Atmosphärisch, aber leider ein bisschen zu undurchsichtig!
The BeautifulMit "The Beautiful - Tödliche Dämmerung" startet eine brandneue vierbändige Reihe aus der Feder von Renée Ahdieh, welche mich vor allem mit ihrer Dilogie um "Zorn und Morgenröte" und "Rache und Rosenblüte" ...
Mit "The Beautiful - Tödliche Dämmerung" startet eine brandneue vierbändige Reihe aus der Feder von Renée Ahdieh, welche mich vor allem mit ihrer Dilogie um "Zorn und Morgenröte" und "Rache und Rosenblüte" überzeugen konnte. In Band 1 und 2 der "Der Hof der Löwen"-Reihe geht es um die hier vorgestellte Protagonistin Celine, während sich Band 3 und 4 um Celines Freundin Pippa drehen wird. Doch egal mit welcher Protagonistin - die Autorin entführt hier in ein düsteres, magisches New Orleans im späten 19. Jahrhundert, welches von Kreaturen wie Vampiren, Werwölfen, Dämonen und anderen Nachtwesen der Anderswelt heimgesucht wird und bereitet so abermals die Bühne für eine historische Romantasy-Geschichte. Leider konnte dieser Auftakt trotz düsterer Atmosphäre, einem lebendigen Setting, einem tollen Schreibstil und einer starken Hauptfigur nicht ganz halten, was die tollen Zutaten versprachen...
"Liebe ist, jemanden anzusehen, als würden Sterne in seinen Augen leuchten."
Das beginnt schon mit dem Cover: der dunkle Hintergrund, der umgeschüttete Kelch, aus dem sich blutrote Rosenblätter ergießen und der geschwungene weiße Titel sollten eigentlich in Kombination ein düsteres, sinnliches Gesamtbild ergeben, aber leider wirkt die Komposition in meinen Augen zwar interessant, aber ein wenig unfertig und unrund. Rein aufgrund des Covers hätte ich diese Geschichte wohl nicht zur Hand genommen - da musste ich erst von Klapptext und dem Namen der Autorin überzeugt werden. Positiv sticht an der Gestaltung nur die integrierte Karte des French Quarters in New Orleans hervor, welche sowohl in roter Farbe in den beiden Leselaschen als auch in Schwarz-Weiß-Druck vor den ersten Kapiteln zu finden ist.
Erster Satz: "New Orleans ist eine Stadt, die von den Toten regiert wird."
Auch die Geschichte an sich liest sich genau wie das Cover aussieht: durchaus interessant, aber ein bisschen unfertig und unrund. Der Einstieg erfolgt mit der Ankunft der jungen Celine Rousseau in New Orleans, die in den Armen der Kirche einen Neuanfang sucht, nachdem sie ein grauenvolles Ereignis aus Paris vertrieben hat. Schon gleich an ihrem ersten Abend in der "Crescent City" ereignet sich ein grauenvoller Mord an den Docks, der schon bald zu einer blutigen Serie werden soll, die seltsamerweise mit ihr zusammenzuhängen scheint. Spätestens nach der vierten Leiche, die direkt in ihrer Nähe gefunden wird, ist klar: der Mörder hat es auf Celine abgesehen. Doch liegt es an der Bekanntschaft des einflussreichen Sébastien Saint Germains und dessen "Hof der Löwen", an dem einiges nicht mit rechten Dingen zuzugehen scheint, oder klebt der Tod seit jenem schicksalshaften Moment in Paris an ihr, als sie mit einem Kristalllüster in der Hand zur Mörderin wurde...?
"Sie wollte sein wie ein Geist in der Nacht, der allen anderen um sich herum wortlos Befehle erteilte. In diesem Moment glaubte Celine, eine Ahnung davon zu haben, wie es sein musste, ein Monster zu sein. Monströse Taten zu begehen. Sich monströse Dinge herbeizusehen. In der Dunkelheit zu schwelgen."
Die Autorin lässt uns Celines Erlebnisse aus der Sicht eines personalen Er-Erzählers beobachten, welcher ab und an zwischen Celine und Sébastien wechselt und in eine rauschartige, sündhafte Parallelwelt führt, in die ein Krimiplot eingeflochten wurde. Unterbrochen wird diese Haupterzählung immer wieder durch Passagen aus der Perspektive eines unbekannten Ich-Erzählers, welcher sich schon bald als für die Mordserie verantwortlich offenbart. Um wen es sich hierbei handelt, ist natürlich die große Frage der Erzählung und das wichtigste spannungsgebende Element. Tatsächlich blieb mir bis zum Ende rätselhaft, wer hinter den Morden stecken könnte. Obwohl es natürlich erstmal positiv anzumerken ist, dass mich die Enthüllung sehr überrascht hat (was nicht oft vorkommt, ich habe in den allermeisten Fällen einen guten Riecher für Krimigeschichten), ist diese überraschende Wendung weniger auf Renée Ahdiehs geschicktes Versteckspiel, sondern eher auf die generelle Unübersichtlichkeit und Verwirrung der Handlung zurückzuführen.
