Profilbild von Caillean

Caillean

Lesejury Star
offline

Caillean ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Caillean über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 19.04.2022

Zauberhafter Liebesroman mit Fernwehgarantie

Heimkehr nach Whale Island
0

An einem alten Leuchtturm sitzen, mit Blick auf den weiten Atlantik, die Sonne strahlt von einem tiefblauen Himmel und da! War das etwa eine Walflosse im glitzernden Wasser des Ozeans? Auch wenn man gerade ...

An einem alten Leuchtturm sitzen, mit Blick auf den weiten Atlantik, die Sonne strahlt von einem tiefblauen Himmel und da! War das etwa eine Walflosse im glitzernden Wasser des Ozeans? Auch wenn man gerade „nur“ im heimischen Garten sitzt – mit Miriam Covis Roman ist man ganz schnell ganz weit weg…

Ihre neue 3-bändige Reihe hat die Autorin auf einer kleinen (fiktiven) Insel vor Kanadas Ostküste angesiedelt. Da sie selbst ein riesiger Fan von Nova Scotia ist und die Gegend durch ihre vielen Aufenthalte fast wie ihre Westentasche kennt, kann Miriam Covi hier aus dem Vollen schöpfen. Die Beschreibungen der traumhaft schönen Landschaften sind daher ein Highlight des Buches.

Doch um was geht es überhaupt? Kurz gesagt ist es (natürlich) eine Liebes- und Familiengeschichte. Die drei Bände werden die Lebens- und Liebesgeschichten von drei Brüdern erzählen, die aus einem familienbetriebenen Hotel auf Whale Island stammen. Im ersten Band geht es um Duncan, der mittlerweile in New York ein Hotel der Sommerset-Gruppe leitet – und der mit der Tochter des Hoteltycoons Richard Sommerset verheiratet ist. Als er mit seiner Angestellten Greta einen Businesstrip in seine alte Heimat unternimmt, stürmen die Geister der Vergangenheit auf ihn ein. Und Greta wird durch eine Verwechslung für seine Ehefrau gehalten. Eine Situation, die viele Turbulenzen, aber auch ein gewisses Knistern verspricht…

Natürlich wissen Leser*innen solcher Romane, wie das Buch enden wird. Aber darum geht es gar nicht. Sondern es geht darum, sich – wie ich über die Osterfeiertage – völlig in den Roman fallen lassen zu können, einen Kurzurlaub im Kopf zu verleben und dabei auch noch tolle Charaktere kennenzulernen. Und bei Duncans Familie möchte man am liebsten selbst sofort Urlaub machen! Seine herzliche Mutter Heather, sein etwas grummeliger Dad (mit einem weichen Herz!), seine quirlige Schwester Skye und sein etwas reservierter Bruder Aidan sind eine Mischung, die einem sofort ans Herz wächst. Aidans 12jährige Tochter Isla und Familienhund Johnnie Walker komplettieren die Sippe. Aber auch die Nebencharaktere sind mit sehr viel Liebe gezeichnet, so etwa der deutschstämmige Einsiedler Gottlieb Müller oder die Bibliothekarin Rae, die nicht nur die richtigen Bücher sondern auch immer einen klugen Rat für jeden Inselbewohner hat.

Erzählerisch hatte das Buch für mich genau das richtige Tempo und ich war völlig versunken in die Geschichte. Es gab nur eine Kleinigkeit, die mich (am Anfang) etwas gestört hat und das war die Bezeichnung von Duncan. Greta und ihre Kolleginnen aus dem New Yorker Hotel nennen ihn heimlich wegen seiner kühlen Ausstrahlung den „Eisblock“. Diese Bezeichnung nutzt die Autorin sehr oft statt seines Namens, wenn sie im ersten Drittel des Buches aus Gretas Sicht schreibt. Es kommen mitunter dreimal pro Seite Sätze vor wie „Der Eisblock geht auf ein Schild zu…“/“Nicht zu fassen“ brummt der Eisblock/ Ich beobachte den Eisblock, wie er…“ Das war echt zu viel. Es las sich nicht gut und hat mich ehrlich gesagt etwas genervt. Zum Glück verliert sich das im Laufe des Buches, als Greta und Duncan sich besser kennenlernen.

