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Veröffentlicht am 18.06.2022

Überraschend feministisch

Männer und Frauen
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Yosano Akiko (1878-1942), geboren als Hō Shō, war eine ungewöhnliche Frau. Sie brachte insgesamt 13 Kinder auf die Welt, von denen 2 noch als Säugling verstarben. Gleichzeitig setzte sie sich für die Gleichberechtigung ...

Yosano Akiko (1878-1942), geboren als Hō Shō, war eine ungewöhnliche Frau. Sie brachte insgesamt 13 Kinder auf die Welt, von denen 2 noch als Säugling verstarben. Gleichzeitig setzte sie sich für die Gleichberechtigung der Frau ein und äußerte sich immer wieder politisch. Mit „Männer und Frauen“ gibt Manesse ihre Essays, Zeitungsartikel und Lieder zum ersten Mal auf Deutsch heraus.

Die Dichterin wurde zu einer Zeit geboren, als in Japan Bildung vornehmlich Jungen vorbehalten war. Während die Brüder also auf erstklassige Schulen geschickt wurden, las sich Yosano Akiko aus eigenen Antrieb durch die Bibliothek des Vaters. Mit 22 Jahren verließ sie die Familie, um ihrem zu dem Zeitpunkt noch verheirateten Geliebten zu folgen, dem Dichter Yosano Tekkan – damals ein unfassbarer Skandal. Mit ihm hatte sie 11 Kinder, reiste aber auch nach Europa und veröffentlichte ihre Tanka-Gedichte, später auch Essays.

In „Männer und Frauen“ stellt Eduard Klopfenstein diese späteren Texte nach Themengebieten zusammen. Den Anfang macht Persönliches über ihr Schreiben, aber auch die schmerzhafte Zeit im Wochenbett, die sie die „schwache Konstitution der Frau“ vehement in Frage stellen lässt. Weiter geht es mit überraschend feministischen Essays zur Gleichstellung der Frau. Die Dichterin fordert vor allem Bildung für die „neuen Frauen“, wie sie sie nennt. Denn ihrer Meinung nach sind Männer keinesfalls fähiger, sie haben nur die besseren Voraussetzungen. Darüber hinaus betont sie zwar auch die Bedeutung der Familie, das sollte im Hinblick auf die Zeit und vielleicht auch den Kulturkreis nicht verwundern.

Im nächsten Kapitel sind politische Texte zusammengefasst, in denen Yosano Akiko die Regierung stark kritisiert und sich für eine Politik mit und für Frauen einsetzt. Sie lehnt arrangierte Ehen ab und befürwortet das gemeinsame Unterrichten von Jungen und Mädchen. Ergänzt wird die Sammlung durch zwei Texte über den Ausbruch der Spanischen Grippe, deren Lektüre so manchem Impfgegner nicht schaden würde.

Fazit: Zu Unrecht geriet diese bemerkenswerte Frau in Vergessenheit, was sich hoffentlich mit dem vorliegenden Buch endlich ändert.

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Veröffentlicht am 15.06.2022

Der Traum vom Fliegen

Kreiseziehen
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Zwei Frauen, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten: Marian Graves, ohne ihre Eltern aufgewachsen, ein Wildfang mit dem Traum, Pilotin zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, muss ...

Zwei Frauen, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten: Marian Graves, ohne ihre Eltern aufgewachsen, ein Wildfang mit dem Traum, Pilotin zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, muss sie zahlreiche Hindernisse überwinden – die meistens mit Männern und ihren Vorstellungen von der Welt zu tun haben. Auf der anderen Seite Hadley Baxter, Hollywoodschauspielerin, eine junge Frau, die von einem Skandal in den nächsten schlittert. Sie soll in ihrem neuen Film Marian verkörpern und damit einen Imagewechsel einleiten.

