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Veröffentlicht am 23.01.2023

Diversität allein macht leider noch kein gutes Buch

Schildmaid
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Schildmaid war mein Buddy Read im November, was ich zusammen mit Nenatie gelesen habe. Wir haben uns viel vom Buch versprochen, erntete es doch bereits sehr viel Lob und wurde für seien Progressivität ...

Schildmaid war mein Buddy Read im November, was ich zusammen mit Nenatie gelesen habe. Wir haben uns viel vom Buch versprochen, erntete es doch bereits sehr viel Lob und wurde für seien Progressivität gefeiert. Leider muss ich aber sagen, dass der Funken weder bei mir, noch bei Nenatie übergesprungen ist. Warum,weshalb, wieso, will ich jetzt näher erläutern.

Ein Buch, dass die Vielfalt feiert
Doch fangen wir mit dem positiven an. Das Buch hat eine klare Mission: Es möchte Vielfalt abbilden, Gesellschaftsstrukturen hinterfragen und mit Rollenbildern brechen. Alles Ziele, die ich ohne weiteres begrüße und unterstütze. Besonders das Hinterfragen der Rolle der Frau, was Mutterschaft bedeutet und das Beleuchten verschiedener Lebensmodelle fand ich gut gelungen.

"Die größte, schrecklichste Macht, die es gibt, ist die Illusion, dass es nur eine mögliche Art und Weise gibt, wie wir leben können."
(Schildmaid: Das Lied der Skaldin von Judith & Christian Vogt, Piper, 2022, S. 335)

Ebenso positiv fand ich, wie die AutorInnen ihre queeren Charaktere in historischer Kulisse umschrieben, ohne auf moderne Begriffe zurückgreifen zu müssen. Das hatte zudem die Wirkung, dass man sich solchen Charakteren als LeserIn ganz anders nährte. Es war nicht sofort klar, diese Person ist Trans und die andere Genderfluid, man fand es erst nach und nach hinaus, indem die Charaktere ihre eigenen Worte fanden, um das, was sie sind und fühlen zu umschreiben.
Auch sonst gehen Judith und Christian Vogt sehr sensible mit ihren Charakteren um und wenden viel Zeit und Seiten dafür auf, ihre Gefühlswelten zu erkunden, wobei sich viele Charaktere tatsächlich erst im Verlauf der Handlung bewusst werden, wer sie sind und wer sie sein wollen, was zu einigen gut gelungen Charakterentwicklungen führt.

Irgendwo ist auch ein Plot versteckt
Doch so sehr ich die Diversität in diesem Buch an sich begrüße, hat mir manches nicht zugesagt. Mein Hauptproblem mit dem Buch lässt sich im Grunde auf zwei Faktoren reduzieren: 1. Die AutorInnen wollen zu viel und 2. Sie wollen es zu sehr. Man ist bemüht, wirklich jeder marginalisierten Gruppe von Menschen einen Platz auf der Skjaldmaer zu verschaffen, Was in der Theorie eine lobenswerte Idee ist, führt in der Praxis jedoch dazu, dass wir eine Schiffsbesatzung von 20 Frauen haben, von denen wir bei den meisten nicht viel mehr wissen, als ihre “besondere” Eigenschaft. Natürlich erwartet niemand komplette Backgroundstorys zu jedem Nebencharakter, trotzdem fühlte sich für mich ein Großteil der Besatzung der Skjaldmaer wie pures Dekowerk an, damit es eben eine genderfluide Person, eine asexuellen Person oder einen Menschen mit Behinderung im Team gibt. Als gäbe es eine Quote zu erfüllen. Das ist insoweit schade, als dadurch deren eigentlich wichtigen persönlichen Geschichten untergehen.

