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Veröffentlicht am 29.05.2023

Hawthorne ermittelt - diesmal auf Alderney

Wenn Worte töten
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"Wenn Worte töten" (A line to kill im Originaltitel) von Anthony Horowitz erschien (2023, HC, geb., 329 S.) im Insel-Verlag. Es ist der dritte Kriminalroman, in dem der frühere Scotland-Yard-Inspector ...


"Wenn Worte töten" (A line to kill im Originaltitel) von Anthony Horowitz erschien (2023, HC, geb., 329 S.) im Insel-Verlag. Es ist der dritte Kriminalroman, in dem der frühere Scotland-Yard-Inspector und jetzige Privatermittler Hawthorne seinen (gewohnt zuweilen recht witzigen) Auftritt hat: Die Besonderheit hier lag für mich darin, dass Hawthorne, also eine Romanfigur, hier personalisiert wurde und mit dem Autor auf eine literarische Reise geht, die plötzlich zu einer mörderischen wird:


Beide (der Autor und Hawthorne) erhalten eine Einladung zum Literaturfestival auf Alderney, der kleinen Kanalinsel, die friedlich ist und auf der es nie zuvor einen Mord gab: So fliegt man mit den beiden gemeinsam auf die Insel; erlebt stellenweise die Lesungen und Vorträge mit und kann sich ein Bild von den weiteren Schriftstellern machen, die hier angetreten sind; teils mit schweren Koffern in der Hoffnung, viele Bücher zu verkaufen: Da sind Marc Bellem, ein TV-Koch, der auf Kalorien pfeift und Deftiges zubereitet mit seinem neuen Buch und der Assistentin Kathryn, die er für kleines Geld kurz zuvor anheuerte. Da ist der Inselhistoriker Elkin und die französische Lyrikerin Maissa Lamar sowie die Kinderbuchautorin Anne Cleary, die kürzlich eine üble Scheidung hinter sich brachte. Weiterhin gibt es die "blinde Seherin" (Buchtitel 'Blind Sight, Dark Sight' etc., mit der wir später eine Séance erleben sollen. Sponsor des Festivals ist der Inselmäzen Charles le Mesurier, der steinreich ist und sich eine Villa in der Nähe alter Bunkeranlagen aus dem 2. Weltkrieg hat bauen lassen: Er hat seine Finger überall im Spiel und seine Frau Helen gibt dieses nach Gusto beim Shoppen in Paris und sonstwo gerne wieder aus: Eine neue Stromtrasse spaltet die Inselbewohner; auch hier will Charles, dass diese gebaut wird, da er sich Profit davon verspricht; andere sind sehr dagegen, da sie mittels Umspannwerken etc. die Insel verschandeln würde - und was noch schlimmer ist, direkt über einem Massengrab aus dem 2. WK verlaufen soll, in dem auch so mancher Großvater der Inselbewohner seine letzte Ruhe fand.


Bei der Party in der Villa von Charles, die sich dem Literaturfestival anschließt und zu der alle eingeladen sind, kommt es zum Eklat: Charles wird übel zugerichtet und mausetot von seiner Ehefrau Helen gefunden: Der kriminalistische Spürsinn von Hawthorne und dem Autor sind geweckt: Motive finden sich zuhauf, da Charles ein menschliches Ekelpaket gewesen ist, das sein Geld im Online-Glücksspiel machte und selbst über Leichen ging: Doch wer von den Anwesenden hat das plausibelste Mordmotiv?


Dies gilt es nunmehr herauszufinden und die Überlegungen und Nachforschungen der beiden erinnern stark an einen unaufgeregten aber dennoch spannenden 'crime noir' à la Sherlock Holmes oder Agatha Christie: Immer wieder gleitet einem beim Lesen ein Schmunzeln ins Gesicht, da der Schlagabtausch zwischen Hawthorne (der sich selten in die Karten gucken lässt und z.B. ungern mit anderen speist) und dem Autor zuweilen gnadenlos - und sehr witzig ist. Genau dies macht den atmosphärischen und eher ruhig gehaltenen Schreibstil von Horowitz für mich aus; der es auch an weiteren Leichen (und Rätselhaftem) nicht mangeln lässt.