Insgesamt war es aber nur ein kleiner Wermutstropfen in einer ansonsten ganz zauberhaften Geschichte, die alles bietet, was man sich für eine Auszeit vom Alltag wünschen kann. Beste Wahl als Urlaubs- oder Wochenendlektüre, wenn man einfach mal abschalten will. Und wer einen Vergleich sucht: Fans von Netflix-Serien wie Chesapeake Shores oder Virgin River werden hier voll auf ihre Kosten kommen!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.03.2022

Vom Wunderkind zur coolen Socke

Wenn ihr wüsstet
0

Stellt euch vor, ihr sitzt mit David Garrett bei ein paar Drinks gemütlich an der Bar, er erzählt aus seinem Leben und zeigt euch einige seiner Handyfotos… das ist die Stimmung, die beim Lesen aufkommt, ...

Stellt euch vor, ihr sitzt mit David Garrett bei ein paar Drinks gemütlich an der Bar, er erzählt aus seinem Leben und zeigt euch einige seiner Handyfotos… das ist die Stimmung, die beim Lesen aufkommt, wenn ihr euch in dieses Buch vertieft. Es wirkt wie ein Gespräch unter Freunden und ich denke, das ist die große Stärke dieser Autobiografie.

Ich denke, nicht jeder wird in einer Autobiografie über einen der größten Geigenvirtuosen unserer Zeit diesen Ton erwartet haben… obwohl, doch … denn es ist ja eine AUTObiografie. Es ist keine Materialsammlung, basierend auf offiziellen Interviews, die man mal eben so zusammenstückeln kann (auch davon gibt es welche über David Garrett). Hier spricht er selbst und man hat tatsächlich das Gefühl, den Menschen hinter dem Star kennenzulernen.

Seine Biografie folgt keiner geraden Linie, es gibt einen Bruch in seiner Jugend und der hat auch einen guten Grund… Mit 4 Jahren entdeckt der Sohn eines Geigenhändlers seine Liebe zu diesen Instrumenten und als der Vater bemerkt, dass hier Talent und Ehrgeiz zusammenkommen, passiert das, was oft beschrieben wird: der Vater versucht, mit seinem Sohn das zu erreichen, was ihm selbst als Karriere nicht geglückt ist. Meist geht das zulasten der Kinder und auch David schaut mit ambivalenten Gefühlen auf seine Kindheit zurück. Einerseits ist er dankbar, dass ihm die Möglichkeit gegeben wurde, so einzigartig spielen zu lernen. Von den Besten zu lernen. Andererseits war seine Kindheit geprägt davon, sich ausschließlich in einer Erwachsenenwelt zu bewegen – und so etwas tut einer kindlichen Seele nun mal nicht gut.

Im Teenageralter suchten sich Geist und Körper Möglichkeiten, ihm zu zeigen, dass er auf dem falschen Weg war. Das permanente Streben nach Perfektion und das rastlose Leben von Konzert zu Konzert hatten ihre Spuren hinterlassen. David traf eine radikale Entscheidung – komplette Abnabelung vom Vater, auch finanziell, Schluss mit Konzerten. Er bewarb sich ohne Wissen des Vaters in New York an der renommierten Juilliard School. Es folgten 4 Jahre Studium – Musik und Komposition. In dieser Zeit holte er seine verlorene Jugend endlich nach, knüpfte Kontakte zu Gleichaltrigen – und schlug auch mal ordentlich über die Stränge. Es sei ihm gegönnt!

