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Veröffentlicht am 03.06.2022

Von der Modeszene Berlins auf eine Biofarm in der Bretagne

Die Liebe fliegt, wohin sie will
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Die dreißigjährige Cleo hat sich in Berlin einen Namen als Stylistin gemacht. Bei all der harten Arbeit hat sie in der letzten Zeit nicht so viel Zeit für Familie und Freunde gefunden. Nun freut sie sich ...

Die dreißigjährige Cleo hat sich in Berlin einen Namen als Stylistin gemacht. Bei all der harten Arbeit hat sie in der letzten Zeit nicht so viel Zeit für Familie und Freunde gefunden. Nun freut sie sich auf vier Wochen Urlaub, die sie entspannt in südlicheren Gefilden verbringen möchte. Doch dann überrascht ihre beste Freundin Freddie sie mit dem letzten Willen ihrer kürzlich verstorbenen Großmutter Helene, die auch für Cleo wie eine Oma war. Helene vermacht Cleo zwei Kisten mit ihren besten Kleidungsstücken unter der Bedingung, das diese vier Wochen auf einer Biofarm in der Bretagne verbringt. Das wirft Cleos Urlaubspläne über den Haufen, die sich voller Skepsis auf den Weg macht.

Die Protagonistin Cleo lernte ich zu Beginn der Geschichte kennen, während sie sich ganz in ihrem Element befindet. Als Stylistin gibt sie alles, um eine gelungene Fotostrecke zu ermöglichen, während sie in ihrer Freizeit Fallschirmspringen geht und ihre Abende im angesagten Club „Roaring“ verbringt, der nur im Stil der 20er gekleidete Gäste einlässt. Dort sieht sie ihre beste Freundin Freddie zum ersten Mal seit der Beerdigung von deren Oma Helene wieder. Freddie überbringt ihr die Nachricht von ihrem Erbe und der daran geknüpften Bedingung. Warum Helene sie ausgerechnet in die Betragne auf einen Hof schicken will, der vom Sohn eines ihrer Verflossenen geleitet wird, erschließt sich Cleo erst einmal nicht nicht.

Cleos Ankunft in der Bretagne wird von vielen Zweifeln begleitet. Ihre Hippie-Eltern haben mit ihr als Kind immer Urlaub auf dem Bauerhof von Onkel Lutz gemacht, was ihr überhaupt nicht gefallen hat. Kurze Rückblicke geben Einblicke in ihr jüngeres Ich und ließen mich besser verstehen, welche Erlebnisse sie geprägt haben. Auf der Farm begegnen ihr einige Anwesende zunächst mit Distanz, weil sie nicht verstehen, was eine Stylistin aus Berlin bei ihnen will. Die Mehrheit nimmt sie jedoch gleich herzlich auf und unterstützt sie beim Ankommen.

Die Beschreibung von Cleos ersten Tagen auf der Farm nimmt einen großen Teil des Romans ein. Sie kümmert sich um die Hühner, entrostet Zäune und kümmert sich um Tomaten und allerlei anderes Gemüse. Am Markttag begleitet sie den sympathischen Luc und überlegt, wie sie die Präsentation der Waren am Stand aufpeppen kann. Es ist eine schöne Gemeinschaft auf dem Hof mit vielen liebenswürdigen, ganz unterschiedlichen Charakteren. Auch mit Louanne, die auf den Nachbargrundstück wohnt und versorgt das Dorf mit ihrem Käse versorgt, freundet Cleo sich an. Louanne ist eine aufmerksame Beobachterin und bringt Cleo mit ihren Bemerkungen ins Grübeln darüber, was sie wirklich will.

Der Farmbesitzer Finn, auf dessen Farm Helene Cleo gezielt geschickt hat, hat lange Zeit nur kurze Auftritte. Die Liebesgeschichte spielt sich hauptsächlich auf den letzten 100 Seiten ab, wodurch alles sehr schnell geht. Die gemeinsamen Szenen der beiden haben mir sehr gut gefallen und ich hätte mich gefreut, wenn es davon schon zu früheren Zeitpunkten in der Geschichte mehr gegeben hätte. Auch das Ende hat sich für mich sehr abrupt angefühlt. Ich hätte gern noch ein paar weitere Seiten gelesen und die schöne Stimmung der Bretagne sowie das Gefühl der Schmetterlinge im Bauch genossen.

