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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.06.2017

Wenn Liebe zum Albtraum wird

Ewig Dein
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Zunächst sieht alles nach einer klassischen Liebegeschichte aus: Im Supermarktgedränge tritt ein Mann einer Frau auf die Fersen. Judith, Mitte 30, betreibt ein kleines Lampengeschäft in Wien und ist eigentlich ...

Zunächst sieht alles nach einer klassischen Liebegeschichte aus: Im Supermarktgedränge tritt ein Mann einer Frau auf die Fersen. Judith, Mitte 30, betreibt ein kleines Lampengeschäft in Wien und ist eigentlich glücklicher Single. Hannes ist Architekt, in den besten Jahren und äußerst charmant. Wie durch Zufall begegnen sich beide wieder und Hannes beginnt Judith nach allen Regeln der Kunst den Hof zu machen. Obwohl Judith eine selbstbewusste, eigenständige Frau ist, genießt sie es, von diesem zielstrebigen, aparten Mann begehrt und auf Händen getragen zu werden. Doch dann werden seine ständigen Liebesbeweise belastend, seine Zuwendungen penetrant. Judith beschließt, einen Schlussstrich zu ziehen und plötzlich wird aus der anfänglichen Liebesgeschichte ein Albtraum, an dessen Ende die Psychiatrie wartet. Hannes möchte einfach nicht loslassen und Judith steuert immer mehr auf eine persönliche Krise zu. Wer an dieser Stelle glaubt, es nun mit einer typischen Stalker-Geschichte zu tun zu haben, der irrt aber. So einfach macht es Glattauer dem Leser nicht. Das raffinierte an diesem Roman ist nämlich, dass der Leser bald nicht mehr weiß, wer hier nun verrückt ist: Ist Hannes wirklich ein Stalker oder steigert sich Judith hier in etwas hinein? Glattauer behält sogar seinen Erzählton bei: lakonisch, hart an der Grenze zur Mündlichkeit, ironisch und mit viel Situationskomik. Und so nimmt die Geschichte Wendungen, mit denen man nicht unbedingt rechnet. Sehr gut gelungen sind Glattauer auch seine Charaktere, vor allem Judiths Innenleben wird extrem gut beschrieben. Ein wirklich außergewöhnlicher Roman mit vielen Elementen, fesselnd geschrieben und sprachlich ambitioniert.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Tango, Schach, Gigolos und die Liebe

Dreimal im Leben
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Es beginnt mit einem glühenden Tango auf einem Kreuzfahrtschiff Richtung Buenos Aires und endet mit einem Schachturnier in Sorrent. Dazwischen entspinnt sich eine außergewöhnliche Liebesgeschichte, die ...

Es beginnt mit einem glühenden Tango auf einem Kreuzfahrtschiff Richtung Buenos Aires und endet mit einem Schachturnier in Sorrent. Dazwischen entspinnt sich eine außergewöhnliche Liebesgeschichte, die alle Zeit zu überdauern scheint. Arturo Pérez-Reverte hat mit seinem Roman „Dreimal im Leben“ einen wunderschönen, sehnsuchtsvollen Roman geschaffen, der einen in die abenteuerliche Welt der Liebe, der Leidenschaft, der Gigolos und des Verbrechens entführt.

Die beiden Protagonisten heißen Max und Mecha. Als sie sich das erste Mal begegnen, schreiben wir das Jahr 1928. Er, gutaussehend, charmant, heißblütig, arbeitet als Eintänzer auf einem Ozeandampfer. Sie, jung, elegant, betörend schön, ist die Frau eines berühmten Komponisten. Der Tango bringt die beiden zusammen. In Buenos Aires angekommen soll Max dem Ehepaar den unverfälschten, ursprünglichen Tango zeigen und so landet das Trio in einer anrüchigen Bar. Doch diese Nacht ändert alles. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg laufen sich Max und Mecha unter völlig anderen Umständen in Nizza über den Weg. Doch es müssen nochmal fast 40 Jahre vergehen, ehe die Geschichte der beiden bei der Schachweltmeisterschaft in Sorrent ein Ende nimmt.

Pérez-Reverte erzählt sehr elegant, atmosphärisch und bildgewaltig. Man spürt regelrecht die Kraft der Musik und gerade die Szenen in der etwas zwielichtigen Bar in Buenos Aires sind sehr stimmungsvoll beschrieben. Sehr gelungen fand ich auch die Charaktere, die doch sehr außergewöhnlich und – für eine Liebesgeschichte – auch etwas ungewöhnlich waren. Max der undurchsichtige Gigolo, der es faustdick hinter den Ohren hat, ein Gentleman, aber auch ein Gauner. Mecha, die abgebrühte Schöne, die einerseits so verletzlich wirkt, sich aber nicht verletzen lässt. Nebenbei erfährt man auch noch einiges über die Geschichte des Tangos und Schach. Ein toller Roman voller wehmütiger Nostalgie, sinnlich und melancholisch.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Die Schatten der Vergangenheit

Das Lied der Stare nach dem Frost
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Seit dem Tod ihres Bruders und ihrer verpatzen Solo-Karriere reist Rixa Hinrichs als Barpianistin um die Welt – bis ihre Mutter mit dem Auto tödlich verunglückt. Fast an der gleichen Stelle, wie vor Jahren ...

