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Veröffentlicht am 02.05.2022

Eine flüchtige Begegnung mit tiefgreifenden Folgen...

Das Vorkommnis
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Manchmal können Begegnungen eine ganze Reihe an Handlungen, Gedanken, wenn nicht sogar Veränderungen herbeiführen. Dabei ist es fast egal, ob man sich mit jemanden verabredet hat, sich eher zufällig über ...

Manchmal können Begegnungen eine ganze Reihe an Handlungen, Gedanken, wenn nicht sogar Veränderungen herbeiführen. Dabei ist es fast egal, ob man sich mit jemanden verabredet hat, sich eher zufällig über den Weg läuft oder sich mit Unvorhersehbarem auseinandersetzen muss, alles zieht seine Kreise und führt zu einem kleinen Wandel in uns und häufig kehren wir gedanklich immer wieder zu diesem Ausgangspunkt zurück - sei es aufgrund von Wut, Aufregung, Euphorie, Unverständnis...
Das ist dann ungefähr auch das, was der Autorin Julia Schoch passiert ist. Auf einer Lesung in Lübeck (zumindest deutet sehr viel darauf hin, dass es sich um diese Stadt handelt) machte sie die Bekanntschaft mit einer Frau, die zu ihr nach einer Lesung, fast schon nebenbei, sagte: "Wir haben übrigens denselben Vater." Einerseits im Schockzustand, andererseits emotional aufgewühlt fiel sie der fremden Frau sofort um den Hals. Was weiter geschehen ist, oder was weiter zwischen den beiden Frauen besprochen wurde, erfahren wir nicht, nur, dass dieses Ereignis noch sehr lange die Gedankenwelt der Autorin im Griff haben wird und dass dieses Aufeinandertreffen Ausgangspunkt für den ersten Roman ihrer dreiteiligen Biographie einer Frau sein wird. "Das Vorkommnis" von Julia Schoch behandelt nun die Gedankenwelt einer Frau, die sich plötzlich mit einer Halbschwester auseinandersetzen muss und sich mit Fragen konfrontiert sieht, die viel weiter reichen und sich tief aufs eigene familiäre Gefüge, die Vergangenheit und das sich nun irgendwie veränderte Leben beziehen.

"Was meinen Fall anging, so hatte ich keine Todesnachricht erhalten. Bei mir handelte es sich um Zuwachs, nicht um einen schrecklichen Verlust. Trotzdem war es eine Art Verschiebung. Etwas an dem gewohnten Bild stimmte nicht mehr."

Als Leserin begleitet man die Autorin nun durch ihren Alltag, sie versucht das Geschehene zu vergessen, aber das Treffen mit der Unbekannten lässt sie einfach nicht mehr los und stellt alles infrage. Selbst wie genau sich das Treffen ereignete, warum sie der Fremden sofort glaubte, ihr um den Hals fiel, weiß sie nicht mehr so richtig. Wie ist das eigentlich mit der Erinnerung? Was ist mit ihrer Familie geschehen? Und muss man die Frau nun auch über den Zustand des Vaters informieren? Welche Beziehung haben sie nun eigentlich zueinander? Der Gedankenstrudel treibt sie immer weiter und führt sie zeitgleich immer wieder zum Treffen zurück; zum Vorkommnis. Und so beschäftigt sie sich auch mit der Wahrheit, der Ehe, Mutterschaft, philosophiert über das Leben, Familiengeheimnisse, Adoption. Zwischenzeitlich reicht es sogar so weit, dass sie denkt: "Das hier ist nicht die Geschichte meiner Familie. Die Geschichte meiner Familie gibt es nicht. Das ist nur die Geschichte meiner Verwirrung." Und das führt alles irgendwie dazu, dass sie die Frau noch einmal sehen muss, sie treffen muss, um zu verstehen, um sie in ihrem 'neuen' Leben aufzunehmen, zu reflektieren und irgendwie auch wieder zur Ruhe zu finden.
"Damals wünschte ich, ich würde einen Roman über all das schreiben. In einen Roman konnte ein Satz stehen wie: Die Wochen vergingen, der Sommer kam, und X vergaß die Begegnung mit der Frau im Dezember. Ich sehnte mich nach einem Stoff, dem ich mich spielerisch nähern konnte. Ich wollte mich ein wenig austoben, mehr nicht."

