Für Feminismus ist es nie zu spät
Die Familie sitzt scheinbar friedlich am Esstisch, als Helene plötzlich aufsteht, den Raum verlässt und sich vom Balkon in den Tod stürzt.
Keiner hat es kommen sehen. Die Restfamilie befindet sich im ...
Die Familie sitzt scheinbar friedlich am Esstisch, als Helene plötzlich aufsteht, den Raum verlässt und sich vom Balkon in den Tod stürzt.
Keiner hat es kommen sehen. Die Restfamilie befindet sich im Schockzustand.
Und während Sarah, Helene‘s beste Freundin sich mit Schuldgefühlen quält und dem überforderten Vater ihre Hilfe anbietet, hat die Teenager- Tochter der Familie, Lola, nur ein vorherrschendes Gefühl: Wut.
Wir befinden uns in der Jetztzeit, wo tatsächlich die Mütter die Hauptlast in der Pandemie tragen. Während die Männer im Homeoffice die Tür zumachen, stemmen die Frauen neben dem eigenen Job noch den Großteil der Hausarbeit und können schauen, wie sie die Kinderbetreuung im Lockdown organisiert bekommen.
Mareike Fallwickl erinnert in ihrem Buch daran, dass wir auch in der heutigen Zeit immer noch eine durch und durch patriarchalische Gesellschaft sind.
Den Löwenanteil der kostenlosen Carearbeit tragen die Frauen. Sie verdienen schlechter. Kochen und Putzen ist immer noch Frauensache, genauso wie Kinder hüten oder Großeltern im Alter pflegen. Frauen müssen sich Sorgen machen, wenn sie nachts alleine durch den Park laufen, und wenn ihnen ein Mann Gewalt antut, wird ihnen unterstellt, dass sie die Tat durch ihre offenherzige Kleidung womöglich selbst provoziert haben.
Natürlich traut Sarah Helene’s Mann die Betreuung von zwei Kleinkindern und einer pubertierenden Tochter zunächst nicht zu. So ist ihr erlerntes Rollenbild und das alleine regt Lola schon auf, die immer radikaler mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern fordert. Fallwickl ist eine Meisterin im Beschreiben von Zwischenmenschlichem und schafft es, dass sich Lola‘s Wut auf den Leser überträgt, man ihren Argumenten einfach rechtgeben muss.
Die Veränderung von Lola ist wirklich krass, von dem traurigen, fast magersüchtigen jungen Mädchen, dass sie nach dem Tod der Mutter ist, ist am Ende des Buches nichts mehr übrig. Nicht zuletzt durch einen starken Freundeskreis und Sarah‘s Liebe, hat sie sich in eine selbstbewusste , kämpferische junge Frau verwandelt, die zwar findet dass Sarah noch viel zu wenig feministisch ist, die aber einsieht, dass die Freundin ihrer Mutter einer anderen Generation angehört. Und schließlich ist es für Feminismus nie zu spät.
Mir hat dieses kämpferische Buch von Mareike Fallwickl sehr gefallen und auch wenn ich Gewalt nie für eine gute Lösung von Problemen halte, waren die beschriebenen Racheakte doch erschreckend befriedigend.
Es war ein Buch über nachvollziehbare Wut, über Solidarität unter Frauen. Es wirbt für mehr Verständnis und deshalb darf es auch mal gerne bei den Männern auf dem Nachttisch landen.
Eine bessere Vertonung als diese von Marie-Isabel Walke und Ulrike Kapfer hätte ich mir auch gar nicht vorstellen können. Als Hörbuch ist dieser Roman absolut empfehlenswert.