Doch nicht nur mit den Charakteren, auch sonst haben sich die AutorInnen thematisch viel vorgenommen. Da steht an vorderster Front natürlich der Kampf gegen patriarchale Strukturen und feste Rollenbilder, aber auch Mutterschaft, Endometriose, Rassismus, offene Familienmodelle und viele weitere gesellschaftlich höchst relevante Themen wollen angesprochen werden, das benötigt Zeit und Seiten, da Dialoge zwischen den Charakteren hier das Mittel der Wahl sind, gesellschaftskritische Themen zu verarbeiten. Und zwischen all diesen Gesprächen geht der Plot dann leider völlig unter. Der Auftrag der Götter wird zur Nebensache, der Viking Raubzug zur Kulisse und das Buch beginnt ziemlich zäh zu werden. Für mich persönlich sogar umso mehr, da ich Skade, eine der Hauptprotagonistinnen, echt nicht leiden konnte und sie wahnsinnig nervig fand, sodass ich jedes Mal, wenn eine Passage aus ihrer Sicht kam, nur hoffte, er möge schnell wieder vorbei sein.
Letztendlich erfüllt Schildmaid nicht mehr das, wofür ich es lese: um eine interessante Geschichte mitzuerleben. Stattdessen kommt man sich vor wie in einer Podiumsdiskussion, was an sich ja nicht uninteressant ist, aber dafür hätte ich eben nicht zu einem Fantasybuch greifen müssen. Ich denke es hätte dem Buch gut getan, wenn weniger Themen im Vordergrund gestanden hätte, diese aber gekonnter mit der Handlung verknüpft worden wären, sodass beides, Plot und Gesellschaftskritik, mehr Raum zur Entfaltung gehabt hätten.

Komm liebe/r Leser/in, ich nehm dich an die Hand
Vielleicht hätte mich all dies gar nicht so sehr gestört, wenn ich nicht permanent das Gefühl gehabt hätte, ich sei ein Kleinkind, dass von dem AutorInnenpaar an die Hand genommen muss, damit es auch ja keine tiefgründige Stelle verpasst. Alles von der ersten, bis zur letzten Seite wirkt rigoros durchkonstruiert. Die Geschichte entfaltet keinen Lesefluss, der sich “natürlich” anfühlt. Stattdessen fühle ich mich als Leserin herumgeschubst und belagert. Jeder Satz wurde mit Bedeutung aufgeladen, jede Äußerung der Charaktere ist bewusst tiefgründig arrangiert. Es ist eine einzige Inszenierung, die trotz gut gemeinter Absicht auf Dauer einfach nur noch anstrengend ist. Man hätte den LeserInnen hier durchaus mehr Eigenständigkeit zutrauen können und sie selbstständig gewisse Problematiken entdecken lassen können, als es ihnen immer direkt ins Gesicht zu werfen. Manchmal erzeugt Subtilität ein umso größeres Echo und manche Botschaften zwischen den Zeilen hallen umso länger beim Leserin nach, weil man sie sich selbst erarbeitet hat. Beides ist bei Schildmaid leider nicht zu finden.

Fazit:


Ich habe größten Respekt vor dem, was das AutorInnenduo Vogt hier erreichen wollte, trotzdem bleibe ich dabei: Diversität allein macht noch kein gutes Buch. Es ist toll gesellschaftskritische Themen einzuarbeiten und marginalisierten Gruppen eine Stimme geben zu wollen, wenn darüber hinaus aber sämtlicher Plot flöten geht und ich permanent das Gefühl habe in bestimmte Richtungen geschubst zu werden, dann macht es einfach keinen Spaß zu lesen, schade.

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Veröffentlicht am 07.01.2023

Wie und was man lesen sollte...

Die Katze, die von Büchern träumte
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Wenn ein buch schon im Inhaltstext mit “Eine zauberhafte Hommage an die Macht der Literatur und der Fantasie” beworben wird, kann man als Bibliophile nur schwer daran vorbeigehen, nicht wahr? So ging es ...

Wenn ein buch schon im Inhaltstext mit “Eine zauberhafte Hommage an die Macht der Literatur und der Fantasie” beworben wird, kann man als Bibliophile nur schwer daran vorbeigehen, nicht wahr? So ging es mir jedenfalls, als ich Die Katze, die von Büchern träumte entdeckte und das Büchlein wanderte prompt auf die Leseliste.

