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Veröffentlicht am 30.03.2022

Bestie Wolf oder Bestie Mensch?

Wo die Wölfe sind
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Inti Flynn ist Biologin und Leiterin eines Projekts, bei dem Wölfe in den schottischen Highlands wieder angesiedelt werden, um die zerstörte Natur dort zu retten. Gleichzeitig hofft sie in der Abgeschiedenheit ...

Inti Flynn ist Biologin und Leiterin eines Projekts, bei dem Wölfe in den schottischen Highlands wieder angesiedelt werden, um die zerstörte Natur dort zu retten. Gleichzeitig hofft sie in der Abgeschiedenheit der Wälder Ruhe zu finden, denn sie hat die seltene Krankheit, die Schmerzen anderer Lebewesen selbst körperlich zu spüren. Ihre Arbeit trifft zunächst auf harten Widerstand der Bevölkerung, die den Bestand ihrer Weidetiere bedroht sieht. Als dann eine Leiche mit eindeutigen Verletzungen aufgefunden wird, beginnt eine Hetzjagd auf die Wölfe. Selbst Inti bekommt Zweifel, war ein Wolf oder ein Mensch die Bestie? …

Die Autorin dieses Romans, die 1988 geborene Charlotte McConaghy, hat irisch-schottische Wurzeln, wuchs jedoch in Australien auf. Nach „Zugvögel“, mit dem sie internationalen Durchbruch erreichte, ist „Wo die Wölfe sind“ ihr zweiter Roman, der die Natur und Tierwelt und die Auswirkungen aufs Klima zum Thema hat. Die Autorin lebt heute in Sydney.

Gleich mehrere Themen finden sich in diesem Roman. Der Schwerpunkt liegt hier zweifellos auf Umweltschutz, Renaturierung zerstörter Wälder und Wiederansiedelung bedrohter Tierarten. Sehr einfühlsam versucht die Autorin das brisante Problem Wolf von beiden Seiten anzugehen. Der Daseinsberechtigung von Wölfen stehen die Interessen der Landwirte und die Ängste der Bevölkerung um Kinder, Haus- und Nutztiere gegenüber, was uns beim Lesen sehr nachdenklich stimmt. Ein weiteres interessantes Thema ist die sehr seltene Krankheit Mirror-Touch-Synästhesie, bei der die Betroffenen Schmerzen anderer Lebewesen selbst körperlich empfinden. Man erfährt, dass Inti und ihre Zwillingsschwester Aggie sich zeitlebens gegenseitig Halt und Stütze waren und erlebt mit ihnen ihre Kinder- und Jugendzeit, die sie überwiegend bei ihrem Vater in den Wäldern Kanadas verbracht haben.

Ferner beinhaltet die Geschichte auch einige kriminalistische Aspekte. Eine aufregende und spannende Suche nach einer Leiche und eindeutige Verletzungen, die auf Wolfsangriffe hindeuten, lassen uns den Atem stocken. Wird es die Wolfspopulation trotz heftiger Widerstände schaffen, die Natur zurück zu erobern? Der Schreibstil der Autorin ist lebendig und bildgewaltig, eine einfühlsame Liebesgeschichte rundet das Geschehen zufriedenstellend ab. Trotz einiger heftiger Szenen, die zart besaitete Gemüter wohl schockieren werden, kann ich dieses Buch wärmstens empfehlen und vergebe gerne 5 Sterne.

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Veröffentlicht am 15.03.2022

Von Gaunern, Gangstern und anderen liebenswerten Zeitgenossen …

Achtsam morden
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Björn Diemel ist Anwalt in einer angesehenen Kanzlei und dort nur für einen Mandanten, Dragan, den Boss eines Drogen- und Verbrechersyndikats, zuständig. Er ist Tag und Nacht damit beschäftigt diesen vor ...

Björn Diemel ist Anwalt in einer angesehenen Kanzlei und dort nur für einen Mandanten, Dragan, den Boss eines Drogen- und Verbrechersyndikats, zuständig. Er ist Tag und Nacht damit beschäftigt diesen vor dem Gefängnis zu bewahren, so dass er kaum noch seine Frau und seine kleine Tochter sieht. Als seine Frau ihm droht, er müsse mehr Zeit mit seiner Tochter verbringen andernfalls er sie nie wiedersehen würde, entschließt Björn sich zu einem Achtsamkeitskurs bei Joschka Breitner, dem Autor des Buches „Entschleunigt auf der Überholspur – Achtsamkeit für Führungskräfte“. Die Übungsstunden zeigen rasch Erfolg und bringen ihm etwas mehr Lebensqualität zurück. Als er, anstatt das Wochenende wie geplant mit seiner zweieinhalbjährigen Tochter zu verbringen, Dragan zum Untertauchen vor der Polizei verhelfen soll, räumt er das Problem nachhaltig aus dem Weg: er bringt Dragan um – äußerst achtsam natürlich …