Fazit:


Eine witzige Kriminalromanidee, bei der die Buchfigur Hawthorne personifiziert wird und gemeinsam mit dem Autor ein Literaturfestival besucht, das einen mörderischen Verlauf auf einer sonst sehr friedlichen Insel nimmt: Es ist nicht der stärkste Kriminalroman in der Reihe "Hawthorne ermittelt" für mich, jedoch absolut lesenswert für Krimifans, die einen ruhigen Handlungs- und Spannungsaufbau lieben - ebenso wie kriminelle, wahre, gesellschaftliche Hintergründe, die auch hier zu denken geben. Von mir erhält "Wenn Worte töten" 3,5 * und ich freue mich bereits auf Neues von Anthony Horowitz!

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Veröffentlicht am 20.06.2022

Ein ganz besonderer Handel - Schöne Märchenadaption aus Schottland

Donald MackIntosh - Im Zeichen des Gevatters
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"Donald MackIntosh - Im Zeichen des Gevatters" von Daniela Vogel erschien (tb, 2022) im Nova Verlag, in dem weitere Romane im Fantasy-Bereich angesiedelt, von ihr bereits erschienen sind.

Für mich war ...

"Donald MackIntosh - Im Zeichen des Gevatters" von Daniela Vogel erschien (tb, 2022) im Nova Verlag, in dem weitere Romane im Fantasy-Bereich angesiedelt, von ihr bereits erschienen sind.

Für mich war es das erste Buch, das ich von Daniela Vogel gelesen habe - und "Im Zeichen des Gevatters" hat mich aufgrund des selten schönen Covers magisch angezogen, das ich aus der keltischen Mythologie kenne und das sich Triskell nennt.

So hat auch das Amulett seiner geliebten Seamnhair (Großmutter), das Donald bei ihrem Tod von ihr erhält, eine Bedeutung, die sich im Laufe der Geschichte zeigen sollte. Donald MackIntosh ist Holzsammler und lebt mit seiner Großmutter in sehr ärmlichen Verhältnissen in den schottischen Highlands. Nichts wünscht er sich mehr, als seinem Leben eine neue Perspektive zu geben; mehr zu erreichen, als von der Hand in den Mund zu leben. Eines Tages begegnet ihm ein "Fremder", der sich später als niemand Geringerem als dem Gevatter Tod selbst, einen Handel vorschlägt, der sich für beide Seiten lohnen sollte: Nach reiflicher Überlegung geht Donald auf das seltsame Angebot ein und wird mit Unterstützung des Gevatters zum besten Medicus in Alba (Schottland). Will, sein Studienfreund und Assistent, behandelt viele Patienten mit ihm gemeinsam, die zahlreich zu dem bekannten Medicus strömen. Auch die Königin selbst, Margaret Tudor, sucht eines Tages seine Hilfe - die Donald nicht ablehnen kann, da es sich um die Regentin handelt: Auf diesem Wege lernt er ein sehr eigenwilliges, intelligentes Mädchen kennen, Allison - und sein größter Wunsch, sein Leben mit ihr zu teilen als Mann und Frau, geht in Erfüllung: Doch schafft Donald (nun Medicus, früher mit einer Hucke auf dem Rücken) es, den Gevatter niemals zu hintergehen? Denn wenn dies geschieht, wird er bis in die Ewigkeit als dessen Begleiter fungieren.....

