Ein sehr beeindruckender, zu Unrecht vergessener Klassiker
Jenny | Der große Frauen- und Emanzipationsroman von Fanny Lewald | Reclams KlassikerinnenJenny ist die einzige Tochter einer wohlhabenden, jüdischen Kaufmannsfamilie. Außergewöhnlich hübsch, gebildet und sehr selbstbewusst ist sie gesellschaftlicher Mittelpunkt und geschätzte Freundin. Ihr ...
Jenny ist die einzige Tochter einer wohlhabenden, jüdischen Kaufmannsfamilie. Außergewöhnlich hübsch, gebildet und sehr selbstbewusst ist sie gesellschaftlicher Mittelpunkt und geschätzte Freundin. Ihr Herz gehört allerdings dem armen Pfarrer Gustav Reinhard. Für ihn ist sie bereit alles aufzugeben, doch der Übertritt zum Christentum und zu einer christlich geprägten Lebenswelt, in der Frauen einen ganz bestimmten Platz einnehmen, wird zu einer großen Prüfung für Jenny.
Ein zu Unrecht vergessener Emanzipationsroman aus dem Jahre 1843, in dem der Leser einen tiefen Einblick in die Welt des 19. Jahrhunderts bekommt. Hauptthema ist natürlich die Rolle der Frau, die an unterschiedlichsten Frauenfiguren durchgespielt wird, von der selbstbewussten Jenny bis zur demütigen Therese, ihre Möglichkeiten und ihre kulturellen Verankerungen sind dabei genauso Thema wie ihre Träume und Hoffnungen. Das zweite große Motiv, das eng mit der Frauenfrage verwebt wurde, ist der gesellschaftliche Antisemitismus. In seiner Absurdität, aber auch in der, trotz aller Aufgeklärtheit, davon bestimmten Realität für alle Menschen, ist ein wesentliches Element, das die Geschichte bestimmt. Da die Autorin selbst als jüdische Frau in dieser Zeit gelebt hat, spürt man in jeder Szene, dass hier aus dem Leben geschrieben wurde und nicht aus antisemitischer Überzeugung. Geschickt führt die Autorin Vorurteile ad absurdum, nicht immer offensichtlich, gerne in Handlungen und Entwicklungen versteckt. Es gibt viele Denkanstöße, auch für heutige Leser. So ist der Autorin nicht nur ein Roman gelungen, der für eine emanzipierte Frauenrolle steht, sondern auch für eine Emanzipation der Juden bzw. des Menschen selbst, der sich von tradierten Vorurteilen ohne Substanz lösen soll, um sich als Mensch im Leben entfalten und Glück finden zu können.
Der Roman überzeugt mit einer wunderbaren gehobenen Sprache, einer starken Bildsprache, die der Geschichte eine weitere Dimension gibt, und einer Handlung, die den Leser mitnimmt, in eine Welt, die uns fremd und vertraut zugleich erscheint.
Ein beeindruckender Klassiker, der dem Vergessen entrissen wurde!