In „Die Liebe fliegt, wohin sie will“ sorgt ein unerwartetes Urlaubsziel bei der Protagonistin für einen Perspektivenwechsel. Ein leichter Roman zum Wegträumen für sommerliche Lesestunden, den ich gerne weiterempfehle.

Veröffentlicht am 17.05.2022

Ein Bot, der zu fühlen beginnt

Kurioses über euch Menschen
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Wir schreiben das Jahr 2054. Jared arbeitet als Zahnarzt in Ypsilanti, Michigan. Diesen Job hat er erhalten, weil kein Mensch ihn ausüben will. Er hingegen ist ein Bot: Auf den ersten Blick sieht er wie ...

Wir schreiben das Jahr 2054. Jared arbeitet als Zahnarzt in Ypsilanti, Michigan. Diesen Job hat er erhalten, weil kein Mensch ihn ausüben will. Er hingegen ist ein Bot: Auf den ersten Blick sieht er wie ein Mensch aus, aber er hat keine Gefühle und ist im Labor in kürzester Zeit zum Erwachsenen herangereift. Eines Tages taucht eine Zahl in seiner Zahlencloud auf, die nicht mehr verschwinden will und die Menge der noch zu kontrollierenden Zähne bis zu seinem Ruhestand angibt. Er sucht gleich das Referat für Robotik auf, die ihm jedoch sagen, dass dies keine Funktionsstörung ist, die eine Löschung seiner Festplatte rechtfertigen würde.

Dr. Gundenstein, der Arzt, mit dem er sich die Praxisräume teilt, hat einen anderen Ratschlag. Jared soll sich einen der alten Filme ansehen, die sonst nur Nostalgiker schauen. Denn im Gegensatz zu den neuen Filmen, in denen es fast ausnahmslos darum geht, dass Killerbots von mutigen menschlichen Außenseitern gestoppt werden, geht es hier um Gefühle. Es passiert das Unglaubliche: Jared weint! Seine neu entdeckten Gefühle wecken in ihm den Wunsch, einen Film über einen Bot zu schreiben, der ebenfalls Gefühle hat. Dazu macht er sich auf den Weg nach Los Angeles, wo er das harte Filmbusiness kennenlernt und sich verliebt.

Jared wendet sich in der Ich-Perspektive direkt an seine Leser:innen, um ihnen seine Geschichte zu erzählen, die zu seiner Zeit als Zahnarzt in Ypsilanti beginnt. Er hat einen nüchternen Erzählstil mit vielen kurzen Sätzen und Ausrufen wie „Ha!“ und „Geht gar nicht!“, die er sich bei den Menschen abgeschaut hat. Die Idee hat mir gefallen, die Umsetzung ist jedoch gewöhnungsbedürftig, auch wenn Jared im Laufe der Zeit noch etwas flüssiger in seinen Berichten wird.

Als Außenstehender beobachtet Jared die Menschen mit ihren Verhaltensweisen, ihren Normen und Werten und ihren expliziten und impliziten Regeln ganz genau. Seine Ausführungen sind amüsant und kurzweilig. Eine zentrale Rolle spielen Gefühle, die er nach kurzer Zeit selbst zu spüren beginnt und mithilfe eines Gefühlsrads zuzuordnen versucht. Der Fokus bleibt auf Jareds Erlebnissen. Am Rande erwähnt er zwar beispielsweise, dass der Mond versehentlich verbrannt wurde und es Neuseeland nicht mehr gibt, allzu viel erfuhr ich aber nicht über die Ereignisse der vorherigen Jahre und die Gesellschaftsstruktur.

Dr. Gundenstein hat vor seiner Arztkarriere einige Semester Filmwissenschaften studiert und steckt Jared nach kurzer Zeit mit seiner Begeisterung für Filme an, insbesondere solche aus alten Zeiten, in denen keine Killerbots die Menschheit umbringen wollen. Dadurch entsteht Jareds Wunsch, selbst einen Film zu schreiben, durch welchen die Menschen Bots mit anderen Augen sehen sollen. Zwischen den Kapiteln in der Ich-Perspektive gibt es immer wieder Szenen, die als Drehbuch geschrieben sind und die damit ebenfalls auf das Filmthema einzahlen.