Und irgendwie ist ihr das Spielerische mit diesem Buch auch gelungen, allerdings mehr auf persönlicher und gedanklicher Ebene als erwartet. Und auch wenn für mich der Ausgangspunkt dieser Biographie und die daraus resultierenden Gedanken äußerst interessant und nachvollziehbar waren, so hatte ich auch einige Probleme damit. Julia Schoch nimmt ihre Leser
innen mit in ihre Vergangenheit, erzählt von wirren, beinahe schon Hineinsteigerungen und findet schlussendlich wieder dahin zurück, wo alles begann. Das Zusammentreffen ist quasi die Klammer ihrer Erinnerung und Lebensrückblicke, die innerhalb dieses Romans mit Zweifel an einigen Einschätzungen konfrontiert werden und alles erneut infrage stellen. Gerade das Vertrauensgefüge zum Vater scheint zu bröckeln, die Liebe zu Mann und Kindern, sowie der Blick auf die Welt bzw. ihre Erinnerung steht im Fokus ihrer Betrachtungen. Daraus entstand eine sehr reflektierte Auseinandersetzung mit sich und der Welt und eben jenen Folgen des Zusammentreffens, das sie auch noch Jahre später beschäftigt.
Dennoch muss ich sagen, dass gerade die Abfolge vom Zusammentreffen, gedanklichen Folgen, Rückblick, Beziehung hin zu weiteren Gedanken über das Zusammentreffen, für mich am Ende dann doch recht konstruiert schienen. Auch die Übergänge fand ich nicht gerade schön, aber das ist dann womöglich auch eine Geschmacksfrage. Fragen... da haben wir es wieder. Fragen, philosophische Auseinandersetzungen und Deutungen des eigenen Handels mag ich sehr, aber irgendwie habe ich in diesem ersten Teil keine wirkliche Antwort auf irgendwas gefunden, ich könnte nicht mal sagen, dass mir vieles in Erinnerung geblieben ist, aber die Frage wie man selbst auf so etwas reagieren würde, was an Julia Schochs Gedanken nun überzogen, was ähnlich ist, das hat mich recht lange beschäftigt. Ich bin mal gespannt, ob und wann mir der nächste Teil in die Hände fällt und ob ich weiteres lesen möchte, denn einerseits interessiert es mich nun sehr, wie die Autorin weiter vorgehen wird mit ihrer Biografie einer Frau, andererseits denke ich, dass mir grade diese autofiktionale, schon eher sachliche Auseinandersetzung mit dem lebensverändernden Ereignis (irgendwie auch ein sehr beliebtes 'Ding' in der Literatur) doch auch gereicht hat.


"Dann aber wurde mir klar, dass ich schon vieles nicht mehr wusste, ja an bestimmte Dinge hatte ich mich schon am nächsten Tag kaum mehr erinnert. [...] Andere, scheinbar unwesentliche Details hingegen sind mir bis heute sehr genau im Gedächtnis. [...] Vor allem scheint sich erst jetzt, mit dem Abstand von Jahren, in großer Klarheit zu zeigen, wie Dinge, die in den Monaten und Jahren danach passiert sind, miteinander zusammenzuhängen. [...] Es waren Monate und Jahre, in denen sich alles zu verändern schien, meine Sicht auf die Welt, die Liebe, auf meinen Mann und meine Kinder."

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Veröffentlicht am 24.04.2022

Wenn die Vergangenheit ruft... "Der Erinnerungsfälscher" von Abbas Khider

Der Erinnerungsfälscher
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In Abbas Khiders neusten Roman "Der Erinnerungsfälscher" erzählt er sehr locker und leicht von den Wirren der deutschen Bürokratie, des deutschen Asylverfahrens, vom Kampf mit den Behörden und irgendwie ...

