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Veröffentlicht am 09.04.2022

Eine Kindheit unter ständiger Beobachtung …

Die Kinder sind Könige
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Schon als junges Mädchen träumte Mélanie davon, einmal berühmt und reich zu werden. Jetzt ist sie verheiratet, hat zwei kleine Kinder, und sieht sich der Verwirklichung ihres Traums immer näher. Sie hat ...

Schon als junges Mädchen träumte Mélanie davon, einmal berühmt und reich zu werden. Jetzt ist sie verheiratet, hat zwei kleine Kinder, und sieht sich der Verwirklichung ihres Traums immer näher. Sie hat Frankreichs erfolgreichsten Youtube-Kanal mit Tausenden Followern, in dem sie ihre beiden Kinder von morgens bis abends präsentiert. Mélanie ist süchtig nach Anerkennung, nach Likes und Applaus, und ist überzeugt, dass es auch für ihre Kinder nichts Schöneres gibt. Mit Videos, die die Kinder beim Auspacken gesponserter Kleidung, Spielwaren und Geschenken zeigen, verdient die Familie Millionen – bis eines Tages die sechsjährige Kimmy beim Versteckspielen plötzlich spurlos verschwunden ist. Die Mutter ist verzweifelt und fragt sich, was sie wohl falsch gemacht haben könnte, während die ermittelnde Polizeibeamten Clara, die selbst kinderlos ist, die Sache nüchterner angeht. Entführung mit Lösegeldforderung oder Konkurrenzneid im Netz, was trifft hier zu? Bei einem Kind, das Tausende kennen und täglich sehen könnte jeder verdächtig sein …

„Die Kinder sind Könige“ ist seit 2001 der achte in deutscher Übersetzung erschienene Roman der französischen Schriftstellerin Delphine de Vigan. Die Autorin wurde 1966 in Paris geboren. Sie ist an einem soziologischen Forschungsinstitut tätig ist und lebt heute noch mit ihren beiden Kindern in Paris. Für ihre Werke erhielt sie bereits einige bedeutende französische Literaturpreise.

In diesem Roman geht es weniger um den kriminalistischen Aspekt, sondern mehr um das Phänomen der kindlichen Influencer im Netz. Oft werden diese durch „liebende“ Eltern gedrängt und gefügig gemacht, um stundenlang vor der Kamera zu posieren. Vermutlich macht es den Kindern anfangs auch Spaß, aber dann kommt der Punkt, an dem es ihnen nur noch lästig ist. Um die Liebe und die Anerkennung ihrer ehrgeizigen Mutter nicht zu verlieren, nehmen die sechsjährige Kimmy und ihr achtjähriger Bruder Sammy die Strapazen klaglos hin. Doch die andauernde Präsenz in der Öffentlichkeit bleibt bei den Beiden, auch psychisch, nicht ohne Folgen.

Die Autorin versteht es großartig, die verschiedenen Blickwinkel zu beleuchten und auf das Für und Wider der beteiligten Personen einzugehen. Als Leserin ohne Bezug zu diesen Social-Media-Kanälen ist man überrascht über deren Verbreitung und erstaunt darüber, wie viel sich damit verdienen lässt. Dass dieses Leben bei den „kleinen Sklaven“ nicht ohne Nachwirkungen bleiben kann überrascht nicht, dennoch schockt der Ausblick auf das Jahr 2031. Die Folgen solch unvernünftigen Handelns stimmen äußerst nachdenklich. Da gerät die unerwartete kriminalistische Auflösung des Verschwindens der Kleinen schon beinahe zur Nebensache.

Fazit: Diesen großartigen Roman mit der notwendigen Aufklärung über Hintergründe und Motive diverser Influencer empfehle ich sehr gerne weiter!

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Veröffentlicht am 03.04.2022

Ein Sommer der Veränderung …

Leo und Dora
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Man schreibt das Jahr 1948. Vor zehn Jahren musste der einst erfolgreiche jüdische Schriftsteller Leo Perlstein seine Heimat Wien verlassen. Er lebt nun im Exil in Tel Aviv, wo er als Versicherungsangestellter ...