Danach berichtet David davon, wie es ihm gelang mit Crossover, also dem bewussten Zusammenbringen von Klassik und Pop/Rock, die Welt zu erobern. Es war ein Triumph - und David auf einmal ein Rockstar. Er spricht darüber, wie ein solches unstetes Leben aussieht, dass es viel Licht, aber auch genügend Schattenseiten gibt und dass man sich in der ersten Zeit als hofierter Superstar durchaus mal die eine oder andere Allüre gönnt (ich sag nur: der Audi R8 GT vorm Club grins…). Auch der 2016 durch die Medien gezerrte Skandal über seine angebliche Gewalttätigkeit wird kurz aufgegriffen. Aber man merkt, dass David das nicht wirklich wieder an die Öffentlichkeit bringen will. Was da genau passiert ist, wissen eh nur er und seine damalige Freundin. Wer hier also auf eine öffentliche Abrechnung wartet, wird ziemlich enttäuscht werden…

Viel lieber und viel detaillierter geht er auf sein Lieblingsinstrument und den Geigenbau ein – mit Witz und Charme erzählt er von den Anfängen des Geigenbaus im 16. Jahrhundert, von der Weiterentwicklung des Instruments und von seiner Freude, solch kostbare Stücke in den Händen zu halten. Man merkt ganz deutlich: hier spricht einer, der Geigen und Musik liebt, man kann seine kindliche Freude beim Anblick einer besonders hochwertigen Geige durch die Zeilen spüren und muss schmunzeln, wie liebevoll er davon erzählt. Man merkt auch, dass er versucht, den Lesern das weiterzuvermitteln (bei mir ist es angekommen!). Und am Ende hat man das Gefühl, man hat einen Menschen kennengelernt, der eine Berufung hat und mit seinem Leben mittlerweile absolut im Reinen ist. Und man freut sich einfach mit ihm darüber und legt das Buch nach dem Lesen mit einem guten Gefühl beiseite.

Für das Lesen des Buches sollte man aber etwas mehr Zeit einplanen als nur die reine Lesezeit. Denn am Ende jedes Kapitels gibt es einen QR-Code, der zu Videos und Fotos führt. Und ich sags gleich – man verliert sich darin. Da schaut man mal einem 8jährigen beim Proben zuhause zu, da bestaunt man ein „Wunderkind“ beim Konzert mit einem berühmten Orchester, da schaut man sich neugierig in seinen New Yorker Wohnungen um und verfolgt gebannt seinen Auftritt vor Queen Elizabeth II. Es ist ein reicher Fundus an (zum Teil privatem) Zusatzmaterial, mit dem man den Eindruck bekommt, tatsächlich dem Menschen hinter dem Namen zu begegnen. Eine tolle Ergänzung des Buches, die ich in dieser Form vorher noch nie erlebt habe!

Fazit:
Sehr persönliche und mit dem Zusatzmaterial modern und innovativ gestaltete Autobiografie, die das Gefühl hinterlässt, den Menschen hinter dem Künstler David Garrett kennengelernt zu haben. Highlight!


  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.02.2022

Viel Grün, viel Gegacker und viel Musical-Flair – eine gelungene Mischung!

Querbeet ins Glück
0

Ich kenne Lisa Kirsch als „Mina Gold“ – denn unter diesem Pseudonym schrieb sie ihre historischen Romane „Elbleuchten“ und „Elbstürme“ und eroberte mein Leserherz damit im Sturm. Ob sie mit ihrem zweiten ...

Ich kenne Lisa Kirsch als „Mina Gold“ – denn unter diesem Pseudonym schrieb sie ihre historischen Romane „Elbleuchten“ und „Elbstürme“ und eroberte mein Leserherz damit im Sturm. Ob sie mit ihrem zweiten Pseudonym als Autorin zeitgenössischer Liebesromane ebenfalls einen Volltreffer bei mir landen könnte?

Sie konnte! Denn „Querbeet ins Glück“ überrascht nicht nur mit einigen wirklich ausgefallenen Ideen für einen Roman, sondern auch mit einer Protagonistin, die sehr nahbar und authentisch rüberkommt.

Die Musicaldarstellerin Maddie hat ein Engagement in einer Hauptrolle ergattert – dritte Besetzung bei „Tanz der Vampire“ in Berlin. Bei der Wohnungssuche musste sie allerdings Kompromisse machen und landete in einer Quasi-WG mit einer älteren Dame (Gabi), die mit Berliner Schnauze und Riesenhase Opa aufwarten kann. Aber Maddie ist glücklich – ihr Karriere-traum ist zum Greifen nah! Jetzt heißt es: ranklotzen! Die Bühne duldet keine Halbherzigkeiten.

