Verschlungene Pfade der Liebe
Die Schriftstellerin Charlotte Moire veröffentlicht in Sylvie Schenks „Roman d’amour“ einen Roman mit dem gleichen Titel und reist auf eine abgelegene Nordseeinsel, um dort den unbekannten und erstmals ...
Die Schriftstellerin Charlotte Moire veröffentlicht in Sylvie Schenks „Roman d’amour“ einen Roman mit dem gleichen Titel und reist auf eine abgelegene Nordseeinsel, um dort den unbekannten und erstmals verliehenen Literaturpreis „Kaskade“ in Empfang zu nehmen. Der Roman handelt über eine lange zurückliegenden Affäre mit einem verheirateten Mann. Davor soll sie der Journalistin Frau Sittich ein Interview für einen Radiobeitrag zum Roman geben. Die zwei Damen nehmen Platz und ein raffiniert inszeniertes, fesselndes Kammerspiel sowie präzise aufgezeichnetes Wort-Duell nimmt seinen Lauf: Angespornt durch Frau Sittichs verqueren Fragen. Sie löchert Charlotte nicht nur zu ihrem literarischen Können, sondern sehr detailliert über die Protagonisten und auch über philosophische und allgemeingültige Liebes- und Lebensfragen. Des öfteren spricht sie Charlotte mit Klara – der Protagonistin von Charlottes Roman – an und seziert Handlung, Motive und Moralvorstellungen der Romancharaktere, als wären sie wahre Menschen. Und für Charlotte verschwimmen die Grenzen zu ihrer tatsächlich stattgefundenen Affäre mit einem verheirateten Mann, einer Amour fou, und den Figuren ihres Romans – die Fragen von Frau Sittich lassen sie tief in ihre eigenen Erinnerungen eintauchen, an einen lange vergangenen Irland-Urlaub und die Gefühlskapriolen als Geliebte. Fiktion und real Erlebtes verwaschen kontinuierlich, Charlotte erlebt und sinniert alles aufs Neue. Ein überraschendes Aufwachen gibt es für Charlotte erst beim fulminanten Showdown am Strand – und ihr wird klar, warum der „Kaskade“-Preis an Autoren für biografisch angehauchte Romane vergeben wird, die der Gefahr laufen, sich der Lächerlichkeit preizugeben.
„Im Schreiben könnte ich mich festhalten, meine Gefühle, die Texte hinterließen konkrete Spuren, verflossen nicht wie Küsse und Umarmungen, sie ermöglichten das Zurückschauen, Zurückstreicheln, Zurückküssen.“ S. 56
Sylvie Schenk ist mit „Roman d’Amour“ ein literarisches Kunststück gelungen, das auf mehreren Ebenen brillant ist. Neben der wunderschönen, poetischen Prosa mit klugen Sprachbildern, französischen Einwürfen und intelligenten Sätzen besticht besonders ein weiterer Ansatz des Romans: Neben der feinfühlig, subtil melancholisch und auch leicht humorvoll erzählten doppelten Liebesgeschichte entrollt er auch ein spannendes Leporello über die Literaturgenres Liebesroman sowie Autofiktion und nimmt dabei noch versiert so manchen Literaturkritiker beim Interpretieren und nach der Frage nach Autobiografisches auf die Schippe. Dabei entstanden ist ein geistreicher und sehr lesenswerter Roman im Roman, der mit einem fulminanten und überraschenden Ende aufwartet. Ein dünnes, hintersinniges Buch, in dem so viel drinnen steckt, dass es sich lohnt, nochmal zu lesen und gedanklich weiterzuphilosophieren – über die Liebe, das Leben, narrative Möglichkeiten und die Literatur.
„Wenn ich mich nicht zu sehr outen wollte, dann wegen der verschlungenen Gedanken, die in dem Thema herumschwammen, weil es schwieriger ist, eine gefühlte Wahrheit mit Sätzen einzufangen als eine Forelle in den Niagarafällen.“ (S. 18)