Ein Mord im Ullsteinnhaus...
Schatten in der FriedrichstadtMit „Schatten in der Friedrichstadt“ hat Susanne Goga ihren 8. Fall über Leo Wechsler vorgelegt. Ich kannte von der Autorin bisher einige ihrer historischen Romane und Band 1 – 3 der Leo-Wechsler Krimireihe ...
Mit „Schatten in der Friedrichstadt“ hat Susanne Goga ihren 8. Fall über Leo Wechsler vorgelegt. Ich kannte von der Autorin bisher einige ihrer historischen Romane und Band 1 – 3 der Leo-Wechsler Krimireihe und habe mir jetzt mal den neuesten Band „gegönnt“, der 1928 spielt – und war wieder mal sehr begeistert! Nur kurz zur Information: man kann jeden Band auch einzeln lesen (die Fälle sind in sich abgeschlossen), aber durch die kontinuierliche Fortsetzung erfährt man ein umfassendes Bild der damaligen Ereignisse und man erlebt die Entwicklungen der Protagonisten!
Ja, ich mag Leo Wechsler, er ist mir sympathisch, ich nehme wie bei guten Freunden Anteil an seinem Familienleben, ähnlich wie bei Commissario Brunettis Kindern Rafi und Chiara verfolge ich das Aufwachsen von Georg und Marie, er lebt vollkommen normal und unspektakulär in Berlin-Moabit, mit allen Höhen und Tiefen des ganz alltäglichen Lebens.
Jetzt im 8.Fall führt ihn ein Tod in die Friedrichstadt, dem damaligen Berliner Zeitungsviertel: der Journalist Moritz Graf ist vom Dach des Ullsteinhauses gestürzt: Unfall, Selbstmord oder Mord? Leo und seine Inspektion A ermitteln...
1928 – der aufkommende Nationalsozialismus ist schon überall zu spüren, die Anfeindungen gegen Juden, Sozialdemokraten und Kommunisten werden größer und natürlich besonders in den Medien. Hier hat es die Autorin geschafft, quasi „nebenbei“ die verschiedenen Strömungen der damaligen Zeitungslandschaft deutlich zu erklären – auch den Coup von Hugenberg (lt. Nachwort der Autorin: „Alfred Hugenberg war es ab 1916 gelungen, sämtliche Produktionsstufen der Zeitungshersteller in einer Hand zu konzentrieren.“ S. 327): durch die WiPro (Wirtschaftsstelle für die Provinzpresse) erfuhren die Leser nur, „was Hugenberg und seine DVNP sie wissen lassen wollte.“ (S. 17) Auch die Wochenschauen der UFA gehörten zum Hugenberg-Imperium – die Gleichschaltung der Presse ab 1933 war dann nur noch ein klitzekleiner Schritt...
Aber außer den wirtschaftlichen Verflechtungen „erleben“ wir Leser*innen auch Hitlers 1. Rede im Sportpalast mit: ein Journalist „...hatte die Partei lange nicht ernst genommen, sie für eine vorübergehende Erscheinung gehalten...“ (S.94), doch „Es war nicht Faszination gewesen (…), sondern tiefe Beklemmung. Wie es dieser Mann schaffte, Worte als Peitsche zu gebrauchen, war sehenswert und verstörend zugleich.“ (S.96)
Aber auch das Alltagsleben findet seine Gedanken: ob die Überlegung, wann die letzten Pferdefuhrwerke in Berlin zu sehen sind oder die Faszination von Leos Sohn für Automobile, die Ermittlungen in einem Berliner Jazzlokal oder sie Situation der Berliner Obdachlosen – alles wird einbezogen....
Und Leo und seine Kollegen ermitteln...
In einem Nachwort stellt Susanne Goga die Zusammenhänge der verschiedenen Ereignisse klar, klärt über fiktive und reale Persönlichkeiten auf, denn natürlich – bedingt durch die Nähe zum Ullsteinhaus – findet Vicki Baum ihre Erwähnung, aber auch – was ich bisher nicht wusste: Billie Wilder hat bei der „B.Z. Am Mittag“ (ein Ullstein-Blatt) gearbeitet, bevor er 1933 nach Hollywood emigrierte und als Billy Wilder international Karriere machte.
Aus Sorge vor unbedachten Spoilern habe ich bewusst nichts zum aktuellen Fall erzählt, soviel sei aber gesagt: ich bin zufrieden mit der Arbeit von Leo und seinen Kollegen, das realistische Ende hat mir sehr gut gefallen! Und damit eine vollkommen überzeugte Empfehlung für dieses Buch und für diese Reihe im Allgemeinen! Frau Goga: ich bin in gespannter Erwartung auf weitere Leo-Wechsler Fälle (und erst mal kann ich ja als Überbrückung noch Band 4 – 7 lesen)!