Die Geschichte führte mich über einen schrägen Roadtrip nach Los Angeles, wo Jared Einblicke in das Filmbusiness erhält und sich in die Kellnerin Amber verliebt. Ich fieberte mit, ob er seinen Traum von einem eigenen Film verwirklichen kann und ob er sich traut, Amber zu gestehen, dass er ein Bot ist. Ein wenig Spannung kommt auf, weil Jared sich stets der Gefahr bewusst ist, dass er vom Referat für Robotik aufgespürt und gelöscht oder gar verbrannt werden könnte. Bis zum Ende hin bleibt es abwechslungsreich und interessant. Lasst euch auf den ungewöhnlichen Schreibstil und den besonderen Protagonisten ein, dann werdet ihr mit einer Story belohnt, die abseits des Mainstreams zu unterhalten weiß!

Veröffentlicht am 13.05.2022

Ein deutsch-sizilianisches Familienepos

Terra di Sicilia. Die Rückkehr des Patriarchen
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Im Jahr 1880 wird in dem kleinen sizilianischen Dorf Taormina Barnaba Carbonaro als Sohn eines ehemaligen Pfarrers geboren. Dieser musste sein Amt aufgeben, nachdem er die Tochter des Schneiders geschwängert ...

Im Jahr 1880 wird in dem kleinen sizilianischen Dorf Taormina Barnaba Carbonaro als Sohn eines ehemaligen Pfarrers geboren. Dieser musste sein Amt aufgeben, nachdem er die Tochter des Schneiders geschwängert hat. Bereits mit fünf Jahren wird Barnaba zum Arbeiten auf die Orangenplantagen geschickt. Er besitzt eine Hose und ein Hemd, aber keine Schuhe. Bald zeigt er ein Talent fürs Rechnen, das Lesen lernt er hingegen nicht. Im Laufe der Jahre gelingt ihm der Aufstieg, immer wieder steht er jedoch mit leeren Händen da. So auch 1960, als er in München eintrifft und Quartier im Haus der Familie seines Sohnes Nino bezieht, welcher der Großvater des Erzählers und eins der vierundzwanzig Kinder ist, die Barnaba in seinem Leben gezeugt hat. Wie schon mehrfach zuvor in seinem Leben überlegt er, wie er ohne Vermögen, aber mit einer guten Idee wieder zu Geld kommen kann.

Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen. Zum ersten Mal begegnete ich Barnaba, als er mit achtzig Jahren in München ankommt, um bei Nino und seiner Familie zu wohnen. Diese Kapitel sind im Vergleich zu den Rückblicken auf sein bisheriges Leben eher kurz. Die Rückblicke beginnen im Jahr 1890, als der zehnjährige Barnaba eine verlockende Bezahlung dafür erhält, dass er für Fotografien des Barons von Gloeden nackt Modell steht. Sein Plan, etwas davon für sich zu behalten, wird von seinem Vater durchkreuzt. Dieser stirbt am Tag darauf bei einem Erdbeben und lässt seinen Sohn mit der Verantwortung zurück, für sich selbst und seine Mutter zu sorgen.

Beim Lesen tauchte ich tief in das Sizilien am Ende des 19. Jahrhunderts ein. Barnaba ist arm, träumt aber vom Aufstieg. Als Kind ist er in den Augen der Erwachsenen jedoch ein Niemand und kassiert immer wieder Schläge, sowohl beim Arbeiten auf der Plantage als auch daheim. Er weiß, dass sein Chef ein Mafioso ist, wagt aber dennoch, mit einer Bitte an diesen heranzutreten. Seine Liebe zu Rosaria, der Schwester seines besten Freundes, wird in seiner Jugend zu einem zusätzlichen Antrieb, etwas aus sich zu machen.

Mehrfach spielt Barnaba der Zufall in die Hände und lässt ihn wertvolle Bekanntschaften machen. Er versucht, gute Beziehungen zu den richtigen Persönlichkeiten aufzubauen und Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Das gelingt ihm mal mehr und mal weniger gut. Er wird betrogen, gerät zwischen die Fronten und lässt sich von seiner Leidenschaft leiten. Mit seiner Geschäftstüchtigkeit, Mut und Gerissenheit kämpft er sich aber immer wieder zurück.

