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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.06.2017

Demontage der Wohltätigkeits-Lobby

Greenwash, Inc.
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Oh wie böse – dieser Gedanke manifestiert sich einem schon nach wenigen Seiten ins Gehirn und bleibt dort auch bis zum Schluss hängen. Mit „Greenwash Inc.“ ist Karl Wolfang Flenders ein bemerkenswerter ...

Oh wie böse – dieser Gedanke manifestiert sich einem schon nach wenigen Seiten ins Gehirn und bleibt dort auch bis zum Schluss hängen. Mit „Greenwash Inc.“ ist Karl Wolfang Flenders ein bemerkenswerter Debüt-Roman gelungen: eine zynische, aber auch extrem gute Satire auf die Wohltätigkeitsindustrie, den Nachhaltigkeitstrend und den Bio-Wahn unserer Zeit. Gleichzeitig hinterfragt Flenders die zum Teil fragwürdigen Methoden der PR-Branche.

Protagonist Thomas Hessel ist ein unsympathischer Yuppie aus dem Bilderbuch: Er sieht immer gepflegt und gestylt aus, fährt ein französisches Retro-Rennrad, wetteifert mit Kollegen über sportliche Erfolge und nicht selten pusht er sich mit Koks oder beruhigt sich mit Tranquilizern. Angestellt ist Thomas bei der PR-Agentur Mars & Jung – spezialisiert auf globale Öko-PR und Krisenkommunikation. Thomas Hauptgeschäft sind sogenannte Hope Stories: Geschichten, die er für große Unternehmen in Dritte-Welt-Ländern inszeniert, um deren wohltätiges Engagement in den Medien zu platzieren. Dass es dabei nicht immer mit der Wahrheit zugeht, kann man sich denken.

Beim Lesen schwankt man permanent zwischen Schadenfreude und Entsetzen – so grotesk und bitterböse wird einerseits die Öko-Lobby zerlegt, so erschreckend ist es aber auch zu lesen, mit welcher Skrupellosigkeit Thomas Hessel vorgeht, um die Lügen zu produzieren, die der Konsument gerne hören möchte. Ein intelligenter, spannender Roman.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Ein Blick hinter die Fassade

Am Ende des Schweigens
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Ein idyllischer Urlaub unter Freunden, der zu einem Höllentrip wird: Seit Jahren verbringen drei eng befreundete deutsche Ehepaare samt Kindern ihre gesamten Ferien zusammen auf einem romantischen Landsitz ...

Ein idyllischer Urlaub unter Freunden, der zu einem Höllentrip wird: Seit Jahren verbringen drei eng befreundete deutsche Ehepaare samt Kindern ihre gesamten Ferien zusammen auf einem romantischen Landsitz in Yorkshire. Treibende Kraft der Clique sind die drei Männer Alexander, Tim und Leon, die seit ihrer Schulzeit wie Pech und Schwefel aneinander hängen. Auch in diesen Osterferien finden sich die Familien wieder in dem kleinen Dorf ein – diesmal jedoch mit einem Neuzugang in der Runde: Jessica, die neue Frau an Alexanders Seite. Schon bald merkt Jessica, dass die vermeintliche Harmonie zwischen den Freunden trügt. Und dann wird das idyllische Anwesen Schauplatz eines furchtbaren Verbrechens. Ein Verbrechen, das ein jahrelanges Schweigen beendet. „Am Ende des Schweigens“ ist wieder einmal ein brillanter Roman von Charlotte Link – spannend, unterhaltsam, mit einer logisch durchdachten Geschichte und einer beklemmenden Atmosphäre. Am meisten hat mich wieder einmal fasziniert, wie detailliert und authentisch Charlotte Link ihre Charaktere zeichnet und wie psychologisch dicht sie die Handlung entwirft. Es ist, als würde man tief in die Seelen der Figuren blicken. Einziges Manko der Bücher ist, dass sie unter dem Label „Krimi und Thriller“ laufen. Hartgesottene Thriller-Fans können aber mit großer Wahrscheinlichkeit mit Charlotte Links Büchern nichts anfangen. Für einen echten Thriller sind sie zu langatmig und man ahnt einfach schon viel zu früh, wer der Täter ist. Darauf kommt es aber bei diesen Romanen gar nicht an, es ist viel mehr immer die Frage: „Warum tut ein Mensch so etwas“, die im Vordergrund steht. Jedem, der sich für psychologische Roman interessiert, kann ich „Am Ende des Schweigens“ aber empfehlen.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Zwischen Depression und Witz

