Eine tolle Geschichte mit dem schalen Beigeschmack, dass die Autorin es eigentlich besser kann...
Für immer ein Teil von dirColleen Hoover ist die Autorin, von der ich am meisten Bücher gelesen habe. Um genau zu sein sind es inklusive ihres neusten Werks, "Für immer ein Teil von dir", genau 23 Bücher. Davon hat mich bisher ...
Colleen Hoover ist die Autorin, von der ich am meisten Bücher gelesen habe. Um genau zu sein sind es inklusive ihres neusten Werks, "Für immer ein Teil von dir", genau 23 Bücher. Davon hat mich bisher jedes einzelne überzeugen können - eins mal mehr, das andere mal weniger, aber unterm Strich kann ich alle weiterempfehlen. Kein Wunder also, dass die Erwartungen und Ansprüche mit jedem weiteren Roman von ihr ansteigen. Dem ist "Für immer ein Teil von dir" vermutlich etwas zum Opfer geworden. Wäre die Geschichte von Kenna und Ledger aus einer anderen Feder entstanden, hätte ich sie vermutlich wegen der tiefen Gefühle, des komplizierten Hauptkonflikts und der herzzerreißende Liebesgeschichte in den Himmel gelobt. Als Werk von Colleen Hoover blieb aufgrund von einigen kleineren Schnitzen jedoch der etwas schale Beigeschmack, dass die "Queen of Hearts" es eigentlich besser kann...
Kenna: "Manchmal frage ich mich, ob wir vielleicht alle mit der gleichen Menge von Gut und Böse geboren werden. Könnte es nicht sein, dass kein Mensch böswilliger ist als der andere und wir alle das Schlechte in uns nur zu unterschiedlichen Zeiten und auf unterschiedliche Weise von uns geben?"
Doch beginnen wir wie immer mit dem Cover. Jenes ist mal wieder im typischen "Colleen Hoover meets dtv Verlag Style" gehalten. Das bedeutet ein farbiger, dominanter Titel in Lila vor einem durchgängigen, schlichten Hintergrund. Die Silhouetten eines Schwarm fliegender Vögel geben den Hinweis darauf, dass es sich bei dem blauen Hintergrund um einen wolkenlosen Himmel handelt. Bei genauer Betrachtung fällt außerdem auf, dass in der unterschiedlichen Farbintensität des Titels Konturen eines Menschen zu erkennen sind. Damit ist die Gestaltung sehr nah am Originalcover und greift die Themen Trauer, Verlust und Erinnerung gut auf. Auffallend ist, dass die Seiten hier wieder ungewöhnlich dick sind, sodass der Roman mit seinen 400 Seiten relativ umfangreich aussieht, sich jedoch wie im Fluge weggelesen lässt.
Erster Satz: "Am Straßenrand steht ein kleines Holzkreuz mit dem Datum seines Todestages."
Wie so oft ist auch dieser Colleen-Hoover-Roman aus zwei Perspektiven erzählt. Wir steigen mit der Ankunft unserer ersten Protagonistin Kenna in ihrer ehemaligen Heimatstadt in die Geschichte ein. Nach 5 Jahren im Gefängnis wegen fahrlässiger Tötung möchte sie jetzt ein neues Leben beginnen und das beinhaltet, nach ihrer Tochter Diem zu suchen, welche ihr vor vier Jahren direkt nach der Geburt genommen wurde. All die Jahre hinter Gitter war es ihr ein Trost, dass Diem bei den Eltern des Kindsvaters Scott aufwächst, da sie diesen über alles geliebt hat und sich darauf verlassen kann, dass sich seine Eltern gut um Diem kümmern. Nun da sie in Freiheit ist, möchte sie aber nichts lieber, als ihre Tochter endlich sehen. Als sie an ihrem ersten Abend in der Stadt in einer Bar den gutaussehenden Ledger kennenlernt und beinahe einen One-Night-Stand mit ihm hat, weiß sie noch nicht, dass er der beste Freund ihrer Jugendliebe war und den Schlüssel zu ihrer Zukunft in den Händen hält...
Ledger: "Anziehung ist schon etwas Seltsames. Was genau ist es eigentlich, das einen anderen Menschen anziehen für uns macht? Wie kann es sein, dass jede Woche Dutzende Frauen durch die Tür dieser Bar kommen und nicht eine einzige den Drang in mir weckt, ihr auch nur einen zweiten Blick zu schenken. Aber dann kommt dieses Mädchen hereinspaziert und ich kann meinen verdammten Blick einfach nicht mehr von ihr losreißen."