Ein Junge, eine Katze und die Rettung der Bücher
Bei keine 200 Seiten ist die Handlung dieser Geschichte schnell erzählt: Der schüchterne und eigenbrötlerische High School Schüler Rintaro lebt mit seinem Großvater zusammen, der ein Buchantiquariat führt und vergräbt sich dort für sein Leben gerne zwischen Nietzsche, Dumas und Shakespeare. Doch als sein Großvater plötzlich verstirbt, weiß Rintaro nicht mehr, was er tun soll. In diesem Moment taucht eine sprechende Katze auf und bittet Rintaro um Hilfe, denn es gilt Bücher zu retten. Dazu führt der getigerte Kater Rintaro in geheimnisvolle Welten, in denen die Bücher in Gefahr sind. Die Geschichte ist dementsprechend unterteilt in die verschiedenen Labyrinthe, genannte Welten, die sich alle anderen “Buchproblemen” widmen.
Schnell wird deutlich, dass es nicht nur darum geht, die Bücher zu retten, sondern vor allem auch Rintaro, der sich nach dem Tod seines Großvaters immer weiter zurück gezogen hat, die Schule schwänzt und droht zum klassischen Hikikomori zu werden. Die Geschichte setz hier klare Fokuspunkte und konzentriert sich allein auf diese beiden zentrale Themen. Dieser starke Fokus ist in meinen Augen weder als besonders gut, noch schlecht zu bewerten, sondern sei hier einfach zur Orientierung erwähnt.

Das Abenteuer der Rettung der Bücher ist also auch eine Selbstfindungsreise. Dementsprechend bekommen wir als Leser/in einen guten Eindruck von Rintaro, wie er denkt und fühlt und was für Probleme er hat. Die restlichen Charaktere bleiben dagegen etwas blass, einschließlich die titelgebende Katze, die dann doch überraschend wenig zur Rettung der Bücher beiträgt. Überhaupt entpuppen sich die Rettungmissionen als relativ unspektakulär. Rintaro trifft auf Menschen, die Bücher schlecht behandeln (dazu gleich mehr), er redet kurz mit ihnen und schon nach kurzer Zeit lässt sich sein Gegenüber überzeugen und ist bekehrt. Mission erfüllt. Das ging mir alles zu leicht und zu schnell und es ließ die wiederholten Warnungen der Katze, die Missionen seien super gefährlich, albern wirken.

Wie und was du zu lesen hast
Was mich jedoch an den Mission noch mehr egstört hat, als ihre Einfachheit ist die elitäre Sichtweise auf Literatur,d ie hinter ihnen steht. Im Grunde ist eine Aussage des Buches, dass nur Klassiker es wert sind, gelesen und geliebt zu werden. So wird zum Beispiel immer wieder betont, wie besonders Rintaros Buchhandlung sei, weil es angeblich der einzige Ort ist, an dem man noch “Literatur” wie Kant oder Nietzsche finden kann, während alle anderen Buchhandlungen nur noch Mainstream Schund verkaufen. Tatsächlich wird sogar behauptet, man bekäme Bücher von Kafka, Austen oder Saint-Exupéry nirgendwo sonst mehr (von online-handel hat der Autor offenbar noch nie was gehört). Diese Lobpreisung der klassischen Literatur als das einzig Wahre fand ich schon etwas albern und ich lese selbst auch gerne Klassiker, aber eben nicht nur. Noch schlimmer wurde es dann im dritten Labyrinth. Hier wird es als Misshandlung von Literatur dargestellt, wenn ein Verlag es wagt Bücher zu drucken, die keine tiefgehende Bedeutung haben, sondern einfach der Unterhaltung dienen. Auch wie man zu lesen hat, wird ganz genau festgelegt. So bist du zum Beispiel kein/e Bücherliebhaber/in, wenn du nicht regelmäßig bestimmte Bücher (Klassiker!) erneut liest. Kurzfassungen, Lektüreschlüssel und Zusammenfassungen darfst du nicht mal mit der Kneifzange anfassen, die gehören in den Giftschrank! Und wenn dich das Buch beim Lesen nicht fordert, und Kopfschmerzen bereitet, dann ist es nichts wert.

