Liebe das Monster (in dir) - hochwertiges Leseerlebnis
Monster auf der CouchDas Buch beginnt mit einem verzweifelten Brief von M. an die Schwedische Polizeibehörde. Noch immer weiß niemand, was mit der Psychotherapeutin J. passiert ist. Sie bleibt vermisst. Das baut Spannung auf, ...
Das Buch beginnt mit einem verzweifelten Brief von M. an die Schwedische Polizeibehörde. Noch immer weiß niemand, was mit der Psychotherapeutin J. passiert ist. Sie bleibt vermisst. Das baut Spannung auf, allerdings bleibt man auf dem selben Wissenstand, wie die Schwedische Polizeibehörde, die vermutlich die Akten durchgeht. Denn neben dem Brief enthält das Schreiben vier Akten der Therapeutin. Das besondere: ihre Klienten waren „Ikonen der viktorianischen Schauerliteratur“: der zerrissene Dr. Jekyll, die Vampirin Carmilla und ihre Geliebte, der selbstverliebte Dorian Gray und der geplagte Dr. Frankenstein und seine Familie. Alle durch die Zeit gereist, um von den Fortschritten in der Psychologe zu profitieren. Ziemlich bizarr - vor allem die Paartheraphie einer Vampirin mit einer Sterblichen - aber auch eine spannende Idee, unheimlichen Persönlichkeiten aus der Literatur eine neue Richtung geben zu wollen, deren Psychosen möglicherweise auch auf das rückschrittliche Zeitalter zurückzuführen sind . Es gibt einige, die mitmachen, andere verschließen sich - die Reaktionen sind so vielfältig und spannend, wie die Persönlichkeiten selbst.
Es geht um Themen wie Polyamorie, Homosexualität, Feminismus, Schönheitsbilder, aber vor allem darum, die ungeliebten Seiten an sich zu akzeptieren. Es war frustrierend und amüsant zugleich, wenn die Figuren sich in Abschweifungen und Aphorismen flüchteten, unfähig einen Zugang zu ihren Gefühlen herzustellen. Als Therapeutin muss man offenbar viel Geduld mitbringen, als Leserin empfand ich das streckenweise als langatmig und mühsam. Die Therapeutin wächst dabei über sich hinaus, punktet als kompetente Beobachterin und gewährt Einblicke in ihre persönlichen Traumata, mit denen sie sich erneut konfrontiert sieht. Der Schreibstil ist dialogreich und authentisch, teilweise auch anspruchsvoll und lädt zum Nachdenken ein. Interessant ist zudem der informative Aspekt, wo sich reale Theorien mit fiktiven Klienten kreuzen: Sigmund Freuds Thesen zur Psychoanalyse (Konflikt des Über-Ichs mit dem Es) oder Lawrence Kohlbergs Stufenmodell der moralischen Entwicklung. Im Gegensatz zu anderen Lesern und Leserinnen, fand ich das Ende gelungen, weil es zum Buchkonzept passt und man, durch das Lesen der Akten, durchaus eigenen Schlüsse, über den rätselhaften Fall der verschwunden Psychologien, ziehen kann.
Besonderes erwähnenswert finde ich die realistisch wirkenden s/w-Bleistiftskizzen (Porträts oder Gegenstände), Sitzungsprotokolle, Briefe, handschriftliche Notizen, Artikel und Fotografien, die von der Therapeutin für das Buchprojekt gesammelt wurden. Dadurch gestaltet sich das Lesen sehr unterhaltsam und man hat das Gefühl, tatsächlich ihre Akten durchzuarbeiten. Ein echtes Gestaltungshighlight! Ich mochte besonders die handschriftlichen Notizen in den Sitzungsprotokollen, da sie tiefblickende Bewertungen aufwarfen. Dadurch werden insgesamt spannende Einblicke in das Denken und Vorgehen einer Psychotherapeutin und den Ablauf ein Therapie gegeben, weshalb man auch etwas für das eigenen Leben daraus mitnehmen könnte. Deshalb würde ich „Monster auf der Couch“ besonders denen empfehlen, die sich für Psychologie, menschliche Abgründe, aus der Zeit gefallende Dialoge und schauderhafte Persönlichkeiten interessieren. Von mir gibt es vier von fünf Sternen!