Als sich Gabi verletzt, findet sich Maddie aber unversehens als Vertretung in Gabis Gartenkommune wieder. Zwischen Beeten, Apfelbäumen und Hühnern findet sie allerdings Gefallen an der grünen Oase. Und an Mit-Gärtner Moritz und dessen Sohn Elias, genannt Elvis. Und so wird ihr ohnehin schon stressiges Leben zwischen Probebühne, Hasenkötteln und Gewächshaus noch komplizierter – etwas, das Maddie gerade so gar nicht gebrauchen kann…

Lisa Kirsch hat einen wunderbaren Liebesroman geschrieben, der mit vielen originellen Figuren (menschlich und tierisch) und einigen Überraschungen gespickt ist. Ich war begeistert von Huhn Inge und habe trotz der locker-leichten Schreibweise viel über Hühnerglück und -unglück in der heutigen Zeit gelernt. Ein Thema, über das ich definitiv noch nie in einem Roman gelesen habe 😊

Maddie war eine rundum sympathische Hauptfigur und ich mochte vor allem, dass sie immer „logisch“ gehandelt und gesprochen hat. Wie oft liest man ein Buch und wundert sich darüber, wie eine Figur in einer bestimmen Situation reagiert. Man denkt sich „wieso hat sie das jetzt nicht direkt angesprochen? Ich hätte das gemacht…“ Meistens dienen solche kleinen Kniffe dem Aufbau von bestimmten Spannungsfeldern im Roman – können aber eben auch ziemlich aufgesetzt oder unrealistisch wirken. Dieses Gefühl hatte ich bei Maddie nie. Sie hat mich immer in ihre Gedankenwelt mitnehmen können und auch ihre Sorgen rund um ihre Musical-Karriere waren absolut nachvollziehbar geschildert.

Nur zwei ganz kleine Kritikpunkte habe ich (das ist aber nur ein persönliches Empfinden): ich hätte gern mehr Gabi im Buch gehabt (sie taucht hauptsächlich am Anfang und Ende des Buches auf, also fast nur als Initiatorin für die Garten-Sache - ich hätte auch zwischenduch gern gelesen, wie es ihr geht, wie ihre Genesung voranschreitet oder dass sie Maddie per „Fernwartung“ Pflanztipps gibt oder sowas).

Und die Auflösung des Streits zwischen den Musicaldarstellerinnen konnte ich nicht ganz zu 100 % nachvollziehen. (möchte hier nicht mehr ins Detail gehen um nicht zu spoilern)

Fazit:
Mich hat dieses Buch total in Frühlingsstimmung gebracht und der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist perfekt gewählt! 😊 Nach dem Lesen will man am liebsten sofort selbst loslegen, in der Erde buddeln und ins Grüne radeln. Es ist eine wunderbare Geschichte mit tollen (frischen!) Ideen – Huhn Inge war echt der Hit! Ich habe das Buch sehr genossen! 4,5 Sterne mit absoluter Frühlings-Leseempfehlung!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.02.2022

Zwischen Karlsbader Schnitte und „Schießbürger“ oder: Leutnant Falck und die wegge Leiche

Im Schatten der Wende
0

Keiner erzählt so gut aus der DDR-Vergangenheit wie Frank Goldammer. Das hat er in seiner Max-Heller-Krimireihe eindrucksvoll bewiesen. Nun widmet er sich im ersten Buch einer neuen Reihe einer weiteren ...

Keiner erzählt so gut aus der DDR-Vergangenheit wie Frank Goldammer. Das hat er in seiner Max-Heller-Krimireihe eindrucksvoll bewiesen. Nun widmet er sich im ersten Buch einer neuen Reihe einer weiteren turbulenten Zeit: den Wendejahren. Und dieser neue Krimi ist nicht nur gut, sondern noch besser als die Heller-Krimis.

Warum? Ganz einfach, weil der Autor diesmal aus dem Vollen schöpfen kann – denn dieses Buch ist nicht einfach nur gut recherchiert, es ist erlebt! Der Autor hat diese Zeit selbst durchgemacht. Zwar nicht als Polizist wie seine Hauptfigur Tobias Falck, aber als junger Mensch, der quasi über Nacht von einem politischen System in ein anderes katapultiert wird. Und dieses eigene Erleben spürt man zwischen den Zeilen. Es macht sein Buch noch authentischer, noch greifbarer, noch ehrlicher.

