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Veröffentlicht am 28.04.2022

Der Teufel steckt in uns allen

Jigsaw Man - Der tote Priester
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Richtig gespannt war ich auf den zweiten Teil der "Jigsaw Man Reihe" von Nadine Matheson, der statt 2021 erst dieses Jahr erschienen ist. Umso neugieriger war ich auf den Nachfolge-Thriller der Autorin. ...

Richtig gespannt war ich auf den zweiten Teil der "Jigsaw Man Reihe" von Nadine Matheson, der statt 2021 erst dieses Jahr erschienen ist. Umso neugieriger war ich auf den Nachfolge-Thriller der Autorin. Obwohl es sich hier um einen Folgeband handelt, kann man "Der tote Priester" auch alleinstehend lesen.

DI Anjelica Henley und ihr Team von der "Serial Crimes Unit" in London werden zu einem ungewöhnlichen Tatort gerufen. In einer Kirche liegt ein toter Priester, der mit unzähligen Messerstichen hingerichtet wurde. Bei der Durchsuchung des Tatorts entdeckt Anjelica eine versteckte Kammer. Darin liegt ein schlimm zugerichteter Mann, an Armen und Beinen gefesselt und mehr tot als lebendig ist.
Anjelica und ihr Team machen sich auf die Suche nach dem Mörder des Priesters, doch viel mehr fragt sie sich, wer hinter den schweren Misshandlungen an dem jungen Mann in der Kammer steckt. Sie kann nicht ausschließen, dass auch der ermordete Priester seine Finger im Spiel hatte. Als eine ähnlich zugerichtete Tote gefunden wird, ist sich Anjelica sicher, dass es noch weitere Opfer geben wird.

Auch in "Der tote Priester" wird man direkt in die Geschichte geworfen. Der Spannungsbogen ist anfangs sehr hoch und flacht dann etwas ab. In der zweiten Hälfte zieht die Spannung wieder an. Der Plot ist ziemlich komplex, denn einerseits wird nach dem Priestermörder gefahndet, andererseits nach dem oder den Täter(n), die den jungen Mann schwerst misshandelt haben. Der Verdacht, dass es sich dabei um Teufelsaustreibungen handelt, verdichtet sich immer mehr...
Die Details betreffend der Morde sind grausam und ekelig beschrieben und nichts für zartbesaitete Leser.

Wir begleiten die Ermittler bei ihren Nachforschungen, wobei größtenteils aus der Sicht von Anjelica berichtet wird. Zusätzliche Passagen aus der Sicht der Opfer erhöhen die Spannung. Neben dem eigentlichen Fall spielt auch das Privatleben der Ermittler eine größerer Rolle. Blieben mir im ersten Band die Figuren noch ein bisschen fremd, so sind sie in diesem Teil greifbarer geworden. Vorallem Salim Ramouter, Anjelicas Kollege finde ich sehr sympathisch und hat das Zeug zum Liebling der Reihe (?) zu werden. Neben Henley und Ramouter gehören noch Stanford und Pellacia zum Team. Beide bleiben aber im Vergleich zu den anderen Beiden noch etwas oberflächlich.

Die Autorin spricht in ihrem Thriller auch das Thema Rassismus in Verknüpfung mit Polizeibeamten an. Henley ist eine farbige DI und ihr Kollege Ramouter hat indische Wurzeln und beide kämpfen innerhalb ihres Jobs mit einigen Ressentiments.

Die Kapitel sind kurz und die vielen Dialoge erhöhen das Tempo und die Spannung. Der Twist am Ende ist gelungen und logisch. Das lässt nach weiteren guten Thrillern der Autorin hoffen!


Fazit:
Ein gelungener und rasanter zweiter Teil, der mir um einiges besser gefallen hat als der Vorgänger. Die Beschreibungen der Opfer sind auch diesmal nichts für zartbesaitete Leser. Trotz noch kleiner Kritikpunkte empfehle ich diesen Thriller sehr gerne weiter!