Meine Meinung:

Der Autorin gelingt es sehr gut, ein bekanntes schottisches Märchen ("Donald mit der Hucke") zu adaptieren; das Märchen so umzuwandeln, dass es eine Mischung aus Fantasy, Märchen und auch ein wenig historischem Roman ergibt. Die beiden HauptprotagonistInnen sind sehr sympathisch und gerne liest man deren Geschicke weiter; Donald ist intelligent, reinen Herzens und hat im Beruf des Medicus seine Bestimmung gefunden; anderen zu helfen. Allison möchte ihrer Schwester Beth gerne helfen, die als Kind durch einen Reitunfall körperlich sehr beeinträchtigt ist und deren Vater es aufgrund dessen schwer fällt, einen geeigneten Heiratskandidaten für sie zu finden. Will ist etwas forscher als der sehr zurückhaltende, schüchterne Donald und es ist natürlich schön, die Annäherungen dieser sympathischen Figuren mitzuerleben. Der Gevatter taucht immer wieder auf - ebenso wie der Todesengel;, der das Ableben des Kranken verkündet, wenn er am Kopfende des Bettes steht - und das Weiterleben, wenn er am Fußende des Kranken zu sehen ist (natürlich nur für Donald, andere sehen ihn nicht).

Wird es Donald gelingen, dem Gevatter durch eine List ein Schnäppchen zu schlagen? Hier darf sich der Leser/die Leserin überraschen lassen!

Positiv empfand ich auch die Einflechtung von schottischer Geschichte; die atmosphärische Dichte und das Gefühl, in einem Märchen abzutauchen, denn ich habe seit langer Zeit keine Märchen mehr gelesen. Die Handlung war dennoch für mich etwas absehbar, was ein wenig die Lesespannung nahm; den Plot hingegen fand ich sehr stimmig - und hätte mit dieser Wendung keinesfalls gerechnet.

Fazit:

Eine literarisch gut umgesetzte Adaption eines schottischen Märchens, das Fantasy- Märchen- und Historienanteile hat inklusive einer Prise Mystery: Eine gute Mischung, wie ich finde und dessen Zauber ich gerne weiterempfehle; allen Fans von Romantik, Märchen und von Schottland! 4*

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Veröffentlicht am 27.03.2022

Nicht der stärkste O'Malley-Krimi, aber lesenswert

Alle Schuld will Sühne
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"Alle Schuld will Sühne" von Carolin Römer (tb, erschienen 2021 im Conte-Verlag, 264 S.) ist bereits der 6. Fall in der Reihe "Fin O'Malley", dem Ex-Polizisten, der mehr per Zufall ins irische Dörfchen ...

"Alle Schuld will Sühne" von Carolin Römer (tb, erschienen 2021 im Conte-Verlag, 264 S.) ist bereits der 6. Fall in der Reihe "Fin O'Malley", dem Ex-Polizisten, der mehr per Zufall ins irische Dörfchen Foley geraten ist - und von diesem nicht mehr loskommt (bzw. -will). Warum das so ist, brauche ich KrimileserInnen, die die Reihe wie ich mit einigem Vergnügen (und viel irischer Landeskunde und Irland-Flair) verfolgen, nicht zu erzählen. Andere mögen es sich gerne erlesen, da Kriminalromane am besten immer chronologisch gelesen werden (meine Empfehlung der gesamten Reihe). Der 6. Fall stellt Fin wieder einmal vor Herausforderungen, aber er wäre nicht Fin, würde er diese nicht lieben.


Als Koch, dessen ohnehin schon sehr begnadeten Künste es bis weit über die irische Grenze schafften, hat sich Fin O'Malley einen Namen gemacht. Nachdem er ein Seminar bei dem bekannten TV-Koch unternommen hat - und ein lukratives Angebot aus seiner Liebe zu Foley ausgeschlagen hatte - kehrt er zurück, um Isobel in der Küche des "Fisherman's Pub" tatkräftig zu unterstützen. Durch seinen Job in der Küche des Dorfpubs kennt er natürlich auch viele Farmer, wie z.B. "Mrs. B." - Rose Butler, die Fin mit Rindfleisch, auf der eigenen Weide aufgezogen, versorgt. Doch Fin hat nicht nur Gäste aus dem Dorf, sondern es kommen immer mehr Menschen von weither, was wiederum nicht alle Dorfbewohner belustigt: So ist Connor wütend. Sehr wütend. Sein jüngster Sohn Toíbi wurde unlängst fast von einem der Pubgäste des Fisherman's überfahren!