Wir lernen den jungen Polizist Tobias Falck im Jahr 1988 kennen. Überzeugt vom DDR-System will er der Republik dienen und im besten Sinne den Menschen in seinem Land helfen als ihr „Freund und Helfer“. Schnell lernt er dabei, dass nicht alles Gold ist was glänzt und erlebt auch einige Schattenseiten seiner verehrten Republik.

Als die Stimmen gegen die DDR im Herbst 1989 lauter und lauter werden, wird Falck zu einem Einsatz gerufen und mit Kameraden nach Leipzig gefahren. Der Auftrag: den Demonstranten entgegentreten. Mit Schießbefehl? Oder doch nur mit dem Schlagstock? Keiner sagt was, keiner übernimmt die Verantwortung. Keiner der jungen Einsatzkräfte weiß, was ihn erwartet, sie sind völlig verängstigt und fühlen sich als „Kanonenfutter“ missbraucht. Tobias weiß nicht mehr, wie weit er für diesen Staat noch gehen würde…

Schließlich ist Tobias Ende 1989 im Dienst des Kriminaldauerdienstes – sie rücken als erste am Tatort an, sichern, nehmen Aussagen auf – und geben den Fall dann in der Regel an die zuständigen Kollegen ab. Doch nicht nur das Land, auch die Verbrechen ändern sich – und plötzlich steht eine Kriminalkommissarin aus Frankfurt am Main mit einem Präsentkorb voller Bananen, Obst und Jacobs Kaffee im Büro und übernimmt das Kommando.

Missverständnisse zwischen Ost und West sind an der Tagesordnung, die Kommunikation ist geprägt von Misstrauen und Unverständnis auf beiden Seiten. Keiner weiß so richtig, wie es jetzt weitergeht – auch persönlich. Kann man überhaupt weiterhin im Polizeidienst arbeiten, wenn man vorher der DDR gedient hat? Als dann noch Leichen vom Tatort verschwinden, ist das Chaos perfekt – und Tobias muss seine Überzeugungen und Ziele im Leben völlig neu definieren.

Zwischen Aufbruchsstimmung und Zukunftsangst war es in der Wendezeit nur ein sehr schmaler Grat. Frank Goldammer gelingt es, beides einzufangen und absolut überzeugend wiederzugeben. Und so ist sein Buch wieder einmal viel mehr als „nur“ Krimi-Unterhaltung. Es ist ein Zeitzeugnis aus einem Berufszweig, der wie kaum ein anderer gebeutelt war vom großen Umsturz der Wiedervereinigung Deutschlands. Ein Volltreffer – ich freu mich auf mehr!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.11.2021

„Es kommt nicht darauf an, was man getan hat. Es kommt darauf an, was die Leute denken, was man getan hat.“

Wallis und Edward. Eine Liebe, stärker als die Krone
0

Die Geschichte von Wallis Simpson, die die britische Monarchie in ihren bis dato wohl größten Skandal verwickelt hat, kennt in Großbritannien wohl jedes Kind. Bei uns im deutschsprachigen Raum könnte ich ...

Die Geschichte von Wallis Simpson, die die britische Monarchie in ihren bis dato wohl größten Skandal verwickelt hat, kennt in Großbritannien wohl jedes Kind. Bei uns im deutschsprachigen Raum könnte ich mir vorstellen, dass die jüngere Generation von ihr noch nie etwas gehört hat. Aber nach der Lektüre dieses Buches frage ich mich: stimmt die Geschichte wirklich so, wie sie von den Medien (oftmals einer Hetzjagd gleich) übermittelt wurde? War es wirklich die egoistische Wallis, die den britischen König dazu gebracht hat, sich zwischen ihr und der Krone zu entscheiden und letztlich abzudanken? Oder waren die wahren Beweggründe doch etwas andere?