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Veröffentlicht am 17.04.2022

Das Mütterheim

Miss Rosetti und das Haus der Hoffnung
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Olivia Rosetti ist eine junge Frau, die 1939 ihren Verlobten in den Krieg ziehen sieht. Bald darauf muss sie feststellen, dass sie schwanger ist. Statt Unterstützung von ihren Eltern zu erhalten, zeigt ...

Olivia Rosetti ist eine junge Frau, die 1939 ihren Verlobten in den Krieg ziehen sieht. Bald darauf muss sie feststellen, dass sie schwanger ist. Statt Unterstützung von ihren Eltern zu erhalten, zeigt sie ihr italienisch stämmiger Vater bei der Sittenpolizei an. Diese verhaftet sie wegen "Unsittlichkeit" und steckt sie für 15 Monate in Torontos berüchtigte Frauenerziehungsanstalt Mercer Reformatory for Woman. Das Kind wird ihr nach der Geburt weggenommen und zur Adoption freigegeben.
Als sie nach der Abbüßung ihrer Haftstrafe entlassen wird, weiß sie nicht wohin, denn ihre Eltern haben sie verstoßen. Krank und am Ende ihrer Kräfte findet sie Zuflucht in einer Kirche, wo sie von Ruth Bennington gefunden wird. Diese bietet ihr Unterkunft in ihrer großen Villa an, in der sie seit dem Tod ihres Mannes alleine lebt. Sie fühlt sich schon seit Jahren sehr einsam und betet jeden Tag zu Gott, dass er sie endlich heimholen soll. Mit Olivia hat sie nun eine neue Aufgabe und die beiden Frauen werden zu Freundinnen. Sie beschließen anderen Frauen mit ähnlichem Schicksal eine Zukunft zu ermöglichen und eröffnen ein Mütterheim für Frauen in Not. Doch sie haben nicht mit Immobilienmakler Vincent Walcott gerechnet, der schon seit Jahren versucht das Grundstück auf dem die Villa von Ruth Bennington steht, zu kaufen. Walcott versucht alles, um die Eröffnung zu verhindern und schickt seinen Angestellten Darius Reed zu Ruth Bennington, um herauszufinden, wie man den beiden Frauen schaden könnte und sie zum Verkauf zu zwingen. Darius ist verwitwet und hat eine kleine Tochter, der er ein besseres Leben bieten möchte. Er hat vor den Auftrag seines Chefs erfolgreich auszuführen…

Gleich zu Beginn wird man als Leser mit der Hartherzigkeit von Olivias Eltern konfrontiert und findet keine Worte für die grausame Reaktion des Vaters, der seine eigene Tochter ins Gefängnis bringt. Da ich bereits einige Romane über diverse Frauenheime oder Gefängnisse (eigentlich unterscheidet sich nur das Wort, aber nicht die Grausamkeit hinter den Mauern dieser Anstalten) gelesen habe, die mich immer wieder fassunglos zurücklassen, wusste ich ziemlich genau, was auf Olivia zukommen wird. Die Autorin hat allerdings die Zeit im Gefängnis nur am Rande erwähnt und sich auf Olivias Zeit nach ihrem Gefängnisaufenthalt konzentriert. Nur in kleinen Rückblenden werden einige grausame Einzelheiten erzählt. Dies ist von der Autorin gewollt, denn der Fokus liegt eindeutig auf den Bemühungen von Ruth und Olivia anderen Frauen in Not zu helfen. Mit Enthusiasmus und Nächstenliebe stellen sich die beiden Frauen gegen ihre Gegner, die einen Sittenverfall in der Grundung des Frauenhauses befürchten.

Man findet sehr schnell in den Roman und obwohl man sich einige Wendungen denken kann, konnte mich Susan Anne Mason mit unvorhergesehenen Geschenissen überraschen. Es geht um Nächstenliebe, Vergebung und Hoffnung, sowie um die zweite Chance, die jedem ermöglicht werden soll.