Ich begleitete Barnaba durch Höhen und Tiefen und wurde dabei gut unterhalten. Nebenbei lernte ich einiges Interessantes über Zitrusfrüchte. Auf das übersinnliche Element in Form von Geistern, die Barnaba und auch seine Familienmitglieder sehen können, hätte ich allerdings verzichten können. Barnabas Lebensstationen werden lange recht ausführlich geschildert, auf den letzten 150 Seiten zieht das Tempo dann deutlich an und die Jahre werden im Zeitraffer erzählt. Hier hätte ich mir eine ausgewogenere Verteilung gewünscht. Der Abschluss verspricht eine Fortsetzung, in welcher die Frauen der Familie im Mittelpunkt stehen - man darf gespannt sein.

Lest „Terra di Sicilia“, wenn ihr Lust auf ein deutsch-sizilianisches Familienepos habt und den Lebensweg eines Patriachen mit all seinen Höhen und Tiefen begleiten wollt!

Veröffentlicht am 19.04.2022

Kurzweilige, unterhaltsam chaotische Hochzeitskomödie

Undercover Bridesmaid – Das perfekte Durcheinander
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Sophie Breeze ist eine professionelle Brautjungfer: Sie lässt sich von Bräuten buchen, um diese in den Vorbereitungen und während des großen Tages bestmöglich zu unterstützen. Den anderen Gästen gegenüber ...

Sophie Breeze ist eine professionelle Brautjungfer: Sie lässt sich von Bräuten buchen, um diese in den Vorbereitungen und während des großen Tages bestmöglich zu unterstützen. Den anderen Gästen gegenüber gibt sie sich als Freundin aus, damit niemand Verdacht schöpft. Als sie von der Marquise von Meade die Anfrage erhält, ihre Tochter als Brautjungfer zu unterstützen, ist die völlig aus dem Häuschen: Die Hochzeit der berühmten Lady Cordelia Swann verspricht, das Ereignis des Jahres zu werden! Cordelia selbst sieht allerdings nicht ein, weshalb sie Sophies Dienste in Anspruch nehmen soll. Sie stellt allerlei Anforderungen an Sophie, die sie dazu bringen sollen, zu kündigen. Doch so leicht gibt Sophie nicht auf.

Zu Beginn des Buches lernte ich Sophie kennen, während sie ganz in ihrem Element ist: In ihrer Rolle als Brautjungfer zieht sie im Hintergrund die Stippen, damit bei der Hochzeitsfeier alles nach Plan läuft. Die Hochzeitssaison neigt sich dem Ende zu, doch für das nächste Jahr hat sie schon zahlreiche neue Aufträge erhalten. Nur eine Hochzeitseinladung kommt ihr gar nicht recht: Die ihres Ex-Freundes Daniel. Und dabei war sie selbst seit der Trennung nicht einmal auf einem Date!

Bald hat sie jedoch gar keine Zeit mehr, sich darüber Gedanken zu machen, denn ihr neuer Auftrag als Brautjungfer von Lady Cordelia beansprucht ihre gesamte Zeit. Für Sophie ist es die Chance, Zugang zu weiteren Klientinnen der High Society zu erhalten. Doch Cordelia stellt sich als echter Bridezilla heraus: Sie stellt unmögliche Ansprüche, scheucht Sophie in der Gegend herum und lässt sie spüren, dass sie nicht erwünscht ist. Ein Lichtblick ist ihr Bruder Tom, der als Viscount einer der begehrtesten Junggesellen der Stadt ist und bei dem Sophies Zuneigung auf Gegenseitigkeit zu beruhen scheint. Doch dieser kennt nicht einmal ihren wahren Namen, den sie für Cordelias Hochzeit in Emily geändert hat.

Der Roman legt ein gutes Tempo vor und eine skurrile Szene jagt die nächste. Ich fand es sehr unterhaltsam, Sophie bei ihren verzweifelten Versuchen zu begleiten, den Ansprüchen von Cordelia gerecht zu werden. Zwischen den Kapiteln gibt es immer wieder Einschübe mit verrückten Anfragen anderer Bräute oder Dialogen mit Dienstleistern, bei denen nicht alles nach Plan läuft, die das Planungschaos noch verstärken. Sophie fällt es grundsätzlich schwer, Nein zu sagen, und weil sie den Auftrag der Familie Swann nicht verlieren will, verhält sie sich ihnen gegenüber geradezu devot. Im Laufe der Geschichte macht sie aber eine schöne Entwicklung durch. Etwas mehr erhofft hatte ich mir von der Lovestory, für die leider kaum Zeit blieb.