Seit dem Tod ihres Bruders und ihrer verpatzen Solo-Karriere reist Rixa Hinrichs als Barpianistin um die Welt – bis ihre Mutter mit dem Auto tödlich verunglückt. Fast an der gleichen Stelle, wie vor Jahren ihr geliebter Bruder. War es Selbstmord? Zurück im winterkalten Berlin sucht Rixa nach Erklärungen und stößt auf immer mehr Ungereimtheiten aus dem Leben ihrer Mutter. Ihre Suche führt sie bis nach Mecklenburg, ins alte Pfarrhaus ihrer Großeltern, wo ein streng gehütetes Familiengeheimnis endlich aufgedeckt werden kann. Gisa Klönne hat mit „Das Lied der Stare nach dem Frost“ einen äußerst bewegenden, mitreißenden Familienroman geschaffen. Der Roman wird auf zwei Zeitebenen erzählt: Auf der einen Seite begleiten wir Rixa bei ihren Nachforschungen. Auf der anderen Seite erzählt der Roman von Rixas Großeltern Elise und Theodor, einer evangelischen Pfarrersfamilie, und deren politischen und privaten Verstrickungen während des Zweiten Weltkriegs. Die große Stärke des Romans ist eindeutig seine Sprache. Gisa Klönne erzählt ruhig, aber zugleich auch kraftvoll, atmosphärisch und berührend. Besonders ergreifend ist die Gegenüberstellung der überwältigenden Schönheit der Natur in Mecklenburg und der Härte des Lebens dort in den 1930er und 40er Jahren; der Idylle des alten Pfarrhauses und der Trauer und Melancholie von der Rixa ergriffen ist. Die Charaktere sind alle sehr gut ausgearbeitet, vor allem in Rixa kann man sich sehr gut hineinversetzen. Ein lesenswerter Familienroman, der auf hohem Niveau unterhält.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Lesenwerter Erfahrungsbericht

Anständig Essen
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Kann man sich heutzutage überhaupt noch moralisch korrekt ernähren? Und was sind wir überhaupt bereit aus Rücksicht auf unsere Mitlebewesen zu opfern? – Diese Fragen stellt sich die Autorin Karen Duve ...

Kann man sich heutzutage überhaupt noch moralisch korrekt ernähren? Und was sind wir überhaupt bereit aus Rücksicht auf unsere Mitlebewesen zu opfern? – Diese Fragen stellt sich die Autorin Karen Duve und lässt sich auf ein Experiment ein: Fast ein ganzes Jahr lang testet sie Lebensweisen mit moralischen Anspruch. Sie kauft zwei Monate lang nur noch Bioprodukte, ernährt sich zwei Monate probeweise vegetarisch, vier Monate vegan und wird zum Schluss sogar noch zur Frutarierin. Natürlich bleibt es nicht nur beim Selbstversuch: Karen Duve setzt sich auch intensiv mit den jeweiligen Weltsichten auseinander. Sie trifft und interviewt Vertreter und Gegner der verschiedenen Lebensweisen und Weltanschauungen, wälzt Bücher oder fährt zu Tagungen. Und so ist dieses Buch nicht nur ein interessanter Erfahrungsbericht, sondern bietet eben auch ganz viele Hintergrundinformationen zu Themen rund um Ernährung, Tierhaltung, Landwirtschaft, Jagd und Gesundheitspolitik. Sehr sympathisch an diesem Buch fand ich, dass Duve zu keiner Zeit den Zeigefinger erhebt. Im Gegenteil: Sie beschreibt sich gleich zu Beginn selbst als jemand, der nicht gerade zur Gesundheitsfraktion gehört und bislang nicht viel über das, was er isst, nachgedacht hat. Über ihre Erfahrungen berichtet sie mit ganz viel knochentrockenem Humor, setzt sich mit den Themen sehr kritisch auseinander und bringt auch immer die Gegenseite ins Spiel. Ein äußerst lesenswerter Erfahrungsbericht: flüssig geschrieben, humorvoll, gut recherchiert und gerade deswegen sehr augenöffnend.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Geistreicher Frauenroman

Mondscheintarif
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Es gibt sie ab und an: Geistreiche, gut gemachte Frauenromane. „Mondscheintarif“ gehört definitiv dazu. Aufgrund seiner Seitenlänge (ca. 140 Seiten) zwar eher eine Erzählung als ein Roman, aber das tut
der ...

Es gibt sie ab und an: Geistreiche, gut gemachte Frauenromane. „Mondscheintarif“ gehört definitiv dazu. Aufgrund seiner Seitenlänge (ca. 140 Seiten) zwar eher eine Erzählung als ein Roman, aber das tut
der Sache keinen Abbruch. Protagonistin ist die 33 Jahre alte Cora Hübsch, alles in allem eine moderne, selbstbewusste Frau. Trotzdem sitzt Cora am Samstagabend traurig allein daheim rum. Der Grund: Sie ist verliebt. In Dr. Daniel Hofmann. Vor ein paar Tagen hatte sie zum ersten Mal Sex mit ihm und Cora ist alt genug um zu wissen, dass man als Frau
den Mann nach der ersten Nacht auf gar keinen Fall anrufen darf. Und so wartet Cora anfangs noch aufgeregt, später immer verzweifelter darauf,
dass Daniel den ersten Schritt macht. Der Leser verfolgt nun Coras Gedanken zwischen 17:25 und 23:18 Uhr. Dazwischen gibt es aber auch immer mal wieder ein paar Rückblicke, bei denen man zum Beispiel
erfährt, wie sich Daniel und Cora kennengelernt haben. Erzählt wird die Geschichte sehr schwungvoll und originell mit ganz viel Ironie und Witz –
dabei legt Kürthy selbstkritisch und herrlich ehrlich das komplette Spektrum einer emanzipierten aber verliebten Frau offen. Und am Ende
erkennt Cora, dass all die Klischees, denen sie aufgegessen ist, all die Schachzüge, die sie geplant hat und alle die Rollen, die sie gespielt hat, fast alles kaputt gemacht hätten.