Autofiktion über ein kompliziertes Mutter-Tochter-Verhältnis
as Buch „Man kann Müttern nicht trauen“ ist die autofiktionale Geschichte der Mutter von Andrea Roedig. In ihrem Werk versucht sich die Autorin vorzustellen, welche Motive diese für ihr Handeln hatte und ...
as Buch „Man kann Müttern nicht trauen“ ist die autofiktionale Geschichte der Mutter von Andrea Roedig. In ihrem Werk versucht sich die Autorin vorzustellen, welche Motive diese für ihr Handeln hatte und von welchen Gedanken sie geleitet wurde.
Lieselotte, kurz Lilo gerufen, war Jahrgang 1938. Ihr Vater wurde im Krieg vermisst, weswegen ihre Mutter sie allein großzog. Dabei wird sie oft gemaßregelt. Sie lernt den Beruf der Modefachverkäuferin in einem Bekleidungsgeschäft an bester Adresse. Doch sie wird den Sohn eines Metzgers heiraten und hinter der Fleischtheke stehen. Lilo bekommt neben Andrea drei Jahre später auch noch Christoph. Wichtige Helferlein sind für sie Zigaretten, Alkohol und Tabletten. Als ihre Tochter zwölf Jahre alt ist kommt es zu einem großen Bruch in der Familie und Andrea hat drei Jahre lang keinen Kontakt mehr zu ihr und später auch immer nur für kurze Phasen.
Die Autorin versucht eine chronologische Aufarbeitung anhand von Fotographien und Tagebucheinträgen ihrer eigenen Aufzeichnungen und der aus einer Chronik, die Lilo aufgezeichnet und ihr eines Tages geschenkt hat. Andrea Roedig beschreibt ihre Mutter, die beruflich ständig im Kontakt zum Kunden stand, als darauf bedacht, im Privatleben auf Abstand zu bleiben.
Das Verhalten ihrer Mutter war oftmals ein Rätsel für die Autorin. In bestimmten Situationen, wie beispielsweise im ersten Kapitel beschrieben, schien sie Freude daran zu finden, ihre Kinder auf eine psychisch verletzende Weise zu behandeln. Es gab nie eine Erklärung für ihr Tun und auch im Niedergeschriebenen gibt es keine Erläuterung. Daher füllt Andrea Roedig viele geschilderten Szenen aus dem Leben von Lilo mit Annahmen bei denen viele Fragen offenbleiben.
Lilos Leben ist gekoppelt an das ihrer Ehemänner, vor allem an der Seite ihres ersten Gatten erlebt sie Höhen und Tiefen. Sie ist ein Kind ihrer Zeit, neugierig auf Mode und Musik im Nachkriegsdeutschland. Die Autorin setzt sich ebenfalls mit der Rolle ihres Vaters auseinander und damit, wie das Gebaren ihrer Eltern Einfluss auf den jeweils anderen genommen hat. Später hinterfragt sie auch das Einmischen ihrer Großeltern in die Ehe und die Erziehung der Kinder.
Die Schilderungen der Autorin sind nicht leicht zu lesen. Obwohl sie versucht, die Begebenheiten in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen, reichen auch ihre Erinnerungen nicht aus, die ihr vorliegenden Aufzeichnungen zu vervollständigen. Für ihre Auslegungen lässt sie manchmal ihre Gedanken schweifen, doch sie bleibt selber dabei auf Distanz. Weder zur Gefühlswelt der Mutter noch zu der der Tochter konnte ich engen Zugang finden.
In ihrer Autofiktion „Man kann Müttern nicht trauen“ legt Andrea Roedig erstaunlich offen das Leben ihrer Mutter dar, mit dem sie sich auf mehrfache Weise beschäftigt hat. Dabei räumt sie ein, dass auch sie selbst zu dem komplizierten Verhältnis beigetragen hat. Mit dem Anliegen, Gefühle an die Oberfläche zu bringen, puzzelt sie aus Fotos, Tagebucheinträgen und Erinnerungen ihre ganz eigene Wahrheit, deren Lesen mir nicht immer leicht fiel, mich aber berührten.