Profilbild von Lesemaus-Hamburg

Lesemaus-Hamburg

Lesejury Star
offline

Lesemaus-Hamburg ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Lesemaus-Hamburg über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.03.2022

Wichtiges Buch

Die Optimisten
0

Die Optimisten
Rebecca Makkai
Übersetzerin: Bettina Abarbanell

Es hat fast 200 Seiten gebraucht bis es mich packte, ein paar Seiten später kamen mir zum ersten Mal die Tränen und dann ging es gemeinsam ...

Die Optimisten
Rebecca Makkai
Übersetzerin: Bettina Abarbanell

Es hat fast 200 Seiten gebraucht bis es mich packte, ein paar Seiten später kamen mir zum ersten Mal die Tränen und dann ging es gemeinsam mit ihm, im freien Fall, nach unten, bis zum Grund.

Sein Name ist Yale und er ist Kunstexperte in Chicago. Er sieht gut aus, er ist gebildet und ich möchte diesen coolen, schwulen Typen zum besten Freund haben. Mit ihm reden, feiern und lachen, aber ich merke ganz schnell, dass es keine lustige Geschichte mit ihm wird: Er hört nicht auf mich, schreibt meine Warnungen in den Wind. Und so bewegen wir uns gemeinsam in eine Richtung. Wir laufen auf etwas ganz schlimmes zu, etwas, dass erst seit kurzem einen Namen hat: AIDS.
1985 erlebt Yale, wie sein ganzer Freundeskreis von einem Virus beherrscht wird.

Der zweite Erzählstrang spielt 2015: Fiona reist nach Paris um ihre Tochter Claire zu finden, die seit Jahren untergetaucht ist. Vor ein paar Jahren war sie noch Mitglied einer Sekte, aber auch dort ist sie unauffindbar.


„Wenn er nicht gestorben wäre, hätten unsere Wege sich bald getrennt. Er hätte ein Leben draußen in der Welt geführt, wäre mir aus dem Sinn geraten. Aber wenn jemand tot ist und niemand außer einem Selbst sein Andenken hauptsächlich bewahrt, dann wäre es doch eine Art Mord, ihn loszulassen, oder? Ich habe ihn so geliebt, selbst wenn es eine komplizierte Liebe war, und wo soll all diese Liebe hin? Er war tot, also konnte sie sich nicht verändern, sich nicht in Gleichgültigkeit verwandeln. Ich saß mit dieser Liebe fest.“ (S.463/464)

Fazit:

Das Buch spricht ein wichtiges Thema an, das auch in der heutigen Zeit nicht vergessen werden sollte. Es ist ein bewegendes und trauriges Buch, eines was einem mit gebrochenen Herzen zurücklässt. Es liest sich schnell und ist in einer angenehmen Sprache geschrieben. Insgesamt ein gutes Buch, dem 150 Seiten weniger gut gestanden hätten. 4 Sterne von mir.

An dieser Stelle möchte ich noch ein weiteres Buch zum Thema AIDS empfehlen, welches auch im @eiseleverlag erschienen ist: ’Sag den Wölfen, ich bin zu Hause’ von Carol Rifka Brunt ist für mich das beste Buch überhaupt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.03.2022

Ein anderes Hörbuch

Wir sind das Licht
0

Wir sind das Licht
Gerda Blees
Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing
Gelesen von C. Michels, J. Schümann, S. Mittelstädt und B. Fürmann

Elisabeth stirbt auf ihrer Luftmatratze. „Glücklich, sanft und ...