Eine alte Bekannte dieser Cosy-Crime-Reihe, die im sagenumwobenen und wunderschönen Irland verortet ist, treffen wir hier wieder: Nora Nichols, die kräuterkundige alte Frau, die von allem und über jeden alles weiß, teilt Fin mit, dass Connor wütend auf ihn ist (sie ist auch Feenbeauftragte und hat ein Elfenhaus in ihrem Garten). Wovor Nora aber besonders warnt, sind die Kobolde, denn mit denen ist nicht zu spaßen!


Kurz nach seiner Rückkehr ins Dorf erreicht Fin die schreckliche Nachricht, dass Rose Butler inmitten ihrer Weide von wohl in Panik geratenen Rindern zu Tode getrampelt wurde: Da er Mrs. B. gut kannte, macht Fin sich selbst ein Bild - und da er wie gewohnt zweimal hinschaut, fallen ihm einige Ungereimtheiten auf: War es wirklich ein Unfall der erfahrenen Rinderzüchterin, die ihre Tiere gut kannte - oder war es Mord?

Er äußert diesen Argwohn Caitlin da Silva, ihres Zeichens beste Polizistin der Garda und eine gute Freundin von Fin (allerdings emotional oftmals unnahbar), die zwar nicht viele Möglichkeiten hat, einzugreifen, da es offiziell ein Unfall ist; jedoch Fin nur zu gut kennt, wenn an einer Sache etwas zum Himmel stinkt...

So werden sie und Bambi (Spitzname des jungen Eoin, erst seit Kurzem bei der Garda, aber sehr ehrgeizig und intelligent) zur Beobachtung von ihrem unausstehlichen Polizeichef auf diese und jene Farm geschickt, um diese zu observieren: Immer wieder kommt es zu Viehdiebstählen, die einer polizeilichen Aufklärung bedürfen.


Carolin Römer hat auch diesen Kriminalfall wieder mit sehr viel Irland-Atmosphäre ausgestattet und ausser Landeskunde auch einige Probleme kritisch beleuchtet, was den Krimi wieder einmal in meinen Augen aufwertet: So geht es um den Brexit und die Auswirkungen auf irische Firmen; auf Konzerne, die mit oft dreisten Mitteln versuchen, Land aufzukaufen (auch Rose Butler wurde ein Angebot gemacht!) und auch Korruption bei Polizeibehörden (auch hier stinkt oftmals der Fisch vom Kopf her). Gewürzt wird der Krimi auch mit den Ideen von Fin, das nächste Gourmet-Festival betreffend und auch die Speisekarte des Fisherman's. Hier muss ich leider sagen, dass mir dies zuweilen etwas "zuviel des Guten" war - auf andere mag dies aber auch köstlich wirken. Dennoch versteht es die Autorin, die frühere Profession des Polizisten mit der neueren (Koch) von Fin O'Malley in diesem Band genial zu verknüpfen: Er ist irgendwie beides. Und das aus Leidenschaft. Da auch in einem Cosy der Showdown höchst gefährlich werden kann, verfolgt man diesen hier auf der Farm Rose Butler's, wo der Fall dann stimmig (und auch nachdenklich machend) aufgeklärt werden kann.


Fazit:


Etwas schwächer als die Vorgänger widmet sich der nun mehr und mehr zum Spitzenkoch gewordene Fin O'Malley dem Tod seiner Rindfleischlieferantin, Mrs. Rose Butler: Wie die Vorgänger handelt es sich nicht nur um einen lesenswerten und recht spannenden Cosy-Krimi, er enthält auch viel Irland-Flair mit Figuren wie Nora Nichols und atmosphärisch beschriebenen Orten und Landschaften. Wer ein Fan von Fin O'Malley ist (oder es noch werden will), dem sei verraten, dass er jetzt eine eigene Homepage hat! Von mir erhält der 6. Band der Reihe 3,5 *

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Veröffentlicht am 29.11.2021

An der Seite von Grace durch ein hungerndes Irland (1845-49)

Grace – Vom Preisträger des Booker Prize 2023 ("Prophet Song")
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"Grace" von Paul Lynch erschien (HC, gebunden) 2021 im Verlag Freies Geistesleben/Oktaven und umfasst 550 Seiten.