Man schreibt das Jahr 1948. Vor zehn Jahren musste der einst erfolgreiche jüdische Schriftsteller Leo Perlstein seine Heimat Wien verlassen. Er lebt nun im Exil in Tel Aviv, wo er als Versicherungsangestellter ein bescheidenes Einkommen hat. Seit seiner Flucht hat er eine Schreibhemmung und folglich nichts mehr geschrieben. Um diesen Zustand zu beenden sollte er den Sommer im Haus seiner Ex-Freundin und Agentin Alma in Sharon, Connecticut, verbringen. Als er dort ankommt erfährt er, dass Almas Haus in der vergangenen Nacht abgebrannt sei und er im Roxy, einer zweitklassigen Pension, unterkommen würde. Leo ist frustriert und ärgerlich, das Haus ist zu alt und zu voll, sein Zimmer ist zu klein, die Gäste sind zu laut und das Essen wenig schmackhaft. Auch Dora, die resolute Wirtin, ist Leo zunächst unsympathisch und als er gar von dem jungen Hausburschen Anton erfährt dass es im Hause spukt, würde er am liebsten wieder abreisen. Doch nach und nach gewöhnt er sich ein - und das abendliche gemeinsame Tarock-Spiel mit Dora öffnet ganz allmählich auch sein Herz …

„Leo und Dora“ ist der dritte Roman aus der Feder von Agnes Krup, die nach ihrem Studium in Hamburg und Tübingen als Lektorin und Literaturagentin tätig war. Geboren ist sie in Hamburg und lebt heute abwechselnd in Berlin und in einem alten Gästehaus in der Nähe von Sharon, Connecticut.

Ein Kompliment an die Autorin der es gelungen ist, aus einer eigentlich banalen Geschichte ein kleines Kunstwerk zu zaubern. Mit feinem Gespür für Zwischentöne und sanftem Humor schafft sie es, die Eigenarten der Protagonisten hervorzuheben und ihren Lebensgeschichten Tiefe zu verleihen. Ohne Kitsch und Sentimentalität zeigt sie, dass auch eine Liebe zwischen reiferen, vom Schicksal gebeutelten Menschen noch möglich ist und wunderschön sein kann. Ihr Schreibstil ist klar und schnörkellos, dennoch sehr lebhaft im Ausdruck. Man spürt förmlich die Leichtigkeit des Sommers, fühlt den lauen Abendwind und hört das leise Plätschern am Ufer des Sees. Im krassen Gegensatz dazu stehen die Schilderungen von jüdischen Schicksalen, vom Tod geliebter Menschen und vom Verlust der Heimat, über die ohne ins Melodramatische abzugleiten berichtet wird. Ein unvergesslicher Sommer für Leo und Dora und ein noch lange nachhallendes Leseerlebnis für mich.

Fazit: Ein ruhiger, leiser Roman der ganz langsam Fahrt aufnimmt – ein Wohlfühlbuch, ein Buch für die Seele, das ich besonders der reiferen Leserschaft ans Herz legen möchte.

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Veröffentlicht am 30.03.2022

Bestie Wolf oder Bestie Mensch?

Wo die Wölfe sind
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Inti Flynn ist Biologin und Leiterin eines Projekts, bei dem Wölfe in den schottischen Highlands wieder angesiedelt werden, um die zerstörte Natur dort zu retten. Gleichzeitig hofft sie in der Abgeschiedenheit ...

Inti Flynn ist Biologin und Leiterin eines Projekts, bei dem Wölfe in den schottischen Highlands wieder angesiedelt werden, um die zerstörte Natur dort zu retten. Gleichzeitig hofft sie in der Abgeschiedenheit der Wälder Ruhe zu finden, denn sie hat die seltene Krankheit, die Schmerzen anderer Lebewesen selbst körperlich zu spüren. Ihre Arbeit trifft zunächst auf harten Widerstand der Bevölkerung, die den Bestand ihrer Weidetiere bedroht sieht. Als dann eine Leiche mit eindeutigen Verletzungen aufgefunden wird, beginnt eine Hetzjagd auf die Wölfe. Selbst Inti bekommt Zweifel, war ein Wolf oder ein Mensch die Bestie? …

Die Autorin dieses Romans, die 1988 geborene Charlotte McConaghy, hat irisch-schottische Wurzeln, wuchs jedoch in Australien auf. Nach „Zugvögel“, mit dem sie internationalen Durchbruch erreichte, ist „Wo die Wölfe sind“ ihr zweiter Roman, der die Natur und Tierwelt und die Auswirkungen aufs Klima zum Thema hat. Die Autorin lebt heute in Sydney.

