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Veröffentlicht am 23.04.2022

Kinderstube

Schlaflos
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Eigentlich hat sie ein Forschungsstipendium in Oxford.Tatsächlich versucht die Historikerin Dr. Anna Bennet auf einer einsamen Insel vor der Küste Schottlands mit Mann und zwei Kindern, den Haushalt zu ...

Eigentlich hat sie ein Forschungsstipendium in Oxford.Tatsächlich versucht die Historikerin Dr. Anna Bennet auf einer einsamen Insel vor der Küste Schottlands mit Mann und zwei Kindern, den Haushalt zu stemmen, trotzdem an ihrem Buch weiterzuarbeiten und hin und wieder eine Mütze voll Schlaf zu bekommen. Ihre Kinder sind anspruchsvoll. Der siebenjährige Raph ist weit für sein Alter und diskutiert gerne über Umweltproblematiken. Dagegen braucht der zweijährige Moth noch einiges an Betreuung, ist lieb, aber trotzig und das Durchschlafen will überhaupt nicht gelingen. Giles, ihr Mann, erforscht die Population der Papageientaucher, und geht dann mal weg.

Ein turbulentes Familienleben führt die Familie auf der Insel, die Giles’ Vorfahre Hugo gekauft hatte. Um wenigstens etwas von den Kosten hereinzuholen, haben sie ein Ferienhaus eingerichtet und die Gäste kommen bald. Anna müht sich mit Kochen und Saubermachen. Die Kinder sind eigentlich ein Vollzeitjob. Manchmal wünscht sie sich die Zeit an der Uni zurück, wo ihr Bauch noch flach war. Der Schlaf fehlt ihr einfach und doch kann sie ihre Jungs nicht alleine lassen, wenn einer von ihnen nachts aufwacht. Giles ist nur manchmal eine Hilfe. Für ihr Buch gibt es einen Abgabetermin und dann, beim Versuch die Apfelbäume einzupflanzen, findet Raph ein paar winzige Knochen.

Zu Beginn stellt sich die Frage: Was soll das. Möglicherweise kennt man den Verlag eher aus Veröffentlichungen des Krimigenres. Der vorliegende Band ist zurecht als Roman bezeichnet und hat man sich daran gewöhnt, dass man eher die Geschichte einer von außen betrachtet leicht überforderten Familie liest, überzeugt das Buch gerade durch das Lamentieren und Straucheln. Denn trotz des Stress und des Schlafmangels, Anna stiehlt sich die Zeit für ihr Buch und nebenbei deckt sie noch interessante Details zur Inselgeschichte auf. Und sie schafft es auch, sich um die Feriengäste zu kümmern, die ihre eigenen Probleme im Gepäck haben. Nimmt man den Roman einfach wie er ist, hat man ein fesselndes Sittengemälde aus einem Teil der schottischen Geschichte und die Erzählung einer sympathisch chaotischen Familie.

Veröffentlicht am 20.04.2022

Kooperation

Grenzfall - Ihr Schrei in der Nacht
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Im Grenzgebiet zwischen Österreich und Deutschland verschwinden mehrere junge Menschen. Da die Vorfälle diesseits und jenseits der Grenze passieren, sind auch Polizeidienststellen auf beiden Seiten der ...

Im Grenzgebiet zwischen Österreich und Deutschland verschwinden mehrere junge Menschen. Da die Vorfälle diesseits und jenseits der Grenze passieren, sind auch Polizeidienststellen auf beiden Seiten der Grenze zuständig und beginnen getrennt zu ermitteln. In der Nähe von Innsbruck werden zwei Studentinnen vermisst und in Deutschland ist eine junge Frau, die auf dem Weg zu ihren Eltern war, im Schneetreiben nicht zu hause angekommen. Alexa Jahn hat sich inzwischen an ihrer neuen Wirkungsstätte eingelebt. Die Zusammenarbeit mit den Kollegen klappt immer besser. Doch der Vertrauensbruch ihrer Mutter liegt ihr noch sehr auf der Seele. Bernhard Krammer auf österreichischer Seite fragt sich, ob er sich die Pension herbeiwünscht.

In ihrem zweiten Fall ermitteln Alexa Jahn und Bernhard Krammer eine ganze Weile nebeneinander her. Da die Geschehnisse einen unterschiedlichen Hintergrund zu haben scheinen, werden Informationen nicht groß ausgetauscht. Auf Deutscher Seite gerät bald ein Ortsansässiger in Verdacht, der schon einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, während sich in Österreich Hinweise ergeben, dass ein ganz alter Bekannter von Inspektor Krammer wieder aktiv geworden ist. Dieser Fall war wie ein Nadelstich, der nie verheilt. Schließlich hat die Sache zu Krammers Versetzung nach Innsbruck geführt.