Mit den ersten Kapiteln habe ich mir sehr schwergetan, da die sogleich körperliche erste Begegnung von Kenna und Ledger weder zu einer Frau, die gerade aus dem Gefängnis kommt und mit klarem Ziel vor Augen in einer neuen Stadt anfängt, noch zu einem Mann, der gewarnt ist, weil die Mutter des Kindes, das er mit großzieht, aus dem Gefängnis entlassen wurde, zu passen schien. Dazu kommt, dass wir zunächst einen gemischten Eindruck von Kenna erhalten und aufgrund ihrer abgestumpften Art und den eher negativen Rückblicken auf ihre Taten das Schlimmste von ihr annehmen müssen. Dieses Bild wird dann erst mit der Zeit widerlegt und wir erkennen durch eingeschobene Briefe an ihre Jugendliebe Scotty, dass hinter ihrer scheinbaren Emotionslosigkeit jede Menge Schmerz, Orientierungslosigkeit und Gebrochenheit steckt. Je mehr ich über sie lernte, erfuhr, wer sie war und wer sie sein will, je mehr sie mein Herz erobert hat, desto näher gingen mir dann auch die vermittelten Emotionen, bis ich völlig in dieser Geschichte um Trauer, Schuld, Vergebung und Neuanfang gefangen war.
Kenna: "Er dreht sich ein wenig mehr zu mir. "Als du an diesem ersten Abend in die Bar gekommen bist, dachte ich, ich hätte noch nie eine so faszinierende Frau getroffen wie dich. Aber als ich dich dann am nächsten Tag vor Patricks und Grace´ Haus gesehen habe, warst du in meinen Augen der verabscheuungswürdigste Mensch, dem ich je begegnet bin." Er ist wirklich schonungslos ehrlich, das muss man ihm lassen. "Und wie ist es heute?", frage ich leise. Er sieht mich eindringlich an. "Heute... frage ich mich, ob du nicht der traurigste Mensch bist, den ich kenne."
Neben Kennas Seite lernen wir durch unseren zweiten Ich-Erzähler, Ledger, aber auch noch die Perspektive von Scottys Familie kennen, welche in Kenna nur die egoistische, gedankenlose Frau sieht, die ihren geliebten Sohn blutend dem Tod überlassen hat. Nachdem sein bester Freund Scott ums Leben kam, hat Ledger Diem wie eine eigene Tochter behandelt und zusammen mit den Großeltern Grace und Patrick sein ganzes Leben nach der Kleinen ausgerichtet. Für die drei gleicht Kennas Auftauchen in der Stadt dem Aufreißen alter, noch lange nicht verheilter Wunden. Kein Wunder also, dass sie zunächst mit Wut, Angst und Ablehnung reagieren, als sie plötzlich bei ihnen auftaucht und verlangt, Diem zu sehen. Während wir LeserInnen gemeinsam mit Ledger versuchen, Kenna besser kennenzulernen und ihre Perspektive zu verstehen, haben Grace und Patrick nicht die emotionale Kapazität, sich mit der Mörderin ihres Sohnes befassen und lehnen einen Kontakt strikt ab. Schon bald haben sich Kenna, Ledger und die Großeltern in eine schwierige Situation mit klaren Fronten manövriert, bei denen keiner richtig im Unrecht ist und es demnach auch keine einfachen Lösungen gibt.
Ledger: "Sie scheint ein stiller Mensch zu sein, aber nicht, weil sie schüchtern ist. Ihre Stille ist wild - ein Sturm, der sich ungesehen anschleicht und den du erst bemerkst, wenn der Donner deine Knochen vibrieren lässt."
Während sich meine Beziehung zu Kenna über das Buch hinweg stark verändert und von Irritation zu starkem Mitgefühl und auch Bewunderung wechselte, fand ich Ledger von Beginn an grundsätzlich sympathisch, habe ihn aber nicht so tief ins Herz geschlossen, wie andere Figuren vor ihm. Das liegt zum einen daran, dass ich seine Gefühle für Diem nur schwer nachvollziehen konnte, da wir die beiden auch nur selten zusammen erleben. Und zum anderen fand ich ein wenig unglaubwürdig, dass er sich so schnell für Kenna öffnet. Ich hatte nach ihrer zweiten Begegnung, bei der er versteht, dass Kenna für den Tod seines besten Freundes verantwortlich ist, mit einer Art Enemies to Lovers Geschichte gerechnet, bei der Kenna Ledger Stück für Stück von ihrer Gutherzigkeit und ihren guten Absichten überzeugen muss. Leider ging das aus meiner Sicht viel zu schnell und reibungslos über die Bühne. Dafür, dass er sie hasst, weil er ihr die Schuld am Tod seines Freundes gibt, ringt er viel zu wenig mit seinen Gefühlen für sie und dementsprechend unspektakulär verläuft auch die Liebesgeschichte. Da diese hier jedoch nicht im Vordergrund steht und dem Familiendrama viel Platz einräumt, ist das weniger problematisch.
Kenna: "Wie viele Verluste kann ein Mensch ertragen, bevor er das Handtuch wirft, Scotty? Es fühlt sich nämlich mehr und mehr so an, als könnte ich das hier nicht gewinnen."
