Verräterisch der Name der Ortschaft, in der dieser Ruhrpott-Clan der Zimmermanns lebte: während die junge Bundesrepublik in Zeiten des Wirtschaftswunders prosperierte, gab es auch diesen gesellschaftlichen ...
Verräterisch der Name der Ortschaft, in der dieser Ruhrpott-Clan der Zimmermanns lebte: während die junge Bundesrepublik in Zeiten des Wirtschaftswunders prosperierte, gab es auch diesen gesellschaftlichen Bodensatz, der dahinvegetierte, eine sinnlose Gewalt auslebte, auch gegenüber den eigenen Kindern, und in dumpfer Sprachlosigkeit nicht über die eigene Situation reflektieren konnte.
Allein der Ich-Erzähler hätte als erstes und einziges Familienmitglied die Chance, durch Schulbildung und Studium diesem Pandämonium zu entkommen. Doch er tritt uns entgegen als gänzlich gescheitert - als Ehemann, als Vater, als Liebhaber ebenso wie in seiner unspektakulären und sinnentleerten Berufstätigkeit.
In einem Augenblick der Hellsichtigkeit entschließt sich dieser Frank, Kontakt zu den zahlreichen Familienmitgliedern aufzunehmen, um die innere Struktur dieses familiären Konglomerats zu erforschen, wie sie wurden, was sie sind.
Und hier offenbart sich das größte Defizit dieses Textes. Ohne Trennschärfe reihen sich die Expeditionen zu den einzelnen Verwandten aneinander, kaum vermag der Leser die Individuen voneinander zu unterscheiden. Ist es intendiert, das der gleichförmige Aufbau, die variationsarme Komposition den Blindflug des Protagonisten widerspiegelt?
Entlarvend, dass es des Briefes einer dem Erzähler vollkommen unbekannten Frau bedarf, den Blick auf einen gänzlich anderen Großvater zu öffnen. Sie, gleichfalls Patientin im Krankenhaus, in existentieller Krise, erlebt den sterbenden alten Mann in seiner grenzenlosen Einsamkeit, die auch das Herausschreien der zwölf Namen seiner Kinder nicht zu lindern vermag. Der menschliche Stil dieses Briefes kontrastiert auffallend mit dem lakonischen Tonfall des Erzählers. Aufschlussreich, dass der Roman an diesem Punkt abbricht und es offen bleibt, ob Frank von jetzt an die zähe Vitalität, die ihm aus seiner Herkunft zugewachsen ist, für sich, und seinen Sohn!, nutzen kann.
Diesseits und jenseits der Grenze
Helga Bürsters Ehrgeiz ist groß, will sie doch eine Familiengeschichte ausbreiten, wie sie sich vor der Wende diesseits und jenseits der innerdeutschen Grenze entwickelte, ...
Diesseits und jenseits der Grenze
Helga Bürsters Ehrgeiz ist groß, will sie doch eine Familiengeschichte ausbreiten, wie sie sich vor der Wende diesseits und jenseits der innerdeutschen Grenze entwickelte, um abschließend darzustellen, welche innerfamiliären Veränderungen die große historisch-politische Veränderung unseres Landes hervorgebracht hat. Die Anlage ihrer Familiensaga ist durchaus geschickt: wiederholte Zeitsprünge schärfen den Blick des Lesers auf das Hüben und Drüben, auf das Vorher und Nachher. Zwei Schwestern und ihre Cousine aus dem Ruhrgebiet bilden das Kernpersonal, doch genau hier beginnen Bürsters Schwierigkeiten. Während ihr die Darstellung der no future Perspektive der Christina aus dem Westen in den 70ern durchaus überzeugend gelingt, ist die intendierte Kontrastierung von Enne und Suse nicht unbedingt nachvollziehbar. Warum die versponnene Jüngere als zurückgeblieben eingestuft wird, warum die bodenständige Ältere plötzlich Schauspielerin werden will, bleibt im Dunkeln. Mehr Geschick beweist die Autorin beim Entwurf der zahlreichen Nebenfiguren. Der aufrechte Vater, die Tante in prekären Verhältnissen, die Dorfbewohner, allen voran der treue Eddy, bieten ein aufhellendes Moment in Ennes Verdüsterung, da sie über Suses Verschwinden in den Wirren der Wende nicht hinwegkommt. Allzu viele Details erscheinen nicht wirklich durchdacht, dem geschilderten Naturell der Figuren nicht angemessen - genannt sei nur die Idee einer esoterisch angehauchten Bestattung der Suse nach dreißig Jahren, um sich von diesem Schatten der Vergangenheit zu befreien. Eine derartig gestaltete Zeremonie, auf Ennes Initiative in Angriff genommen, passt in keiner Weise zu dem Menschenschlag im östlichsten Zipfel Vorpommerns. Auch die nur in Andeutungen angerissene Figur der Ilse Pohl ist nicht überzeugend. Weder die realen Lebensverhältnisse nach so langer Zeit, noch die dieser Figur auferlegte Funktion als Auslöser des Ablöseprozesses machen ihr erratisches Auftreten plausibel. Schade - ein hochinteressanter Stoff wurde aufgrund vieler vermeidbarer Defizite auf diese Weise verschenkt. Deshalb nach meinem Urteil nur 3 Sterne
Der Autor bietet dem Leser in einem unaufdringlichen Parlando eine Vielzahl von Anregungen, dem Wesen der Begegnung durch die Beschäftigung mit mancherlei kulturellen Zeugnissen auf die Spur zu kommen. ...