Letztendlich ist dieser kurze Roman zwar eine Hommage an die Literatur, nur eben leider eine ganz bestimmte, ausgewählte Art von Büchern gewidmet. Das fand ich mehr als schade, sollte Lesen doch eigentlich etwas sein, was Menschen aller Art, Herkunft, Gesellschaftsschicht etc. verbindet. Man sollte sich nicht dafür schämen müssen, wenn man statt zu Nietzsche, lieber zu Fitzek greift und es ist auch keine Schade der reinen Unterhaltung oder Entspannung wegen zu lesen, aber genau das wird hier unterschwellig suggeriert und hat mir daher sehr missfallen. Auf drei Sterne gerettet hat die Geschichte eigentlich nur ein paar allgemeingültige Aussagen zum lesen/zu Büchern, die ich sehr schön fand. So zum Beispiel, dass Lesen zwar toll ist, man aber darüber hinaus seine Mitmenschen und den Bezug zur Realität nicht vergessen sollte, oder dass Bücher einem in schwierigen Zeiten als Freunde zur Seite stehen können.

Fazit:


Die Geschichte rund um Rintaro vermittelt durchaus Liebe zur Literatur, allerdings aus einer sehr elitären Perspektive heraus, die ganz genau festlegt, wie man zu lesen hat und was es wert ist gelesen zu werden. Das ist mehr als traurig, denn ein paar sehr schöne Lebensweisheiten und Aussagen über Bücher sind in der Geschichte enthalten. Schade nur, dass sie offenbar nicht für alle Bücher und nicht für alle Leser/innen gelten.

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Veröffentlicht am 10.09.2022

Das Patriarchat der Dinge und alles andere

Das Patriarchat der Dinge
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Nachdem ich letztes Jahr Unsichtbare Frauen las und es mich nicht vollständig überzeugen konnte, wurde mir im Anschluss mehrfach Das Patriarchat der Dinge empfohlen. Dementsprechend war ich mehr als neugierig, ...

Nachdem ich letztes Jahr Unsichtbare Frauen las und es mich nicht vollständig überzeugen konnte, wurde mir im Anschluss mehrfach Das Patriarchat der Dinge empfohlen. Dementsprechend war ich mehr als neugierig, ob dieses Buch das Thema überzeugender behandeln würde, als das vorherige.

Eine Welt gemacht von Männern für Männer
Worum geht es in diesem Sachbuch überhaupt? Hinter dem fast schon poetischen Titel versteckt sich im Grund eine einzige Geschichte, nämlich die, dass unsere Welt von Männer für Männer gestaltet wurde und noch immer wird. Sei es Stadtplanung, Medizin oder schlicht das Design von Alltagsgegenständen, der weiße cis Mann ist die Norm und Frauen werden entweder gar nicht extra berücksichtigt (häufigster Fall) oder werden als absonderliche Anomalie betrachtet und bekommen eine lediglich verkleinert und pink angemalte Version angeboten, Stichwort shrink it and pink it. Das ist im besten Fall ärgerlich und unpraktisch für Frauen, die Gegenstände nutzen müssen, die nicht für sie gedacht ist, im schlimmsten Fall ist es jedoch lebensbedrohlich, nämlich dann, wenn Sicherheitsvorkehrungen und Konzepte beispielsweise im Auto die weibliche Anatomie ignorieren oder in der Medizin die Wirkung von Medikamenten nur an männlichen Körpern (sowohl bei Versuchstieren, als Menschen) getestet werden.