Karsten Dusse, geb. 1973 in Essen, ist Rechtsanwalt, Hörbuchsprecher und als Autor für verschiedene Fernsehformate tätig, für die er mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Deutschen Comedypreis ausgezeichnet und für den Grimme-Preis nominiert wurde. Er schrieb bereits zwei Sachbücher zu juristischen Themen, bevor 2019 sein erster Roman „Achtsam morden“ erschien. Zwei weitere, „Das Kind in mir will achtsam morden“ und „Achtsam morden am Rande der Welt“ folgten.

Selten habe ich mich beim Lesen eines Buches so gut amüsiert wie bei diesem Krimi, der sich überraschenderweise als eine Mischung zwischen Slapstick und Ratgeber zu mehr Achtsamkeit entpuppt. Urkomisch zu lesen, wie der Protagonist diese Achtsamkeits-Regeln interpretiert und natürlich zu seinen Gunsten umsetzt. Daneben hat der Autor auch ernsthafte und nachdenkliche Momente eingebaut und präsentiert dem Leser zu Beginn eines jeden Kapitels eine durchaus ernstzunehmende Lebensweisheit. Der Schreibstil ist dabei sehr lebendig und angenehm flüssig und die Spannung ist durchweg auf hohem Niveau, so dass man das Buch kaum aus der Hand legen kann.

Fazit: Wenn man mit dem schwarzen Humor des Autors klarkommt, ist dieses Buch ein herrliches Lese- bzw. Hörvergnügen, das ich gerne weiter empfehle.

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Veröffentlicht am 03.03.2022

Der ganz besondere Champagner …

Kaiserstuhl
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Man schreibt das Jahr 1962. Das Wirtschaftswunder ist auch an Henny Köpfer nicht vorüber gegangen. Es war ihr gelungen, die Weinhandlung ihres Vaters in der Schusterstraße in Freiburg, die beim Bombenangriff ...

Man schreibt das Jahr 1962. Das Wirtschaftswunder ist auch an Henny Köpfer nicht vorüber gegangen. Es war ihr gelungen, die Weinhandlung ihres Vaters in der Schusterstraße in Freiburg, die beim Bombenangriff 1944 auf Freiburg total zerstört wurde und bei dem ihr Vater sein Leben lassen musste, wieder aufzubauen und ein gut florierendes Geschäft daraus zu machen. Henny war zwar im Krieg mit dem Leben davon gekommen, hatte aber viel Leid erfahren müssen. Sie erinnert sich an ihre erste Liebe, den Franzosen Yves Vossinger, mit dem sie nach Kriegsausbruch keinen Kontakt mehr haben konnte und an ihre frühe Ehe mit Heiner aus Eichingen am Kaiserstuhl, der 1941 im Balkan-Feldzug gefallen war. Sie war damals schwanger mit einem Jungen, den sie daraufhin auch verlor. Als dann 1944 alles zerstört war entdeckte sie mitten im Chaos einen kleinen Jungen, der wie sie alleine war. Mit Kaspar, so nannte sie ihn, flüchtete sie nach Eichingen zu ihrer Schwiegermutter Kätter, die in dem Buben ihr Enkelkind vermutete. Damals am Kaiserstuhl verliebte sich Henny auch den Elsässer Paul Duringer, der nun, 1962, auf der Suche nach einer bestimmten Flasche Champagner, einen 1937er Vossinger, ist. Sie stammt aus dem Raubgut der Deutschen, überlebte den Krieg im Führerbunker in Berchtesgaden und soll nun aus Anlass des deutsch/französischen Freundschaftsvertrags zwischen De Gaulle und Adenauer überreicht werden – und diese Flasche lagert jetzt in Hennys Weinkeller …

Brigitte Glaser, die Autorin von „Kaiserstuhl“, wurde 1955 in Offenburg geboren. Nach dem Abitur studierte sie Sozialpädagogik in Freiburg und übersiedelte danach nach Köln. Um die Jahrtausendwende begann sie ihre schriftstellerische Arbeit zunächst mir Kurz-Krimis. Ihren Durchbruch schaffte sie 2016 mit dem Roman „Bühlerhöhe“, der wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste stand. Heute lebt sie immer noch in Köln und ist dort in der Erwachsenenbildung tätig.

