Ein explosives 1001-Nacht-Fantasy-Abenteuer, welches Lust auf mehr macht
A Song of Wraiths and Ruin. Die Spiele von SolstasiaOrientalische, von außereuropäischen Kulturen inspirierte Fantasy kriegt mich jedes Mal. Jedes. Einzelne. Mal. Da bildet auch "A Song of Wraiths and Ruin" von Roseanne A. Brown keine Ausnahme. Der Auftakt ...
Orientalische, von außereuropäischen Kulturen inspirierte Fantasy kriegt mich jedes Mal. Jedes. Einzelne. Mal. Da bildet auch "A Song of Wraiths and Ruin" von Roseanne A. Brown keine Ausnahme. Der Auftakt zum NA-Dilogie-Debüt erzählt ein modernes, diverses Fantasy-Abenteuer über eine pulsierende Wüstenstadt, ein magisches Fest und zwei verzweifelte Spieler in einem gigantischen Spiel um Leben und Tod, dem man sich nicht entziehen kann!
Schon das Cover hat mich sofort angesprochen. Auch wenn man im Gegensatz zum englischen Original die Nahaufnahme eines Modelgesichts im Profil sieht, sind Atmosphäre, Farbgebung und die Figurendarstellung so treffend, dass selbst ich mit meiner "Mimimi-keine-echte-Gesichter-auf-Buchcover"-Einstellung mich nicht beschweren kann. Während das dunkelhäutige Mädchen mit dem entschlossenen Gesichtsausdruck, den silbernen Braids und dem Goldstaub im Gesicht auf der Vorderseite des Buches eindeutig unsere erste Protagonistin Karina darstellt, ist auf der Rückseite ein Junge in roter Robe zu sehen, der stark an den zweiten Protagonisten, Malik erinnert. Neben der treffenden Auswahl der Models gefällt mir an der Gestaltung besonders gut, dass die beiden Figuren, die jeweils im Profil zu sehen sind, sich gegenseitig anschauen, wenn man das Buch dreht und Karinas von dunklen Grüntönen geprägte Vorderseite durch einen dunklen Verlauf auf dem Buchrücken in ein Bordeaux-Rot übergeht, welches die Rückseite des Buches dominiert. Um den runden, magischen Gesamteindruck abzurunden, hat meine Ausgabe zusätzlich einen farbigen Buchschnitt, welcher das orientalische Muster fortsetzt, welches im Hintergrund des Cover zu sehen ist. Der Titel gefällt mir ebenfalls und passt sehr gut zur Geschichte, auch wenn Titel nach dem Schema "A xxx of xxx and xxx" im Fantasy-Genre definitiv überstrapaziert werden. Alles in allem ist es also offiziell: I´m in love!
Erster Satz: "Abraa! Abraa! Kommt und versammelt euch - hier beginnt gleich eine Geschichte!"
Innerhalb der Buchdeckel setzt die Geschichte nach einer kurzen Anmerkung der Autorin bezüglich potenziell triggernder Themen (TW: Gewalt, selbstverletzendes Verhalten, Angstzustände, emotionaler und körperlicher Missbrauch und Tod) und einer Karte von Sonande bei Maliks Ankunft in Ziran an. Nach einer strapaziösen Suche nach einem besseren Leben und Arbeit quer durchs Land, versucht unser erster Protagonist in Kapitel 1 gemeinsam mit seinen zwei Schwestern, in die Stadt zu gelangen. Als Flüchtling aus dem entlegenen und unterdrückten Eshran-Gebirge hat er keine großen Chancen, an den Kontrollen vorbei zu kommen, doch dann wird der unbedacht ausgesprochene Wunsch seiner kleinen Schwester von einem uralten magischen Wesen erhört und er hat plötzlich ganz andere Probleme, als das Überwinden der Stadtmauer: für seine unerwünschte Hilfe behält das Geisterwesen seine kleine Schwester Nadia als Pfand ein und um sie aus den Fängen des Obosoms zu lösen, soll er ausgerechnet Prinzessin Karina von Ziran töten. Ein schier unmögliches Unterfangen, selbst für einen ausgebildeten Assassinen. Doch Malik ist schmächtig, schwächlich und leidet unter Panikattacken... Seine einzige Chance ist, an den Solstasia-Spielen als Champion teilnehmen, um so in den Palast zu gelangen. Doch er weiß nicht, dass er dabei Gefahr läuft sein Herz zu verlieren - nicht nur im Übertragenen Sinne, sondern auch ganz buchstäblich: denn Prinzessin Karina braucht für ein altes Ritual dringend das Herz eines Königs, um ihre ermordete Mutter wiederzubeleben....
