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Veröffentlicht am 29.06.2022

feinste Satire

Ein Sommer in Niendorf
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Solche Leute gibt es wohl. Roth ist 50, Jurist und Zyniker aus Überzeugung. Zufrieden ist er nicht, aber wie kann man auch zufrieden sein, wenn einfach niemand weit und breit seinen Ansprüchen genügt. ...

Solche Leute gibt es wohl. Roth ist 50, Jurist und Zyniker aus Überzeugung. Zufrieden ist er nicht, aber wie kann man auch zufrieden sein, wenn einfach niemand weit und breit seinen Ansprüchen genügt. Die Menschen sind zu dumm, zu feist, zu hässlich, zu laut.

Er nimmt eine Auszeit in Niendorf an der Ostsee, wo er niemanden treffen wird und in Ruhe das Buch schreiben kann, was er schon lange schreiben wollte. Er wäre schon längst ein Bestsellerautor, wenn er nur irgendwann mal seine Ruhe gehabt hätte.

Roth zuzuhören ist wirklich unterhaltsam. Humor hat der Mann, das muss man ihm lassen, nur geht der ganz und gar auf Kosten anderer. Roth ist ein böses Lästermaul, ein fieses sogar, und obwohl man oft über seine despektierlichen Betrachtungen lacht, wünscht man ihm doch eine ordentliche Bauchlandung.

Das Hörbuch liest der Autor selbst und auch wenn man sich ein bisschen daran gewöhnen muss, hat man doch bald das Gefühl, niemand sonst könnte das je besser. Er hat einen ganzen Strauß skurriler Typen kreiert und macht sie lebendig, schnodderig, tumb, lässig, maliziös oder auch dummdreist, beherrscht er perfekt und singt sogar, wenn´s benötigt wird.

Dieses Buch ist feinste Satire, bissig, böse, aber sehr unterhaltsam. Der Plot ist die Spur erwartbar, aber ein großer Spaß ist es trotzdem.

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Veröffentlicht am 27.06.2022

Spannend und anrührend

Der Mann, der vom Himmel fiel
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Walter Trevis ist ein Autor mit ungewöhnlichen Ideen, und offensichtlich ein Spezialist dafür, die Situation von Ausnahmemenschen einfühlsam in Szene zu setzen. Nicht nur das, er kann sich auch in Aliens ...

Walter Trevis ist ein Autor mit ungewöhnlichen Ideen, und offensichtlich ein Spezialist dafür, die Situation von Ausnahmemenschen einfühlsam in Szene zu setzen. Nicht nur das, er kann sich auch in Aliens einfühlen, wie man hier lesen kann.

Ein Mann vom Planeten Anthena kommt auf die Erde und hat eine Mission. Er ist den Menschen intellektuell weit überlegen, versucht sich anzupassen und lässt sich dann aber vom allzu Menschlichen vereinnahmen, ein einsamer Alien mit Heimweh in der Zwickmühle. Das ist eine hoch spannende Geschichte, sogar eine Tragödie, die einen mitnimmt und viele Denkansätze liefert.

Der Planet Anthena ist am Ende, ausgetrocknet, sind wir auf dem gleichen Weg und wollen es nicht hören? Und wie sollte man damit umgehen, wenn man auf tatsächlich Aliens treffen würde?

Dieses Buch wurde in den 60er Jahren geschrieben und kommt einem trotzdem sehr aktuell vor. Es liest sich leicht und hat Sogwirkung, obwohl gar nicht so viel passiert. Mir hat es sehr gefallen.

Eine ungewöhnliche Geschichte, die anrührt, einfühlsam und spannend geschrieben, mit ein paar winzigen Längen.

Ich muss jetzt unbedingt noch die Verfilmung sehen.

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Veröffentlicht am 30.03.2022

Ökothriller mit Extras

Wo die Wölfe sind
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Dass es hilfreich zur Rettung des Klimas sein könnte Wölfe zu renaturieren, ist ein origineller Ansatz, der einleuchtet, wenn man darüber nachdenkt. Und wenn man auf der Seite des NABU nach diesem Thema ...

Dass es hilfreich zur Rettung des Klimas sein könnte Wölfe zu renaturieren, ist ein origineller Ansatz, der einleuchtet, wenn man darüber nachdenkt. Und wenn man auf der Seite des NABU nach diesem Thema schaut, erfährt man, dass sich Wölfe wieder in Deutschland ansiedeln und ist versucht zu glauben, dass das einem glücklichen Zufall geschuldet ist. Von Renaturierung wird da betont nicht gesprochen. Wie heikel, aber auch wichtig, dieses Thema ist, kann man in diesem Buch lesen.

