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Veröffentlicht am 21.01.2024

Zwischen Bleistiftstrichen und Glaubensspuren – Eine zauberhafte Winterromanze

Deine Spuren im Schnee
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„Das ist eben so, das Leben ist nicht bloß fabrikneu, man kann so einen abgenutzten Bleistift lieben, weil man mit ihm schöne Sachen gezeichnet und erlebt hat und weil er zu einem gehört, und ich weiß ...

„Das ist eben so, das Leben ist nicht bloß fabrikneu, man kann so einen abgenutzten Bleistift lieben, weil man mit ihm schöne Sachen gezeichnet und erlebt hat und weil er zu einem gehört, und ich weiß zumindest, dass du…“ (Seite 138)

Dieses schmale Büchlein erzählt von den feinen und behutsamen Nuancen der Liebe und des Glaubens an Gott. In einer Bibliothek mitten im Winter irgendwo in Berlin arbeitet Stefan an seiner Kunstmappe und eines Tages sieht er dort die wunderschöne Mathematikstudentin Lenja. Doch er spricht sie nicht an, stattdessen zeichnet er sie. Die Geschichte wird hauptsächlich aus der Ich- Perspektive von Stefan erzählt. Er der Atheist und sie die gläubige Christin. Ihre Familie und Freunde sind gegen die Beziehung. Schafft es ihre Verbindung dennoch zu bestehen? Als sie ihren Glauben verliert, macht Stefan sich auf den Weg ihn für sie wiederzufinden.

„Wenn die Trauer sie zu überwältigen drohte, floh sie in die Mathematik.“ (Seite 111)

Mir gefiel das Buch unglaublich gut, gerade aufgrund des zarten und beinahe poetischen Schreibstils, welcher das Wesen der Liebe, den Glaube und die Selbstfindung auf leise aber wunderbare Weise einzufangen vermag. Die Charaktere blieben in der Geschichte ein wenig blass, sie dienten mehr als Sprachrohr für die vielen Fragen über Gott und die interessanten Sichtweisen.

Ich habe Gott zum Beispiel noch nie als Außerirdischen betrachtet. Ein wenig habe ich mich mit den beiden verbunden gefühlt, Lenja welche Sicherheit in den Zahlen sieht und Nachts Matheaufgaben löst, aber auch Stefans künstlerische Sicht und die detaillierten Beschreibungen seiner Zeichnungen haben mich sehr berührt.

Der Autor Titus Müller webt hier ein ganzes feines und schönes literarisches Gemälde, das sich durch eine leise aber kraftvolle Erzählweise auszeichnet. Der Autor umgeht bei der Liebesgeschichte gängige Klischees und beschreibt eine zarte und einfühlsame Beziehung, die den Respekt und die Einzigartigkeit des anderen in den Mittelpunkt stellt. Er erzählt von einer selbstlosen Verbindung und taucht dabei in die Gedankenwelt der Charaktere ein. Er lässt Raum für Selbstreflexionen und regt dazu an, über die eigenen Überzeugungen und Beziehungen nachzudenken.

Insgesamt ist dieses Buch ein kleines aber feines Meisterwerk der Wortgewandtheit, welches den Leser auf eine Reise der Selbstfindung mitnimmt. Es werden Türen zu großen Fragen des Lebens geöffnet und dabei zum Nachdenken verführt. Ein wirklich tiefgründiges und berührendes Buch, dass mir eine Achterbahnfahrt der Gefühle beschert hat. Ich war gefangen in der Geschichte und habe viel nachgedacht, als ich es beendet hatte ließ es mich mit Wehmut aber auch Begeisterung zurück. „Wunderschön“, möchte ich leise flüstern.

⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.06.2018

Sei eine glückliche Eintagsfliege

Wie man die Zeit anhält
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Zitat:
"Das war die alte Lektion der Zeit. Alles verändert sich, und nichts verändert sich." (S. 125)

Ein schon beinahe philosophisches Buch mit einem Hauch Melancholie. Schmerzlich schön und nachdenklich ...

Zitat:
"Das war die alte Lektion der Zeit. Alles verändert sich, und nichts verändert sich." (S. 125)

Ein schon beinahe philosophisches Buch mit einem Hauch Melancholie. Schmerzlich schön und nachdenklich geschrieben. Kein leichtes Buch, ein Roman der nachhallt. Der Gedanken auslöst und dabei eine wichtige Botschaft enthält. Alles was uns letztlich bleibt ist die Menschlichkeit.