Wer da noch behauptet, wir bräuchten keine Feminismus Bewegung mehr, sollte dringend dieses Buch lesen, denn Endler führt wirklich zahlreiche Beispiele auf, die zeigen, wie sehr Frauen auch im Alltag noch benachteiligt werden. Was der Autorin ebenfalls gut gelingt ist, die Verknüpfungen des Patriarchats und des Kapitalismus aufzuzeigen. Es mag zwar wenig überraschen, dass beide Hand in Hand gehen, doch hier bekommt man nochmal genaustens die direkten Auswirkungen dieser unseligen Paarung aufgezeigt.

Rebekka Endler ist wütend, sehr wütend
Wenn man von eben erwähnten lebensgefährlichen Datenlücken in Medizin, Katastrophenschutz und Sicherheit absieht, mögen all diese kleinen und großen Benachteiligen im einzelnen vielleicht nicht dramatisch sein und nein, ich sterbe nicht, weil in meine Jeanstaschen nichts außer ein paar Münzen passt, nichtsdestotrotz macht die Summe all dieser Benachteiligungen wütend. Zumal ja vieles davon einfach zu lösen wäre, wenn Frauen nur endlich mal mitgedacht werden würde. Und nur weil es vielleicht nichts lebensentscheidendes ist, ob ich als Frau z.B bei einer Gesundheitsapp mitbedacht erde oder nicht, heißt es doch nicht, dass man dies nicht kritisieren darf und ob der Ungerechtigkeit nicht verärgert sein darf. Wir Frauen haben also einen guten Grund wütend zu sein und ein Recht, dass man unsere Wut wahrnimmt. Dementsprechend hat auch Rebekka Endler allen Grund dazu, wütend zu sein und ja auch, diese Wut in ihr Buch einfließen zu lassen und sprachlich auch mal ausfallend zu werden. Das muss nicht jeder mögen, ist aber zu akzeptieren.

Was in meine Augen jedoch nicht ok ist, ist bei all der Emotionalität des Themas die Recherche zu vernachlässigen und das geschieht in diesem Buch leider ein paar mal. Häufiger betrachtet sie bestimmte Beispiele aus einem sehr einseitigen, ihrer Argumentation zuträglichem Blickwinkel und lässt größere Kontexte außer Blick. Zum Beispiel erwähnt sie ein in Frauenhaut gebundenes Medizinbuch aus dem 19. Jh. und wirft dem Arzt, der dieses herstellte die krudesten Gewalt- und Rachefantasien vor. Dass das Binden, gerade von Medizinbüchern in Menschenhaut im 19. Jh. zwar nicht in Massen geschah, aber doch gängige Praxis (und nicht mit denselben moralischen Tabus belegt war, wie heute) war und dafür mehrheitlich die Haut von verstorbenen Männern verwendet wurde, erwähnt sie nicht. Tatsächlich haben viele derjenigen, deren Haut nach ihrem Tod als Einband endete, diese zu Lebzeiten genau dafür verkauft. Daher stammt auch das Sprichwort “seine Haut zu Markte tragen“. Durch das Weglassen dieses Kontextes, erscheint Endlers Beispiel jedoch in einem ganz anderen Licht, liest sich ihr Text doch jetzt so, als ob ausschließlich Frauen von sadistischen Ärzten als Form von Rache an dem gesamten weiblichen Geschlecht, gegen ihren Willen gehäutet wurden.
Und solcherart Beispiele finden sich häufiger. Es ist völlig ok auch in einem Sachbuch emotional zu sein, trotzdem sollte doch eine gewisse fachliche Professionalität gewahrt werden, und Kontexte nicht ignoriert werden, nur weil das Gesamtbild dann nicht zu dem passt, was man erzählen möchte.

