Ein geniales literarisches Erlebnis!
Ian McEwan hat mich mit diesem Buch völlig überrascht. Ich habe eine Dreiecksgeschichte nach dem klassischen Vorbild von Hamlet erwartet und fand mich im Uterus einer Schwangeren wieder, aus der ihr Fötus, ...
Ian McEwan hat mich mit diesem Buch völlig überrascht. Ich habe eine Dreiecksgeschichte nach dem klassischen Vorbild von Hamlet erwartet und fand mich im Uterus einer Schwangeren wieder, aus der ihr Fötus, ein hochintelligenter Knabe, seine Umwelt schon vor seiner Geburt durchschaut. Er spielt sozusagen den Hamlet nach Shakespearescher Machart und erzählt seine Geschichte, sieht den geplanten Mord am eigenen Vater und versucht sogar ihn zu verhindern. Das Ganze gibt McEwan mit herrlich trockenem Humor zum Besten und dichtet dem Fötus lakonische Bemerkungen unter, die mit Weisheit und geistiger Intelligenz beeindrucken.
Der Knabe ist hochintelligent und schon mit enormer Sprachfähigkeit ausgestattet, er ist ein fundierter Weinkenner, dank seiner trinkfreudigen Mutter kam er schon früh und oft in den Genuss einiger guter Tropfen. Er vergleicht seinen leiblichen Vater John, ein Genie der Dichtkunst, mit seinem Ziehvater und gleichzeitigem Onkel Claude, den er als dumm und sexbesessen beschreibt. Seine Mutter Trudy liebt er, wie eben Kinder ihre Mütter lieben.
Die Handlung ist so voller Überraschung, Weisheit und Witz, man liest gebannt und ist beeindruckt und hinterfragt gar nicht die Glaubwürdigkeit dieser Geschichte.
Sprachlich gelingt MacEwan ein Paradestück, er erwähnt sogar den Brexit und Europas Krise und dann gleitet der Roman in die Tiefen der Poesie durch die Gedichte von Vater John.
Was jedoch als kriminalistische Tat abläuft, ist von Innen heraus betrachtet unabwendbar, jedenfalls für den Knaben.
Dieser betrachtet nämlich schon vor seiner Geburt voller Sorge die Welt außerhalb seines Mutterbauches. Doch der entwickelt schon seine Rachepläne vor der eigenen Geburt.
Nussschale ist ein sehr eindringlicher, klug geschriebener Roman, bei
dem ein wenig britischer Humor hervorblitzt und der mit seinem
ungeborenen Erzähler punktet. Hier wird philosophiert, bissig bemerkt
und gesellschaftliche Kritik geübt. Ein wenig "Hamlet to go"!