Die Zunge Europas
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Eine Woche im Leben eines äußerst frustrierten Gag-Schreibers: „Die Zunge Europas“ ist Heinz Strunks zweites Werk nach seinem Erfolgsroman „Fleisch ist mein Gemüse“. Parallelen zum Erstling sind deutlich ...

Eine Woche im Leben eines äußerst frustrierten Gag-Schreibers: „Die Zunge Europas“ ist Heinz Strunks zweites Werk nach seinem Erfolgsroman „Fleisch ist mein Gemüse“. Parallelen zum Erstling sind deutlich zu erkennen, nur dass aus dem pickeligen Heinzer, der ein deprimierendes Dasein als Tanzkapellenmusikant fristet, der 34 Jahre alte Markus Erdmann geworden ist – ein frustrierter, einsamer, in allen Belangen des Lebens zu kurz gekommener Mann. Markus schreibt ohne große Leidenschaft und ohne großen Erfolg Bühnenprogramme für den Komiker Sven. Jeden Sonntag isst er Mittag bei seinen Großeltern in der Käfersiedlung – der Großvater dement, die Großmutter überfordert und die Beziehung zu Dauerfreundin Sonja dümpelt auch nur noch so vor sich hin. Sieben Tage lang begleitet der Leser nun Markus durch sein trostloses, ereignisloses Dasein. Interessant und lesenswert wird der Roman aufgrund von Markus Erdmanns Gedankengängen. Mit scharfen Augen beobachtet er seine Umgebung und seziert gnadenlos seine gesamte Umwelt – sei es im Café, in den Diskos auf der Hamburger Reeperbahn, im Zug oder vor dem eigenen Fernseher. Ihr Fett weg bekommen vor allem die deutsche Comedy und die aktuellen TV-Formate. Sprachlich finde ich den Roman brillant: diese Mischung aus tiefer Depression und Witz, die genau Beobachtungsgabe, das Spiel mit Formulierungen und die Tiefe zwischen den Zeilen. Ein wirklich intelligentes, unterhaltsames Buch.

Veröffentlicht am 04.06.2017

So macht Geschichte Spaß

Die Markgräfin
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Mit zehn wurde sie zum ersten Mal verheiratet. Mit zwölf ist sie bereits Witwe. Nur wenige Jahre später wird sie von ihren Eltern an den König von Böhmen verschachert, der sie aber nie heimführt. Als sie ...

Mit zehn wurde sie zum ersten Mal verheiratet. Mit zwölf ist sie bereits Witwe. Nur wenige Jahre später wird sie von ihren Eltern an den König von Böhmen verschachert, der sie aber nie heimführt. Als sie endlich ihr eigenes Leben führen will, sperren ihre Brüder sie ein: als Vorlage für ihren Roman „Die Markgräfin“ hat die Historikerin Sabine Weigand die Lebensgeschichte der Barbara von Ansbach verwendet, die im 15./16. Jahrhundert gelebt hat. Allerdings hat Weigand die Handlung um rund 50 Jahre nach vorne gerückt, um den zweiten Markgrafenkrieg und die Zerstörung der Stadt Kulmbach in die Geschichte mit einfließen zu lassen. Diese kleine historische Schwindelei ist allerdings verschmerzbar – macht sie die Handlung doch noch ein bisschen spannender und dramatischer. Ansonsten bleibt Weigand aber sehr eng an der überlieferten Biografie der Markgräfin, historische Quellen, wie Briefe, werden zum Teil wörtlich wiedergegeben. Allerdings verliert sich die Spur der echten Barbara von Ansbach irgendwann, was mit ihr passiert ist, lässt sich nur vermuten. Hier setzt nun die Fiktion ein. Wie Weigand die historischen Lücken füllt und die Geschichte dieser interessanten Frau weiterspinnt, ist aber mehr als gelungen. Entstanden ist ein spannender, mitreißender und bewegender Roman, der wieder einmal zeigt, wie wenig Frauen in der Vergangenheit gegolten haben, wie wenig Rechte sie hatten.

