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Pantoffeltier

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.05.2022

Potential nicht ausgeschöpft

Das Leben eines Anderen
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"Niemand kennt die wahre Vergangenheit eines Anderen. Und wenn er nicht gerade vor uns steht, können wir noch nicht einmal sagen, wo er in diesem Moment ist und was er tut. Aber selbst wenn er jetzt hier ...

"Niemand kennt die wahre Vergangenheit eines Anderen. Und wenn er nicht gerade vor uns steht, können wir noch nicht einmal sagen, wo er in diesem Moment ist und was er tut. Aber selbst wenn er jetzt hier vor uns stünde, wäre es eine Anmaßung zu glauben, wir wüssten, was er wirklich denkt und vorhat." (S. 269)

Der Anwalt Kido beschäftigt sich mit einem merkwürdigen Fall. Seine Klientin Rie fand nach dem Tod ihres Mannes heraus, dass er seiner angeblichen Familie unbekannt war. Der ihr als Daisuke bekannte Mann hatte offensichtlich eine fremde Identität angenommen. Kido versucht nun den wahren Daisuke zu finden und die Motive für einen Identitätstausch herauszufinden. Dabei beginnt er auch selbst über sein Leben nachzudenken.

Das Thema ist faszinierend. Man kann sich in unserer vernetzen und kontollierten Welt kaum vorstellen, wie ein Identitätstausch über längere Zeit gelingen kann. Und auch die Fragen darüber, was Identität eigentlich bedeutet, ob man seine Vergangenheit hinter sich lassen kann und ob es möglich und sogar wünschenswert wäre in ein anderes Leben zu schlüpfen, sind spannend.
Ich habe das Buch an sich auch gern gelesen. Der Autor verstickt sich jedoch so lange in sich im Kreis drehende philosophische Gedanken, dass er dabei die Handlung vernachlässigt.

Es geht sehr viel um Kido, der seine Frau und seinen Sohn liebt, aber sich ab und an einen Ausbruch aus dem Alltag wünscht und sich von jungen hübschen Frauen angezogen fühlt. Seine Frau ist merkwürdig kühl und scheint grundsätzlich alles blöd zu finden, was Kido wichtig ist. Die entstehenden Streitgespräche fand ich gestelzt und wenig nachvollziehbar. Kidos Gedanken drehen sich im Kreis und wiederholen sich oft. Das ist wirklich schade, denn interessanter fand ich die Sichtweise von Rie, die damit klarkommen muss, dass ihr Mann sie jahrelang belogen hat und auch des Sohnes, der nun an seinem (Stief)vater zweifelt, den er eigentlich sehr liebt.

Gefallen hat mir wiederum das Eingehen auf den Umgang mit koreanischen Einwanderen. Kidos Großvater ist nämlich Koreaner und obwohl er völlig assimitiert lebt, leidet er an Selbstzweifeln und betrachtet fremdenfeinliche Ressentiments gerade in Hinblick auf seinen Sohn mit Sorge.

Insgesamt ein Buch, das ich gerne gelesen habe. Jedoch wurde das Potential der Geschichte leider nicht ausgeschöpft.

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Veröffentlicht am 19.03.2022

deutsch-französische Annährung

Kaiserstuhl
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1962 soll Paul eine besondere Flasche Champagner besorgen, die während des Krieges versteckt wurde.
Mit ihr sollen Adenauer und de Gaulle symbolisch die deutsch-französische Annährung begießen. Unverhofft ...

1962 soll Paul eine besondere Flasche Champagner besorgen, die während des Krieges versteckt wurde.
Mit ihr sollen Adenauer und de Gaulle symbolisch die deutsch-französische Annährung begießen. Unverhofft führt Pauls Weg zu Henny, mit der ihn einst eine Liebesgeschichte verband, die durch den Krieg jäh unterbrochen wurde.
Wieder einmal verbindet Brigitte Glaser historische Ereignisse und Fiktion. Diesmal geht es um die deutsch-französische Nachkriegsgeschichte, besonders die Geschehnisse im Elsass. Eine Atmosphäre schaffen kann sie sehr gut und auch die Personencharakterisierung gelingt wunderbar. Gerade am Anfang hatte ich aber Schwierigkeiten bei den vielen Personen durchzublicken. Es wird sehr schnel zwischen Figuren hin- und hergesprungen, sehr oft Perspektive und Handlungszeit gewechselt. Es dauert recht lange bis sich alles etwas klärt und auch Spannung aufkommt.
Die beiden anderen Bücher der Autorin haben mir persönlich besser gefallen, lesenswert ist "Kaiserstuhl" aber allemal.