Inti ist Wolfsbiologin und ist mit ihrem Team nach Schottland gefahren, um dort in den Wäldern Wölfe wiederanzusiedeln. Dabei ist nicht nur zu beachten, wie sich unterschiedliche Wolfsrudel untereinander arrangieren und mit der neuen Umgebung zurechtkommen. Auch die Bevölkerung, besonders die Landwirte, muss davon überzeugt werden, dass Intis Aufgabe wichtig ist und dass man vor Wölfen keine Angst haben muss. Das wird schwierig, als plötzlich ein Mensch getötet wird.

So weit ist die Geschichte spannend und interessant, es liest sich leicht und ist sehr einfühlsam geschrieben. Die Autorin würzt das Ganze aber wieder mit einer guten Portion Extradrama. Inti besitzt eine besondere Gabe, ihre Zwillingsschwester ist schwer verstört und spricht nicht, ihre Eltern sind Exoten, ihre Kindheit war ungewöhnlich, massenhaft Geheimnisse, die geklärt werden wollen. Das ist unterhaltsam, natürlich, aber braucht es wirklich so viel Deko, um eine Geschichte ernst zu nehmen, die uns ein ökologisches Thema nahebringen möchte? Können nicht auch ganz normale Menschen die Welt retten, oder, im Gegenteil, wäre das nicht interessanter?

Wie auch immer man das findet, Charlotte McConaghy hat Erfolg mit dieser Art von Büchern. Ich habe es gerne gelesen. Es hat mir die Augen geöffnet für ein Thema, über das ich noch nie nachgedacht habe, ich sehe jetzt Wölfe mit anderen Augen.

Ich ziehe einen Stern ab für ein bisschen viel Pathos und ein bisschen viel effektheischende Dramatik. (Das Ende… hat es in sich, zieht euch warm an!)

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Veröffentlicht am 17.03.2022

Beeindruckend und anstrengend

Maxwells Dämon
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Dieses Buch ist sehr besonders. Es hat mich genervt, amüsiert, geärgert, beeindruckt, gezwickt, gegruselt, manchmal auch gelangweilt, überrascht und verwundert.

Eine Zusammenfassung der Handlung ist schwierig, ...

Dieses Buch ist sehr besonders. Es hat mich genervt, amüsiert, geärgert, beeindruckt, gezwickt, gegruselt, manchmal auch gelangweilt, überrascht und verwundert.

Eine Zusammenfassung der Handlung ist schwierig, das Geschehen ist zu großen Teilen surreal. Thomas Quinn, ein glückloser Autor, der sich damit abgefunden hat, dass er im Schatten seines berühmten Vaters immer höchstens Drittklassisches verfassen kann, passieren plötzlich merkwürdige Dinge. Er bekommt einen Anruf von seinem toten Vater. Er könnte schwören, seine Stimme gehört zu haben. Außerdem erhält er eine Botschaft von Andrew Black, seinem großen Vorbild, der aber nach dem sagenhaften Erfolg seines Krimis aus der Öffentlichkeit verschwunden ist.

Thomas versucht, diesen Ereignissen auf den Grund zu kommen und erlebt dabei immer wieder Verstörendes. Er trifft Menschen, die er aus Romanen zu kennen meint, hat er Halluzinationen? Die Atmosphäre ist finster und gruselig und erinnert an Geschichten von Poe.

Dazwischen bekommen wir lange, kluge Exkurse zu Themen, die Thomas beschäftigen. Es geht um

Entropie in jeder Erscheinungsform, die verlorenen Bücher der Bibel, das Leben, die Liebe und die Frage, ob Ebooks Schuld am Weltuntergang sein könnten. Bisweilen wirkt es ein bisschen wie ein alptraumhafter Literaturkurs, manchmal physikalisch-philosophisch-anstrengend, dann wieder witzig, schräg und gruselig. Ich habe nicht alles verstanden, bin aber tief beeindruckt und habe mich auch köstlich amüsiert. Der Erzählstil ist wundervoll spitzfindig und herrlich ironisch. Nicht jede Erkenntnis, die wir hier erhalten, ist ganz und gar ernst gemeint, aber es bleiben an jeder Stelle Restzweifel. Im Gegenteil, man wird hineingezogen in Gedanken- und Handlungsstrudel, die zum Ende hin zeigen, wie eine Erzählung in entropischem Zustand aussieht.

