Sie ist ein aufstrebendes Talent, doch das wird ihr bald zum Verhängnis…
CryptosIn einer Welt, die wegen zahlreicher Umweltzerstörungen kaum noch bewohnbar ist, sind es die virtuellen Welten, die Abwechslung und ein gewisses Maß an Normalität ermöglichen. Um die immer weiter schwindenden ...
In einer Welt, die wegen zahlreicher Umweltzerstörungen kaum noch bewohnbar ist, sind es die virtuellen Welten, die Abwechslung und ein gewisses Maß an Normalität ermöglichen. Um die immer weiter schwindenden Ressourcen zu sparen, lebt ein Großteil der Bevölkerung die meiste Zeit des Tages in diesen avatar-basierten, virtuellen Welten, die nach eigenen Vorlieben weitestgehend frei ausgewählt werden können. Insofern wird den Schöpfern dieser Welten, den Designer:innen der Firma „Mastermind“, besondere Bedeutung beigemessen, da nur mithilfe ihrer Ideen ein verschmelzen mit der neuen Realität gelingt.
Die junge Designerin Jana Pasco gilt hier als aufstrebendes Talent, da ihre Welten „Kerrybrook“, „Macandor“ und „Cretaceous“ sich aufgrund ihrer Authentizität großer Beliebtheit erfreuen.
„Ich fand mich eigentlich immer durchschnittlich im Vergleich mit anderen dort. Aber mich holten sie raus. In deinen Welten bleiben die Testpersonen am längsten und möchten immer gerne zurückkehren hieß es. Deine Ideen sind einfallsreich, aber nicht um jeden Preis, sie sind benutzerfreundlich und haben einen hohen Wohlfühlfaktor“ (Poznanski, 2021, S. 28)
So ermöglicht beispielsweise die Welt „Kerrybrook“ ein harmonisches Leben wie auf einer grünen, irischen Insel mit heimeligen Dörfern und sinnstiftenden Aktivitäten. Wer es etwas spannungsgeladener mag, verbringt seine Zeit stattdessen in Janas mittelalterlich anmutenden Fantasie-Welt „Macandor“ oder versucht, in der Dinosaurierwelt „Cretaceous“ zu überleben. Janas tägliche Aufgabe ist es, die Welten zu beobachten und entsprechende Highlights einzubauen, damit es den Bewohnern, die die Welten im besten Fall nur zum Schlafen und für ihren täglichen, vorgeschriebenen Realitätsstopp verlassen, nicht langweilig wird.
Da Jana es gewohnt ist, dass dieses Konzept aufgeht, ist sie umso überraschter, als ihr Kollege und Freund Matisse sie auf ungewöhnliche Ausfälle hinweist:
„Ich nicke, mein Blick hängt am linken der drei Monitore, dem mit der Statistik. Sechs Ausfälle mittlerweile, keine Erklärung. Ich rufe die Servicedaten für Kerrybrook auf, doch die erscheinen nicht, stattdessen erhalte ich eine Meldung. Fünf mickrige Worte. Es ist ein Fehler aufgetreten“ (ebd., S. 8).
Um nicht negativ in der Firma aufzufallen, entschließt sich Jana selbst nach Kerrybrook zu reisen, wodurch ihr jedoch das Ausmaß der Systemfehler und einer möglichen Manipulation ihrer Welten deutlich wird. Zurück an ihrem Arbeitsplatz erfährt sie durch ihre Teamleitung, dass die Ausfälle in der virtuellen Welt mit tatsächlichen Todesfolgen in der realen Welt verbunden sind. Es wird ihr nahegelegt, Urlaub zu nehmen und die Ermittlungen den Fachleuten zu überlassen.
Unterstützt durch Matisse gelingt es Jana jedoch, selbst weitere Nachforschungen anzustellen. Schnell muss Jana merken, dass Sterben KEINE Illusion mehr ist. Durch einen Hinweis von Matisse erfährt sie, dass Sterben keine Option mehr ist, um in die Realität zurückzukehren, da sie mit einer „Tod-bei-Exit“-Funktion belegt wurde. Somit bleibt Jana nur der Transfer zwischen den Welten, in denen sie sich zunehmend beobachtet und verfolgt fühlt, und auch das Umgehen totbringender Situationen scheint von Welt zu Welt immer schwieriger zu werden… Kann Jana das Rätsel lösen, dass ihr letztendlich den Ausstieg sowie die Antwort auf alle Fragen ermöglicht?
In ihrem dystopischen Roman „Cryptos“ nimmt die Autorin Ursula Poznanski ihre Leserinnen und Leser auf eine spannende Reise durch virtuelle Welten mit, in denen es so viele unerwartete Wendungen gibt, dass man das Buch gar nicht zur Seite legen kann. Darüber hinaus entwickelt sie eine gleichermaßen bedrückende, wie auch realistische Sicht auf die Zukunft, in der der Kampf um die wenigen Ressourcen ohne Rücksicht auf Verluste geführt wird. In diesem Zusammenhang werden viele wichtige Fragen aufgeworfen, die ein intensives Weiterdenken herausfordern, z.B. Wie abhängig darf ich mich von neuen Technologien machen, wenn diese vermeintlich für mein Wohlbefinden förderlich sind? Welchen Wert hat das Leben des Einzelnen in Bezug auf das Überleben der gesamten Spezies?
Insofern bietet dieser Roman auch im schulischen Kontext viel Potential, da u.a. Themen wie Klimawandel, neue Technologien, Medienethik und soziale Teilhabe, fächerverbindend miteinander verknüpft werden können. Dies wird darüber hinaus auch durch die zahlreichen intertextuellen Bezüge zu verschiedenen Werken der Weltliteratur begünstigt, sodass es auch auf der Metaebene viel Lehrreiches zu entdecken gibt.
Insgesamt ein mitreißendes und herausforderndes Leseerlebnis, das lange im Gedächtnis bleibt.