"Deine Welt ist wunderschön, Bastien. Ich wünschte, ich könnte darin bleiben."
"Ich auch."
Bei diesen Worten entzog Celine ihm ihre Hand, wobei ihre Fingerspitzen den Kontakt eine Sekunde länger als notwendig hielten. Danach drehte sie sich zum Konvent um und stellte erstaunt fest, dass es möglich war, gleichzeitig froh und am Boden zerstört zu sein."
Trotzdass ich mich schon nach wenigen Seiten in die geheimnisvolle Atmosphäre der Geschichte und das bunte, pulsierende Setting verliebt habe, muss ich nämlich leider sagen, dass mit der rätselhaften Atmosphäre auch eine Menge Verwirrung und Enttäuschung einhergeht. Statt uns zusammen mit Celine immer mehr auf- und entdecken zu lassen, behält die Autorin bis zum Ende verklärende Metaphern bei und lüftet den Schleier über der Magie nur für vage Andeutungen. Wer sich hier also auf eine komplexe Vampirgeschichte gefreut hat, wird wohl enttäuscht werden. Das magische Worldbuilding ist hier in dem Sinne kaum vorhanden, als dass wir über die Fronten der Fantasywelt und das Magiesystem so gut wie keine Informationen erhalten. An einigen Stellen werden zwar Worte wie "Mentalisten", "Gefallene" und die "Bruderschaft" fallen gelassen und als aufmerksame/r LeserIn kann man sich nach einigen hundert Seiten auch erschließen, dass es sich hier um Variationen von Werwölfen und Vampiren handelt, aber wer nun genau was ist und mit wem verfeindet ist und wieso bleibt sehr undurchsichtig und ist auch nach dem Ende der Geschichte nur schwer zu sagen.
"Ein glänzender schwarzer Einspänner hielt direkt von dem Eisentor des Konvents. Auf der Tür prangte das Symbol einer Lilie im Maul eines brüllenden Löwen. Celine erlaubte sich einen Augenblick lang die Hoffnung, ein breitschultriger junger Mann mit Augen wie geschliffene Dolche und einer markanten Kinnpartie könnte dem Gefährt entsteigen. Sie wagte zu träumen, dass er ihr diese verzauberte Kutsche schenkte, die sie ans andere Ende der Welt bringen konnte. Dass er ihr sagte, sie könne hingehen, wo immer sie hinwolle. Dass er ihr schwor, ihr zu folgen, sogar in die Hölle. Lächerlich. Es sollte keinen Mann erfordern, ihr diese Art von Freiheit zu schenken. Celine sollte in der Lage sein, sie sich selbst zu nehmen (...) Die Märchen aus ihrer Kindheit waren nichts als Lügen gewesen."
Grundsätzlich finde ich es nicht schlecht, wenn man sich beim Lesen vieles selbst zusammenreimen muss und nicht alles auf dem Silbertablett präsentiert bekommt. Hier fehlten mir aber so viele essenzielle Informationen, sodass ich mich nicht so ganz in die Handlung fallen lassen konnte. Das sieht man beispielsweise an der Romanze zwischen Celine und Sébastian, welche wahnsinnig viel Potenzial hat, aber vor allem dadurch ausgebremst wird, dass wir bis kurz vor Schluss nicht einschätzen können, wer oder was er genau ist und in welchem Zusammenhang er mit den Morden steht. Das sorgt zwar für Spannung, verhindert aber auch, dass wir uns beim Lesen auf die Liebesgeschichte einlassen können. So bleibt Bastien leider trotz vieler toller Ansätze seinem Spitznamen "Le Fantôme" treu und ist weniger ein greifbarer Charakter als ein geheimnisvolles Phantom. Als wäre diese Situation nicht schon frustrierend genug, lässt die Autorin dann mit dem Detective Michael auch noch einen zweiten Mann mit unklarem Hintergrund auftauchen und verwickelt Celine somit auch noch in ein Liebesdreieck.
"Zorn dauert einen Augenblick. Reue hält ewig. Celine hatte schon genug zu bereuen. Wegzulaufen wie ein Opfer sollte nicht auch noch dazugehören. Sie war kein Opfer. Sie war eine Überlebende."
