Traue niemandem, am wenigsten dir Selbst
Die Vertraute„Die Vertraute“ ist ein Buch, dass mit der Fantasie und den Emotionen des Lesers spielt, ihn verwirrt, entmutigt und völlig ratlos zurücklässt. Es ist für mich das erste Buch von Autorin Gilly MacMillan, ...
„Die Vertraute“ ist ein Buch, dass mit der Fantasie und den Emotionen des Lesers spielt, ihn verwirrt, entmutigt und völlig ratlos zurücklässt. Es ist für mich das erste Buch von Autorin Gilly MacMillan, sodass ich nicht wusste, was mich erwarten würde, aber die Idee mit Realität und Fiktion zu spielen hat mich neugierig gemacht. Und dann auch echt umgehauen. Denn du kannst niemandem trauen und am wenigsten dir selbst.
Zum Inhalt: In der Mittsommernacht verschwindet Lucys kleiner Bruder Teddy spurlos, nachdem sich die beiden Kinder aus dem Elternhaus geschlichen.30 Jahre später fehlt von Teddy nach wie vor jede Spur, Lucy ist zwar eine erfolgreiche Autorin, hat das Trauma ihrer Kindheit aber nie überwunden. Das zeigt sich auch in ihren Büchern, in denen ihre imaginäre Freundin aus Kindertagen die Hauptrolle spielt. Als ihr Ehemann ein altes Herrenhaus kauft, das genau an den Wald angrenzt in dem Teddy damals verschwand, wird Lucy von ihrer Vergangenheit eingeholt.
Die Geschichte wird aus Lucys Perspektive erzählt, das bedeutet der Leser bekommt immer nur ihre Meinung, ihre Sichtweise, ihre Gefühle vermittelt. Dabei wirkt sie zunehmend wie ein unzuverlässiger Erzähler, man weiß nicht, ob man ihr und ihren Erinnerungen trauen kann und Lucy zweifelt auch immer stärker an sich selbst, was dieses Gefühl der Unsicherheit unterstützt. Durchbrochen wird die Handlung durch eine Art Rückblende in die Vergangenheit in der Teddys Verschwinden und der darauffolgende Zeitraum der polizeilichen Ermittlung geschildert wird, ebenfalls aus Lucys Perspektive. Auffällig ist hier, dass Lucy auch damals schon von ihren Eltern als Lügnerin und mit viel Fantasie dargestellt wird, was auch ihre damaligen Erinnerungen in Zweifel zieht.
Lucy und ihr Ehemann Dan sind beide eher unsympathische Personen, man hat das Gefühl, dass die Ehe schon lange nicht mehr glücklich ist, Dan sich permanent über Lucys Wünsche hinwegsetzt und vielleicht auch nur noch ihres Erfolgs und Geldes wegen nicht verlässt, was er ihr gleichzeitig beides neidet. Aber auch hier beruht die gesamte Einschätzung der Situation wieder auf Lucys Wahrnehmung der Ereignisse. Diese werden im Verlauf der Handlung immer ominöse, Lucy fühlt sich verfolgt und beobachtet, dann verschwindet Dan und Lucy steht mal wieder im Fokus einer polizeilichen Ermittlung.
Das Buch ist gut erzählt und durch die Rückblenden und Teddys ominöses Verschwinden wird die Spannung konstant hochgehalten. Es wird viel mit der Wahrnehmung des Lesers gespielt, einerseits dadurch, dass Lucy als unglaubwürdige Erzählerin dargestellt wird und andererseits dadurch, dass immer Gaslighting durch Dan angedeutet wird. Es bleibt bis zum Schluss unklar, wem man eigentlich vertrauen kann- absolut stark gemacht. Der Abschluss des Buches wirkte auf mich dann hingegen recht unglaubwürdig und auch ein wenig enttäuschend. Fast ist es, als hätte die Autorin noch einen schnellen Abschluss finden müssen. Das hat mir das Buch dann doch ein bisschen madig gemacht, sodass ich nur 4 von 5 Sternen gebe.