In zwei parallelen Strängen erzählt Autorin Maggie Shipstead die Geschichte der beiden Frauen. Der Fokus liegt jedoch klar auf Marian, die wir durch ihr gesamtes Leben begleiten. Die Handlung umfasst die Jahre 1909 (noch vor Marians Geburt) bis 1950, als sie versucht, die Erde in der Längsachse zu umrunden und in der Antarktis verschwindet. Hadley hingegen erleben wir in den Jahren 2014 und 2015 in der Vorbereitung auf die Rolle der Marian. Der Autorin gelingt es, mit ihren Worten einen wahren Sog zu erzeugen und vor allem Marians Erzählstrang ist unglaublich interessant, spannend und auch überraschend.

Anhand von Marians ungewöhnlichem Leben zeichnet Maggie Shipstead das Bild einer jungen Frau, die sich immer wieder gegen die Dominanz von Männern wehren muss; sei es im Persönlichen in ihrer Ehe oder im Beruflichen bei dem Versuch, als Pilotin in einer reinen Männerdomäne anerkannt zu werden. Es ist bewundernswert, wie sie sich ihre Träume erkämpft, auch wenn ihr dies jede Menge Opfer abverlangt.

Im Gegensatz dazu verblasst Hadley als Figur leider völlig. Im Grunde dient ihr Handlungsstrang nur dazu, Geheimnisse über Marians Leben aufzudecken, die diese nicht mehr selbst enthüllen kann. Das ist zwar durchaus ein handwerklich guter Kniff, ich hätte mir jedoch gewünscht, die Autorin hätte Hadley etwas mehr Persönlichkeit und etwas weniger Klischee des Hollywoodsternchens verpasst. Für mich steht der Roman dennoch völlig zurecht auf der Shortlist für den Women‘s Prize 2022 und ich würde ihn Maggie Shipstead wirklich sehr gönnen.

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Veröffentlicht am 27.04.2022

Mehr als ein bloßer Sommerroman

Der Papierpalast
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Wie schon in den Jahren zuvor, verbringt Elle ihren Sommer mit Mann und Kindern im Ferienhaus der Familie, dem „Papierpalast“. Nach einem geselligen Abend mit einem befreundeten Ehepaar ändert sich jedoch ...

Wie schon in den Jahren zuvor, verbringt Elle ihren Sommer mit Mann und Kindern im Ferienhaus der Familie, dem „Papierpalast“. Nach einem geselligen Abend mit einem befreundeten Ehepaar ändert sich jedoch alles, denn Elle schläft mit Jonas, den sie seit ihrer Kindheit kennt und mit dem sie viele schöne, aber auch schmerzhafte Erinnerungen teilt. Nun muss sie sich entscheiden, zwischen Ehemann Peter, ihrem Fels in der Brandung und Jonas, der ihr schon ewig so viel bedeutet.

„Der Papierpalast“ ist der erste Roman von Miranda Cowley Heller, die bisher eher für ihre Mitarbeit an diversen Serien bekannt war. Das merkt man ihrer Handlung auch an, denn diese würde sich ganz wunderbar für ein solches Format eignen. Aber der Reihe nach: Der Roman wird in unterschiedlichen Zeitlinien erzählt. Ausgehend von dem verhängnisvollen Abend erzählt die Autorin einerseits aus der Kindheit und Jugend der Protagonistin Elle, zeichnet aber auch nach, was in den Wochen zuvor geschah und wie sich die heikle Situation am Ende auflöst. Zunächst liegt der Fokus ganz klar auf Elle, danach werden Peter und Jonas näher betrachtet. Die Ich-Perspektive und Gegenwartsform lassen das Geschehen dabei sehr unmittelbar und plastisch erscheinen.