Immer ein gutes Zeichen ist es, wenn man nach dem ersten Teil auch zum zweiten greift. In diesem zweiten Band der Reihe kann man sich über lebendige Schilderungen der Ermittlertätigkeit und dem zwischenmenschlichen Miteinander freuen. Alexa Jahn und Bernhard Krammer sind sympathische Persönlichkeiten, die in ihrem Beruf schon einiges gesehen haben und im Privatleben mit einer neuen Situation konfrontiert werden. Der Fall an sich ist in einem Moment etwas vorhersehbar, ansonsten aber interessant aufgebaut und dramatisch gelöst. Was im Ungewissen bleicht, bildet schließlich einen Hinweis auf den nächsten Fall, der Jahn und Krammer im nächsten Jahr wieder zusammenführen wird. Diese Krimireihe ist eine zum gerne Lesen.

Veröffentlicht am 20.04.2022

Wer schreibt da nicht?

Bartleby, der Schreibgehilfe
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Ein Anwalt in New York Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Seine kleine Kanzlei läuft in ruhigen Bahnen. Zwei Schreibgehilfen und ein Lehrling bewältigen ihre Aufgaben mit gewissem Murren, aber doch zuverlässig. ...

Ein Anwalt in New York Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Seine kleine Kanzlei läuft in ruhigen Bahnen. Zwei Schreibgehilfen und ein Lehrling bewältigen ihre Aufgaben mit gewissem Murren, aber doch zuverlässig. Nachdem der Anwalt eine weitere Aufgabe zugewiesen bekommt, stellt er einen weiteren Kopisten ein, Bartleby. Zunächst erweist sich dieser als durchaus fleißig, doch als es daran geht, seine Abschriften nochmal Korrektur zu lesen, weigert er sich freundlich mit den Worten „Ich möchte lieber nicht“, die ihm übertragene Aufgabe zu übernehmen. Der Anwalt ist konsterniert, findet aber keine richtige Antwort auf das Verhalten seines Angestellten.

Bartleby ist schon ein komischer Kauz, er erklärt sein Verhalten nicht und der Anwalt findet keinen richtigen Umgang für ihn. Es wirkt nicht einmal so, als würde Bartleby sein Verhalten genießen. Er scheint nicht in der Lage zu sein, es zu ändern. Mit der Zeit versucht der Anwalt, Bartleby loszuwerden, doch auch das nicht sehr erfolgreich. Tragisch ist schließlich das Ende der Geschichte. Da es keine großen Erklärungen gibt, kommt man bald ins Grübeln, was Bartleby zu seinem Verhalten geführt hat. Auch das Nachwort ist da nicht sehr aufschlussreich. Betont wird die realistische Erzählweise, die man dem Autor sofort abnimmt. Man kann sich gut vorstellen, dass es in den Schreibbüros und Anwaltskanzleien so zugegangen ist. Die ruhige gelassene, aber stetige Art, die noch nichts von der heutigen Hektik hatte. Warum ist selbst diese Geruhsamkeit für Bartleby zu viel? Man weiß es nicht. Hat Bartleby ein traumatisches Erlebnis hinter sich? Doch warum erzählt er nichts von sich? Man kann sich an seiner Persönlichkeit reiben und doch froh sein, dass man nur von ihm liest.

Eine erstaunliche kleine Erzählung, mit der man sich gedanklich länger befasst, als man zunächst vermutet hätte.

Veröffentlicht am 18.04.2022

Der Trauzeuge

Revanche
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Für seine Freunde, die Archäologen Horst und Clothilde, soll Bruno, Chef de Police, als Trauzeuge fungieren. Seine Rede ist im Entwurf schon fertig, da bekommt er die Nachricht, dass am nahen Schloss eine ...

Für seine Freunde, die Archäologen Horst und Clothilde, soll Bruno, Chef de Police, als Trauzeuge fungieren. Seine Rede ist im Entwurf schon fertig, da bekommt er die Nachricht, dass am nahen Schloss eine tote Frau gefunden wurde. Erstmal ist das Brunos Sache, denn noch ist nicht klar, ob es sich um einen Unfall oder ein Verbrechen handelt. Im Falle eines Falles wird er J. J., den Kollegen von der Kriminalpolizei hinzuziehen. Aber natürlich wird auch Bruno sein Möglichstes tun, um die Frau zu identifizieren. Dass er die junge Amélie aus dem Ministerium aufs Auge gedrückt bekommt, schmeckt ihm zunächst nicht.