Der Autor bietet dem Leser in einem unaufdringlichen Parlando eine Vielzahl von Anregungen, dem Wesen der Begegnung durch die Beschäftigung mit mancherlei kulturellen Zeugnissen auf die Spur zu kommen. Wer diese Bücher, Filme, Bilder nicht kennt, wird möglicherweise angeregt, diese Werke kennenlernen zu wollen, die offenbar vom Autor als Türöffner für seine philosophischen Reflexionen intendiert sind.
Wesentlich weniger anregend, ja geradezu ärgerlich ist das wohlfeile Vorgehen, zu dieser oder jener vorgetragenen These seine Zuflucht im Menscheln zu suchen, diesen oder jenen Freund als Zeugen und Demonstrationsobjekt zu berufen, der eine Lebenssituation in dieser oder auch jener Weise bewältigt hat. Das ist allzu billig, das zieht diesen einerseits ambitionierten, andererseits aber auf Lesbarkeit angelegten Band in unstatthafter Weise hinunter auf das öde Niveau eines Rat- und Trostbüchleins.
In dem Bestreben, didaktisch und strukturiert vorgehen zu wollen, kommt es zu mancherlei Wiederholungen, die den Lesefluss und das gedankliche Vorandrängen ausbremsen, mit dem Ergebnis, dass der Leser sich unterfordert fühlt.
Alles in allem also eine Lektüre, die mancherlei Anregung bietet, letztlich aber kein rundherum befriedigendes Leseerlebnis verschafft, so dass das abschließende Urteil nur verhalten positiv ausfällt!
Es dürfte völlig außer Frage stehen, dass dieses klassische Werk der Jugendliteratur in der heutigen Zeit sich allein an ein Publikum ausgesprochener Liebhaber wendet. Umso anerkennenswerter, ...
Gemischtes Urteil
Es dürfte völlig außer Frage stehen, dass dieses klassische Werk der Jugendliteratur in der heutigen Zeit sich allein an ein Publikum ausgesprochener Liebhaber wendet. Umso anerkennenswerter, dass Reclam sich bemüßigt fühlt, der begrenzten Auswahl an deutschen Übersetzungen eine aufwendig gestaltete Ausgabe hinzuzufügen. Es gehört ein gerüttelt Maß an souveräner Distanz dazu, die in diesem Buch vertretenen Einstellungen, Werte und Normen als Ausdruck einer vergangenen Zeit hinzunehmen. Unsere heutigen Standards hinsichtlich weiblichem Rollenverständnis an diesen Titel heranzutragen, dürfte Louisa May Alcott nicht gerecht werden. Umso erfreulicher, dass die Autorin sehr wohl sich um differenzierende Charakterzeichnung bemüht. So gibt es in der jungen Generation keinesfalls ausschließlich positive oder gänzlich negative Figuren. Im Gegensatz zu den durchweg strahlend hell gezeichneten Eltern kämpft jede der vier Schwestern mit ihrem eigenen Defizit. So ist der pädagogische Ansatz für uns heutige Leser eindeutig identifizierbar: Meg und Jo, Beth und Amy haben jeweils ihr ganz individuelles Profil, was sie vereint, ist der unbedingte, ihnen durch das Vorbild von Mutter und Vater anerzogene Willen, ihre Schwächen zu überwinden. Sehr fortschrittlich für ihre Zeit, dass die positive Einflussnahme auf eine männliche Hauptfigur, Laurie, Früchte trägt und er sich zu einem gereiften jungen Mann entwickelt, was allein der Zuwendung durch die vier Nachbarsmädchen zu danken ist.
Die angefügten Wort- und Sacherklärungen am Ende des Buches sind hilfreich, ein zusätzlicher umfassender Essay allerdings hätte die Ausgabe nochmals aufgewertet.
Allerdings fühle ich mich bemüßigt, die Abstriche nicht unerwähnt zu lassen, die nach meinem Dafürhalten dieser neuen Ausgabe anzukreiden sind. Es ist ein Wagnis und eine Herausforderung, einem zeitlich recht weit zurückliegendem literarisches Werk durch die Übersetzung in eine andere Sprache einen leichteren Zugang zu verschaffen. Die Übersetzerin dieser Reclam-Ausgabe hat in meinen Augen des Guten zu viel getan. Indem sie dezidiert modernen Jargon einsetzt, der zweifelsfrei der unmittelbaren Gegenwart entstammt, ist der Kontrast zwischen inhaltlich vermittelter Ideologie und sprachlichem Gewand überaus deutlich, und die Gefahr ist groß, dass innerhalb kürzester Zeit diese Fassung auch wieder veraltet und obsolet erscheint. Ausdrücke wie "aus einer Nummer wieder herauskommen" zum Beispiel, willkürlich herausgegriffen aus einer Vielzahl von sprachlichen Missgriffen, verursachen eine Diskrepanz zwischen dem sehr wohl wahrgenommenen inhaltlichen Substanz und der übermäßig aktuellen Sprachgestalt.