In Abbas Khiders neusten Roman "Der Erinnerungsfälscher" erzählt er sehr locker und leicht von den Wirren der deutschen Bürokratie, des deutschen Asylverfahrens, vom Kampf mit den Behörden und irgendwie auch dem, was man hierzulande von Migranten erwartet oder zu wissen glaubt. Und Khider blickt zurück auf das Leben seines Protagonisten Said Al-Wahid, der durch die Nachricht seines Bruders zur sofortigen Reise in sein Heimatland aufgerufen wird. Saids Mutter liegt derzeit in einem Bagdader Krankenhaus im Sterben, die Zeit drängt, doch da gibt es noch so einige Probleme mit dem Reisepass und seinem Asylantrag.

"Saids Leben in Deutschland neigte sich, so schien es, dem Ende zu. Sechs Jahre verloren schlagartig ihre Bedeutung. [...] Es war, als ob Saids Leben kein Leben wäre, sondern ein überflüssiger Satz in den Akten der Behörden: Jeder konnte ihn mit einer flüchtigen Bewegung wegstreichen. Es war ein wertloses Leben, nur ein Furz am Rande aller Welten."

Ich wünschte, dieser Roman hätte mir mehr gegeben oder besser gesagt einen bleibenderen Eindruck hinterlassen, denn gerade durch Khiders vorherige Romane und das allgemeine, durch die Medien geprägte Bewusstsein über Migration, Asylprobleme und Co, ist es mehr eine kleine, leicht zugängliche Geschichte, die einen Einblick in das komplexe Gefüge aus Bürokratie, Flucht, (Un)Menschlichkeit und Heimat bietet, aber auch nicht wirklich mehr erzählt. Und das ist irgendwie sehr schade, denn der Hintergrund ist schon sehr tragisch. Said hat früh seinen Vater verloren, dieser wurde hingerichtet als er acht Jahre alt war. Er hat alles zuhause aufgegeben, sich über zahlreiche Hürden nach Berlin gekämpft, sehr umständlich eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, sich hier eine neue Heimat aufgebaut, eine eigene Familie gegründet und ist nun gefordert zu seinen Wurzeln zurückzukehren und sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen, aber gleichzeitig erkennt Said eben auch, dass kaum noch (echte) Erinnerungen vorhanden sind. Und das wäre in ausführlich wahrscheinlich ein sehr mitreißender Roman gewesen, der gerne an die 300 Seiten hätte haben können und viel über das Schicksal der Geflüchteten verraten hätte. So ist es aber eher ein Rückblick in die Vergangenheit, alles Erkämpfte ist schon da und es werden Möglichkeiten gesucht eine Verbindung zur Vergangenheit herzustellen und das dann auch in einem eher weniger berührenden Schnellverfahren.
Daher empfehle ich diesen Roman eher jenen, die noch nichts über Flucht, Migration oder Einbürgerung in Deutschland gelesen haben, denn "Der Erinnerungsfälscher" ist wirklich ein nettes, schnell zu lesendes 'Einsteigerbuch' in die Thematik, es hat einige wirklich schöne, tiefgründige Gedanken, aber sonst... lieber anderes.

"Er ist nie mit seiner kleinen Familie heimgereist und nun liegt seine Mutter im Sterben. Als Said wegging, war das Land ein Loch der Verzweiflung; zwei Jahrzehnte später ist es zu einem Loch der Hoffnungslosigkeit geworden."

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Veröffentlicht am 17.09.2021

Kornkreise in England - "Der perfekte Kreis" und eine ungewöhnliche Freundschaft

Der perfekte Kreis
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Nachdem Benjamin Myers mit "Offene See" den Liebling der deutschen Buchhändler:innen landete und beinahe jeden mit seiner unaufgeregten und sehr naturverbundenen Freundschaftsgeschichte begeistern konnte, ...

Nachdem Benjamin Myers mit "Offene See" den Liebling der deutschen Buchhändler:innen landete und beinahe jeden mit seiner unaufgeregten und sehr naturverbundenen Freundschaftsgeschichte begeistern konnte, hat er nun mit "Der perfekte Kreis" noch einmal nachgelegt. Auch dieses Buch widmet er einer ganz besonderen Freundschaft. Wir begeben uns mit ihm ins südliche England im Jahr 1989, als dort gehäuft seltsame, kreisrunde Muster auf den Feldern auftauchen. Eine Sensation, die für reichlich Spekulationen in den Medien, bei den Wissenschaftlern und Menschen vor Ort sorgt. Einige wollen kleine grüne Wesen gesehen haben, andere gehen von Jugendstreichen aus oder sehen dies einfach als eine lukrative Geldeinnahmequelle. Doch hinter all dem stecken eher zwei, die sich über einen ungewöhnlichen Weg gefunden haben und eine seltene Leidenschaft hegen. Calvert und Redbone haben sich viel vorgenommen, sie möchten in diesem Sommer die "Kleingeister" mit ihren Kornkreisen umhauen und damit die Aufmerksamkeit zurück auf die Natur lenken. Die Honigwabe-Doppelhelix soll dabei ihr größter Coup werden, aber bis dahin versuchen sich die beiden noch an ein paar anderen Kornkreisformationen. Sie ziehen nächtlich mit Seilen und Brettern bewaffnet los und setzen Redbones verrückte Pläne in die Tat um. Eine Tat und Freundschaft, die gerade für Calvert wichtiger ist, als alles andere. Doch eins schwingt immer mit... die Angst davor entdeckt zu werden.

"Ein perfekter Kreis kann prinzipiell nicht erschaffen werden, erst recht nicht von zwei Typen auf einem Feld mit ein paar Seilen und hochfliegenden Ideen. Sorry, mein Freund. Der perfekte Kreis kann nur als Idee existieren. Was gar nicht so schlecht ist, wenn du mal drüber nachdenkst, denn das heißt, dass jeder von uns einen in sich trägt."


Das ist es also, der berühmt, berüchtigte zweite Roman und ehrlich gesagt, hat mich "Der perfekte Kreis" schon sehr enttäuscht. Zwar gibt es einige Parallelen zu Myers Erstling, aber die Handlung ist dann doch etwas eintönig. Als Leser:in begleitet man die beiden Freunde insgesamt 10 Mal auf ihren Touren durch die Felder. Redbone und Calvert setzen sich dabei immer wieder neue, größere oder spektakulärere Ziele, werden hin und wieder von Anwohnern überrascht und in ihren Gesprächen werden hier und da weitreichende Themen wie Kolonialismus, Müll, Monokulturen, Regionalismus, der generelle Einfluss der Menschen auf die Umwelt, sowie die globale Erwärmung eingestreut, aber bis auf ein paar Grundzüge lernt man die beiden Protagonisten kaum kennen und in der Geschichte gibt es kaum begeisterungsfähige Aufs und Abs. Es plätschert so hin, lässt sich mal eben so fix lesen, aber im Großen und Ganzen gibt einem die Geschichte recht wenig und das ist schade. Auch ein Punkt, über den ich lange nachdachte und irgendwie fraglich finde, ist dass jedes Kapitel den jeweils von den beiden ausgedachten Namen für das Kornkreiskunstwerk, wie der Longbarrow-Wal, der White-Whattle-Schlüssel oder der High-Bassett-Butter-Barrel-Whirlpool trägt und dann in den teilweise am Ende des jeweiligen Kapitels angehängten 'Zeitungsberichten' eben auch jene Namen auftauchen. Dass sich die beiden Künstler und die Redakteure die gleichen Namen für etwas ausdenken... hmm.
Und so ist es dann eben nur ein nettes Buch über eine ungewöhnliche Freundschaft, sehr ruhig und sicherlich ein nettes Verlegenheitsgeschenk für Freunde, bei denen man nicht weiß, was sie gerne lesen, aber die auf der Rückseite versprochene "berührende Liebeserklärung an die englische Landschaft, die Natur und nicht zuletzt an die Freundschaft" ist dann eine vielleicht doch etwas zu hochgegriffene Beschreibung.

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Veröffentlicht am 19.04.2021

Mord oder Suizid? Der erste Fall für Katja Sand in "Trauma - kein Entkommen"

Trauma – Kein Entkommen
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Ich habe mich auf Spurensuche nach etwas Nervenkitzel begeben und bin bei der als Trilogie angelegten Thrillerreihe Trauma von Christoph Wortberg gelandet. Und eigentlich sollte man nun meinen, dass ein ...

Ich habe mich auf Spurensuche nach etwas Nervenkitzel begeben und bin bei der als Trilogie angelegten Thrillerreihe Trauma von Christoph Wortberg gelandet. Und eigentlich sollte man nun meinen, dass ein ausgebildeter Schauspieler und jahrelanger Tatort-Drehbuchautor sicherlich einen großartigen dramaturgischen Aufbau, einen spannenden Fall und tolle Szenenwechsel, sowie eine Reihe geheimnisvoller Tatverdächtige parat hat, aber irgendwie war "Trauma - kein Entkommen", so der Titel des ersten Teils, dann mehr eine Art Traumatherapie der Ermittlerin, statt ein wirklich hochbrisanter, spannender Thriller.

"Das Kind starrte auf den Gürtel in der Hand des Vaters. Der Gürtel sagte: Was machst du hier, du kleines Stück Scheiße? Warum bist du nicht im Bett? Und was soll dieser verdammte Fleck zwischen deinen Beinen? Kannst du deine Pisse nicht zurückhalten, du verdammte Missgeburt?"

Alles beginnt zunächst mit einem, wie ich finde, sehr starken Prolog. Das Leiden eines kleinen Jungen wird in den Fokus gerückt. Sein gewalttätiger Vater, der nicht nur gegenüber seiner Frau handgreiflich wird, geht mit dem Gürtel auf seinen dreijährigen Sohn los, als dieser stumm, an der Treppe stehend, das Treiben zwischen beiden beobachtet. Der Junge flüchtet vor Angst, in der Hand sein geliebtes Stofftier, in den Schuppen und verkriecht sich unter dem Tisch. Natürlich viel zu offensichtlich, sodass der Vater sich an ihm vergehen kann. Allerdings nicht handgreiflich, wie man nun vermuten würde, sondern psychisch einschüchternd. Er zündet den Stoffhasen an und zwingt seinen Sohn zuzuschauen. Cut. Wir lernen nun die Ermittlerin Katja Sand kennen, die sich gerade in das Liebesleben ihrer Tochter einmischt und ihre Tochter vor dem neuen Freund, wenn nicht sogar vor der ganzen Welt schützen will. Kurze Zeit später wird sie mit ihrem Assistenten Rudi Dorfmüller an einen Baggersee gerufen. Ein Mann wurde tot aufgefunden, alles sieht nach Selbstmord aus, aber irgendwas lässt Katja Sand daran zweifeln. Und ihre Theorie scheint richtig zu sein, ihre Ermittlungen steuern sie in einen von der Bundesmarine vertuschten Skandal. Und als dann einige Tage später noch ein weiterer, ehemaliger Marineanwärter tot in einem Kühlschrank aufgefunden wird, scheint alles klar zu sein, doch eindeutige Hinweise fehlen... so lange, bis ihr eigenes Trauma ihre Beziehung zu ihrer Tochter gefährdet und sie selbst in das Visier des Täters gerät.

"Er lässt ein Feuerzeug aufflammen, hält es an die Motorhaube. Das vergossene Benzin fängt sofort Feuer. Die Hitze der Flammen schlägt Katja voller Wucht ins Gesicht. Ich werde verbrennen, denkt sie, ich werde mein Kind nicht mehr sehen und meine Mutter auch nicht."


