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Julia_Matos

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.11.2017

Tiefgründigkeit, Gefühlsachterbahn und wertvolle Denkanstöße

Wer Furcht sät
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Tony Parsons gibt die Innenansichten inklusive beruflicher und persönlicher moralischer Konflikte von DC Max Wolfe derart tiefgreifend wieder, dass diese Figur richtig echt wirkt und mich fantastisch mitfühlen ...

Tony Parsons gibt die Innenansichten inklusive beruflicher und persönlicher moralischer Konflikte von DC Max Wolfe derart tiefgreifend wieder, dass diese Figur richtig echt wirkt und mich fantastisch mitfühlen und miträtseln lässt. Max‘ Momente mit Scout und Stan und seine Reflektionen zum Familienleben sowie zaghafte Unternehmungen in Sachen Liebe sind immer ein herzerwärmendes Highlight. Toll auch die gedanklichen zynischen Seitenhiebe, mit der Max seine Umwelt bedenkt.
Die Nebenrollen (u. a. DC Edie Wren, DCI Pat Whitestone) sind ebenso brilliant in Szene gesetzt.
Der Kriminalfall ist erneut sehr spannend und wendungsreich, das Ende hatte ich so nicht erwartet. Realistisch anmutende Polizeiarbeit, ohne langweilig zu sein. Mit der Thematik Lynchjustiz, die sowohl in Max‘ aktuellem Kriminalfall wie auch in seinem persönlichen Umfeld im Mittelpunkt steht, liefert der Autor Interessierten Stoff zu eigenen Reflektionen. Auch die Schilderungen zum Schicksal von Soldaten sind sehr eindringlich, ohne penetrant zu wirken. Die geschichtlichen Hintergründe zu Hinrichtungen erweitern meinen Wissensschatz auf interessante Weise und lösten so manchen Aha-Moment bei mir aus.
Was zuvor für Längen gesorgt hatte, z. B. die Wiedergabe von Boxtrainings, kommt kaum noch vor.
Mein bisher liebster Teil der Reihe. Band 4 klingt ebenfalls sehr vielversprechend.

Veröffentlicht am 18.11.2017

Ernsthaftes, aber auch unterhaltsames Werk für umfängliche Einblicke in Politik und Gesellschaft

Sturz der Titanen
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Eindrücke in Kürze / Fazit: Ich habe einen enormen und dauerhaften Erkenntnisgewinn zu Weltpolitik und Gesellschaft sowie wertvolle Denkanstöße mitgenommen und mich gleichzeitig gut unterhalten gefühlt. ...

Eindrücke in Kürze / Fazit: Ich habe einen enormen und dauerhaften Erkenntnisgewinn zu Weltpolitik und Gesellschaft sowie wertvolle Denkanstöße mitgenommen und mich gleichzeitig gut unterhalten gefühlt. Wer die nötige Neugierde und Ausdauer mitbringt, hat hier einen Roman, der den Horizont erweitert, berührt, erschüttert, aber auch Mut macht, für seine Ideale einzustehen.

Meine ausführlichen Einschätzungen:

Handlung: Aus der wechselnden Erzählperspektive fiktiver Figuren, differenziert nach unterschiedlichen Schichten (von Adel bis Arbeiterklasse) und den relevantesten Nationen (Deutschland, Österreich, Russland, Großbritannien, Frankreich, USA) werden von 1911 bis 1924 zum einen die Lebensumstände mit Freuden und Sorgen im Alltag, Hoffnungen, Ziele und gesellschaftliche Problemstellungen und deren Entwicklung beleuchtet. Beispielsweise: Auseinandersetzen mit Religion (Strenggläubige, Atheisten), Ansehen des Adels in Europa, Rolle des Zaren für das russische Volk, Erstarken von Gewerkschaften und Arbeitsschutz, Streiks, Einsatz für Wahlrecht und mehr Gleichberechtigung, Prohibition in den USA und Inflation in Deutschland. Zum anderen werden weltpolitische sowie ganz persönliche Ausnahmesituationen und damit zusammenhängende Gedankengänge und Gefühlswelten vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg aufgezeigt, z. B. zur russischen Oktoberrevolution, zu Kämpfen rund um die Schützengräben, zu hintergründigen macht- und finanzpolitischen und medialen Auseinandersetzungen und zu Auswirkungen des Krieges auf die Frauen und Familien.

