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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 26.04.2022

Identitätstausch und Lebenslügen

Das Leben eines Anderen
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Scheidungsanwalt Akira Kido steht vor den Scherben seiner Ehe und ist mit seinem Leben unzufrieden. Da bittet ihn eine ehemalige Klientin um Hilfe in einer delikaten Angelegenheit: ihr zweiter Mann Taniguchi ...

Scheidungsanwalt Akira Kido steht vor den Scherben seiner Ehe und ist mit seinem Leben unzufrieden. Da bittet ihn eine ehemalige Klientin um Hilfe in einer delikaten Angelegenheit: ihr zweiter Mann Taniguchi Daisuke, der vor einem Jahr verstorben ist, war in Wirklichkeit ein anderer. Kido macht sich auf die Suche nach der wahren Identität des Verstorbenen und stößt auf eine Welt, in der Männer mit zweifehafter oder krimineller Vergangenheit ihre Identität mit anderen tauschen. Während er sich der Wahrheit nähert, spielt er selber immer wieder mit dem Gedanken, sein eigenes Leben hinter sich zu lassen und kommt sich selbst dabei immer näher.

Das Leben eines anderen ist ein tiefgründiger aktueller japanischer Roman über Identitätskrisen, den Umgang mit der eigenen Vergangenheit und dem alltäglichen japanischen Rassismus zum Beispiel gegen Koreaner oder Chinesen. Gleichzeitig konfrontiert uns Hirano mit philosophischen Fragen: was prägt den Menschen, ist es seine Herkunft, seine Abstammung oder das Leben, das er selber wählt? Was macht Liebe aus? Das liest sich stellenweise fast emotionslos – ein typisch asiatischer Schreibstil – und ist an anderer Stelle von unglaublicher Poesie. Dabei zieht der Roman seine Spannung nicht aus einer temporeichen Handlung, sondern aus den unterschiedlichen, tragischen Lebensläufen der Protagonisten und den tiefen Einblicken in die Seele der Menschen.

Mein Fazit: Ein raffinierter und äußerst interessanter moderner japanischer Roman. Sehr lesenswert!

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Veröffentlicht am 18.04.2022

Leipzig im Ausnahmezustand

Engel des Todes
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Leipzig im März 1920. Nach dem so genannten Kapp-Putsch formieren sich unterschiedliche politische Gruppierungen, um gegen die neue Regierung zu protestieren. Die Lage spitzt sich dramatisch zu und gipfelt ...

Leipzig im März 1920. Nach dem so genannten Kapp-Putsch formieren sich unterschiedliche politische Gruppierungen, um gegen die neue Regierung zu protestieren. Die Lage spitzt sich dramatisch zu und gipfelt im „Blutsonntag“. In dieser sowieso angespannten Situation müssen Kriminalinspektor Paul Steiner und seine Kollegen eine Serie grauenhafter Morde aufklären. Alle Opfer wurden gewürgt und enthauptet, bei allen fand sich eine Fotografie des Jagdfliegerhelden von Richthofen. Während in Leipzig ein Bürgerkrieg tobt kommt die Polizei dem Täter auf die Spur.

Engel des Todes ist kein Krimi im klassischen Sinn. Es ist vielmehr ein spannender Roman über ein weiteres dunkles Kapitel deutscher Geschichte. Die Charaktere, allen voran Stainer, sind authentisch beschrieben, so dass man sich gut in ihr Denken und Handeln hineinfühlen kann. Ehemalige Soldaten, die von ihren Kriegstraumata verfolgt werden, eine Ausdruckstänzerin, die das Nachkriegspublikum gleichermaßen abstößt wie begeistert, der aufkeimende Nationalsozialismus zeigen die Zwanzigerjahre von ihrer düsteren Seite und laden dazu ein, sich mehr mit der Zeit zu beschäftigen. Das Leipzig der damaligen Zeit kann man sich lebhaft vorstellen, eine Karte auf den Innenseiten des Buchrückens des liebevoll gestalteten Buches hilft bei der Orientierung.

Mein Fazit: Ein spannender, gut recherchierter historischer Roman um den Kapp-Putsch und Menschen im Ausnahmezustand. Absolute Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 21.03.2022

Geschichtsstunde der anderen Art

Im Rausch des Aufruhrs
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1923 war in vielerlei Hinsicht ein Schicksalsjahr für Deutschland und die damals noch junge Weimarer Republik. Während Frankreich das Ruhrgebiet besetzte, Streikwellen über das Land liefen, Kommunisten ...

1923 war in vielerlei Hinsicht ein Schicksalsjahr für Deutschland und die damals noch junge Weimarer Republik. Während Frankreich das Ruhrgebiet besetzte, Streikwellen über das Land liefen, Kommunisten und Nationalsozialisten versuchen, die Macht an sich zu reißen, explodiert die Inflation. Während die einen in bitterer Armut und Hunger versinken, feiern die anderen rauschende Feste.

