Wie viel Leid kann ein Mensch ertragen?
Der fürsorgliche Mr CaveDurch den Tod seines Sohnes Reuben entwickelt Terrence Cave enorme Verlustängste. Sein Beschützerinstinkt nimmt bedenkliche Ausmaße an, die Bryony nicht mehr nur einschränken, sondern ihr regelrecht ein ...
Durch den Tod seines Sohnes Reuben entwickelt Terrence Cave enorme Verlustängste. Sein Beschützerinstinkt nimmt bedenkliche Ausmaße an, die Bryony nicht mehr nur einschränken, sondern ihr regelrecht ein normales Leben unmöglich machen. Selbst die Schwiegermutter kann Terrence nicht aufhalten und so läuft alles auf eine fürchterliche Katastrophe hinaus …
Dieser Roman ist im Original schon vierzehn Jahre früher erschienen. Dennoch ist er zeitlos und auch heute noch zeitlich stimmig. Es ist eine Art Brief- oder Tagebuchroman. Terrence erzählt seine Geschichte. Sie ist an seine Tochter Bryony gerichtet und Stück für Stück setzt Haig damit das Puzzle zusammen. Die Gegenwart und die Vergangenheit werden langsam verbunden und dadurch ahnt der Leser relativ früh, dass es kein Happy End geben kann.
Terrence trägt schwer an Verlusten und mit jedem neuen wird es schlimmer für ihn. Kann er anfangs noch kämpfen, verliert er mehr und mehr die Kraft, aber auch den Bezug zur Realität. Und es kommen Schuldgefühle auf. Aber obwohl Terrence der Erzähler ist, bekommt man ein gutes Bild davon, wie es den anderen Figuren dabei geht. Man selbst erkennt, wie eingeengt Bryony wird und was Reuben, der ein auffälliges Muttermal hatte, neben seiner Zwillingsschwester erlebt und auch erlitten hat. Mehr und mehr greifen die Ereignisse der Vergangenheit der Zukunft voraus.
So hat man hier einen enorm bewegenden Roman in Händen, der zwar auch mal lächeln lässt, aber tieftraurig ist. Das ist schwer zu ertragen, dennoch mag man nicht pausieren, will Terrence und Bryony nicht allein lassen. Die Story geht extrem tief unter die Haut und schockiert auch. Aber das Buch ist dennoch – oder auch gerade deshalb – einfach wunderbar. Wenn man weiß, dass Matt Haig selbst unter Depressionen und Angststörungen leidet und damit sehr offen umgeht, dann weiß man, dass seine Bücher allesamt nicht leicht sind und sich mit diesen Themen befassen. Gerade mit diesem Buch ist ihm das meiner Meinung nach sehr gut gelungen. Es ist keine Schande, sich Hilfe zu holen – und im Extremfall rettet es auch Leben. Diese Aussage ist wichtig und kann nicht oft genug wiederholt werden.
Kann ich Terrence Cave verstehen? Teilweise ja, teilweise nein. Er ist ganz tief in einer Krankheit gelandet, aus der man niemals alleine herauskommt. Er selbst hat es sicher geahnt, aber seine Umwelt fiel auf sein mühsam erarbeitetes Trugbild herein. Dass dies in einer absoluten Katastrophe enden muss, war klar. Ich kann ihm aber nicht verzeihen, dass er bis zum Ende nicht über die Konsequenzen nachdenkt. Nur – genau das ist das Problem bei Depressionen. Diesen Punkt sehen die Betroffenen eben nicht mehr. Womit ich dann wieder an dem Punkt bin, dass ich ihn nur teilweise verstehe, eben weil ich nicht in seiner Lage bin. Mir hat das Buch das Herz gebrochen und ich schäme mich nicht zuzugeben, dass Tränen geflossen sind. Dennoch – oder gerade deshalb – ist es ein wunderbares Buch. Es kann Augen öffnen und deshalb gebe ich fünf Sterne.