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Veröffentlicht am 14.02.2022

Kurzer Blick auf eine Fluchterfahrung

Der Erinnerungsfälscher
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Said Al-Wahid lebt mit Frau und Kind in Berlin. Als seine Mutter stirbt, beschließt er noch einmal nach Bagdad zu reisen. Ein schwieriges Unterfangen, da er seit Jahren in Deutschland lebt und es nicht ...

Said Al-Wahid lebt mit Frau und Kind in Berlin. Als seine Mutter stirbt, beschließt er noch einmal nach Bagdad zu reisen. Ein schwieriges Unterfangen, da er seit Jahren in Deutschland lebt und es nicht einfach war die behördlichen Hürden zu überwinden. Während der Reise erinnert er sich an Etappen seiner Flucht und Szenen aus der Vergangenheit. Oder sind es nur Geschichten, die er gehört und sich zu eigen gemacht hat?

Die Geschichte ist berührend und nachdenklich machend erzählt. Mit einfachen Worten und doch, oder gerade deswegen, eindringlich. Der Autor schöpft merkbar aus seiner eigenen Fluchterfahrung. Das macht die Geschehnisse realistisch und bedrückend.
Schade fand ich, dass das Buch so kurz ist. Man hat sich gerade dran gewöhnt, dann hört es auch schon auf. Auch die Idee, dass Erinnerungen sich verändern, wahr und gleichzeitig erfunden sein können und wie problematisch dies im Umgang mit Behörden ist, hätte mehr ausgebaut werden können.
Insgesamt ein nachdeklich machender, aber recht kurzer Blick auf die Gechichte eines Geflüchteten.

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Veröffentlicht am 10.10.2021

Wut als Ermächtigung

Wut und Böse
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"Wer wütend sein darf, hat Macht. Wer es nicht sein darf, wird kontrolliert." (S. 184)

Die Autorin betrachet in ihrem Buch, wie weibliche Wut in der westlichen, patriarchal/binär geprägten Gesellschaft ...

"Wer wütend sein darf, hat Macht. Wer es nicht sein darf, wird kontrolliert." (S. 184)

Die Autorin betrachet in ihrem Buch, wie weibliche Wut in der westlichen, patriarchal/binär geprägten Gesellschaft gesehen wird, besonders im Vergleich zu männlicher Wut und zieht Verbindungslinien zu Diskriminierung, Sexismus und Rassismus. Sie bezieht sich dabei besonders auf eigene Erfahrungen und Erfahrungen im Freundeskreis und untermauert ihre Argumentation mit Zitaten aus wissenschaftlichen Studien und Abhandlungen zu dem Thema.

Hoeder zeigt, wie bei Mädchen das Zeigen negativer Emotionen mit zunehmendem Alter immer weniger toleriert wird, während bei Männern Agression als Stärke und Kompetenz ausgelegt wird. Sie erklärt, warum dies problematisch ist, wenn es um gesellschaftliche Stellung und politische Macht geht. Völlig berechtigte Forderungen werden als irrational abgelehnt, wenn sie im "falschen Ton" vorgebracht werden.
Dadurch, dass die Autorin viele eigene Erfahrungen einbringt, ist das Buch gut lesbar und nicht zu trocken und theoretisch. Für mich persönlich, die mit dem Thema schon Berühungspunkte hatte, gab es nicht viel Neues. Ich habe mich zwar nicht gelangweilt, aber wenig gelernt. Oft hätte ich mir eine tiefgreifendere Beschäftigung mit dem Thema gewünscht. Zu den Studien und deren Interpretation hätte man sicher noch mehr sagen können. Stattdessen formuliert die Autorin eher ein Manifest, als Frau die Wut nicht mehr zu unterdrücken, damit gesellschaftliche Veränderungen angestoßen werden können. Dazu ist es sicherlich noch ein weiter Weg.
Insgesamt gutes Einstiegsbuch zum Thema, das sich angenehm liest und für jeden persönlich Fragen aufwirft. Es handelt sich eher um eine Zustandsbeschreibung, als einen wirklichen Lösungsweg, bietet aber auf jeden Fall eine Diskussionsgrundlage.