Neben dem angenehmen Schreibstil und dem spannenden Handlungsverlauf fallen hier besonders die exakte geschichtliche Recherche und die genaue Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten auf. Der Autorin ist es gelungen, die Lebensbedingungen sowohl während der Kriegsjahre, als auch zur Zeit des Wirtschaftswunders, in der Breisgau-Region wieder aufleben zu lassen. Es war die große Zeit des Kinos, der Kleinkunstbühnen und der Jazzkeller. Die Schicksale der Protagonisten, ihre Lebenssituationen und Verhaltensweisen, ihre Liebe und ihre Gewissensqualen, fühlen sich absolut authentisch an und sind bestens in die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse eingebunden. Das Geschehen um den Champagner und die Frage, warum es gerade diese eine bestimmte Flasche des Jahrgangs 1937 aus der Kellerei Vossinger sein muss, verleiht der Geschichte die nötige Spannung - die Auflösung zum Schluss ist durchaus nachvollziehbar. Ein Stammbaum der Familien Köpfer und Duringer, die die Hauptpersonen in diesem Roman sind, ist am Ende des Buches zu finden und rundet das Ganze gut ab.

Fazit: Ein Roman der gekonnt Zeitgeschichte mit menschlichen Schicksalen verbindet, der sehr gut recherchiert und einfühlsam geschrieben ist und den ich gerne weiter empfehle.

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Veröffentlicht am 26.02.2022

Wie viel Leid erträgt ein Mensch?

Hiob
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Als Bibellehrer im russischen Zuchnow bestreitet der fromme Jude Mendel Singer den kargen Lebensunterhalt für seine Familie - eine bigotte zänkische Frau, zwei Söhne, eine Tochter und ein spätgeborener ...

Als Bibellehrer im russischen Zuchnow bestreitet der fromme Jude Mendel Singer den kargen Lebensunterhalt für seine Familie - eine bigotte zänkische Frau, zwei Söhne, eine Tochter und ein spätgeborener zurückgebliebener behinderter Junge. Seine Behandlung im Krankenhaus lehnen sie ab, sie vertrauen lieber auf Gott und ihre Gebete. Jahre in Armut vergehen, die Kinder wachsen heran. Dann bricht Jonas, der älteste Sohn, mit den jüdischen Gesetzen und meldet sich zum Militär, während Schemarjah, der Zweitgeborene, die Familie verlässt und nach Amerika auswandert. Als Tochter Mirjam beginnt sich mit den dort stationierten Kosaken einzulassen, entschließt sich Mendel, mit Frau und Tochter seinem Sohn Schemarjah nach Amerika zu folgen - den immer noch schwer behinderten Jüngsten Menuchim müssen sie zurücklassen. Auch in Amerika ist die Familie weiter vom Pech verfolgt. Es sollen Jahrzehnte vergehen, Mendel ist inzwischen vom Glauben abgekommen, bis ihm das große Wunder widerfährt und er endlich Ruhe und Frieden findet …

Joseph Roth war ein österreichischer Schriftsteller und Jounalist, der 1894 im galizischen Brody bei Lemberg (Lwow) geboren wurde. Er studierte zunächst in Lemberg, dann in Wien Germanistik und Philosophie und war danach als Journalist tätig. Sein erster Roman erschien 1923, weitere folgten. „Hiob“ erschien erstmals 1930 und handelt in der Zeit um 1900 bis nach dem I. Weltkrieg. Die Machtergreifung durch die Nazis zwang den Juden ins französische Exil, seine Bücher wurden in Deutschland verbrannt. Roth starb 1939 in Paris an den Folgen einer schweren Alkoholsucht.

Wie schon der Titel des Buches vermuten lässt, greift der Autor hier die Geschichte von Hiob aus dem Alten Testament auf, der vielen harten Prüfungen unterzogen wird, an Gott verzweifelt und seinen Glauben beinahe verliert, bis dann das Wunder geschieht. Entgegen der Dramatik und Tragik der Handlung ist die Sprache Roths eher als einfach und erfassbar zu bezeichnen. Es gelingt ihm dadurch, den Leser zu packen und das Geschehen bildhaft entstehen zu lassen, sodass es sich fest im Gedächtnis zu verankert.

Fazit: Ein beeindruckender Roman voller Dynamik, ein Klassiker der deutschen Literatur, den man gelesen haben sollte und den ich gerne empfehle.

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