Figuren: Die fiktiven Figuren stehen symptomatisch für bestimmte Teile der Bevölkerung und befinden sich nicht nur vorrangig zu Unterhaltungszwecken im Mittelpunkt, sondern sind um wichtige tatsächliche Ereignisse und historische Persönlichkeiten herumgearbeitet, um auf spannende Weise Lehrinhalte zu vermitteln, sozusagen Geschichtsunterricht erlebbar zu machen. Zwar sind sie dabei ein kleines bisschen überzeichnet und man hat liebens- und hassenswerte Charaktere schnell ausgemacht, dies sorgt aber eben auch für Anschaulichkeit und einen gewissen Reiz. Die Schwarz-Weiß-Zeichnung nimmt nicht überhand, jede Figur ist auch Produkt seiner Umwelt. Da geschichtliche Hintergründe und Rahmenhandlungen dramatisch und anspruchsvoll genug sind, ist es auch kein krasser Minuspunkt für mich, dass die Figuren keine besondere Persönlichkeitsentwicklung durchmachen und leicht einschätzbar sind. Die vielen Verknüpfungen und zufälligen Begegnungen sind bei diesem Genre ein typisches Element, das dem Spannungsaufbau förderlich ist.
Die Trennlinie zwischen Geschichte, Übertreibung und Fiktion ist im Regelfall gut erkennbar.
Meine gefühlsmäßigen Highlights waren die Perspektiven von den hart arbeitenden, verantwortungsbewussten und idealistischen Billy und Grigori und die von den starken und doch verletzlichen Frauen Ethel und Maud. Da gab es Herzerwärmendes, ich konnte mich gut hineinversetzen und erlebte so manchen Gänsehautmoment, was für deren Authentizität und Tiefe spricht. Der rebellische Frauenheld Lew weist großen Unterhaltungswert auf. Fitz, Gus und Walter haben als höhergestellte Männer insbesondere wertvolle politische Erkenntnisse eingebracht.
Ein Personenverzeichnis hilft dabei, angesichts diverser Nebenfiguren den Überblick zu behalten.

Erzählweise: Der personale Erzählstil hilft dabei, sich hineinzuversetzen. Nach meinem Empfinden beweisen Ken Follett und Mitwirkende ein gutes Gespür dafür, wann für den geneigten Leser ein Schauplatz- oder Perspektivwechsel sinnvoll ist und in Bezug auf den Umfang von Ausschmückungen. Der Grat zwischen ‚Langeweile‘, ‚Herausgerissenwerden, wo man gern noch verweilt hätte‘ und ‚Überforderung beim anspruchsvollen Lesen durch Informationsflut (Namen von Personen und Orten, Rängen/Positionen, Truppenbewegungen usw.) oder zu viele verstörende Kriegseindrücke‘ wurde durch gelungene Abschnittsbildungen bei mir nicht überschritten. Die Formatierung unterstützt dabei, geeignete Lesepausen einzulegen.

Wirkung: Sturz der Titanen ist gut recherchiert. Die Darstellungen geraten ziemlich ausgewogen, ohne übertriebene Effektheischerei und wirkten dennoch intensiv auf mich. Erfreulicherweise hat Ken Follett bezogen auf die beteiligten Nationen auf Schwarz-Weiß-Malerei verzichtet.
Ich habe viel dazugelernt. Mir ist es gelungen, den Zeitgeist nachzuempfinden, da mit viel Identifikationspotenzial ein umfängliches Bild der Gesellschaft aufgezeigt wird.

Adressatenkreis: Wer wie ich mit einer ordentlichen Portion Wissbegierde an die Sache herangeht, kommt auf seine Kosten. Leser, die vorrangig unterhalten werden möchten, werden den sehr umfänglichen Roman streckenweise als langatmig empfinden und sind z. B. mit der Clifton-Saga, bei der ab den 1920er-Jahren unterhaltsame fiktive britische Figuren im Mittelpunkt stehen und gesellschaftliche Problemstellungen und das politische Weltgeschehen eine geringere Rolle einnehmen, besser bedient. Ich rate zur ausführlichen Leseprobe.

Dies war mein erster Roman von Ken Follett. Mit etwas Abstand werde ich auch Winter der Welt lesen.

Veröffentlicht am 22.03.2022

Glaubwürdige, atmosphärische und informative Zeitgeschichte

Unter dem Roten Stern
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Dies ist ein zeitgenössischer Roman im Stil einer Familiensaga über Leben, Lieben und Arbeiten in der Sowjetrepublik Estland und weiterer Regionen des Baltikums in den 1970ern und 1980ern.
Die Autorin ...