Klingt nach einer verworrenen Handlung mit intensiven Gefühlen, fiesen Intrigen, überraschenden Wendungen und großer Spannung, oder? Schon die ersten Kapitel hielten die erste Überraschung für mich bereit. Nach dem Klapptext hätte ich angenommen, dass der Wettstreit des Solstasia-Festes im Vordergrund der Erzählung stehen wird und wir die Motive der beiden Hauptfiguren erst nach und nach erfahren. Stattdessen setzt die Erzählung schon früher an und erzählt in voller Länge, wie Karina und Malik überhaupt erst in die verfahrene Situation gelangen, sich gegenseitig töten zu müssen. Die tatsächlichen Wettkämpfe sind also mehr actionreiche Beigabe als Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Stattdessen sorgt vor allem die durch die wechselnde Erzählweise besonders hervorgehobene heikle Konstellation zwischen den beiden, die nicht wissen, dass sie das Opfer des jeweils anderen sein sollen und gleichzeitig mit ihren neuen Gefühlen ringen, für Spannung. Das hat mir sehr gut gefallen, da die Idee, Champions, in einem Turnier um einen Preis kämpfen zu lassen, nicht gerade originell ist, während der dynamische Assassinen-Intrigen-Plot durchaus einen erzählerischen Mehrwert hat. Im Laufe der Geschichte wird die Situation, in die sich Malik und Karina hineinmanövrieren immer verfahrener, sodass man bald nicht weiß, wie die beiden sich aus dem Spinnennetz aus Intrigen und heimlichen Plänen befreien sollen, ohne sich selbst, einander oder ihr Herz zu verlieren...
Roseanne A. Brown legt zwar ein hohes Erzähltempo an den Tag, reichert ihre Geschichte aber trotzdem stetig mit Beschreibungen, Details und Ausschmückungen an, sodass die Geschichte ein wenig wie ein Ausflug auf einen Gewürzmarkt wirkt: im ersten Moment vielleicht leicht überfordernd, aber nach kurzer Eingewöhnung sehr interessant und mit vielen tollen Eindrücken, die in Erinnerung bleiben! Zu ihrem charakteristischen Schreibstil zählen auch leicht sprunghafte und plötzliche Szenenwechsel, welche zu großen und kleinen Überraschungsmomenten führen, die Erzählung aber auch leicht chaotisch wirken lassen. Da die minimal überladene Erzählweise jedoch gut zur lauten, bunten Welt, der verworrenen Geschichte und der dichten Spannung passt, will ich mich sicherlich nicht darüber beschweren!
"Die Geschichte war ihr Bilderteppich, und mit jedem Wort fügte sie dem Gewebe einen weiteren Faden hinzu. Als die Griotte zu sprechen begann, war es fast, als würde Magie doch existieren. Sie wand sich durch die Jahrhunderte, um sich in den ausgestreckten Händen der Zuhörer zu sammeln."
Neben der spannenden Dynamik zwischen den beiden Hauptpersonen machen auch die schrittweise Erkundung des Settings, das langsame Erklären des Magiesystems und die Aufdeckung der Hintergründe der Handlung die Geschichte so mitreißend. Statt uns von Seite 1 genau zu erklären, wie die Welt funktioniert, in denen ihre Charaktere leben, lieben und leiden, muss man sich in Roseanne A. Browns Roman das Verständnis des Worldbuildings selbst erarbeiten, sodass sich erst im Laufe der Zeit ein einleuchtendes Gesamtbild aus den vielen Details des Settings zusammensetzt. Unser Fantasy-Land Sonande ist dabei ein eindeutig von westafrikanischer Folklore inspiriertes Setting, das die vielfältige Landschaft Afrikas in fantasievollen Gegensätzen vereint. Von der Wüte bis zum Dschungel, bergigen Provinzen bis zu reichen Städten, fruchtbaren Savannen und gefährlichen Gewässern erstreckt sich dieses vielseitige Land, von dem aus Vertreter und Erzählungen bis zu unserem Schauplatz in der Wüstenstadt Ziran wandern. In welchem Verhältnis die einzelnen Orte genau zueinander stehen und welche der vielen mit kunstvollen wie verwirrenden Namen benannten Städte sich nun in genau welchem Gebiet befinden, bleibt lange unklar und kann auch durch die beigefügte Karte nicht aufgeklärt werden. Auch wo genau welche Sprache gesprochen wird und welche fantastische Tierart in welchen klimatischen Bedingungen beheimatet wird, kann man sich angesichts der Fülle an Informationen, der Fremdheit der Ausdrücke und der Wiedergabe aus zweiter Hand nur schwer merken. Ich hoffe also sehr, dass sich die Handlung in Band 2 nicht nur auf Ziran beschränken wird, sondern wir zusammen mit unseren Protagonisten die restliche Welt erkunden und mit eigenen Augen sehen dürfen, von was Reisende in Ziran berichten.