Ein weiterer zu diskutierender Aspekt ist die gewählte Formensprache der Illustrationen. So begrüßenswert es ist, einem Buch durch eine aufwendige Gestaltung eine größere Wertigkeit zu verleihen, so sind aber doch gewisse Aspekte zu erörtern. Ganz offenkundig der Ehrgeiz der Illustratorin, ihren Abbildungen den Stempel die ureigene Individualität ihrer Formensprache zu verleihen, doch ist es nach meinem Dafürhalten wenig überzeugend, wenn die Physiognomie der vier Protagonistinnen sich doch kaum voneinander abheben, auch die Proportionen, die der unteren Körperhälfte ein entschiedenes Übergewicht verschaffen, sind einem gegenwärtigen Modeideal überlanger Beine geschuldet. So ansprechend die Idee der eingestreuten Vignetten ist, so ermüdend die immergleiche Abfolge von identischen Körbchen, Teekannen und -tassen, aufgeschlagenen Büchern und dergleichen mehr.
Meine entscheidende Kritik jedoch richtet sich an den Verlag! Es sollte Reclam doch möglich sein, einen Korrekturleser zu beschäftigen, der sein Handwerk gelernt hat. Die Unentschiedenheit, den guten Geist der Familie, Hannah, mal mit, mal ohne 'h' am Wortende zu schreiben, aus 'Buch' ein 'Tuch' zu machen, wodurch der Sinn des Satzes vollkommen kryptisch wird, einzelne Buchstaben innerhalb eines Wortes verschütt gehen zu lassen, und sogar gänzlich skandalöse Grammatikfehler nich zu korrigieren - das ist kein Ruhmesblatt!
Insgesamt also ein durchaus gemischt ausfallendes Urteil über diese Neuausgabe eines unverzichtbaren Klassikers der amerikanischen Literatur. In einer zweiten Auflage wenigstens die zuletzt genannten ärgerlichen Schnitzer auszumerzen, sollte keine zu große Schwierigkeit darstellen!
Eine Tour de Force durch das Deutschland nach dem Zusammenbruch, ein ehrgeiziges Romanprojekt, ein interessantes und informationsreiches Leseerlebnis - aber ….
Eine Tour de Force durch das Deutschland nach dem Zusammenbruch, ein ehrgeiziges Romanprojekt, ein interessantes und informationsreiches Leseerlebnis - aber ….
Widerstreitende Gefühle, schwankende Gewissheiten dominieren eine junge Frau, die eine Hölle durchschritten hat, glaubte, ihr entronnen zu sein, sich aber gezwungen sieht, in einer neuen Rolle in ihr altes Leben zurückzukehren.
Unterschiedliche Loyalitäten kämpfen im Bewusstsein der Protagonistin Paula darum, die Oberhand zu erlangen. Sie war Tochter ihres Vaters, eines reichen amerikanischen Geschäftsmannes, der ohne Prinzipientreue sich auf Wirtschaftsverbindungen mit der Nazi-Industrie einließ. Sie war Freundin eines jüdischen Mädchens, das sie im Stich ließ. Und sie war die Geliebte eines Deutschen, den sie abwies, um dann umso dringlicher nach ihm zu suchen.
Es ist eine Fülle an historischen Fakten, die den interessierten Leser in Bann ziehen, doch gleichzeitig muss eine ganze Reihe an eher befremdenden Charakteristika dieses Romans registriert werden.
Die Figur der nach Deutschland heimkehrenden Paula, jetzt in der Rolle eines Geheimdienstoffiziers, bleibt seltsam blass. Ihre Attraktivität wird dauernd angesprochen, ebenso wie ihre permanenten Zweifel an sich selbst und den Menschen, die ihr nahestanden und -stehen. Ebenso wird konstant herausgestrichen, wie sehr sie sich abgestoßen fühlt von der Bereitschaft ihrer amerikanischen Landsleute, mit alten Nazis zusammenzuarbeiten, ebenso wie von der Neigung der Deutschen, wieder zur Tagesordnung überzugehen.
Keinesfalls überzeugend muss auch der Kunstgriff des Autors genannt werden, die Figur seiner fiktiven Heldin mit dem who is who der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts biographisch zu verknüpfen. Ein Register aller realen Persönlichkeiten, die mit Paula persönlich verbunden sind, würde mehrer Seiten beanspruchen!
Ärgerlich ist auch die Eitelkeit des Autors zu nennen, wenn er seine sprachlichen und stilistischen Pirouetten dreht: übermäßig gesucht die Ausdrucksweise, eine überbordende Verwendung von gewollt aparten Vergleichen und Metaphern, auch ein gelegentlich gezielt rüder Sprachgestus kommt zum Einsatz.
Der Detailreichtum dieses aufwendig recherchierten Romans ist hervorzuheben, die Reserviertheit gegenüber der gestalterischen Umsetzung soll nicht verschwiegen werden.