Zeitdokument der 70er
Die verlorene Ehre der Katharina BlumDie Springerpresse, an erster Stelle die BILD-Zeitung, war eines der ärgsten Feindbilder der 68er-Generation. Sie machten die BILD verantwortlich für die Gewalt im Land, insbesondere für das Attentat auf ...
Die Springerpresse, an erster Stelle die BILD-Zeitung, war eines der ärgsten Feindbilder der 68er-Generation. Sie machten die BILD verantwortlich für die Gewalt im Land, insbesondere für das Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke. Auch Heinrich Böll sah sich als Opfer einer Rufmord- und Hetzkampagne der BILD, die ihn nach einer Stellungnahme über Ulrike Meinhof als Sympathisanten der RAF hinstellte. Auf die Berichterstattung der BILD-Zeitung reagiert Böll mit seiner Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“. Katharina Blum ist 27 Jahre alt, gutaussehend und arbeitet als Haushälterin, nebenbei hilft sie bei Empfängen und Festlichkeiten aus. Weil sie sehr sparsam lebt, kann sich Katharina mittlerweile eine Eigentumswohnung und ein Auto leisten. Diese bescheidene, unbescholtene Frau gerät nun in den Mittelpunkt der Sensationsmache einer großen Boulevardzeitung: Auf einer Faschingsparty verliebt sie sich in einen jungen Mann, der polizeilich gesucht wird. Sie verbringt mit ihm die Nacht und verhilft ihm zur Flucht. Ab da ist ihr ein Journalist der Zeitung auf den Fersen. Ihr Leben wird ausgeschlachtet, Aussagen von Nachbarn, Verwandten und Freunden werden verdreht, vage Annahmen ins unermessliche aufgeblassen. In Katharinas Leben ist nichts mehr wie zuvor und eines Tages eskaliert die Situation.
Böll zeigt in seiner kurzen Erzählung recht deutlich, wie eine moderne Hexenjagd aussehen kann und dass Medien dabei oft keine geringe Rolle spielen. Allerdings klagt Böll nicht nur die Sensationsgier der Boulevardpresse an, sondern auch die Menschen, die diese Medien konsumieren, ihnen Glauben schenken und diese dadurch auch finanzieren. Natürlich könnte Bölls Medienkritik auch noch in heutiger Zeit aktuell sein. Dennoch muss man die Erzählung wohl als Dokument ihrer Zeit sehen und verstehen. Sonst scheint die Geschichte zu übertrieben und drastisch. Nicht ganz so überzeugt hat mich letzten Endes der Erzählstil: Die Ereignisse werden sehr distanziert, als eine Art Protokoll wiedergegeben – dabei arbeitet Böll mit sehr viel indirekter Rede. Das macht die Geschichte extrem trocken und nüchtern.
Summa summarum ist „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ ein gutes Zeitdokument der 70er Jahre in der BRD – große Unterhaltung darf man aber nicht erwarten.