Haig hat ihr eine wunderbare Geschichte ersponnen, über einen Geschichtsprofessor, ein Mann der weit über die 400 Jahre alt ist. Dabei sieht er immer noch aus wie vierzig, denn Tom Hazard hat eine "Krankheit", er altert langsamer als normale Menschen, viel langsamer. Über die Jahrzehnte hinweg musste er sich immer wieder neu erfinden, von einem Ort zum anderen verschwinden. Sein wahres Alter ist sein Geheimnis, niemand darf davon wissen und dann gibt es da noch diese Regel: Er darf sich nicht verlieben, denn Liebe ist gefährlich, sie ist schmerzhaft und so kommt es, dass Tom sich zurück zieht, wie ein Einsiedler lebt. Doch dann tritt Camille in sein Leben und sein Geheimnis scheint nicht mehr sicher zu sein.

Haig erschafft hiermit eine Geschichte, die sich mit der Zeit beschäftig. Zeit die uns auf der Welt gegeben ist und was wir damit anfangen. Das Buch ist kein spannungsgeladener Roman oder ähnliches, nein es ist ruhiger, dramatischer, die inspirierenden Überlegungen und das Philosophische machen es zu einem besonderen Roman. Ein Buch voll kluger Gedanken und Ideen.
Die Geschichte wird dabei aus Toms Sicht erzählt, schweift immer wieder ab in seine Gedanken und Ängste. Sorgen die er sich macht, die Dinge, die Menschen die ihn beschäftigen. Als Sahnehäubchen, als gutfungierte Effekte lernt der Leser Shakespeare, Scott und Zelda Fitzgerald und auch unter anderem Chaplin kennen.

Zitat:
"Ich verabscheute meine Veranlagung. Sie machte mich einsam. Einsam auf eine Art, die durch die Seele heulte wie ein Wüstenwind. Mir fehlten nicht nur die Menschen, die ich gekannt hatte, sondern auch mein eigenes Ich. Der Mensch, der ich gewesen war, wenn ich mit ihnen zusammen war." (S. 43-44)

Haig schafft es den Leser in Toms Welt zu ziehen, indem er auch von seiner Vergangenheit berichtet. Wie eine kleine Zeitreise, begleitet man Tom durch die Jahrhunderte, fühlt seinen Schwermut und seine Ängste.

Gelungen fand ich auch die Metapher für den normalen Menschen: Eintagsfliege. Im Vergleich zu Toms Lebensspanne, ist es beinahe nur ein flüchtiger Moment. Also kostbar, jeder Augenblick ist wertvoll und kein Moment währt ewig.

Das Buch hat mich völlig in den Bann gezogen, ich wollte nicht, dass es endet.
Mich hat das Buch berührt, beeindruckt und ich sehe es als Highlight. Es ist ein wahrer Lesegenuss.
Auch die kleinen Details, die Gesten, die Art wie Haig seine Protagonisten beschreibt, lassen sie lebendig wirken. Es haucht ihnen Leben ein. Facetten, Vielfalt und Tiefe. Das hat mir gut gefallen. Eine außergewöhnliche Geschichte von einem guten Autoren mit einer besonderen Beobachtungsgabe. Grandios.

Fazit:
Ahhh dieses Buch habe ich geliebt, es ist wahnsinnig toll geschrieben. Es ist klug. Traurig. Wunderschön. Alles gleichzeitig. Und dabei macht es Mut, verändert den Blickwinkel und lässt einen dennoch glücklich aber nachdenklich zurück. Dieses Buch lässt uns Menschen so klein erscheinen, die Zeit viel zu kurz und dennoch voller Möglichkeiten. Haig stellt unzählige Fragen, wirft Weisheiten in den Raum und lässt den Leser weiter denken. Klare Leseempfehlung.

Randnotiz:
Besonders ans Herz gewachsen ist mir Omai. Ein Mensch mit derselben "Krankheit" wie Tom. Die beiden werden zu Freunden. Ich mochte Omais Ansichten über das Mana, alles "in seiner Welt" war davon durchdrungen, ob Pflanzen, Tiere oder Menschen.