Irland, 1845 zur Zeit der großén Hungersnot


Grace, die Hauptprotagonistin dieses Romans, ...

"Grace" von Paul Lynch erschien (HC, gebunden) 2021 im Verlag Freies Geistesleben/Oktaven und umfasst 550 Seiten.


Irland, 1845 zur Zeit der großén Hungersnot


Grace, die Hauptprotagonistin dieses Romans, wird von Sarah, ihrer Mutter, die ihr 5. Kind erwartet, aber längst nicht mehr weiß, wie sie ihre Kinder sattbekommen soll, in Jungenkleidung als 14jähriges Mädchen weggeschickt, um selbst für ihr Essen und ihren Unterhalt zu sorgen.


Die Ernte wurde vernichtet durch sehr viel Regen und die Zeit der Hungersnot, die viele Iren z.B. nach Amerika auswandern ließ und auch eine Million an Hunger starben zwischen 1845 und 1849. Dies ist der zeitliche Rahmen, in der dieser Roman spielt, der sehr lesenswert, aber auch keine leichte Kost ist:


Colly, der 2 Jahre jüngere Bruder von Grace, wollte sich ihr unbedingt anschließen und später sollte Grace immer wieder Zwiegespräche mit ihrem Bruder halten. Der Leser beginnt also mit Grace seine Reise von Blackmountain an, wo Grace im Norden Irlands aufwuchs, um Richtung Süden zu wandern. Wir begegnen vielen Menschen, die sich hungernd durch die Straßen schleppen und versuchen, woanders ein Auskommen zu finden. Zerlumpte und ausgemergelte Gestalten, die oftmals nichts Gutes im Schilde führen, um zu überleben.


So lernt man an Grace's Seite einen Mr. Soundpost und Clackton sowie andere kennen, die durch eine Verwechslung Grace für Tim halten. Ein Glück für sie, da sie nun für Mr. Soundpost vierzig Kühe zu einem Ort bringen soll und abends Milch und Mehlfladen für ihre Arbeit bekommt. In Gedanken ist ihr Bruder Colly immer dabei; er ist oftmals ihre innere Stimme und die Zwiegespräche sind wie die zweier Kinder oder Halbwüchsiger zu lesen. Der Autor verzichtet komplett auf die direkte Rede, was das Lesen jedoch zuweilen etwas mühsam macht.

Allerdings ist der Schreibstil von Paul Lynch auch poetisch, bildhaft und sehr atmosphärisch: Immer wieder werden irische Landschaften wunderschön beschrieben, so dass man sich einem gewissen Sog, mit Grace auf Wanderschaft zu sein - mitsamt ihren Gefahren, aber auch ihren Beschützern und Weggefährten - nicht entziehen kann.


Grace selbst ist ein kluges, intelligentes Mädchen, das während ihrer Wanderschaft zur Frau reift und ein John Bart, der später ihr Beschützer sein sollte, gerade zur rechten Zeit kommt: Er ist an ihrer Seite, zeigt ihr, wie man mit dem Messer richtig umgeht und auch ein alter Mr. Blister, mit dem sie sich eine Scheune teilt, erteilt ihr wertvolle Ratschläge und Tipps zum Überleben.


Grace fühlt sich wie jemand, der "aus seinem alten Leben rausgerutscht ist - und die, die sie einmal war, verloren hat" (Zitat S. 104). Als Leser ist die Begleitung von Grace auf ihrer Wanderschaft durch das verarmte, hungernde Irland eine Herausforderung; einzig ihr Überlebenswille und auch Hoffnung sowie ihre Klugheit bewahren sie davor, zugrunde zu gehen wie so viele andere Menschen um sie herum. Lynch entwirft eine gespenstisch anmutende Landkarte dieser Hungersnot mit all ihren Schrecken, die man sich (so man Hunger noch nicht erleben musste) heute schwerlich vorstellen kann. Er beschreibt die Folgen der Ernteausfälle und die schrecklichen Auswirkungen auf die Menschen in unbeschönigenden Bildern bis hin zu Andeutungen des Kannibalismus, der vom Überlebenswillen des Menschen gefördert wird.