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Veröffentlicht am 22.08.2021

Familiengeschichten-Politthriller

Heimatsterben
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Sarah Höflich betrachtet die politsche Situation im Deutschland 2023 anhand des Schicksals einer Familie. Felix von Altdorff ist Kanzlerkandidat
der rechtskonservativen Partei BürgerUnion. Er bittet seine ...

Sarah Höflich betrachtet die politsche Situation im Deutschland 2023 anhand des Schicksals einer Familie. Felix von Altdorff ist Kanzlerkandidat
der rechtskonservativen Partei BürgerUnion. Er bittet seine Schwägerin Hanna Ahrens, die sich eher politisch links verortet, um Hilfe beim Wahlkampf. Hanna, die nach dem Tod ihrer Großmutter gerade nicht so recht weiß, was sie mit ihrem Leben anfangen soll, stimmt zu, bekommt aber immer stärkere Gewissensbisse je klarer wird, dass der extremistische Teil von Felix Partei immer mehr Einfluss gewinnt.
Die Autorin spannt einen weiten Bogen von den Kriegserlebnissen der Großmutter bis zu der politisch sehr aufgeladenen Stimmung in naher Zukunft. Dabei liegt der Fokus auf der Familiengeschichte und den Personen und ihrem Schicksal. Die politischen Geschehnisse der Gegenwart (Kanzlerschaft Merkel, Corona-Krise, militärische Konflikte) werden ignoriert oder in Nebensätzen abgehandelt. Das ist verständlich, denn ein Buch, dass über einen langen Zeitraum geschrieben wird, wird gezwungenermaßen von der Realität überholt, sorgt jedoch für einen merkwürdig luftleeren Raum, in dem die Gegenwart des Buches spielt. Hintergründe bestimmter Ereignisse werden völlig ausgeblendet, ebenso Reaktionen anderer Staaten auf deutsche Politik. Gesetze werden, völlig untypisch für Deutschland (außerhalb von Notstandgesetzen, die hier aber nicht erwähnt werden) in wenigen Tagen beschlossen und umgesetzt. Besonders das Ende hat mich hier nicht zufrieden gestellt. Es gibt krasse Einschnitte und sehr unklare Entwicklungen, aber da nur auf die Familiengeschichte fokussiert wird, werden die Probleme nur im Kleinen aufgelöst und große Zusammenhänge werden nicht behandelt. Das fand ich etwas schade, so verliert die Geschichte nach dem guten Spannungsaufbau zum Ende hin an Kraft.
Alle sind irgendwie miteinander befreundet und verwandt und haben Berufe, die rechtfertigen, dass man immer wieder zufällig zusammentrifft. In der Familie und deren Bekanntenkreis gibt es einen offen homosexuellen Anwalt, einen homosexuellen Werber, der mit einem von der Fremdenfeindlichkeit betroffenen Iraner zusammen ist und eher zufällig in linksextreme Kreise gerät, einen Arzt, der zufällig immer zur Stelle ist, ambitionierte rechts-militaristisch eingestellte Konservative, Verlierertypen, die in der soldatischen Ausbidung endlich wieder Selbstvertrauen entwickeln...
Das ist schon ein bissschen konstruiert. Spannend und lesenswert fand ich es dennoch. Eine Art Familiengeschichten-Politthriller. 3,5 Punkte von mir und eine Leseempfehlung als Unterhaltungsroman mit etwas Potential zum Nachdenken.

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