Der Roman wird abwechselnd aus der Sicht von Olivia und Darius erzählt. Die Charaktere sind sehr einfühlsam beschrieben. Man erhält ein gutes Bild von ihren Gefühlen und Handlungen. Olivia ist mir sehr schnell ans Herz gewachsen und auch Darius erkennt bald, welche Herzengüte die beiden Frauen in sich tragen. Die moralische Zwickmühle, in der er sich bald befindet, lässt ihn nicht zur Ruhe kommen.
Seine Tochter Sophia habe ich sofort ins Herz geschlosssen. Natürlich kommt auch der Glaube in einem christlichen Roman immer wieder zu tragen. Er steht aber nicht im Vordergrund.

Das Ende ist stimmig, trotzdem hätte ich gerne noch eine oder andere Frage beantwortet bekommen. Der nächste Band erzählt von einer anderen Protagonistin und ich bin schon gespannt, wie die Geschichte weitergeht.

Susan Anne Mason hat sich von einer wahren Geschichte inspirieren lassen, denn das Mercer Reformatory for Women existierte tatsächlich. Es wurde 1872 eröffnet und schloss 1969 seine Pforten. Wenn man bedenkt, dass es diese Einrichtung noch vor etwas mehr als fünfzig Jahren gab, bekomme ich Gänsehaut.

Fazit:
Eine sehr schöne Geschichte, die über eine Zeit berichtet, die noch gar nicht so lange her ist und in der Frauen mit unehelichen Kindern wie Verbrecher behandelt wurden. Emotional und berührend, - inkludiert die kleine Lovestory, die man natürlich erwartet.

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Veröffentlicht am 15.04.2022

Familiensaga um einen Kosmetikkonzern

Das Goldblütenhaus - Der Ruf einer neuen Zeit
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Der Roman beginnt mit einem Prolog, der in die Vergangenheit führt und die Entstehung der einzigartigen Goldblütencreme erzählt, die zum großen Erfolg des Kosmetikkonzern Glanz geführt hat.
Danach sind ...

Der Roman beginnt mit einem Prolog, der in die Vergangenheit führt und die Entstehung der einzigartigen Goldblütencreme erzählt, die zum großen Erfolg des Kosmetikkonzern Glanz geführt hat.
Danach sind wir zurück in der Gegenwart und begleiten Leonie, eine der Enkelinnen des Firmengründers. Leonie und ihre Familie durchleben gerade eine schlimme Zeit, denn Alexander Glanz, ihr älterer Bruder, ist tot. Die Zwillingsschwestern Ella und Leonie führen nach dessen Tod das Unternehmen weiter. Um den Spekulationen zum Tod von Alexander Glanz, der aus dem Bürofenster gestürzt ist, ein Ende zu bereiten, hat Leonie die Idee eine Firmenchronik zu veröffentlichen. Doch Hedi Glanz, die Mitbegründerin des Kosmetikkonzerns, ist alles andere als erfreut. Sie scheint seit Jahrzehnten ein Geheimnis zu haben, das nicht ans Licht kommen soll. Obendrein taucht beim Begräbnis von Alexander Leonies Jugendliebe Michael wieder auf.....

Der Einstieg in die Geschichte rund um die Familie Glanz fiel mir leicht. Die bildhafte Erzählweise hat sehr schnell Bilder im Kopf erzeugt. In diesem ersten Band ist Leonie die Hauptfigur, die gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Ella das Familienunternehmen führt. Durch den Auftrag eine Familienchronik zu erstellen, versuchen die Beiden den Fokus rund um den Tod ihres Bruders Alexander wieder auf das Familienunternehmen zu richten. Allerdings werden mit der Zeit einige Geheimnisse offen gelegt, die eher nicht an die Oberfläche hätten gelangen sollen. Eines davon wird im ersten Teil gelöst, der Rest bleibt aber noch offen.