 

Ich habe es nicht sofort gemerkt, aber im Laufe des Lesens wurde mir klar – dieses Buch bricht eine Lanze für Wallis Simpson, die von den Medien als rücksichtslose, selbstsüchtige, kaltherzige Frau dargestellt wird. Eine Frau, die den Prinzen manipuliert und für ihre Zwecke ausnutzt. Na, kommt euch daran irgendwas bekannt vor? 😉 Ich mein ja nur… (Sehr amüsant übrigens das Zitat am Ende des Buches, als Wallis dem jungen Prinz Charles gegenüber sinniert: „Das Letzte was diese Familie braucht, ist eine weitere geschiedene Frau. Und vor allem keine Amerikanerin.“) Ich musste schon sehr schmunzeln…

 

Das Buch beschäftigt sich sehr eingehend mit der Person Wallis und ihrem Lebensweg bis zu dem Tag, an dem König Edward abdankt. Dazwischen werden in kurzen, eingeschobenen Kapiteln Sequenzen vom Tag seiner Beerdigung eingeflochten. Ein Ereignis, bei dem Wallis – dann mit Ende 70 schon eine betagte Frau – anwesend sein will und doch immer noch Angst hat vor dem Echo, das ihre Anwesenheit in Windsor auslösen wird. Wie tief müssen die Kränkungen und Schmähungen gegangen sein!

 

Wallis‘ Geschichte ist wahrscheinlich voller Missverständnisse. Im Buch lässt die Autorin Lord Mountbatten Folgendes sagen: „So ist es nun mal mit der Geschichte, Wallis. Es kommt nicht darauf an, was Sie getan haben. Es kommt darauf an, was die Leute denken, was Sie getan haben.“

 

Wallis hatte kaum eine Chance, den monarchistisch verklärten Briten nahezubringen, was sie als Privatperson erkannt hatte: Edward wollte nicht König sein. Schon als Kronprinz machte er keinen Hehl daraus, dass er seinen Bruder Bertie und dessen Frau Elizabeth für das geeignetere Regentenpaar hielt. Er selbst war nicht verheiratet, wollte keine Kinder – ein No go in der Monarchie. Er hasste es, zu repräsentieren, wollte eigentlich die Monarchie reformieren – erkannte  aber gleichzeitig, dass das in der altehrwürdigen Institution ein hoffnungsloses Unterfangen war – zumal die Briten selbst es scheinbar nicht mittragen würden.

 

Und dann verliebte er sich unsterblich in Wallis Simpson, die bereits einmal geschieden und zu dem Zeitpunkt erneut verheiratet war. Wallis selbst hegte ebenfalls große Gefühle für den Prinzen. Aber ihr war auch bewusst, dass sie nicht standesgemäß für ihn war. Sie versuchte, die Dinge so zu arrangieren, dass sie und Edward ihre Liebe ausleben und gleichzeitig eine gewisse Diskretion wahren konnten. Doch Edward war wild entschlossen, sie zu heiraten. Sein Vater starb und pro forma war er nun König, wenn auch noch nicht offiziell gekrönt. Und da sah er plötzlich, dass Wallis ihm einen perfekten Ausweg aus seiner hoffnungslosen Situation bot: einen Grund, abzudanken.

 

Die Autorin Wendy Holden verklärt in ihrer Darstellung der Liebesgeschichte die Beziehung zwischen Edward und Wallis nicht. Edward ist nicht nur der liebeskranke Mann, der schlichtweg alles für die Frau seines Lebens tun würde. Ohne Frage – sie WAR die Liebe seines Lebens. Doch er war auch nicht dumm und hat sie vielleicht doch an einer Stelle instrumentalisiert und ihr damit wissentlich einen irreparablen Imageschaden zugefügt. Dass sie ihm das verziehen hat und ihr Leben lang an seiner Seite geblieben ist, dürfte zeigen, dass auch Wallis Edward über alle Maßen geliebt haben muss.

 

 

Fazit:

Wendy Holden erzählt facettenreich, vielschichtig und mitreißend eine der größten Liebesgeschichten des 20. Jahrhunderts – und stellt eine These auf, die Wallis Simpson zu großen Teilen von ihrer „Schuld“ an Edwards Abdankung rehabilitiert. Ein emotionales Statement dafür, dass nicht immer alles so ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Unbedingt lesen!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere