An Elena Ferrante und ihrer Saga um die Freundinnen Lila und Elena im Neapel der Nachkriegszeit kam man in den letzten Monaten ja nur sehr schwer vorbei: Die halbe Welt schien den Roman zu lesen und davon zu schwärmen, dazu kamen noch die Spekulationen über die wahre Identität der Autorin. Was hat dieser Roman, warum begeistert er die lesende Welt so restlos? Das wollte ich nun auch herausfinden und hab mich an „Meine geniale Freundin“ gewagt, den ersten Teil der vierteiligen Saga. Und ja, dieser erste Teil war in der Summe ein wirklich gutes Buch – so ganz kann ich den Hype allerdings noch nicht verstehen.
Der Auftakt beziehungsweise die Rahmenhandlung der Geschichte ist schon mal recht effektvoll: Eine Frau namens Lila, schätzungsweise um die 70, ist spurlos verschwunden – sie will das Leben, das hinter ihr liegt, komplett auslöschen. Ihre langjährige beste Freundin Elena, die Ich-Erzählerin in Ferrantes Roman, beginnt nun die Geschichte ihrer Freundschaft aufzuschreiben. Eine innige Freundschaft, die aber auch immer von Konkurrenzkampf geprägt ist.
Im ersten Teil der Saga geht es um die Kindheit und frühe Jugend der Freundinnen. Die Erinnerungen führen zurück in das Neapel der 1950er und 60er, in den Rione, das ärmste Viertel der Stadt. Es ist eine Welt in der Armut, Enge und Gewalt herrschen. Eine Welt in der Männer ihre Frauen schlagen, in der kriminelle Familienclans das Sagen haben und Töchter an den Freier verschachert werden, der gerade das meiste Geld besitzt. Lila und Elena begegnen sich zum ersten Mal in der Grundschule. Die stille Elena fühlt sich sofort angezogen von der frechen Lila, die noch dazu einen extrem wachen Verstand hat, ja fast schon hochbegabt ist. Gemeinsam versuchen sie den Kosmos, in dem sie leben, zu verstehen und merken bald, dass sie ihm entkommen müssen, wollen sie es später zu etwas schaffen. Es ist dann aber Elena die den Bildungsweg wählt, um aus dem Rione rauszukommen. Lila wird die Schulausbildung verwehrt.
Die Geschichte bietet viel: es ist eine zwischenmenschliche Studie, es ist ein Bildungsroman und nicht zuletzt ein Sittengemälde Neapels in der Nachkriegszeit. Die Figuren – vor allem Elena und Lila – sind wie aus Fleisch und Blut geschaffen. Es ist erschreckend zu lesen, mit welch Selbstverständlichkeit die beiden jungen Mädchen die Gewalt und die Zustände im Rione zunächst hinnehmen. Man versteht diese Gier nach Bildung, die das Leben der Freundinnen vorantreibt. Und man leidet mit der wissbegierigen Lila, der diese Bildung verwehrt bleibt. Ferrantes Sprache ist dazu noch schön und elegant. Trotzdem fehlte mir gerade in literarischer Hinsicht etwas, um restlos begeistert zu sein. Zu ruhig, zu brav, zu chronologisch wird die Geschichte erzählt. Zu sehr ist die Geschichte für mich noch eine Chronik, zu wenig Roman. Trotzdem werde ich auf jeden Fall weiterlesen und mir hoffentlich bald den zweiten Teil zulegen. Wahrscheinlich muss man die Saga am Ende auch als Gesamtkonstrukt bewerten.