(K)ein Buch über Feminismus im Allgemeinen
Leider ist das nicht mein einziger Kritikpunkt am Buch. Was mir ebenfalls nicht ganz zusagte, ist die Art und Weise, wie die Autorin ihr Buch strukturiert. Im Vorwort schrieb sie noch, sie wolle kein allgemeines Buch über Feminismus schreiben, sondern sich ganz auf das titelgebende Patriarchat der Dinge konzentrieren. Letztendlich hat sie sich an diesen Vorsatz aber nicht gehalten und irgendwie doch ein allgemeines Feminismusbuch geschrieben. Denn während sie zunächst doch noch sehr eng beim Thema vom patriarchistischem Design bleibt, weicht sie selbst diesen Begriff immer weiter auf und redet am Ende über viele Sachverhalte, in denen es zwar um die Unterdrückung der Frau geht, die mit patriarchistischem Design jedoch nichts mehr zu tun haben. Hinzu kommt ein ausgeprägter Drang zum Abschweifen. Endler beginnt mit einem Theme, führt dazu dann noch konkrete Beispiele auf, zu diesen Beispielen jedoch folgen weitere Beispiele und schwupps, ist sie vom eigentlichen Thema abgewichen und findet auch oft den Weg dahin nur mühsam oder gar nicht wieder zurück. Das gestaltet das Lesen dieses Buches oftmals mühsam und langatmig, da man sich des Öfteren fragt “Warum reden die Autorin jetzt nochmal von dem und dem?”

Dieser Hang zum Abschweifen führt auch dazu, dass eigentlich treffende und gute Aussagen etwas untergehen. An dieser Stelle wäre es einfach besser gewesen enger beim Thema zu bleiben und dieses dafür akzentuierter zu besprechen.

Fazit:


Auch dieses Buch über Sexismus im Design und Alltag konnte mich nur halb überzeugen. Das Thema ist wichtig, ja und Rebekka Endler listet zahlreiche wachrüttelnde Beispiele auf, die wütend und nachdenklich zugleich machen und führt uns Leser*innen gut die fatalen Zusammenhänge von Patriarchat und Kapitalismus vor. Leider verliert sie bei all der Wut hin und wieder sowohl den Blick fürs Wesentliche, als auch den auf die großen Kontexte, was ihre Argumente einseitig werden lässt.

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Veröffentlicht am 10.09.2022

Emotional, doch ohne Tiefe

Der letzte Papierkranich - Eine Geschichte aus Hiroshima
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Ich kann nicht genau sagen wieso, oder was das über mich aussagt, aber die Atombombenabwürde in Hiroshima und Nagasaki üben eine grausige Faszination auf mich aus. Vielleicht, weil es nicht in meinem Kopf ...

Ich kann nicht genau sagen wieso, oder was das über mich aussagt, aber die Atombombenabwürde in Hiroshima und Nagasaki üben eine grausige Faszination auf mich aus. Vielleicht, weil es nicht in meinem Kopf will, wie man zu diesen Waffen greifen konnte, wie man wissentlich so viel Leid und Elend verursachen konnte. Ich versuche das Schicksal dieser Menschen zu verstehen, versuche zu verstehen, was aber eigentlich nicht verstanden werden kann. Trotzdem greife ich immer wieder zu Büchern, die diese Thematik aufgreifen und so geriet auch Der letzte Papierkranich schnell in mein Blickfeld.

“Wir alle sind Geschichten”
In dem Buch haben wir zwei Handlungsstränge. Die Rahmenhandlung spielt in der Gegenwart. Mizuki macht sich Sorgen um ihren Großvater Ichiro, der zunehmend verbittert und verzweifelt wirkt. Sie möchte ihm helfen und sucht daher die Ursache für seine Traurigkeit. Schnell stößt sich auf die tragische Vergangenheit ihres Großvaters in dessen Heimatstadt Hiroshima …
Dieser Gegenwart-Teil ist komplett in Versform geschrieben, wobei der “Text” in einer freien Versform ist, während die Kapitel stets von einem Haiku eingeleitet werden. Ein Ansatz, den ich sehr interessant fand und der sich doch besser lesen ließ, als erwartet.

Schatten der Vergangenheit
zehren an seiner Seele
Was geschieht in seinem Kopf,
was ihm so zusetzt?