Ich weiß nicht, hoffentlich habe ich jetzt nicht schon zu viel verraten, denn so wirklich viel passiert in diesem, ersten Band ja nicht gerade. Der Fokus liegt hier eindeutig mehr auf der Charakterentwicklung und das Leben der Ermittlerin Katja Sand. Und auch wenn ich diesen behind-the-scenes-Blick sehr mochte, er diesen Thriller sehr menschlich macht, war es mir insgesamt einfach zu viel. Der Plot bewegt sich recht weit entfernt von den eigentlichen Tatorten und irgendwie konnte bis auf den kurzen Rest, dieses Buch kaum mit Spannung punkten. Die stärkeren, bedrückenden Einschübe und die traumatischen Erlebnisse des Kindes waren die eigentlichen Höhepunkte dieses Thrillers, aber die Auflösung und ihren Bezug zu den Fällen dann doch recht lange vorhersehbar. Ich hätte mir auch mehr Abwechslung, wie weitere Einschübe aus den Leben der einzelnen Betroffenen gewünscht. Vielleicht hätte gerade das, diesen Fall deutlich spannender und nicht so durchschaubar gemacht. Auch das letzte Kapitel, das bereits auf den nächsten Teil anspielen soll, fand ich beinahe schon lieblos ran gesetzt und die eigentliche Auflösung ging kaum in die Tiefe, sondern wurde binnen einzelner Seiten abgearbeitet und fertig. Es ist ein interessantes Buch über die Auswirkungen von Traumata bzw. Erlebnissen in den verschiedenen Stadien des Lebens, aber es ist eben mehr eine persönliche Entwicklungsstudie mit zwei Mordfällen und kein Thriller bzw. das was man vom Titel "Trauma - kein Entkommen" und der Positionierung erwarten würde. So schwanke ich dann auch zwischen einer enttäuschten zwei-Sterne-Bewertung für den Plot und einer doch recht faszinierenden Sicht auf Mutter-Tochter-Konstellation. Und ob ich den bereits im August erscheinenden zweiten Teil lesen mag... ach, ich weiß nicht.

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Veröffentlicht am 21.03.2021

Und täglich grüßt das Patriarchat - Cho Nam-Joo über das frustrierende Leben einer Frau (in Korea)

Kim Jiyoung, geboren 1982
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Ein Buch, das seit seinem Erscheinen für sehr viel Aufmerksamkeit gesorgt hat, zahlreich gelobt und als brisanter "Glücksfall", "feministisches Meisterwerk" und wichtiges "Buch über Frauenbilder" gefeiert ...

Ein Buch, das seit seinem Erscheinen für sehr viel Aufmerksamkeit gesorgt hat, zahlreich gelobt und als brisanter "Glücksfall", "feministisches Meisterwerk" und wichtiges "Buch über Frauenbilder" gefeiert wird, ist der koreanische Roman "Kim Jiyoung, geboren 1982" von Cho Nam-Joo. Und gerade aufgrund des gewaltigen Echos hat dieses Buch dann auch mein Interesse geweckt.

Cho Nam-Joo schildert in ihrem Roman exemplarisch das alltägliche Leben einer Frau in Korea bzw. berichtet eigentlich von den vorherrschenden Problemen zwischen den Geschlechtern auf der ganzen Welt. Ihre Protagonistin Kim Jiyoung ist 33 Jahre alt. Sie leidet an einer psychischen Störung, deren Ursache tief in ihrem Leben und der vorherrschenden Gesellschaftsstruktur verankert ist. Nüchtern und distanziert berichtet nun Jiyoungs Psychiater vom Leben seiner Patientin. Kim Jiyoung wurde am 1.April 1982 in einer Klinik in Soul geboren. Als Mädchen, in einem Land, in dem man sich lieber männliche Nachkommen wünscht und nur diesen eine Sonderbehandlung zukommen lässt, musste sie stets ihren Weg finden. Sie musste sich beugen, sich gerade von den männlichen Figuren in ihrem Leben vorschreiben lassen, wie man sich zu verhalten hat. Und so erzählt er dann auch von ihrem Leben, ihren Erinnerungen an die Schulzeit, von Grundschullehrern und den strengen Uniformen für Mädchen, von ihrem tagtäglichen Kampf um Anerkennung und Gleichbehandlung auf der Arbeit und der versteckten Kamera auf der Damentoilette, den Bildern im Internet, dem Unverständnis, ihrem Familienleben und den Auseinandersetzungen vor der Geburt ihres eigenen Kindes. Er berichtet von den allgemeinen Erwartungen, von dem Leben einer Frau voller Frustration, Wut und Ungerechtigkeit und das dann so real, dass jede Leser*in sehr schnell und schmerzhaft bewusst wird, dass er beinahe von jeder Frau auf der Welt sprechen könnte.

"Ich habe doch dein Geld nicht geklaut. Ich habe ein Kind geboren, unter Schmerzen, und wäre beinahe daran gestorben. Ich habe auf mein Leben, meine Träume, meine Zukunft, ja mein ganzes Selbst verzichtet, um das Kind zu erziehen. Und dann bin ich plötzlich Ungeziefer. Was soll ich denn jetzt machen?"