Denn Colleen Hoover hat sich für ihre Geschichte mal wieder einen komplexen und hochemotionalen Grundkonflikt überlegt, welcher jede Menge Drama verspricht - immerhin geht es um das Wohl eines Kindes - und eine ganze Wagenladung an unterschiedlichen Gefühlen transportiert. Dabei hilft natürlich der Schreibstil der Autorin ungemein. Schon so oft habe ich das geschrieben: Wenn ich ein Buch von dieser Autorin aufschlage und die ersten paar Zeilen lese, dann komme ich nach Hause. Es ist ein wohlig warmes Gefühl und ich fühle mich in der Atmosphäre jedes einzelnen Buches der Autorin absolut geborgen und möchte gar nicht mehr auftauchen. Wie gewohnt spielt die Autorin nur so mit Worten. Sie findet in jeder Situation genau die richtigen Formulierungen, um nur so mit unseren Emotionen zu spielen und kennt dabei kein Tabu, wenn es darum geht, uns Leser zu quälen. Colleen Hoover schafft es mal wieder, schwierige Themen anzusprechen und aus ihnen eine leidenschaftliche, mitreißende und authentische Geschichten zu zaubern, die noch jedes Leserherz berührt.
Ledger: "Ich hätte mir nie vorstellen können, wie es ist, wenn eine Mutter ihr Kind zum ersten Mal sieht. Der Anblick von Diem auf dem kleinen Bildschirm raubt Kenna den Atem. Sie schlägt sich eine Hand vor den Mund und fängt an zu weinen. Sie weint so sehr, dass sie das Handy auf ihre Beine legen muss, damit sie sich mit ihrem Shirt die Tränen aus den Augen wischen kann. Kenna verwandelt sich direkt vor meinen Augen in einen anderen Menschen. Es ist, als würde ich beobachten, wie sie Mutter wird. Ich glaube, es ist das Schönste, was ich jemals gesehen habe."
Die Grundidee erinnert dabei ein wenig an ihren Roman "Love and Confess", in welchem ebenfalls eine Frau versuchte, das Sorgerecht für ihr Kind zu bekommen und sich nebenbei aber in einen Mann verliebte, der ihr dabei im Weg stehen könnte. Bei näherer Betrachtung fallen jedoch mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Geschichten auf. Auch der Einsatz der tagebuchartigen Briefe, die Kenna an Scotty schreibt und die uns dabei helfen, ihre Sicht der Dinge besser zu verstehen sind leider keine besonders neue oder originelle Idee. Zusätzlich ist "Für immer ein Teil von dir" zwar gewohnt mitreißend, aber insgesamt leider auch vorhersehbar und gradlinig erzählt. Anders als in anderen Werken von Colleen Hoover gibt es hier kaum Überraschungen oder Wendungen und ab der Hälfte tauchen auch keine neuen Informationen mehr auf, sodass im Mittelteil die Handlung für einige Seiten etwas auf der Stelle tritt. Da der Roman weniger von der Handlung und vielmehr von den Emotionen getragen wird, ist das nicht weiter schlimm. Ärgerlich nur, wenn man genau weiß, dass die Autorin es eigentlich besser kann!
Kenna: "Ein kleiner Teil meines Schmerzes hat an sein Mitleid angedockt, und es fühlt sich tatsächlich so an, als würde er mich in die Höhe heben, damit ich Luft holen und ein paar Minuten lang frei atmen kann."
Auch das Ende konnte mich nicht wirklich überzeugen. Während die Handlung im Mittelteil wie gesagt durch viele Wiederholungen und Ledgers Hin- und Hergerissenheit zwischen seiner Loyalität zu den Großeltern und zu Kenna stagniert, lösen sich gegen Ende dann plötzlich alle Probleme viel zu einfach in Luft auf. Schade finde ich auch, dass Kenna am Ende nicht selbst die Möglichkeit bekommt, aktiv zu sein, sondern Ledger das für sie übernimmt. Ab dem Zeitpunkt, als sich alles problemlos zu fügen beginnt, wirken die vorher authentisch scheinenden Probleme plötzlich überzogen und künstlich dramatisiert, da man sich zu fragen beginnt, warum diese Lösung nicht schon zuvor möglich gewesen wäre. Für diese zwei Unregelmäßigkeiten im Erzähltempo - die Stagnation im Mittelteil und das überhastete Ende - ziehe ich insgesamt also einen Stern ab.
Abschließen möchte ich meine Rezension mit einem weiteren tollen Zitat, welches meiner Meinung nach die Hauptaussage der Geschichte sehr treffend wiedergibt:
Ledger: "Das zeigt in meinen Augen, wie Zeit, Abstand und Trauer Menschen dazu bringen können, Bösewichte aus Leuten zu machen, die sie überhaupt nicht kennen. Aber Kenna war nie der Bösewicht. Sie war ein Opfer. Genau wie wir alle."
Fazit:
In "Für immer ein Teil von dir" hat Colleen Hoover mal wieder schwierige Themen angesprochen und aus ihnen eine leidenschaftliche, mitreißende und authentische Geschichten gezaubert. Trotz des toll ausgearbeiteten Hauptkonflikts ist der Roman lange nicht der beste der Autorin. Dafür tauchen zu viele kleine Schnitzer auf, die ich von der Autorin sonst nicht gewohnt bin...