Auch das Setting wurde leider weniger mit eingebunden, als ich das erwartet, oder gehofft hatte. Die Handlung pendelt eigentlich fast nur zwischen dem "Hof der Löwen" über dem Restaurant Jaques´, dem Polizeirevier und dem Ursulinenkonvent hin und her. Zeit, zusammen mit Celine die Stadt zu erkunden, die Karnevalsumzüge zu besuchen und ganz in die schillernde Unterwelt der Stadt einzutauchen bekommen wir leider gar nicht. Da wir es hier mit dem Auftakt einer Reihe zu tun haben, hoffe ich natürlich sehr, dass sowohl auf das Setting als auch auf das Worldbuilding inklusive Vampir-Motiv in den folgenden Bänden mehr eingegangen wird. Hätte die Autorin ihrem Setting dieselbe Aufmerksamkeit gewidmet, mit der sie hier die Kleidung und das Aussehen ihrer Figuren beschreibt, hätte ich die Geschichte wohl kaum aus der Hand legen können... Etwas schade ist auch, dass viele der hier vorkommenden französischen (teilweise vereinzelt auch italienischen und spanischen) Aussprüche nicht übersetzt und somit nur beizeiten im Zusammenhang verständlich sind. Mit guten Sprachkenntnissen kann man das als anregend empfinden, ohne diese geht beim Lesen leider etwas verloren.
"Er war fast schon schmerzhaft schön. Nicht wie ein Kunstwerk oder ein Gedicht, sondern eher auf gewalttätige Art und Weise: wenn ein Anblick einen Menschen packte und nicht mehr losließ. Wie ein Gewitter hinter einer Wolkenbank. Eine Welle, die ans Ufer schlug. Eine Erinnerung, dass das ganze Leben nur ein einzelner Moment in der Zeit war. Dass man jede Sekunde davon genießen sollte."
Sehr gefreut hat mich hingegen, dass in "The Beautiful" nicht nur Renée Ahdiehs typischer mit Metaphern und Wortbildern angereicherter Schreibstil, sondern auch ihre weibliche Hauptfigur wunderbar zur Geltung kommen. Genau wie schon bei Shahrzad aus ihrer 1001-Nacht-Reihe hat sie es wieder geschafft, eine Figur zu erschaffen, welche ihrer Zeit in gewisser Hinsicht weit voraus ist, aber dennoch auf glaubwürdige Art und Weise mit den Einschränkungen der Gesellschaft kämpft. Celine ist leidenschaftlich, mutig, entschlossen, selbstbewusst und trägt auch eine dunkle Seite in sich, womit sie in kürzester Zeit mein Herz im Sturm erobert hat. Andere Figuren hatten es da schon schwerer und litten ebenfalls unter der Undurchsichtigkeit der Handlung. Dennoch hat Renée Ahdieh mit Celines Freundinnen aus dem Konvent, Sébastians Freunden vom Hof der Löwen und den Polizisten der New Orleans Metropolitan Police einen ganzen Strauß an interessanten (und ganz dem Titel folgend vergleichsweise übertrieben schönen) Nebenfiguren geschaffen, über die man gerne mehr erfahren will. Besonders die rätselhafte Odette und Celines Freundin Pippa konnten mich sehr überzeugen und unterstrichen trotz meiner leicht enttäuschten Erwartungen, welch großes Potential die Geschichte hat, sodass ich nun sehr auf Band 2 gespannt bin und diesen auch unbedingt lesen möchte, wenn er am 30. Juni 2022 erscheint!
"Celine war durch und durch das Mädchen im edelsteinfarbenen Kleid, das sich nach der liebevollen, fröhlichen Atmosphäre eines Nachmittagstees sehnte. Ebenso war sie aber auch das Mädchen in Schwarz, dessen Herz von Mondlicht erfüllt war und das einen Mörder zur Strecke bringen wollte. Konnten diese beiden gegensätzlichen Kräfte überhaupt in derselben Seele existieren? (...) Das Beste, was sie tun konnte, war zu hoffen. Denn Hoffnung war schließlich eine eigene Art von Magie."
Fazit:
Renée Ahdieh entführt hier in ein düsteres, magisches New Orleans im späten 19. Jahrhundert, welches von Kreaturen wie Vampiren, Werwölfen, Dämonen und anderen Nachtwesen der Anderswelt heimgesucht wird und bereitet so die Bühne für eine historische Romantasy-Reihe. "The Beautiful" glänzt mit einer düsteren Atmosphäre, einem lebendigen Setting, einem tollen Schreibstil, einer starken Hauptfigur und einer prickelnden Liebesgeschichte. Trotz der tollen Zutaten bleibt aufgrund des vagen Worldbuildings und der vielen bis zum Ende unbeantworteten Fragen jedoch ein gemischter Eindruck zurück.
Ich wollte es wirklich lieben, aber mehr als mittelmäßig begeisterte 3,5 Sterne mit leichter Aufwärtstendenz kann ich jedoch leider nicht vergeben...