Wir sind das Licht
Gerda Blees
Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing
Gelesen von C. Michels, J. Schümann, S. Mittelstädt und B. Fürmann

Elisabeth stirbt auf ihrer Luftmatratze. „Glücklich, sanft und zufrieden ist sie entschlafen“, sagen ihre drei Mitbewohner aus der Wohngruppe "Klang und Liebe“ dem zuständigen Arzt.
Die Realität sieht aber anders aus: Elisabeth ist verhungert und deshalb werden die drei Mitbewohner Melodie, Muriel und Petrus verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen keinen Krankenwagen gerufen zu haben. Ja, schlimmer: Sie haben gar nichts unternommen um Elisabeth zu retten, ihr nicht einmal etwas zu Essen gegeben!
Melodie, Elisabeths Schwester, ist sich keiner Schuld bewusst. Sie ist der festen Überzeugung, dass es keinen Hilferuf gab und ihre drei anderen Bewohner waren ja auch davon überzeugt, dass man nur OHNE Nahrungsmittelaufnahme innere Reinheit erlangen kann. Dieses hat ihnen schließlich ein (gut genährter) Guru erzählt.

Das Spezielle an diesen Buch ist, dass nicht - wie man jetzt denken könnte - die Mitbewohner diese Geschichten erzählen, sondern Gerätschaften aus dem Haushalt, der Gefängniszelle und einzelne Körperteile. Da kommt z.B. das Brot, der Entsafter, die Stifte, die Demenz und das Cello zu Wort. Alle haben etwas zu erzählen. Ja, sogar Elisabeths Körper erzählt seine eigene Geschichte - und das mitten auf dem Obduktionstisch. Alle haben eine Meinung und eine eigene Sichtweise und ich stelle ab und zu fest, dass die Gegenstände versuchen mich, den Hörer, zu beeinflussen.
Doch am Ende bleibt die Frage:
Hat Melodie ihre Mitbewohner manipuliert und sogar zugelassen, dass ihre Schwester stirbt? Das müsst ihr selber herausfinden, denn der Kühlschrank war immer offen - Elisabeth hätte sich nur Essen herausnehmen müssen!

Gerda Blies hat hier wirklich ein gelungenes Roman-Debüt geschrieben. Die Idee mit den wechselnden Erzähler-Perspektiven ist unglaublich raffiniert und wurde sehr gut umgesetzt. Allerdings hat mich Melodies dominante Art und die Hilflosigkeit der Mitbewohner zwischendurch wahnsinnig genervt. Erwähnen möchte ich auch unbedingt die vier Sprecher, die dieses Hörbuch zu einem besonderen Erlebnis gemacht haben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.03.2022

War es wirklich ein großer Fehler?

Der große Fehler
0

Der große Fehler
Jonathan Lee
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence

Kennt ihr den Mann, der New York zu dem gemacht hat, was es heute ist? Ich meine den Begründer des 'Greater New York’s', der ...

Der große Fehler
Jonathan Lee
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence

Kennt ihr den Mann, der New York zu dem gemacht hat, was es heute ist? Ich meine den Begründer des 'Greater New York’s', der Mann, der für den Zusammenschluss der einzelnen Bezirke Brooklyn, Manhattan, Staten Islands (damals Richmond), Bronx und Queens, dem heutigen New York, wie wir es kennen, verantwortlich ist? Der Planer des Central Parks? Der Erbauer der New York Public Library? Er war Anwalt, Stadtplaner und Visionär. Bruder von zehn Geschwistern, geboren 1820, als Sohn einer armen Bauernfamilie.

Darf ich vorstellen:
Andrew Haswell Green. Er wird an einem Freitag, den 13., im Alter von 83 Jahren, auf offener Strasse erschossen. Zeugen gab es reichlich, den Täter verhaftete man umgehend. War es ein Versehen, ein geplanter Mord oder ein großer Fehler?
Inspector McClusky wird mit diesem Fall beauftragt.

Wer jetzt einen normalen Krimi erwartet, liegt hier völlig falsch. Es ist ein Roman. Fakten treffen hier auf Fiktion.
Lee erzählt die Geschichte Greens auf zwei Zeitebenen:
Die erste Geschichte beginnt bei Greens Tod und die andere bei seiner Geburt.