Dieser Effekt ist im Hörbuch ganz besonders gut gelöst, wenn mit zunehmendem Wahn Stimmen übereinandergelegt werden. Am Ende weiß man gar nicht mehr, was man glauben soll.

Dieses Buch ist ein Erlebnis und eigentlich auch ein Ereignis, weil es so etwas nicht zweimal gibt. Trotzdem ziehe ich einen Stern ab für Mutwilligkeit. Manch kluger Gedanke dient sehr offensichtlich nur dazu, den Leser zu verwirren. Beispielsweise untersuchen wir den Bedeutungsgehalt der Möglichkeit, dass Moses in einem Korb aus Papyrus in die Welt trieb und bekommen Hirnverknotungen schon bei der Frage, warum wir uns diese Frage stellen müssen. Das ist schon fast dreist.

Ich habe zwischendrin mehrfach überlegt, warum ich mir das antue und ob ich das Buch lieber abbrechen sollte. Dann war aber doch die Frage „Was soll das denn?“ fesselnd genug, bis zum Ende durchzuhalten. Letztendlich bin ich froh, dass es vorbei ist, habe aber auch Einzigartiges erlebt und viel gelernt.

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Veröffentlicht am 29.01.2022

Tolles Buch mit schwierigem Mittelteil

Zum Paradies
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Dieses Buch scheint gerade jeder zu lesen und es scheint zu polarisieren. Ich bin tief beeindruckt, habe aber auch zwischendrin darüber nachgedacht, es abzubrechen. 890 Seiten über drei Jahrhunderte bieten ...

Dieses Buch scheint gerade jeder zu lesen und es scheint zu polarisieren. Ich bin tief beeindruckt, habe aber auch zwischendrin darüber nachgedacht, es abzubrechen. 890 Seiten über drei Jahrhunderte bieten Gelegenheit für vielfältige Eindrücke.

Drei eindrucksvolle Geschichten über 300 Jahre bilden fast so etwas wie eine Familiengeschichte, sogar die Geschichte eines Königshauses, nur ist der rote Faden sehr lose geknüpft.

Sie heißen David, Edward und Charles, immer und überall, haben Freunde, Geliebte und Geschwister, die Peter, Ezra oder Eliza heißen. Auch Norris und Aubrey spielen eine Rolle zu jeder Zeit. Das ist witzig und auch anstrengend, dieses Buch zupft am Nervenkostüm des Lesers, erzählt aber auch von Menschen, die einem nahegehen und die Schicksalhaftes erleiden.

Zu Anfang meint man, es würde eine alternative Vergangenheit entworfen, die Folgen haben muss. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind nach dem Sezessionskrieg gar nicht so vereinigt, wie wir es kennen. Es gibt sogar einen Freistaat, in dem man frei lieben und heiraten kann, wen man will, solange man die richtige Hautfarbe hat. Ist das der Weg zum Paradies?
Das Thema bleibt dann leider liegen. Wir verabschieden anrührend einen Aidskranken in den Tod, um dann nach Hawaaii zu reisen, wo der Erbe des ehemaligen Königshauses in einem endlosen Brief von seinem verpfuschten Leben erzählt. Dieser Teil ist ein deprimierender Monolog, der mich trotz spannender Thematik sehr gelangweilt hat.

Dann kommt der geniale Teil des Buches. 2093 ist das Leben in Amerika von Regeln bestimmt, die das Infektionsgeschehen diverser Seuchen eindämmen und regulieren sollen. Charlie lebt in einem Überwachungsstaat übelster Sorte, kennt es aber nicht anders.

Wie es dazu kam erfährt man aus Briefen ihres Großvaters, der noch ein anderes Leben kennengelernt hat.

Hier wird zwar kein Corona-Drama erzählt, aber man denkt zwangsläufig an unsere Situation gerade und bekommt mit schrecklicher Konsequenz vorgeführt, was passiert, wenn die falschen Machthaber falsche Ideen verwirklichen.

Nach 890 Seiten hat man viel durchlebt, ist erschüttert und mitgenommen und steht dann da mit der Frage: Und? Was sagt mir das jetzt?

Man kann viel hineinlesen, bekommt aber an keiner Stelle konkrete Hinweise. Die Autorin wollte viel mit diesem Buch, legt viele wichtige Themen auf den Tisch, weigert sich dann aber Stellung zu beziehen. Natürlich muss man nicht jede Botschaft ausformulieren, aber man sollte mit einer winken, wenn man ein Buch schreibt. Hier bekommt man Ansätze serviert und soll die Botschaft selbst finden. Das kann man machen, das muss aber nicht jedem gefallen.

Mir hat es beinahe gefallen.

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