Zusätzlich zu dem komplexen und vielversprechenden Worldbuilding, bei dem aber noch viel offenbleibt, reicht auch die Geschichte des Landes über 1000 von Jahren zurück und ist angereichert mit afrikanischen Mythen, dem Erbe der Pharaonen, Geistern, Kriegen und Heldensagen, die man erst mit der Zeit einzuordnen vermag. Der Magie kommt dabei eine düstere, gefährliche und schwer greifbare Rolle zu. Anders als in vielen anderen Fantasy-Reihen ist die Magie hier keine von vornherein klare Größe, mit der gearbeitet, die gelehrt und eingesetzt wird. Stattdessen finden die beiden Hauptfiguren erst mit der Zeit heraus, dass sie unterschiedliche Arten von Magie besitzen und sind mit deren Handhabung völlig auf sich alleine gestellt. Dadurch erhält die Geschichte zusätzlich zum durch das hohe Erzähltempo entstandenen gehetzten, verzweifelten Eindruck, eine düstere, geheimnisvolle Atmosphäre, der man sich nur schlecht entziehen kann.
"Unterschätze nicht die Stärke, die man dafür braucht, in einer so grausamen Welt wie der unseren freundlich zu sein."
Der starken Atmosphären, spannenden Handlung und dem schnellen Erzähltempo stehen jedoch leider eine eher mittelmäßig überzeugende Romanze, ausbaufähige Figuren und ein leicht chaotisches Ende gegenüber. Mit Karina und Malik haben wir zwei grundsätzlich sympathische Figuren mit vielen tollen Ansätzen, welche jedoch in meinen Augen in dieser voluminösen Geschichte zu wenig Raum erhalten. Karina erscheint zunächst wie das Klischee einer verzogenen und arglosen Prinzessin. Mit ihrer unreifen, impulsiven und stolzen Art (keine besonders gute Kombination) verrennt sie sich in der ein oder anderen unnötigen Schwierigkeit und nimmt Handlungen vor, die ich zum Teil schlecht oder gar nicht nachvollziehen konnte. Zwar hat sie gegen Ende einige tolle Erkenntnisse, für welche ich sehr stolz auf sie war, insgesamt wirkte sie aber ein Großteil der Zeit wie ein herumtollender Welpe, der sich der eigenen Kraft, Aufgabe und Verantwortung nicht wirklich bewusst ist. Immerhin muss man ihr lassen, dass sie einen sehr selbstkritischen Humor hat, der mir beim Lesen viel Spaß gemacht hat (Beispiel: "Tja, nun fühlte sich Karina noch schlechter, weil sie das Buch in die Schlucht hatte fallen lassen. Außerdem hatte sie davor vielleicht auch ein-, zweimal draus gesessen. Ups.") und die Welt durch sie nun um einen starken PoC-Charakter reicher ist.
Der feinfühlige, sanfte Malik ist mir aber trotzdem viel mehr ans Herz gewachsen. Mit seinem wild ausschlagenden moralischen Kompass, seiner körperlichen Schwäche und seinem täglichen Kampf gegen Panikattacken weicht er deutlich vom Stereotyp des starken Kämpferhelden ab und zeigt auf, dass wahre Stärke auch abseits von Schwertkämpfen und Duellen liegen kann: in Freundlichkeit, Güte oder der Kunst, eine Geschichte zu erzählen zum Beispiel... Jedoch hätte ich mir auch von ihm ein bisschen mehr emotionale Tiefe gewünscht und gerade seine Gefühle für Karina wirkten nicht wirklich natürlich. Angesichts der extrem geringen Zeit, die Karina und Malik tatsächlich zusammen verbringen und der noch geringeren Anzahl an Worten, die die beiden wechseln finde ich die sich anbahnende Romanze einfach nicht glaubwürdig. Ich hätte hier eine zarte Freundschaft bevorzugt, die weniger Raum in Anspruch genommen und Platz für weitere Entwicklungen gelassen hätte.
Auch vom Ende bin ich nicht hundertprozentig begeistert. "A Song of Wraiths and Ruin" endet in einem epischen, aber leider ärgerlich unübersichtlichen Showdown, welcher die Karten nochmal ordentlich neu mischt und die Wartezeit bis zum Erscheinungstermin von Band 2 eeeeeewig erscheinen lässt.
"Eine Geschichte endet immer erst dann, wenn sie endet, und keinen Moment früher. Wenn du mit diesem Ende unzufrieden bist, dann erschaffe ein anderes."
Fazit:
"A Song of Wraiths and Ruin" ist ein explosives 1001-Nacht-Fantasy-Abenteuer, welches Lust auf mehr macht. Eine starke Atmosphäre, die spannende Handlung, das bunte Setting und das schnelles Erzähltempo stehen jedoch einem leicht chaotischen Ende, einer mittelmäßigen Romance und den ausbaufähigen Figuren gegenüber, sodass ich nicht vollständig überzeugt, aber mit großen Hoffnungen auf Band 2 warte!