Dies ist ein zeitgenössischer Roman im Stil einer Familiensaga über Leben, Lieben und Arbeiten in der Sowjetrepublik Estland und weiterer Regionen des Baltikums in den 1970ern und 1980ern.
Die Autorin Ira Habermeyer schildert aus der Sicht der jungen Frauen Lagle und Sigrun und der mittelalten Männer Arvo und Enn. Chronologisch, mit gelungenen kursiv gedruckten Einschüben zu prägenden Erlebnissen aus der Vergangenheit. Beleuchtet werden einerseits Liebe, Begehren, Eifersucht, Kultur, Sehnsüchte, Statusdenken und psychische Traumata, andererseits Auswirkungen von Parteientscheidungen und russischer Einflussnahme.

Emotionen werden auf bodenständige Weise vermittelt. Alle Figuren haben ihre Fehler und Macken. Man kann sich hineinversetzen. Erlebnisse und Empfindungen wirken authentisch. Es dominiert eine Stimmung der Melancholie und des Bedauerns, mit Lichtblicken und Ausblicken auf eine mögliche bessere Zukunft. Arvo ist meine Lieblingsperspektive.
Naturgeprägte, bescheidene Orte anstatt die große Weltbühne stehen im Fokus. Wenn demgegenüber Veranstaltungen mit Glamour stattfinden, wird der Kontrast deutlich. Die Atmosphäre ist gut spürbar.

Kleine Schwächen sehe ich darin, dass die Geschichte tempo- und actionarm ist und die Spannungskurve schwankt. Die Sogwirkung hängt von der Offenheit und Wissbegierde der/des jeweiligen Lesenden ab. Der Tonfall wirkt manchmal etwas bieder. In neueren Werken versteht sich die Autorin auf einen direkteren Zungenschlag.

Meine Kenntnisse und mein Verständnis rund um die Geschichte, Kultur und Lebensart Osteuropas haben sich mithilfe der Romane von Ira Habermeyer und Silvia Hildebrandt nachhaltig verbessert. Dabei hilft auch ein Glossar. Ich habe dank der vermittelten Leidenschaft zudem Lust bekommen, Land und Leute persönlich kennenzulernen.
Vor dem Hintergrund des Tagesgeschehens rund um die Ukraine wirkt das Buch brandaktuell.

Das Hardcover-Buch mit Lesebändchen hinterlässt einen hochwertigen Eindruck.

Band 1 der „Himmel-Erde-Schnee–Saga“ endet offen. Erkennbar werden die tiefgründigen Hauptfiguren so in Stellung gebracht, dass Band 2 der Dilogie eine fulminante Weiterentwicklung auf persönlicher und politischer Ebene erwarten lässt. Ich freue mich drauf. Bewertung: 4 Sterne +

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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.10.2021

Intensiver Thriller um abgründige Familiengeheimnisse in bedrückender Atmosphäre

Das Tagebuch der Jenna Blue
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Dieser Thriller ist besonders und wirkt gefühlsmäßig intensiv. Der Erzählstil ist bildhaft und atmosphärisch dicht. Einerseits märchenhaft, andererseits melancholisch und der Realität entrückt, spielt ...

Dieser Thriller ist besonders und wirkt gefühlsmäßig intensiv. Der Erzählstil ist bildhaft und atmosphärisch dicht. Einerseits märchenhaft, andererseits melancholisch und der Realität entrückt, spielt er aber tatsächlich in einer Gegenwart ohne Magie. Die Einordnung des Verlags als Jugendroman teile ich nicht. Erzählt wird in der Vergangenheitsform aus der Ich-Perspektive der 17-jährigen Jenna. In kursiver Schrift sind Tagebucheinträge eingebettet. Die erste Hälfte ist dermaßen düster, schwermütig und wirkt so belastend, dass ich mich fragte, ob eine Trigger-Warnung angebracht wäre. Ich brauchte als erwachsene gestandene Persönlichkeit Unterbrechungen mit leichterer, aufheiternder Lektüre, damit es nicht emotional runterzieht oder ich schlecht schlafe. Bei Jugendlichen, die haufenweise mit Ansätzen von Depressionen, Minderwertigkeitsgefühlen, Zukunftsängsten, unerwidertem Eifer um Zuneigung und Zugehörigkeit usw. zu kämpfen haben, könnten sich ebensolche hier behandelte und mit starken Gefühlen unterlegte Themen noch stärker negativ auswirken.
Anstrengend ist, dass der Kern der Handlung anfangs schwer zu greifen ist. Man steht vor vielen Rätseln: Warum sind die Schwestern so unterschiedlich? Was ist in ihrer Familiengeschichte schiefgegangen? Welche Ziele verfolgen die Figuren?
Mittig gibt es Bekanntschaften, die sowohl die Stimmung als auch die inhaltliche Richtung angenehm erhellen. Ab da war ich voll dabei. Nachdem ich mich anfangs mit Schwierigkeiten darauf eingelassen hatte, war ich fasziniert und spürte die Spannung, sodass ich immer weiterlesen wollte und nach Antworten gierte.
Vieles ist anders als es anfangs schien. Ich liebe die Grauschattierungen in der Charakterzeichnung. Die Spannung steigert sich mit mehreren spektakulären Erkenntnissen und Wendungen bis zu einem fulminanten, schockierenden Ende, das die aufgeworfenen Fragen grandios beantwortet.
Einige besonders düstere, bedrohliche und mit emotionaler Wucht erzählte Szenen schufen bei mir Assoziationen zum Film „The Gift – Die dunkle Gabe“ mit Keanu Reeves, Cate Blanchett und Katie Holmes. Fans der Liebes-Thriller von Mila Olsen, die ebenfalls Grenzerfahrungen junger Frauen und Themen wie Verlust und Vergangenheitsbewältigung in den Mittelpunkt stellen, könnten diesen Roman mögen.
Herzlichen Dank für die im Anhang enthaltenen sympathisch wiedergegebenen Erklärungen von Julia Adrian. Eine mir bis dato unbekannte Autorin, die ich gern weiterverfolge. Großes Lob für das Cover an Alexander Kopainski. Es fängt die Stimmung und den Inhalt perfekt ein und begeisterte mich für diesen Roman, der genremäßig nicht in mein Beuteschema gehört.
4,5 Sterne und Leseempfehlung - für Erwachsene, die große Gefühle und etwas Besonderes suchen.

