da sein Fühlen, Denken und Handeln jederzeit überzeugend und absolut nachvollziehbar dargestellt wird, habe ich mich mühelos in ihn hineinversetzen können.
Ich fand es ungemein spannend und interessant Mahmouds Gedankengänge mitzuverfolgen, seine schonungslos realistische Sicht auf die Dinge kennenzulernen und mich von ihm in eine Welt mitnehmen lassen, die mir ziemlich fremd ist.
Als Leser*in dürfen wir den Alltag einer muslimischen Einwandererfamilie in Oslo kennenlernen und erleben mit, mit wie viel Diskriminierung und Ungerechtigkeit pakistanische Ausländer in Norwegens Hauptstadt täglich konfrontiert werden. Das Buch setzt sich insgesamt mit zahlreichen aktuellen Themen auseinander wie Familie, kultureller Konflikt, Rassismus, Armut und Ausgrenzung. Beschönigt wird dabei nichts, uns wird die ganze unverblümte Wahrheit vor Augen geführt. Da aber, wie oben bereits erwähnt, alles mit viel Humor und Leichtigkeit erzählt wird, wird die Story an keiner Stelle zu ernst oder erschütternd.
Mit Mahmouds kleinem Bruder Ali bringt der Autor dann noch die wichtige Thematik sexuelle Identität mit ein. Da hat mir unheimlich gut gefallen, wie die Reaktionen der einzelnen Familienmitglieder auf Alis Gefühle dargestellt werden: Völlig glaubhaft und authentisch und mit viel Herz und Empathie. Besonders bewegt hat mich Mahmouds Verhalten. Obwohl er Ali nicht komplett versteht, unterstützt er ihn so gut er kann, hält zu ihm und setzt sich für ihn ein. Mahmoud ist einfach klasse. So einen tollen großen und verständnisvollen Bruder, der immer für mich da ist, hätte ich auch gerne.
Fazit: Gulraiz Sharif hat mit „Ey hör mal!“ ein ganz besonderes und starkes Jugendbuch geschrieben, bei welchem ich sehr hoffe, dass es auch hier bei uns in Deutschland eine große Leserschaft erhalten wird. Mich hat der norwegische Autor mit seinem Debütroman richtig begeistert können. Die Geschichte behandelt viele überaus wichtige Themen und regt zum Nachdenken an, sie ist außergewöhnlich, ehrlich, humorvoll und ergreifend und steckt voller Sprachgewalt, ungeschönter Wahrheiten und beeindruckender Echtheit. Ich kann nur sagen: Ey hört mal, lest dieses Buch!
Von mir gibt es 4,5 von 5 Sternen!