Auch wenn diese Geschichte sehr eindrücklich zeigt, unter welchen schwierigen Voraussetzungen Frauen in den östlichen Ländern, aber auch weltweit, aufwachsen, leben und mit welchen Problemen sie alltäglich zu kämpfen haben, hat dieser Roman nur sehr wenig in mir ausgelöst. Gerade die ersten Abschnitte über die Kindheit der Mädchen in Korea, die Bevorzugung der Brüder und dieser Druck, der auf den Frauen lastet, einen Sohn zur Welt zu bringen, fand ich noch sehr erstaunlich und bedrückend. Auch wenn es, sofern man sich schon Mal mit dem östlichen Raum und den ärmeren Großfamilien dort beschäftigt hat, nichts Neues ist, so haben die Bilder in dieser komprimierten Form eine gewisse Wucht. Im weiteren Verlauf werden die Geschehnisse und Ansichten weltlicher. Die Benachteiligung im Job, die Gedanken, die die Geburt eines Kindes mit sich bringen oder die herablassenden Bemerkungen und Absichten des männlichen Geschlechts, Sexismus sind auch hierzulande keine Seltenheit. Leider habe ich gerade in diesen Abschnitten das Interesse an der Geschichte etwas verloren - Vielleicht weil der Roman nicht mitreißend genug ist, die berichtende Erzählweise generell recht unemotional, kühl und distanziert daherkommt, sodass ich überhaupt keine Nähe zur Protagonistin aufbauen konnte, oder weil es dann eben doch 'nur diese Standardprobleme' sind. Und eigentlich ist es dann schon wieder erschreckend, dass man selbst durch die andauernden Berichterstattungen und Diskussionen, ohne dass endlich mal eine Verbesserung der Situation und eine Gleichstellung erreicht wird, die geschilderten Ereignisse schon mehr als alltäglich wahrnimmt und irgendwie, da man selbst davon weniger betroffen ist, teils auch ermüdet. Aber es fehlt mir in diesem Roman auch einfach die Perspektive, eine starke Frauenfigur, die sich gegen das vorherrschende System stellt und die Erwartungshaltung der männlichen Figuren durchbricht. Kim Jiyoungs Mutter versucht zwar zaghaft ihren beiden Töchtern auch etwas Geld zur Seite zu legen und ihnen ihr Studium bzw. ein anständiges Leben zu ermöglichen und ihre Schwester bringt zumindest hier und da auch andere Vorstellungen mit ein, aber sonst? Kim Jiyoung beugt sich ständig, hält sich zurück, leidet und bleibt von Anfang bis zum Ende hin eine Betroffene.

"Hat ein Gesetz oder ein System Einfluss auf die Wertvorstellungen eines Menschen? Oder richten sich die Gesetze und Institutionen nach den Werten der Menschen?" sind zwei der wenigen Fragen, die ich für mich am Ende aus diesem Buch mitnehme. Irgendwie hätte ich mir mehr Lösungsansätze gewünscht. In meinen Augen sollten Romane per se viel mehr Vorbilder liefern, zeigen, dass es anders geht und die Frau eben nicht ständig zum Opfer degradieren. Und gerade mit dem letzten Absatz, in dem es dann auch nochmal heißt "Selbst die fähigste Mitarbeiterin kann der Praxis in vielerlei Hinsicht zur Last fallen, wenn sie das Problem der Kinderbetreuung nicht zufriedenstellend lösen kann. Ich werde also darauf achten müssen, eine unverheiratete Frau einzustellen." nimmt der Psychiater bzw. die Autorin noch einmal jegliche Perspektive und schubst ihre Protagonistin zurück in dieses elende Patriarchat. Und das soll es dann gewesen sein? Für Korea mag bereits das ein sehr krasses Buch sein und Cho Nam-Joo endlich mal eine Autorin, die die vorherrschenden Probleme und den Frust, die Wut, die Aufgabe und Unterordnung der Frau öffentlich anspricht, aber für unsere Breiten? Ich weiß nicht, aber unter einen "klugen und wichtigen" Weltbestseller hatte ich mir dann einfach viel mehr und vor allem wesentlich wegweisendere Bilder vorgestellt.

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