Geister der Toten stehlen sich immer wieder in Grace's Leben, z.B. Mary Bresher, die beim Überfall auf ihre Kutsche gemeinsam mit ihrem Mann umkam. Das tägliche Sterben wird fast schon ironisch folgendermaßen beschrieben:


"Der Teufel hat hier rumgetrödelt auf den Straßen, die nach Westen führen, und hat in jeder Ortschaft seinen Hut gelüpft". (Zitat S. 379)


Gegen Ende des Romans gibt es ein sehr forderndes, verstörendes Kapitel, in der die Realität im Hungerwahn verschwimmt, es endet mit zwei schwarzen Seiten - vor dem Licht. Wieder bekommt Grace einen anderen Namen und durchschaut trotz aller Schwäche, sie ist dem Tod gerade nochmal von der Schippe gesprungen bzw. wurde von einem Father gerettet, dessen Hintergründe. Menschlichkeit taucht auch hier und da in helfender Form auf, über die man sich mit Grace sehr freut: Dr. John Allender meint es gut mit ihr und versorgt sie mit Münzen, Stiefeln und einem Cape, da über weite Strecken im Buch die Kälte ein Geselle des ständigen Hungers ist.


Ihr Weg führt Grace zurück zu ihrem Heimatort, den sie anders vorfindet, als sie es sich mit Sicherheit erträumte; sie ist inzwischen fast 19 Jahre alt und ein sanfter Mann taucht auf, der einer verstummten jungen Frau ein Haus am Fluss baut, die mit ihrer Vergangenheit ringt, bei der sich Traum und Wirklichkeit noch immer verwischen bis sie loslässt - um im Hier und Jetzt mit Mann und Kind zu leben, dem Licht entgegen.


Fazit:


Ein verstörender, aber auch sehr poetischer Roman über eine junge Frau während der großen irischen Hungersnot (1845-1849), die viele Menschenleben forderte. Lynch beschreibt diese Zeit durch die Augen von Grace mit großer Sensibilität, sprachlicher Versiertheit und Klugheit, die aus vielen Sätzen spricht. Elend, Armut und Hunger bekommen ein grausiges Bild, das vor dem Auge des Lesers entsteht; die Handlung bezieht sich (ohne direkte Rede) immer auf die Perspektive der Hauptprotagonistin Grace. Einerseits gefiel mir der Roman gut, andererseits war er mir persönlich zuweilen zu langatmig und ausschweifend. Meine Bewertung liegt daher bei 3,5 Sternen.

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Veröffentlicht am 13.08.2021

Das mysteriöse Verschwinden der Leuchtturmwärter

Die Leuchtturmwärter
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"Die Leuchtturmwärter" der englischen Autorin Emma Stonex ist eine fiktive Story, die im Jahre 1972 und 1992 auf "Maiden Rock", einem Leuchtturm vor der Küste in Cornwall,verortet ist. Angelehnt ist der ...

"Die Leuchtturmwärter" der englischen Autorin Emma Stonex ist eine fiktive Story, die im Jahre 1972 und 1992 auf "Maiden Rock", einem Leuchtturm vor der Küste in Cornwall,verortet ist. Angelehnt ist der Roman an die wahre und bis heute nicht aufgeklärte Geschichte drei verschwundener Leuchtturmwärter, die auf der schottischen Insel Eilean Mòr im Jahre 1900 spurlos verschwanden. Erschienen ist der Roman (HC, gebunden, 430 Seiten) im S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2021.

Das im Roman dargelegte Szenario ist identisch mit der Geschichte aus dem Jahre 1900: 1972 kommt ein Boot zur Ablösung zum Leuchtturm, findet jedoch die Tür von innen verriegelt vor. Von den Leuchtturmwärtern Arthur, Bill und Vince fehlt jede Spur. In der Küche des Turms finden sich zwei Gedecke und äußerlich scheint alles in Ordnung. Zwei Uhren sind um dieselbe Zeit stehengeblieben: Was ist Arthur, dem Oberwärter, Bill und Vince zugestoßen?