Gleich mehrere Themen finden sich in diesem Roman. Der Schwerpunkt liegt hier zweifellos auf Umweltschutz, Renaturierung zerstörter Wälder und Wiederansiedelung bedrohter Tierarten. Sehr einfühlsam versucht die Autorin das brisante Problem Wolf von beiden Seiten anzugehen. Der Daseinsberechtigung von Wölfen stehen die Interessen der Landwirte und die Ängste der Bevölkerung um Kinder, Haus- und Nutztiere gegenüber, was uns beim Lesen sehr nachdenklich stimmt. Ein weiteres interessantes Thema ist die sehr seltene Krankheit Mirror-Touch-Synästhesie, bei der die Betroffenen Schmerzen anderer Lebewesen selbst körperlich empfinden. Man erfährt, dass Inti und ihre Zwillingsschwester Aggie sich zeitlebens gegenseitig Halt und Stütze waren und erlebt mit ihnen ihre Kinder- und Jugendzeit, die sie überwiegend bei ihrem Vater in den Wäldern Kanadas verbracht haben.

Ferner beinhaltet die Geschichte auch einige kriminalistische Aspekte. Eine aufregende und spannende Suche nach einer Leiche und eindeutige Verletzungen, die auf Wolfsangriffe hindeuten, lassen uns den Atem stocken. Wird es die Wolfspopulation trotz heftiger Widerstände schaffen, die Natur zurück zu erobern? Der Schreibstil der Autorin ist lebendig und bildgewaltig, eine einfühlsame Liebesgeschichte rundet das Geschehen zufriedenstellend ab. Trotz einiger heftiger Szenen, die zart besaitete Gemüter wohl schockieren werden, kann ich dieses Buch wärmstens empfehlen und vergebe gerne 5 Sterne.

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Veröffentlicht am 15.03.2022

Von Gaunern, Gangstern und anderen liebenswerten Zeitgenossen …

Achtsam morden
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Björn Diemel ist Anwalt in einer angesehenen Kanzlei und dort nur für einen Mandanten, Dragan, den Boss eines Drogen- und Verbrechersyndikats, zuständig. Er ist Tag und Nacht damit beschäftigt diesen vor ...

Björn Diemel ist Anwalt in einer angesehenen Kanzlei und dort nur für einen Mandanten, Dragan, den Boss eines Drogen- und Verbrechersyndikats, zuständig. Er ist Tag und Nacht damit beschäftigt diesen vor dem Gefängnis zu bewahren, so dass er kaum noch seine Frau und seine kleine Tochter sieht. Als seine Frau ihm droht, er müsse mehr Zeit mit seiner Tochter verbringen andernfalls er sie nie wiedersehen würde, entschließt Björn sich zu einem Achtsamkeitskurs bei Joschka Breitner, dem Autor des Buches „Entschleunigt auf der Überholspur – Achtsamkeit für Führungskräfte“. Die Übungsstunden zeigen rasch Erfolg und bringen ihm etwas mehr Lebensqualität zurück. Als er, anstatt das Wochenende wie geplant mit seiner zweieinhalbjährigen Tochter zu verbringen, Dragan zum Untertauchen vor der Polizei verhelfen soll, räumt er das Problem nachhaltig aus dem Weg: er bringt Dragan um – äußerst achtsam natürlich …

Karsten Dusse, geb. 1973 in Essen, ist Rechtsanwalt, Hörbuchsprecher und als Autor für verschiedene Fernsehformate tätig, für die er mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Deutschen Comedypreis ausgezeichnet und für den Grimme-Preis nominiert wurde. Er schrieb bereits zwei Sachbücher zu juristischen Themen, bevor 2019 sein erster Roman „Achtsam morden“ erschien. Zwei weitere, „Das Kind in mir will achtsam morden“ und „Achtsam morden am Rande der Welt“ folgten.

Selten habe ich mich beim Lesen eines Buches so gut amüsiert wie bei diesem Krimi, der sich überraschenderweise als eine Mischung zwischen Slapstick und Ratgeber zu mehr Achtsamkeit entpuppt. Urkomisch zu lesen, wie der Protagonist diese Achtsamkeits-Regeln interpretiert und natürlich zu seinen Gunsten umsetzt. Daneben hat der Autor auch ernsthafte und nachdenkliche Momente eingebaut und präsentiert dem Leser zu Beginn eines jeden Kapitels eine durchaus ernstzunehmende Lebensweisheit. Der Schreibstil ist dabei sehr lebendig und angenehm flüssig und die Spannung ist durchweg auf hohem Niveau, so dass man das Buch kaum aus der Hand legen kann.

Fazit: Wenn man mit dem schwarzen Humor des Autors klarkommt, ist dieses Buch ein herrliches Lese- bzw. Hörvergnügen, das ich gerne weiter empfehle.

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