Von Zeit zu Zeit gibt es kurze Rückblenden in die Anfangszeit des Unternehmens, bei dem der Fokus auf Großmutter Hedi liegt, die ihren Mann in allen Belangen unterstützt hat. Man erfährt einiges über die Anfänge der Produkte und deren Vermarktung, was in den frühen Fünfziger Jahre nicht wirklich einfach war.
In einem zweiten Erzählstrang erzählt Michael, Leonies erste große Liebe, aus seiner Sicht. Nach Jahren im Ausland kehrt er nach München zurück und möchte in der alten Heimat sesshaft werden. Leonie hat er in all den Jahren nicht vergessen, doch diese ist verheiratet....

Dieser erste Teil der Familiensaga hat für mich noch ein kleines bisschen Luft nach oben gelassen. Die Einblicke in das Familienunternehmen sind interessant und mit den Figuren habe ich mitgelitten und mitgefiebert. In der Mitte ließ die Spannung etwas nach und einige Wendungen waren für mich vorhersehbar. Trotzdem habe ich mich in der Geschichte immer sehr wohl gefühlt. Das liegt vorallem am bildhaften Schreibstil der Autorin. Dieser ist der große Pluspunkt jeder Geschichte aus der Feder von Gabriela Gross aka Gabriele Diechler. Immer wieder verzaubert sie mich mit ihrem wunderbaren, intensiven und gefühlvollen Worten und ihrem Schreibstil, der sich von anderen Autor:innen abhebt. Man spürt die Verbindung, die sie zu ihren Figuren aufbaut und diese an die Leser weiter gibt. Einfühlsam und mit wunderbaren Zitaten geschmückt, die ich am liebsten alle anstreichen würde (in meinen Büchern wird allerdings nichts markiert, da bin ich viel zu pingelig), lässt sich die Geschichte rund um die Familie Glanz wunderbar lesen.

Die Charaktere sind Sympathieträger und haben fast nur gute Eigenschaften. Hier fehlte mir ein kleiner Antagonist, der etwas Drama ins Geschehen gebracht hätte. Aber vielleicht folgt der noch im zweiten Teil der Trilogie.

Die Autorin hat bei der gemeinsamem Leserunde der Lesejury mit all ihrem Herzblut kommentiert und sich wirklich für jeden Leser Zeit genommen...einfach wunderbar!

Fazit:
Ein interessanter Auftakt der Trilogie rund um den Kosmetikkonzern Glanz, der noch einige Fragen offen lässt und mich schon neugierig auf den Folgeband macht. Der einzigartige Schreibstil der Autorin macht jedes ihrer Bücher zu einem Leseerlebnis.

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Veröffentlicht am 12.04.2022

Von Spiritualismus und der braunen Gefahr

Der blonde Hund
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"Der blonde Hund", ist ein etwas merkwürdiger Titel für den dritten Fall von Ariel Spiro, der jedoch in der Geschichte Erklärung findet und auch zu den beiden Vorgängertitel passt.
Kerstin Ehmer hat mich ...

"Der blonde Hund", ist ein etwas merkwürdiger Titel für den dritten Fall von Ariel Spiro, der jedoch in der Geschichte Erklärung findet und auch zu den beiden Vorgängertitel passt.
Kerstin Ehmer hat mich mit ihrem ersten historischen Krimi dieser Reihe "Der weiße Affe" 2018 überzeugt. Seitdem warte ich immer schon gespannt auf Nachfolgebände,

Wir befinden uns in Berlin im Jahre 1925. Es ist November und ungemütlich. Früh am Morgen wird Kommissar Ariel Spiro an den Berliner Kanal gerufen, wo eine männliche Leiche aus dem Wasser gezogen wird. Der Mann ist gut gekleidet und wurde ausgeraubt. Doch ein Hämatom am Kopf erzählt, dass es sich anscheinend um Raubmord handelt. Unweit des Toten im Kanal wird ein schwer verletzter junger Mann gefunden, der zu Nike ins Insitut gebracht wird. Diese ist entsetzt, als sie die Misshandlungen am Jungenkörper sieht, der brutalst missbraucht wurde.
In der Zwischenzeit kann Spiro die Identität der Wasserleiche herausfinden. Der Tote ist ein Redakteur des „Völkischen Beobachter“ aus München. Ariel und sein älterer Kollege Bohlke werden mit dem Fall betraut und erkennen schnell, dass es sich hier nicht um einen gewöhnlichen Raubmord handelt. Die Spuren führen zu Parteimitglieder der NSDAP, für die der Redakteur geschrieben hat. Spiro stößt allerdings auf eine Mauer des Schweigens. Die Ermittlungen führen Spiro zuerst nach München und danach in die pommersche Sumpflandschaft zu einer Gruppe, die sich "Artamanen" nennt.