Lee schreibt in einer wundervollen Sprache, ich fühlte mich ins 19. Jahrhundert katapultiert, so müssen Gentlemen gesprochen haben, dabei kommt Lee vom Hölzchen aufs Stöckchen. Mal sind die Sätze kurz, mal wollen sie nicht enden, dabei ist er skurril, humorvoll, ernst und detailliert. Es ist ein anspruchsvolles Buch, eines was Zeit verdient.
Feine Literatur für alle, die sich mal auf einen 'großen Fehler' einlassen wollen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.03.2022

Ein Tag wie ein Leben

Man vergisst nicht, wie man schwimmt
0

Ein Tag wie ein Leben

Man vergisst nicht, wie man schwimmt
Christian Huber

‚‚Ich erinnere mich noch, dass mit einem Mal kein Prasseln mehr zu hören war. Das seltsamerweise das Erste, was mir einfällt, ...

Ein Tag wie ein Leben

Man vergisst nicht, wie man schwimmt
Christian Huber

‚‚Ich erinnere mich noch, dass mit einem Mal kein Prasseln mehr zu hören war. Das seltsamerweise das Erste, was mir einfällt, wenn ich an diesen Tag zurückdenke. Und wie eigenartig sich der Morgen anfühlte. Die Dämmerung. Verschobene Konturen, als blickte man durch Wasser.
Verzerrt von oben und erst dann klarer zu erkennen, wenn man schließlich untertaucht und unter Wasser die Augen öffnet.
Damals, an diesem 31. August 1999.
Da sind wir.
Jacky. Viktor. Ich.
Eine Freundschaft.
Eine Liebe.
Und ein Tod.
Und das ist die Geschichte.’'
(Tolino S.9)

Krüger ist 15 Jahre alt, ein wenig ‚verpicht' und Stubenhocker.
Er hasst den Sommer und früher wäre er bei dieser Hitze ins Freibad gegangen, aber heute geht das nicht mehr, denn er hat ein Geheimnis und deshalb kann er auch nicht mehr schwimmen gehen.
Also hilft er seinem besten Freund Viktor Zeitungen auszutragen, hängt ein wenig im klimatisierten Drogeriemarkt ab und wird ‚bäääääng‘ von einem rothaarigem Mädchen umgerannt, die mit einem frisch geklauten Nokia 3210 die Beine in die Hand nimmt.
Eigentlich könnte Krüger das egal sein, aber bei dem Sturz hat sich das Mädchen auch noch seinen Eastpak geschnappt.
Als sie dann das Mädchen finden und diese vor der Polizei warnen können, beginnt eine Freundschaft, die nur noch Stunden andauern wird.


Der Roman, der flüssig zu lesen ist, konnte mich meistens in seinen Bann ziehen.
Krügers Geschichten sind wunderbar: ’Der Junge und der Moloch’ war so ergreifend, dass ich ein kleines Tränchen wegblinzeln musste. Der Spannungsbogen war gut aufgebaut und das Ende gefiel mir sehr.
Allerdings hatte ich das Gefühl, das sich der Autor in der Zeit vergriffen hatte: 1999 und eine Polaroid-Kamera? Da hatten wir doch schon alle eine Spiegelreflex. Hollywood-Schaukel? Das waren doch eher die 70er…
Leider kam bei mir kein Flashback auf.

Fazit: Ein ‚verpichter' Roman, der ein wenig hinter meinen hohen Erwartungen blieb, wo ich mir aber vorstellen kann, dass er viele Leser begeistern wird. 4 Sterne.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.03.2022

Bewegendes Buch

Wodka mit Grasgeschmack
0

Ich habe euch ja bereits erzählt, dass ich nie die Buchbeschreibungen auf der Rückseite lese und als mich der Autor Markus Mittmann anschrieb, ob ich seinen Roman

Wodka mit Geschmack
Markus Mittmann

lesen ...