Wer Lust auf eine kurzweilige und chaotische Hochzeitskomödie hat, für den ist „Undercover Bridesmaid“ genau das Richtige!

Veröffentlicht am 13.04.2022

Sommerferien in einer Duisburger Lagerhalle

Der Markisenmann
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Im Jahr 2005 ist Kim fünfzehn Jahre alt, hat ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Familie und schlechte Noten in der Schule. Für den tätlichen Angriff auf ihren Bruder, durch den sie in der Jugendpsychiatrie ...

Im Jahr 2005 ist Kim fünfzehn Jahre alt, hat ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Familie und schlechte Noten in der Schule. Für den tätlichen Angriff auf ihren Bruder, durch den sie in der Jugendpsychiatrie landet, hat sie jedoch keine Erklärung. Als die Sommerferien anstehen, liefert ihre Mutter sie kurzerhand bei ihrem leiblichen Vater Ronald Papen ab, während der Rest der Familie nach Miami fliegt. Zu diesem hat Kim zuvor noch nie Kontakt gehabt. Nun soll sie die ganzen Ferien lang mit ihm in seiner Duisburger Lagerhalle leben, von wo aus er aus der DDR-Zeit stammende Markisen per Kaltakquise im ganzen Ruhrgebiet vertreibt. Kims anfängliche Ablehnung wandelt sich allmählich in Interesse, und sie will mehr über ihren Vater und die Vergangenheit herausfinden.

Die Geschichte wird von der erwachsenen Kim aus der Gegenwart heraus im Rückblick erzählt. Sie nahm mich mit in den Sommer 2005, als sie fünfzehn Jahre alt war und ihrem Bruder etwas Schlimmes angetan hat, für das sie im Rückblick keinerlei Erklärung hat. Da ihre Familie sie nicht sehen will, sie in den Ferien aber irgendwo bleiben muss, landet sie bei ihrem leiblichen Vater, von dem sie bis zu diesem Zeitpunkt abgesehen von seinem Namen nichts wusste.

Auf den ersten Blick versprechen die Ferien, der reinste Horror zu werden. Statt ihres luxuriösen Hauses in Köln soll sie nun in einem fensterlosen Raum in einer Lagerhalle mitten in einem Industriegebiet in Duisburg-Meiderich wohnen. Das Interessanteste hier ist die Pfütze vor der Halle, die sie hingebungsvoll am Leben hält, und der vierzehnjährige Alik, der ihr den Rasen am Rhein-Herne-Kanal als Privatstrand schmackhaft macht. Doch ihre Fluchtgedanken werden bald von der Faszination für das Ungewohnte abgelöst. Auch das Interesse an ihrem Vater wächst allmählich.

Nach einigen Tagen beschließt Kim, ihren Vater bei seiner Kaltakquise zu begleiten. Sie kann nicht fassen, dass er in diesem Jahr erst zwei der in ihren Augen wirklich hässlichen Markisen verkauft hat und hat bald einige Einfälle, wie sich das Geschäft ankurbeln lässt. Die Vater-Tochter-Szenen sind unterhaltsam, die vielen Stories rund um das Klinkenputzen und die Reaktionen der potenziellen Markisenkäufer verloren für mich jedoch bald ihren Reiz. Ich wartete auf Antworten, was Ronald Papens Vergangenheit anging, die erst sehr spät gegeben werden. Auch das Potenzial der Geschichte rund um Alik und Kim wurde nicht voll ausgeschöpft. Auf den letzten Seiten berichtet die erwachsene Kim, was in der Zeit nach den Sommerferien bis zur Gegenwart geschehen ist und sorgte damit für einen befriedigenden Abschluss.

„Der Markisenmann“ ist eine Coming of Age-Story, in der ich Kim während ihrer Sommerferien begleitete, die sie bei ihrem bis dato unbekannten Vater verbringen muss. Die Geschichte wird mit Charme und Humor erzählt und stimmt nachdenklich im Hinblick auf die Konsequenzen von Taten, die nicht entschuldbar sind. Ich fühlte mich gut unterhalten, hätte mir thematisch aber noch mehr Abwechslung gewünscht. Ein Roman für alle, die Lust auf eine im Ruhrgebiet spielende Vater-Tochter Geschichte haben.