Was bedrückt
den Mann,
der mir einst
das Radfahren
beibrachte?

(Der letzte Papierkranich von Kerry Drewery, Arctis Verlag, 2020, S. 21.)


Wenngleich ich, nur eine Leseprobe des Originals gelesen habe und es daher nicht ganz genau sagen kann, habe ich doch das Gefühl, dass Meritxell Janina Piel als Übersetzerin hier auch einen wirklich guten Job gemacht hat. Zumindest bei den freien Versen. Die Haikus verlieren manchmal etwas von ihrer Bedeutung, aber das kreide ich ihr nicht an, denn Haikus sind halt echt schwer zu übersetzten, da man ja drauf achten muss die Silbenzahl beizubehalten.


Wenn deine Welt von einer Sekunde zur anderen explodiert
Der mittlere Teil ist wieder in Prosaform geschrieben und in dem erzähl Großvater Ichiro von seiner Vergangenheit und den Ereignissen in Hiroshima, als die Bombie fiel, wobei er mit seinen Erinnerungen unmittelbar vor dem Abwurf beginnt.

Aus dem Augenwinkel sehe ich Hiro, der zum Fenster geht.
“Ein B-29-Bomber”, stellt er fest. “Aber nur einer.”
Mein Finger liegt auf Seite dreihundertachtundvierzig und markiert das letzte Wort, das ich im “Davor” lesen werde, während ich das deutliche und vertraute Brummen des amerikanischen Flugzeugs höre. Hiro dreht sich zu mir um. “Da ist irgendwas …”
Der Rest seines Satzes verbrennt im alles verschlingenden Weiß.

(Der letzte Papierkranich von Kerry Drewery, Arctis Verlag, 2020, S. 32f..)


Als Leser/in begleiten wir Ichiro und seinen Freund Hiro auf ihrer Suche nach Keiko durch das bis zur blanken Erde zerstörtem Hiroshima. Leider kann man sich eigentlich, wenn man den online genutzten Inhaltstext durchgelesen hat, diesen Teil fast sparen, da der Inhaltstext aber auch wirklich ALLES vorwegnimmt, was in Anbetracht der Kürze des Buches nicht nur ärgerlich, sondern schlichtweg untragbar ist.

Hat man nur den Klapptext auf der Rückseite des Buches gelesen (den ich auch oben verwende) ist man besser dran und ist das Schicksal von Ichiro und Keiko in Hiroshima deutlich emotionaler, wenngleich, und das ist mein großer Kritikpunkt an diesem Buch, alles trotzdem sehr oberflächlich bleibt. Das Buch ist im Grunde viel zu kurz, um die Emotionen wirklich zu übermitteln, die es den/die Leser*in fühlen lassen will. Die Handlung fliegt dahin, Figuren bleiben blass, für tiefgründige Auseinandersetzungen mit dem Grauen fehlt die Zeit. Die Geschichte ist dramatisch, keine Frage, doch es ist Schrecken, erzählt im Eiltempo, weshalb es viel von seiner Eindringlichkeit verliert. Auch das Ende der Rahmenhandlung fand ich viel zu schnell erzählt und in meinen Augen auch etwas zu kitschig. Zumindest letzteres ist jedoch eher Geschmackssache. Ein bisschen hatte ich auch das Gefühl, dass die Autorin ihre Ideen aus Die letzten Glühwürmchen und Sadako will leben zusammengemischt hat, aber das nur mein Gefühl, ich will der Autorin da nichts unterstellen und lasse diesen Punkt auch nicht in meiner Bewertung einfließen.

Fazit:


Das Buch ist für Jugendliche als Einstieg in dieses Thema sicher nicht verkehrt. Es ist ein kurzes, aber einnehmend erzähltes Einzelschicksal, dass ohne zu verstören versucht, dieses katastrophale Ereignis abzubilden. Um wirklich nachhaltig bewegend zu sein, fehlt es jedoch deutlich an Tiefe, denn ein sensibles Thema allein, macht noch kein tiefgründiges Buch.