Dieser Frage geht dieser stilistisch interessante Roman nach: Man lernt die drei Hauptprotagonisten Arthur, Bill und Vince in der Zeit der 70er kennen und - nach dem Verlust der Ehemänner, ihre Frauen Helen, Jenny und Michelle, die aus ihrer Sicht die Ereignisse von damals dem Journalisten Dan Sharp nach 20 Jahren Schweigens erzählen. Die Charaktere werden mit jeder Seite des Romans mehr offengelegt; wie Wellen, die an den Strand spülen, werden die Gedanken und auch einige Geheimnisse dem Leser nach und nach preisgegeben. Der sehr atmosphärische Roman, dessen weiterer Protagonist das Meer selbst ist, lebt von der Atmosphäre des Leuchtturms "Maiden Rock" und von vielen "Andeutungen", die Stonex in die Geschichten um Arthur und Helen, Bill und Jenny sowie Vince und Michelle eingeflochten hat. Mir kam es zuweilen vor, als ob ich eine Leine oder ein Schiffstau zugeworfen bekam, das ich jedoch nur millimeterweise zu fassen bekam: Bis zur Hälfte des Romans faszinierte mich dies; jedoch ab der anderen Hälfte war es mir dann etwas zuviel: Nicht immer war klar (eher selten), was Fiktion, Illusion, Wahnvorstellungen oder gar Realität ist. Die Konturen verschwammen trotz konzentrierten Lesens und einige Fragen wurden für meine Begriffe zwar aufgeworfen, aber nicht geklärt.

Die Themen sind sehr vielfältig: Es geht um Hoffnung, Verlust, Isolation, Geheimnisse, Sturm, Meer, Trauer, Liebe Einsamkeit und Rätsel. Es handelt sich m.E. um Beziehungsdramen, die sich durch viel Ungesagtes, Unausgesprochenes noch verschlimmern, was ich sehr bedauert habe. So waren mir Arthur und Helen als Figuren sehr sympathisch; auch Vince hatte meine Zuneigung und Michelle trat dann ebenso authentisch sehr viel später auf: 20 Jahre hatten die Frauen, die das gemeinsame Schicksal der Hinterbliebenen hätte einen können, nichts miteinander am Hut. Bis der Autor Dan Sharp auftrat, der der Wahrheit nochmals auf den Grund gehen wollte und die Frauen um Interviews bat. Seine Rolle war für mich eine sehr nachvollziehbare und positive, die mich erstaunt und auch ein wenig begeistert hat. In den Roman von Emma Stonex flossen aufgrund der sturmumtosten See, die oft sehr aufgewühlt war und dem Leser klar machte, dass die Arbeit auf einem Leuchtturm sehr hart und eher das Gegenteil von romantisch zu nennen war, auch mystische Elemente ein und das Ende hatte auch ein wenig 'mystery crime'. Durch die Zeitsprünge wurde auch eine anhaltende Spannung geschaffen. Am Nahesten gingen mir im Grunde die tragischen Verkettungen der jeweiligen Umstände, in denen sich Arthur, Helen, Bill und Jenny sowie Vince und Michelle befanden: So viel Ungesagtes, Unausgesprochenes....

Fazit:

Ein fiktiver, sehr interessant geschriebener Roman im Genre anspruchsvolle Literatur, der an den wahren Fall auf Eilean Mòr und dem Verschwinden dreier Leuchtturmwärter (1900) angelehnt ist; in dem jedoch einige Konturen für mich allzu verschwommen bleiben, um sich ein definitiv klares Bild von allen ProtagonistInnen machen zu können. Der Roman spürt jedoch auf gekonnte Weise Verlusten nach und was dies für die Hinterbliebenen bedeuten kann, wenn das Schicksal der Verlorenen unklar ist: Verluste können dann traumatisieren und trennen und verändern das Leben Hinterbliebener für alle Zeit.

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