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Veröffentlicht am 16.06.2021

Informativ, mit rotem Faden und großartiger Verortung – gelungener Abschluss der Familiensaga

Erntejahre
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Dieser Band 3 von 3 schlägt einen beachtlichen Bogen von der Nachkriegszeit bis ins 21. Jahrhundert.
Es ist eine Familiensaga mit historischen/zeitgenössischen Zügen und Coming-of-Age.
Band 1 legt den ...

Dieser Band 3 von 3 schlägt einen beachtlichen Bogen von der Nachkriegszeit bis ins 21. Jahrhundert.
Es ist eine Familiensaga mit historischen/zeitgenössischen Zügen und Coming-of-Age.
Band 1 legt den Fokus auf Constanze, Band 2 auf ihre Tochter Eva, Band 3 auf deren Tochter Bettina.

Den Stammbaum zu Beginn finde ich als Nachschlagewerk super. Kleine Spoiler sind enthalten.
Der Abschlussband heilt erfreulicherweise Nachteile von Band 2. Ich war insbesondere traurig über die Informationslücke rund um den Kontakt in die DDR. Dies wird nun nachträglich erzählt. Das Hin- und Herspringen zwischen den Zeiten und den Perspektiven macht das Lesen nicht ganz einfach, aber ich fand diesen Erzählstil bereichernd, zudem abwechslungsreich. Ich hatte kein Problem bei der Orientierung.

Für mich liegen die allermeisten geschilderten historischen Ereignisse vor meiner Geburt: Grenzschließung, Attentat im olympischen Dorf in München, 68er-Bewegung, RAF, Wiedervereinigung, … Der Schnelldurchlauf durch die Jahrzehnte trägt dazu bei, Wissen zu schaffen oder zu verfestigen. Weder fühlte ich mich gehetzt noch empfand ich es als trocken. Sinnieren, Beziehungen und Emotionen sind präsent. Dank des beruflichen Weges der im Mittelpunkt stehenden Figuren fügen sich die wertvollen Eindrücke zur Zeitgeschichte selbstverständlich in Querelen um Liebe, Selbstfindung, Vergangenheitsbewältigung usw. ein.

Die Figuren sind sympathisch. Bloß ging es manchmal zu schnell, zu glatt oder zu vorhersehbar, um mitfühlen zu können. Hier und da wären mehr Ecken und Kanten nicht verkehrt, das Gutmenschentum ist in der Familie halt sehr verbreitet.

Begeistert hat es mich, das Erscheinungsbild meiner Heimatstadt Braunschweig erspüren zu können, indem oft Straßen, prägnante Bauwerke, Topographie und Geschäfte - teils vergangen, teils heute noch existent oder für aktuelle Stimmungslagen und Diskussionen relevant - stimmig in die Handlung eingebunden sind.

Das Ende beantwortet alle Fragen und rundet gelungen ab. Ich vergebe 4 Sterne mit Tendenz zu 5 Sternen für den Abschlussband und für die gesamte Trilogie.

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