Nike findet währendessen in Berlin Interesse an Séancen und Astrologie. Durch ihren Bruder und dessen Freund gerät sie unfreiwillig in die Welt der Sado-Maso-Szene und gerät in große Gefahr. Dabei findet sie einen weiteren jungen Mann mit ähnlichen brutalen Misshandlungen, wie ihr Patient im Insitut.

Kerstin Ehmer hat mit einer großen Portion Berliner Lokalkolorit und guter Recherche zu den politischen Verhältnissen der damaligen Zeit einen spannenden historischen Krimi geschrieben. Schon in den Vorgängerbänden war ich mit Ariel Spiro und seiner Freundin Nike Fromm mitten drin im historischen Berlin der "wilden Zwanziger".
1925 ist die große Weltwirtschaftskrise überwunden und die Menschen verlieren sich im Spiritualismus und in körperlicher Freizügigkeit. Berlin ist voller bunter Vögel und Nike mitten drin. Das macht die Geschichte so schillernd und authentisch.

Der Spannunsgbogen leidet diesmal ein bisschen durch die vielen Schauplatzwechsel, dem vollen Leben in Berlin und dem historischen und zeitgeschichltlichen Kontext. Trotzdem bin ich gerne mit Ariel an diese Schauplätze gereist und habe mit schweren Herzen die dunklen Wolken, die bereits am Horizont lauern gesehen. Kerstin Ehmer zeichnet ein sehr realistisches Gesellschaftsbild dieser Jahre und hat wieder eine grandiose Milieustudie dieser Zeit vorgelegt.
Noch hält Spiro - trotz seiner Ermittlungen im Milieu der Nationalsozialisten - diese für völlig ungeährlich. Mit Bangen denke ich an die Zukunft, die wir als Leser im 21. Jahrhundert bereits kennen...

Fazit:
Bereits zum dritten Mal bin ich mit Ariel Spiro ins Berlin der Zwanziger Jahre gereist und war wieder fasziniert vom Schmelztiegel in dieser Stadt. Diesmal geraten sowohl er, als auch Nike, in große Lebensgefahr.
Der Spannungsbogen steigt diesmal erst zum Ende hin an. Trotzdem fand ich auch diesen Fall wieder äußerst gelungen.

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Veröffentlicht am 06.04.2022

Währt Schuld ewig?

Es ist schon fast halb zwölf
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Zdenka Becker ist eine niederöstereichische Autorin, geboren in der Slowakei, die nicht weit entfernt von mir wohnt. Ich bin sehr froh, dass ich sie vor einigen Jahren entdeckt habe und verfolge seitdem ...

Zdenka Becker ist eine niederöstereichische Autorin, geboren in der Slowakei, die nicht weit entfernt von mir wohnt. Ich bin sehr froh, dass ich sie vor einigen Jahren entdeckt habe und verfolge seitdem ihre Autorenkarriere. Ihr neuer Roman erzählt die Geschichte eines älteren Paares mit Rückblicken in Briefform.

Hilde und ihr dementer Mann Karl leben in ihrem Haus im fiktiven Fischbach in der Nähe der niederösterreichischen Landeshauptstadt. Der Großteil ihres Lebens ist vorüber und Hilde steht vor der Entscheidung, ob sie und ihr Mann ins Seniorenheim ziehen sollen, so wie es ihre Kinder vorgeschlagen haben. Noch hat sie einen netten Zivildiener, der ihr im Garten hilft und eine Nachbarin, die ihr im Haushalt zur Hand geht. Doch Hilde spürt ihre alten Knochen und Karl lebt bereits größtenteils in der Vergangenheit. Doch bevor sie ihr Haus verlassen, muss Hilde noch die Kiste mit den Briefen, die ein Geheimnis enthalten, finden. Die Schuld, die auf ihr lastet, darf nicht an die Öffentlichkeit dringen...
Bevor das Haus verkauft wird, möchte Hilde die Briefe nochmals lesen, die ihr Karl geschrieben hat, als sie frisch verlobt waren und er in den Krieg ziehen musste....