Zitat:
"Als ich dich zuerst sah, bist du nicht auf meinen Schatten getreten. Du warst nah. Aber du bist nicht darauf getreten. Das war ein Zeichen, ich konnte dir vertrauen. Das Mana in dir hat das Mana in mir respektiert."
(S. 328)

*****

Veröffentlicht am 21.02.2018

Träumer schaffen märchenhafte Wunder

Vor hundert Jahren und einem Sommer
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Erster Satz.

„Von Unglaublichem weiß diese Geschichte zu berichten, von einer Frau etwa, die einem Mann, den viele schätzen, zu seinem Namenstag Wiesenblumen schenkt und ihm später inmitten der vielen ...

Erster Satz.

„Von Unglaublichem weiß diese Geschichte zu berichten, von einer Frau etwa, die einem Mann, den viele schätzen, zu seinem Namenstag Wiesenblumen schenkt und ihm später inmitten der vielen Sträuße, die auf dem Tisch und den Fensterbänken nach Flieder und Rosen duften, eröffnet, dass die Blumen nicht für den Namenstag, sondern für sein Begräbnis seien.“

(Seite 9)



Das Buch erzählt von dem Mädchen Annemie, welches als Pflegekind im Dorf der Kirschen auf wächst.

Ihre Kindheit ist schwer, die Eifersucht der Ziehmutter treibt sie dazu das Dorf zu verlassen, um wenige Zeit in einem Armenhaus zu verbringen, welches sie bald verlässt als ein wohlhabender Mann sie aufnimmt. Ihr Lebensweg ist von Widrigkeiten gezeichnet, aber Annemie nutzt die kleinen Dinge um später daraus ihre Stärke zu entwickeln.

Ein kleines Wunder passiert als sie und Jonathan ein Glashaus errichten und im Winter reife Kirschen zu züchten. Dieses kleine Glück lässt sie eine zeitlang einen Traum leben, bis der Krieg ausbricht...

Ein wortgewandtes, poetisches und malerisches Werk, welches hier der Autor Ernst geschaffen hat.

Kleine Details malen ein Lächeln ins Gesicht, Wörter verbinden sich zu einer symphonieartigen Geschichte, welche die Aura eines Märchen inne hat. Das Gefühl eines Wunders durchzieht den ganzen Roman, auch wenn die Melancholie wie ein Tropfen Schwermut in der Atmosphäre hängt. Das Buch sprudelt über vor Leben und ergreifenden Momenten. Vor hundert Jahren und einem Sommer, ist ein Buch für Träumer, die ihrem Herzen folgen und eine Sehnsucht in den Märchen finden, die jedoch nie kitschig werden. Ehrlich, aufwühlend, bezaubernd, ein Buch wie ein kurzer Moment vor dem Aufwachen, wenn man glaubt noch zu träumen. Einfach nur schön. Deshalb 5 von 5 Sternen.

*****

Randnotiz: Märchen sind kleine Wunder in dieser und jener Zeit. Unvergänglich...

Veröffentlicht am 25.05.2017

Träumer schaffen märchenhafte Wunder

Vor hundert Jahren und einem Sommer
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Erster Satz.

„Von Unglaublichem weiß diese Geschichte zu berichten, von einer Frau etwa, die einem Mann, den viele schätzen, zu seinem Namenstag Wiesenblumen schenkt und ihm später inmitten der vielen ...

Erster Satz.

„Von Unglaublichem weiß diese Geschichte zu berichten, von einer Frau etwa, die einem Mann, den viele schätzen, zu seinem Namenstag Wiesenblumen schenkt und ihm später inmitten der vielen Sträuße, die auf dem Tisch und den Fensterbänken nach Flieder und Rosen duften, eröffnet, dass die Blumen nicht für den Namenstag, sondern für sein Begräbnis seien.“

(Seite 9)


Das Buch erzählt von dem Mädchen Annemie, welches als Pflegekind im Dorf der Kirschen auf wächst.

Ihre Kindheit ist schwer, die Eifersucht der Ziehmutter treibt sie dazu das Dorf zu verlassen, um wenige Zeit in einem Armenhaus zu verbringen, welches sie bald verlässt als ein wohlhabender Mann sie aufnimmt. Ihr Lebensweg ist von Widrigkeiten gezeichnet, aber Annemie nutzt die kleinen Dinge um später daraus ihre Stärke zu entwickeln.