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Veröffentlicht am 19.04.2022

Nicht meine Art von Grusel

Spuk in Hill House
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Dieses Buch steht schon seit dem Erscheinen dieser Neuauflage auf meiner Wuli. Lange habe ich versucht es zu ertauschen, doch niemand wollte es abgeben, ein Punkt, der schlecht für mich ist, aber immer ...

Dieses Buch steht schon seit dem Erscheinen dieser Neuauflage auf meiner Wuli. Lange habe ich versucht es zu ertauschen, doch niemand wollte es abgeben, ein Punkt, der schlecht für mich ist, aber immer für das Buch spricht. Als ich es dann endlich ergattern konnte, war ich super neugierig auf das Buch und legte gleich los. Umso enttäuschter bin ich, dass ich mich nicht den begeisterten Stimmen anschließen kann.

Spuk oder kein Spuk, das ist hier die Frage
Ich muss sagen, dass mir diese Rezension alles andere als leicht fällt. Nicht nur, weil ich das Buch eigentlich so gerne hätte gemocht hätte, sondern vor allem deshalb, weil ich denke, dass die Gründe weniger beim Buch selbst liegen, als viel mehr der Tatsache geschuldet sind, dass Buch und ich einfach nicht zusammen passen. Das ist natürlich auch ein legitimer Grund ein Buch nicht zu mögen, macht das Rezensieren jedoch schwerer, da ich dem Buch kaum etwas vorwerfen kann, außer nicht meinen Geschmack getroffen zu haben. Ich entschuldige mich daher schon mal, dass diese Rezension etwas kürzer ausfallen wird.
Ich werde euch jetzt einfach erzählen, was ich mir ursprünglich erhofft hatte und warum Spuk in Hill House diesen Erwartungen nicht entsprach. Das hat für euch Leser/innen dann immerhin noch Mehrwert, als dass Leute mit ähnlichen Erwartungen wie ich, das Buch besser einschätzen können.

Also, was habe ich mir erhofft? Ein Gruselbuch natürlich, aber vor allem übernatürlichen Horror. Ich liebe Geistergeschichten jeglicher Art. Das Spannendste daran ist dann für mich immer herauszufinden, wieso, weshalb, warum es spukt, welche tragische Vergangenheit dahintersteckt und was der Geist eigentlich will. Das alle setzt natürlich voraus, dass es tatsächlich spukt und hier stieß ich bei Spuk im Hill House auf das erste Problem. In Shirley Jacksons Schauerroman ist es nämlich alles andere als sicher, ob überhaupt übernatürliches in dem House vorhanden ist, oder ob alles auf eine eigenwillige Architektur und der Psyche der Protagonistin basiert.
Der Roman entwickelt sich zum Psychothriller. Sprachlich elegant und atmosphärisch dicht webt die Autorin ein Spinnennetz rund um die Figuren und den/die Leser/in dem, einmal verfangen, sich kaum noch sagen lässt, was wahr ist und was nicht, was Einbildung und was Realität. Das ist wirklich gut gemacht, keine Frage und objektiv betrachtet kann ich auch nachvollziehen, warum dieses Buch zum Klassiker wurde und auch viele begeisterte Anhänger hat. Nichtsdestotrotz ist es einfach nicht meine Art von bevorzugtem Grusel. Ich mag “echte” Geistergeschichten. Ich will den übernatürlichen Horror erleben und mich nicht ständig fragen, ob das, was geschildert wird, nur dem Wahnsinn der Figuren entspricht. Daher war Spuk in Hill House leider nicht mein Buch.

Fazit:


Ich war einfach die falsche Leserin für dieses Buch. Statt übernatürlichem Horror bekommt man ihr vor allem einen Psychothriller und das Charakterprofil eines zunehmend labiler werdenden Menschen. Das kann definitiv begeistern und hat ja auch seine zahlreichen Liebhaber/innen. Es ist jedoch keine Art von Grusel, die ich bevorzuge.

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