Große Geschichte erzählt Christian Bommarius in 12 Kapiteln, gleichsam in einer Art Jahreskalender und in kurzen Geschichten von bekannten und unbekannten Personen und Persönlichkeiten aus Politik, Literatur, Kunst und Schauspiel, aber auch der ganz normalen kleinen Leute. So entsteht ein sehr eindrucksvolles Bild einer Zeit, die voller Elend und Blutvergießen war. Und es zeigt, wie ein gewisser Adolf Hitler vom „Hofbräu Agitator“ zum großen Führer aufsteigen konnte. Das liest sich locker und interessant, und doch hält man immer wieder inne, lässt das Gelesene sacken und schlägt Namen, Orte und Geschehnisse nach. Dass die Parallelen zur heutigen Zeit mit Krieg in Europa, politischen Extremen und drohender Inflation dabei nicht zu übersehen sind, stimmt einen noch nachdenklicher. Besonders gelungen finde ich die Einführung in die einzelnen Kapitel mit kurzem Monatsabriss, Bildern und dem stetig wachsenden Brotpreis!

Mein Fazit: eindrückliche Geschichtsstunde der anderen Art. Sehr empfehlenswert.

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Veröffentlicht am 15.03.2022

Erschreckend realistisch

Die Kinder sind Könige
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Mélanie hat den Traum, den so viele junge Menschen heute träumen: berühmt zu werden. Nachdem sie beim Versuch, in einem Reality-TV-Format diesem Traum näher zu kommen scheitert, führt sie zunächst ein ...

Mélanie hat den Traum, den so viele junge Menschen heute träumen: berühmt zu werden. Nachdem sie beim Versuch, in einem Reality-TV-Format diesem Traum näher zu kommen scheitert, führt sie zunächst ein normales Leben, heiratet, bekommt Kinder. Doch sie ist unglücklich und gelangweilt. So kommt sie auf die Idee, Videos ihrer Kinder auf youtube zu veröffentlichen. Damit beginnt ihr neues Leben: Mélanie wird erfolgreiche youtuberin, ihr Sohn Sammy und vor allem Tochter Kimmy werden wahre kleine Stars. Doch der Ruhm hat seinen Preis: während immer neue Videos gedreht werden müssen, um Follower und Sponsor zufrieden zu stellen, wird Kimmy immer unwilliger. Als das kleine Mädchen schließlich beim Spielen verschwindet, taucht die Polizistin Clara in die ihr bis dahin unbekannte der Social Media ein und stellt schnell fest, dass es fast unmöglich ist, einen Verdächtigen zu finden, wenn Tausende jede kleine Einzelheit des Lebens der Verschwunden kennen.

Die Kinder sind Könige ist ein erschreckend realistischer Roman über die schöne neue Welt der Social Media und ihrer Gefahren. Vor allem Eltern, die ihre Kinder der Öffentlichkeit aussetzen, sie zum Teil regelrecht ausnutzen, ihr gesamtes Einkommen vom Auftritt der Kinder in der Öffentlichkeit beziehen, gehen ein hohes Risiko ein. Es geht hier nicht nur um die Gefahren des Stalkings oder des Neides. Vielmehr geht es um die Folgen, die ein Fehlen an Privatsphäre und Kind sein dürfen mit sich ziehen.
Das ist authentisch und einfühlsam beschrieben. Ein Roman, der eine eigene Sogwirkung entfaltet und sehr nachdenklich stimmt.

Mein Fazit: ein wichtiger, hoch aktueller und stellenweiser schmerzhafter Roman. Absolut lesenswert!

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Veröffentlicht am 16.02.2022

Innenansichten aus Rußland

DAFUQ
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Anja Romanowa muss für 10 Tage in den Arrest in Moskau, weil sie bei einer Demonstration gegen Korruption festgenommen wurde. Ihre Zelle teilt sie mit 5 anderen Frauen, die nicht verschiedener sein könnten. ...

Anja Romanowa muss für 10 Tage in den Arrest in Moskau, weil sie bei einer Demonstration gegen Korruption festgenommen wurde. Ihre Zelle teilt sie mit 5 anderen Frauen, die nicht verschiedener sein könnten. Da ist die blonde Schönheit, die sich ihren Lebensunterhalt durch Geschenke reicher Männer verdient; da gibt es eine alkohol- und drogensüchtige mit „echter“ Gefängniserfahrung; eine Frau, die bereits mit Mitte 20 in dritter Ehe verheiratet ist und deren weiter Mann starb. Sie alle haben eines gemeinsam: ihre Vergehen waren Kleinigkeiten und es war eher Willkür als Gesetz, was sie in der Zelle zusammenführt. Und da sind die Wächter: der gutmütige ältere, die junge unsichere und die ganz harte, der es Spaß macht, die Insassen zu schikanieren. Hier breitet sich die dunkle Seite Russlands in ihrer vollen Größe aus. Und für Anja ist es gleichsam eine Art Psychotherapie, findet sie doch hier im Gefängnis die Zeit und die Kraft, das schwierige Verhältnis zu ihrem Vater neu zu beleuchten und mit einer langjährigen Dreiecks-Liebesbeziehung abzuschließen.

DAFUQ malt ein sehr eindrucksvolles Bild von Russland und seinen Menschen: mal zart und liebevoll, dann wieder hart und abstoßend, ein Land voller unterschiedlicher Landstriche und ebenso unterschiedlicher Charaktere, voller Korruption und Machtwillen. Und Kira Jarmysch weiß, wovon sie schreibt, war sie doch selbst Pressesprecherin des prominenten Oppositionsführers Alexej Nawalny und war selber mehrfach im Gefängnis. Die Charaktere hätten für meinen Geschmack ein wenig mehr Tiefe verdient und auch die politischen Verhältnisse hätten etwas mehr unter die Lupe genommen werden können, daher ein Punktabzug.

Mein Fazit: junge Frauenliteratur aus Russland: liebevoll, hart, authentisch, lesenswert.

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