Ich habe euch ja bereits erzählt, dass ich nie die Buchbeschreibungen auf der Rückseite lese und als mich der Autor Markus Mittmann anschrieb, ob ich seinen Roman

Wodka mit Geschmack
Markus Mittmann

lesen und rezensieren möge, dachte ich, nach dem Cover zu schließen, es handle sich hier um einen ‚Coming of Age-Roman‘, einen Roman, mit wenig Tiefgang, wenngleich unterhaltsam.
Weit gefehlt! Hier verbirgt sich ein Roman mit Tiefgang. Es geht um Vergangenheitsbewältigung von einst vertriebenen Deutschen aus Schlesien.

Zu viert machen sie sich auf den Weg: Unser Protagonist mit seinem älteren Bruder und deren Eltern. Und obwohl sie das gleiche Ziel haben, fahren die Jungs nach Polen, während die Eltern gefühlt zurück in ihre Heimat nach Schlesien aufbrechen.

Der Vater, schon fast 90 Jahre alt, wollte nie zurück - hatte immer Angst davor zurückzukehren in das Land, das ihn nicht mehr haben wollte:
Zweimal ist er geflohen und hat sich versteckt - erst vor den Nazis, dann vor der Roten Armee. Aber er ist jedes Mal zurückgekehrt. 1946 konnte er nicht schnell genug fliehen und so haben sie ihn mit seiner Familie und vielen anderen Deutschen in einen Zugwaggon verfrachtet.Tagelang mussten sie zusammengepfercht in dem Waggon bleiben. Erst in Salzgitter durften sie aussteigen.
Als Vertriebener abgereist, als Flüchtling angekommen, einst Großgrundbesitzer, jetzt Aussätziger.

Und so fahren sie zurück, an genau jenen Orten, damit die Geschichten noch einmal erzählt werden.

,,Ich wollte sehen, wie alte Türen zufallen und es für meine Eltern eine Erleichterung gibt. Ich hatte mir ausgemalt, dass unsere Reise eine Versöhnung mit der Vergangenheit wird, dass irgendwelche Räume mit dunklen Inhalten geschlossen werden.'' (Seite 122)

Markus Mittmann schreibt in einer wunderbaren Sprache ein Stück Zeitgeschichte auf. Er hat hier ein eindringliches Buch über die Vertreibung der Deutschen in Schlesien, die ich so noch nicht kannte, geschrieben. Die Geschichten der Eltern haben mich sehr berührt.

Was ich weniger gelungen finde, ist der Titel und das Cover (obwohl ich das Cover für einen anderen Roman gemocht hätte). Es passt so überhaupt nicht zu einer Nachkriegsgeschichte. Ich glaube ein Cover mit einer Schwarz-Weiss Fotografie der Zeit hätte dem Erscheinungsbild des Buches gut getan. Ein weiteres Manko: Ich konnte nicht herausfinden, wann die Familie diese Reise unternommen hat. "Ford Taunus und VW Bora“... (waren das nicht die 80er?), "SMS geschrieben“ (jetzt sind wir Anfang 2000, oder?) und auf einmal berichtet der Autor von der Flucht des Vaters, welche vor 70 Jahren geschehen sein sollte - hiernach befänden wir uns im Jahr 2016, wo doch keiner mehr SMS schickt bzw. einen Bora auf der Strasse entdeckt. Verwirrend!

Dennoch eine absolute Leseempfehlung von mir für diejenigen, die Nachkriegsgeschichten lieben und mehr über die Vertreibung aus Schlesien erfahren möchten.
4 Sterne.

Ein Zitat, aktueller denn je: „Ich schaue meine Eltern an. Wie kann eigentlich jemand vom Gewinnen eines Krieges sprechen? Gewalt kommt immer zurück, trifft jeden und fragt nicht nach Schuld. Es gibt nur Opfer. Und nicht Deutsche, Polen oder Russen erlebten den Krieg, sondern Menschen mit gleichen Empfindungen. Die Welt von Ängsten, Trauer oder Wut kannte auch damals keine Grenzen. In allem lag die Zerstörung. Nur Leid und Verlust“. (Seite 219)

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere