Vielschichtig und mit feiner Feder geschrieben
Der große FehlerInteressant geschriebener Roman. Zuerst beschreibt Jonathan Lee genau und detailgetreu was Andrew Green getan hat, an jenem Freitag, den 13. November 1903, bis er erschossen wurde. Wir erfahren sogar, ...
Interessant geschriebener Roman. Zuerst beschreibt Jonathan Lee genau und detailgetreu was Andrew Green getan hat, an jenem Freitag, den 13. November 1903, bis er erschossen wurde. Wir erfahren sogar, dass er seinen Kaffee aus exakt 36 Kaffeebohnen gebrüht haben will, was seine Haushälterin für ihn kochen will. Danach schwenkt der Fokus auf seine Kindheit auf einer Farm außerhalb New Yorks. Eine Kindheit und erste Jugendzeit in der so vieles unausgesprochen bleibt. Diese wechselnden Perspektiven, aus Andrews Sicht, aus den Erzählungen von Mrs.Bray, der Haushälterin und den Ermittlungen von Inspector McClusky werden zum Schluss Andrew Greens Leben, Bild und Werk vor unseren Augen entstehen lassen. Und auch den Mord an Andrew Green unspektakulär und der Wahrheit entsprechend aufklären.
Wenn wir das Buch als Krimi betrachten, ist es ein „Raskolnikow“ Krimi oder Inspector Columbo Krimi. Will sagen, wir kennen das Opfer, wir kennen den Täter, wir müssen nur noch erfahren, weshalb die Tat geschah.
Wenn wir das Buch als historischen Roman betrachten, ist es eine hoch interessante Abhandlung über New York, wie Brooklyn ein Teil von New York wurde, wie der Central Park zustande kam, wie und mit welchen Geldern (Achtung, Spoiler: korrupte Gelder) die Brooklyn Bridge gebaut wurde.
Betrachten wir das Buch als einen biographischen Roman: Die agierenden Personen im Buch sind reale, historisch attestierte Personen. Die Homosexualität der beiden Freunde Andrew und Samuel wird sehr diskret und wie nur am Rand behandelt, obwohl sie das Leben der beiden bestimmt hat, mit der ständigen Angst der Entdeckung, der Verdrängung der Gefühle, die nie und unter keinen Umständen offenbart werden dürfen, oftmals auch in der Abgeschiedenheit ihrer Privaträume.
„Der große Fehler“ – worin besteht er denn eigentlich? Ist es ein Fehler einen Menschen zu lieben, mit einer Liebe die die gesellschaftlichen Konventionen der Zeit nicht erlauben? Dann ist es aber nicht der Fehler des Individuums, sondern ein kollektiver Fehler der Gesellschaft. Ist der Tod an Andrew H. Green ein Fehler? Ja, auf jeden Fall, Mord ist immer ein Fehler, nur in diesem Fall ist der Fehler banal und brutal und sinnlos zugleich: Cornelius Williams hält Andrew Green für einen anderen und erschießt ihn. Eine Verkettung von Zufällen führt zur Verwechslung und zur Bluttat.
Das Buch wird von einem feinen, tiefsinnigen, oftmals hintergründigen Humor durchwebt, ab und zu werden ein paar Szenen von geradezu grotesker Intensität erzählt, wie z.B. die Szene in der der angetrunkene Zoopfleger seine Elefantendame Topsy durch die Straßen New Yorks reitet und Topsy mit dem Kopf in der Tür der Polizeiwache steckenbleibt während sich die Polizisten innerhalb des Gebäudes in die Zelllen in Sicherheit bringen. Unübertroffen ist auch die Begründung, mit der Mrs. Bray eine Gehaltserhöhung argumentiert und gewinnt.
Wahrscheinlich ist die Episode mit Topsy auch die ultima ratio für das Titelbild des Buches. Auf jeden Fall passend.