Spannend ist der Roman vor allem, weil Weigand ihn zusätzlich auf zwei Zeitebenen spielen lässt: Parallel zu den Geschehnissen im 16. Jahrhundert, gibt es noch einen Handlungsstrang, der in der Gegenwart spielt. Bei Renovierungsarbeiten auf der Plassenburg im fränkischen Kulmbach entdecken Handwerker die Knochen eines Säuglings, das Skelett ist etwa 400 bis 500 Jahre alt. Ein kleines Forscherteam macht sich nun daran, das Geheimnis hinter diesem Knochenfund aufzudecken und enthüllen dabei auch die Geschichte der Markgräfin Barbara von Ansbach.

Sprachlich ist der Roman eher gediegen und in dem Handlungsstrang, der im 16. Jahrhundert spielt, hat Weigand ihre Sprache der damaligen Zeit angepasst. Das macht den Roman allerdings sehr authentisch. In der Summe ein interessanter, gut recherchierter historischer Roman. Und Weigand hat es geschafft, dieser vom Schicksal gebeutelten Frau ein wahrhaftiges Denkmal zu setzen.

Veröffentlicht am 04.06.2017

70 Jahre deutsche Geschichte und eine innige Frauenfreundschaft

Glück und Glas
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Stunde Null in Deutschland: Der Zweite Weltkrieg ist offiziell vorbei – in der Münchner Frauenklinik werden fast zur gleichen Zeit zwei Mädchen geboren: Hannelore und Marion. Obwohl sie aus unterschiedlichen ...

Stunde Null in Deutschland: Der Zweite Weltkrieg ist offiziell vorbei – in der Münchner Frauenklinik werden fast zur gleichen Zeit zwei Mädchen geboren: Hannelore und Marion. Obwohl sie aus unterschiedlichen familiären Verhältnissen stammen, wachsen die beiden Mädchen wie Schwestern auf und werden zu besten Freundinnen. Die Freundschaft bleibt sogar bestehen, als sich die Wege der Mädchen immer stärker zu trennen beginnen: Hannelore wird aufs Gymnasium geschickt, studiert später Jura. Die widerspenstige Marion schafft die Schule nur mit Ach und Krach, wird aber als Fotomodel entdeckt und jettet um die Welt. Doch eines Tages geschieht etwas, an dem die Freundschaft der beiden zerbricht. Lili Beck hat mit „Glück und Glas“ einen unterhaltsamen Roman über eine innige Freundschaft vorgelegt, gleichzeitig ist der Roman aber auch ein geschichtlicher Streifzug durch 70 Jahrzehnte deutsche Geschichte. Wir begleiten die Freundinnen von 1945 bis zu ihrem 70. Geburtstag im Jahr 2015 und streifen dabei alle wichtigen Ereignisse des letzten Jahrhunderts: Angefangen vom entbehrungsreichen Leben direkt nach dem Krieg im zerstörten München, dem Wiederaufbau und dem Wirtschaftswunder bis hin zu den Studentenkrawallen in den 60er und der Finanzkrise in den 90er. Aber auch die Modetrends der Jahrzehnte, Wohn- und Arbeitssituationen und die Rolle der Frau werden aufgegriffen. Wobei der Schwerpunkt im Roman schon eher auf den 1960er Jahren liegt – später werden die Zeitsprünge immer etwas schneller und größer. Der Schreibstil ist zwar nichts Besonders und vielleicht ein bisschen 0815, aber ich hab ihn als sehr angenehm und kurzweilig empfunden. Weil Lili Beck auch ein paar autobiographische Aspekte in den Roman mit einfließen hat lassen – sie selbst hat in den 60er und 70er Jahren auch als Model gearbeitet – sind gerade die Szenen um Marion sehr bildlich und authentisch gelungen. In der Summe ein unterhaltsamer Roman für alle, die sich für die Kulturgeschichte des letzten Jahrhunderts interessieren und Geschichten über Frauenschicksale mögen.