Spannend und vielschichtig
Wo die Wölfe sindSchottlands wenige verbliebene Wälder sind arg in Mitleidenschaft geraten durch den Rotwildverbiss. Abschuss oder eine naturnahe Lösung, die ökologisch gesehen, der ganzen Region zugutekommen würde? Aber ...
Schottlands wenige verbliebene Wälder sind arg in Mitleidenschaft geraten durch den Rotwildverbiss. Abschuss oder eine naturnahe Lösung, die ökologisch gesehen, der ganzen Region zugutekommen würde? Aber da sind sture Bauern, die das nicht einsehen wollen. Wölfe sind und bleiben der Feind. Die Bauern fürchten um ihr Vieh, um die Kultur der Highlander die von Wölfen bedroht wird, Kinder jammern, die Wölfe würden Bambi umbringen, usw. Fazit: Wölfe sind wilde gefährliche Bestien und haben in Schottland nichts verloren. Eine Gruppe von Naturwissenschaftlern wollen aber Wölfe hier wieder ansiedeln. Was sich in Yellowstone Naturreservat in den USA und auch in Deutschland (siehe Lausitz) hervorragend bewährt hat, sollte, so die Meinung der Biologen, auch in Schottland funktionieren. Unter den Wissenschaftlern ist Inti Flynn, die eine besondere Begabung (oder Fluch, wie man es nimmt) hat. Inti ist ein Mirror-Touch-Synästhet. Sie kann die Schmerzen ihrer Mitmenschen aber auch von Tieren oder Bäumen spüren.
Zusammen mit Aggie, Inties Zwillingsschwester sind die Mädchen das Jahr über in Australien, bei der Mutter und in den Sommerferien in Kanada, bei dem Vater. Der Vater ist sehr naturverbunden und vermittelt diese Naturverbundenheit auch seinen Töchtern. Wie die Mädchen zwischen den Eltern aufwachsen, wie sie ihre Kindheit und Jugend verbringen, Aggies katastrophale Ehe mit Gus, all dies erfahren wir in Rückblicken, während Inti am Wolfsprojekt weiterarbeitet.
Der Widerstand gegen die Wölfe in einem Teil der Bevölkerung wächst, Inti macht sich den Bauern Stuart zum Feind. Inti fordert Stuart heraus, bezichtigt ihn vor allen Leuten seine Frau zu schlagen. Etwas, von dem alle wussten, aber solange es nicht ausgesprochen wurde, war ja nichts passiert, wird nun offen zu Tage gezerrt. Die Bedrohungen gegen die Wölfe und gegen Inti nehmen zu. Die Lage spitzt sich zu, bis Inti beschließt einzugreifen, um die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen. In einer stürmischen Nacht geht Inti hinaus, in die Berge und muss den Wolf töten, der Schafe und auch zwei Menschen angefallen hat. Diese Nacht ist an Dramatik kaum zu überbieten.
Inti ist der Mittelpunkt des Romans. Die Liebe zwischen Inti und ihrer Schwester, zwischen Inti und Duncan, zwischen Inti und den Wölfen, alles steht in einem tiefen Zusammenhang, wie die Bäume des zitternden Riesen, „… ich spürte den Herzschlag unter und über mir und ringsherum, die älteste Sprache von allen“ (S. 125). Diese älteste Sprache ist die Liebe, die alles zusammenhält und der sich Inti zu keiner Zeit entziehen will.
Das Buch liest sich in weiten Teilen wie ein Buch über Naturschutz und Wolfsverhalten, aber auch wie eine Liebesgeschichte und wie ein Krimi, eigentlich ist es von allen etwas. Und das macht das Buch so spannend.
Der Stil ist sehr fesselnd: normalerweise fließt die Erzählung so vor sich hin, versieht uns mit den nötigen Informationen, um im Geschehen voranzukommen, doch dann plötzlich, am Ende eines Absatzes oder eines Kapitels fällt eine kurze Bemerkung oder ein Satz, der das vorhin gesagte relativiert, es in einem anderen Licht erscheinen lässt. Dann muss man das erst verarbeiten, die Worte eindringen lassen, das Kapitel oder den Absatz noch einmal überdenken.
Genau wie im Vorgängerroman spürt man die tiefe Naturverbundenheit der Autorin, merkt dass die Wölfe (oder die Zugvögel) nicht nur Mittel zum Zweck sind für ein gutes Buch, sondern dass McConaghy sich mit Naturschutz und allem was dazu gehört, eindringlich auseinandergesetzt hat.