Ein kleines Wunder passiert als sie und Jonathan ein Glashaus errichten und im Winter reife Kirschen zu züchten. Dieses kleine Glück lässt sie eine zeitlang einen Traum leben, bis der Krieg ausbricht...

Ein wortgewandtes, poetisches und malerisches Werk, welches hier der Autor Ernst geschaffen hat.

Kleine Details malen ein Lächeln ins Gesicht, Wörter verbinden sich zu einer symphonieartigen Geschichte, welche die Aura eines Märchen inne hat. Das Gefühl eines Wunders durchzieht den ganzen Roman, auch wenn die Melancholie wie ein Tropfen Schwermut in der Atmosphäre hängt. Das Buch sprudelt über vor Leben und ergreifenden Momenten. Vor hundert Jahren und einem Sommer, ist ein Buch für Träumer, die ihrem Herzen folgen und eine Sehnsucht in den Märchen finden, die jedoch nie kitschig werden. Ehrlich, aufwühlend, bezaubernd, ein Buch wie ein kurzer Moment vor dem Aufwachen, wenn man glaubt noch zu träumen. Einfach nur schön. Deshalb 5 von 5 Sternen.

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Randnotiz: Märchen sind kleine Wunder in dieser und jener Zeit. Unvergänglich...

Veröffentlicht am 25.05.2017

Wenn der Moment uns nutzt...

Liebten wir
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Zitat

„Das ist das Beschissene am Altwerden. Wenn du jung bist, lebst du in einem vollen Haus und machst dir keine Gedanken darüber, ob du Zeit verschwendest. Das ganze Haus ist ja noch hell erleuchtet. ...

Zitat

„Das ist das Beschissene am Altwerden. Wenn du jung bist, lebst du in einem vollen Haus und machst dir keine Gedanken darüber, ob du Zeit verschwendest. Das ganze Haus ist ja noch hell erleuchtet. In jedem Raum tanzen und feiern Menschen, die du kennst, und dein Lieblingswort ist >morgen<. Aber mit den Jahren gehen in den Räumen die Lichter aus, eines nach dem anderen. Man rückt zusammen, immer mehr Zimmer bleiben leer. Dann sind noch drei Räume bewohnt, schließlich zwei. Die Musik verklingt, die Gespräche werden leiser. Und plötzlich sitzt du ganz allein in dem leeren Haus, im letzten Zimmer, in dem nur noch eine Kerze brennt.“ (S.382)

Das Buch handelt von Moira, genannt Mo, sie ist Fotografin und fängt die Welt einzig mit ihrer Kamera ein. Sie findet Geheimnisse und Details in ihren Bildern, das offensichtliche was keiner außer ihr wahrnimmt und betrachtet die Welt durch ihre Linse. Sie schleicht sich in Familien ein, die nicht ihre eigenen sind und ist unsicher was die Welt ihr bieten kann.Verträumt, melancholisch, ehrlich und ein wenig bittersüß findet der Leser sich hier in Mos Welt wieder. Sollte die Familienfeier von ihrem Freund Leon, doch dazu führen, dass sie endlich dazu gehört, gerät dieser Traum ganz schnell ins wanken. Dies führt dazu das Mo mit dem Auto ihres Freundes flüchtet, wieder einmal davon läuft, doch mit dabei ist die unter kühlte und sture Großmutter Aino von Leon. Sie hat nur auf dem Moment gewartet ihrer Familie zu entkommen und ihr einziges Ziel ist es nun eine offene Rechnung zu begleichen. Die ungleichen Frauen machen sich nun auf eine ereignisreiche Suche nach Finnland.

Eine zunehmend interessante Geschichte, voller Details, starker Charaktere und einem verschlafenem Finnland. Die Seiten atmen, leben und graben sich förmlich ins Herz. Der Schreibstil ist malerisch, verspielt und beinahe poetisch. Eine grandiose Geschichte, die noch lange im Gedächtnis bleibt, gespickt mit weisen Ratschlägen. Die Charaktere haben der Geschichte, das gewisse etwas gegeben, sie waren so lebensnah, so echt als gäbe es sie wirklich irgendwo auf dieser Welt. Ein wunderbares Buch, welches mich nicht los lässt.

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