Die Idee zu diesem Roman hatte Zdenka Becker, als sie beim Umbau ihres Hauses auf dem Dachboden alte Briefe gefunden hat. Einige davon hat sie als Vorlage genommen und darumherum eine fiktive Geschichte gewebt. Wir begleiten Hilde, die mit ihrer Schwester und deren Tochter auf dem heimatlichen Hof schwer schuften mussten, während Hilde Verlobter Karl in den Krieg zieht. Wie viele andere Frauen sind sie auf sich selbst gestellt und müssen "ihren Mann stehen".
Zu Beginn steht Karl noch hinter dem Gedanken des NS-Regimes, während Hilde eher skeptisch ist. Als er in Berlin eingesetzt wird, versuchen sie durch den Briefwechsel ein kleines Stück Nähe und Verbundenheit zu erleben. Doch Karl arbeitet als Ingenieur im Flugzeugbetrieb und darf nichts über seinen genauen Aufenthalt oder seine Arbeit schreiben. So bleiben die Briefe oft emotionslos und wirken einseitig. Zu dieser Zeit wurde auch nicht wirklich viel über Gefühle gesprochen und der Krieg hat den Menschen zusätzlich einiges abverlangt. Die Briefe sind in einfachen Worten gehalten, passend zum schulischen Abschluss von Hedi. Trotzdem konnte ich nicht wirklich die Liebe zwischen den Beiden spüren....

Zdenka Becker erzählt in ihrem neuen Roman eine Geschichte, wie sie wohl viele Menschen während des Zweiten Weltkrieges erlebt haben: Trennung, Schmerz und Verlust. Dazu kommt noch die Darstellung der Rolle der Frau zu dieser Zeit, die sich nach dem Krieg wieder wandelte. Erschreckend waren für mich so einige Parallelen zum Beginn des Zweiten Weltkrieges mit dem Krieg in der Gegegenwart.

Der Roman ist leise und eine Form von Briefroman - aber nicht nur. Gefallen hat mir der Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Dem Geheimnis in der Vergangenheit kam ich ein kleines bisschen auf die Spur, allerdings nur einem Teil davon. Die Figuren sind authentisch, blieben mit allerdings in den Briefen zu emotionslos. In der Gegenwart konnte ich Hilde viel besser greifen. Hier wird auch sehr deutlich, wie es älteren Menschen geht, denen es schwer fällt loszulassen.
Die Zeit während des Krieges wurde sehr bildhaft dargestellt. Der Unterschied zwischen Stadt und Land war eklatant. Die Gefühle von Hilde, die kurze Zeit in Berlin bei ihrem Mann lebte und sich dort nicht heimisch fühlte, war für mich spürbar. Zerrissen zwischen ihrer Schwester, die ihre Hilfe auf dem Hof benötigte und dem Wunsch endlich ihren Verlobten zu heiraten und mit ihm gemeinsam in Berlin zu leben, reiste Hilde zwischen Fischbach und Berlin hin und her und war doch nicht glücklich. Mich erinnert einiges an die Situation einer Mutter in der Gegenwart, die sich oft zwischem ihrem Job und ihren Kindern aufreibt und immer das Gefühl hat, nicht genug gegeben zu haben.
Das Ende war berührend und hat mir gut gefallen.

Fazit:
Ein leiser Roman, der einen Einblick in eine ganz normale Familie gibt, die während des Zweiten Weltkrieges zu überleben versuchte. Dass es dabei auch ein kleines kriminelles Geheimnis gibt, erweckt die Neugier des Lesers. Ein Buch, das auf leise Art nachdenklich macht.

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