In seinem zehnten Fall hätte Bruno Courreges eigentlich nicht viel mit Verbrechen am Hut, wenn ihm nicht die Realität dazwischen käme. Die Tote, die in der Nähe des Schlosses gefunden wurde, hatte offensichtlich eine Botschaft. Leider hat sie es nicht mehr geschafft, ihre Nachricht zu schreiben. So gibt es also das Rätsel um ihre Identität als auch das Rätsel um das Wort. Brunos neue Beobachterin Amélie erweist sich überraschend als echter Gewinn. Wie versiert ihre Finger über den Bildschirm ihres Handys fliegen und welch erstaunliche Informationen sie dem kleinen Gerät entlockt. Bruno und sie finden heraus, dass es sich bei der Toten um eine Archäologin mit einer Mission handelte.

Egal. ob man die Reihe vollständig kennt oder nicht, man findet sich schnell in Brunos Welt zurecht. Als eine Art Dorfpolizist ist Bruno ein Mittelpunkt des Ortes St. Denis, er kennt jeden und jede und hat freundliche Beziehungen über die Grenzen des Ortes hinaus. Eigentlich im Waisenhaus aufgewachsen, hat er in dem Ort eine Heimat und in seinen Bewohnern eine Familie gefunden. Doch die Wirklichkeit macht auch vor dem beschaulichen Ort nicht Halt und der Tod der Unbekannten erweist sich als Teil eines perfiden Plans. Auch wenn es manchmal so erscheint, als sei Bruno einfach zu gut, so hat man hier eine liebevolle Beschreibung des Lebens in einer geschichtsträchtigen Region in Frankreich und gleichzeitig einen spannenden Kriminalroman, der durchaus einen Bezug zur heutigen Realität hat.

Veröffentlicht am 15.04.2022

Das vergessene Fest

Die Aosawa-Morde
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Im Sommer 1973 feierte die Familie Aosawa einen dreifachen Geburtstag. Im Verlauf des Festes fielen 17 Personen einer Vergiftung zum Opfer. Eine Tragödie. Nur die blinde Tochter der Aosawas überlebt erstarrt ...

Im Sommer 1973 feierte die Familie Aosawa einen dreifachen Geburtstag. Im Verlauf des Festes fielen 17 Personen einer Vergiftung zum Opfer. Eine Tragödie. Nur die blinde Tochter der Aosawas überlebt erstarrt im Schock. Nach einer Weile wird der mutmaßliche Täter erhängt in seiner Wohnung gefunden. Der Fall scheint damit abgeschlossen. Er ist jedoch nie aus den Gedanken der Menschen verschwunden. Zehn Jahre später schreibt eine Studentin eine Arbeit über das Verbrechen, welche dann als Roman erscheint und dieser wird ein Bestseller. Und noch immer sind die Rätsel nicht gelöst.

Eine ungewöhnliche Herangehensweise wählt die Autorin dieses Kriminalromans. Die eigentliche Tat hat vor etlichen Jahren stattgefunden und auch das Erscheinen des Buches liegt schon einige Zeit zurück, da erfährt der Leser oder die Leserin aus Interviews, Zeitungsausschnitten oder Tagebucheintragungen vom Geschehen. Dabei muss man sich beim Lesen selbst darüber klarwerden, was wohl passiert sein mag. Siebzehn Tode dürfen nicht ungesühnt bleiben und besteht auch nur der kleinste Zweifel, dass der mutmaßliche Täter es wirklich war, müssen die Tatsachen ans Licht gezerrt werden. Doch wer ist der Interviewer? Und was kann sich nach der langen Zeit überhaupt noch ändern.

Dieser Kriminalroman hat wahrlich eine besondere Note, etwas, worauf man sich einlassen muss, um sich fesseln zu lassen und gefesselt zu sein. Es werden keine fertigen Lösungen angeboten. Das ist ein Pluspunkt und gleichzeitig ein Minuspunkt für die, denen eine klare Aussage lieber ist. Davon abgesehen fühlt man sich wie beim Schälen einer Zwiebel, nach jeder Lage meint man, dem Geheimnis etwas näher gekommen zu sein, und doch sind es eher die Tränen oder noch größere Rätsel, die näher rücken. Auch wenn man sich selbst ein wenig unzulänglich vorkommt, so besticht dieser Krimi durch seine verschachtelte Handlung und besonders durch seine einzigartige Form. Freunde von Kriminalromanen aus dem japanischsprachigen Raum werden hier einen tollen Vertreter des Genres finden.