Es ist auffallend, dass in diesem Buch Naturbeschreibungen und vor allem das Wasser eine große Rolle spielen. Doch was sich zunächst wie ein netter Sommerroman mit einer kleinen Dreiecksgeschichte anhört, entwickelt sich schon nach kurzer Zeit – und sehr überraschend – zu wirklich schwerer Kost. „Der Papierpalast“ ist vor allem ein Roman über Familienkonstellationen und zeigt dabei schonungslos, wie Eltern gegenüber ihren Kindern versagen. Ohne konkreter auf die Themen eingehen zu wollen: vieles ist zutiefst erschütternd, erklärt aber auch, wie die Figuren dorthin gekommen kamen, wo sie heute sind.

Heute erst wurde verkündet, dass der Roman es leider nicht auf die Shortlist des „Women‘s Prize“ geschafft hat. Schade, denn auch wenn die Handlung sicherlich nicht angenehm zu lesen war, wird das Buch noch lange in mir nachklingen.

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Veröffentlicht am 12.04.2022

Beeindruckend!

Eisvogel und Lotusblüte
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Die japanische Kunst ist eng mit der Natur verbunden. Beginnend aus einer buddhistischen Betrachtungsweise im Mittelalter entwickelten sich prachtvolle Szenen, die verschiedenste Tier-, Baum- und Blumenarten ...

Die japanische Kunst ist eng mit der Natur verbunden. Beginnend aus einer buddhistischen Betrachtungsweise im Mittelalter entwickelten sich prachtvolle Szenen, die verschiedenste Tier-, Baum- und Blumenarten zeigten. Ursprünglich nur für den Adel bestimmt, entstanden daraus am Ende des 18. Jahrhunderts die so genannten „Ukiyo-e“, was grob mit „Bilder einer fließenden Welt“ übersetzt werden kann. Dabei handelt es sich um ein Genre japanischer Malerei und Druckkunst, welches das Lebensgefühl des Bürgertums in den großen Städten der Edo-Zeit widerspiegelt.

Eine wunderbare Sammlung solcher Bilder hat die Französin Anne Sefrioui nun im Prestel Verlag herausgegeben. Kernstück von „Eisvogel und Lotusblüte. Vögel in Meisterwerken der japanischen Holzschnittkunst“ ist ein mit roter Seide bezogenes Leporello, welches 60 Farbtafeln mit wunderschönen Vogelmotiven umfasst. Diese nehmen mal eine einzelne, mal eine Doppelseite ein und zeigen die unterschiedlichsten Vogelarten und Jahreszeiten. Darüber hinaus verfügt die Ausgabe über ein 48-seitiges Booklet, welches in die Geschichte des japanischen Holzschnittes einführt und alle Gemälde mit Titel, Künstlernamen und dem aktuellen Standort auflistet. Beides wird gemeinsam in einem stabilen Schuber verstaut.

Die Motive sind klassisch – als Pflanzenarten tauchen Pfingstrosen, Chrysanthemen, Lotus, blaue Schwertlilien, Kamelien und immer wieder die Kirschblüte auf, in Japan „sakura“ genannt. Unter den Vogelarten stechen vor allem die zahlreichen Wasser- und Singvögel sowie der majestätische Mandschurenkranich („tsuru“) heraus.

Unter den Werken dürfen natürlich bekannte Künstler wie Hiroshige und Hokusai nicht fehlen, aber auch weniger bekannte Namen werden präsentiert. Der sehr interessante einführende Text im Booklet weist außerdem darauf hin, dass der japanische Holzschnitt im Prinzip eine Kooperation von insgesamt vier Personen war: der Zeichner, an dessen Namen man sich am ehesten erinnerte, der Holzschneider, der das Motiv auf Holz übertrug, der Drucker, der für die Platten und das Papier verantwortlich war sowie der Verleger, der als Organisator und Herausgeber fungierte. Beeindruckend!

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Veröffentlicht am 03.04.2022

Was für ein Roman!

Die Wut, die bleibt
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Es ist eine Szene, wie sie sich vermutlich in vielen Haushalten in Deutschland und auf der Welt abgespielt haben könnte. Eine Familie sitzt beim Abendessen. Vater, Mutter, eine Teenager-Tochter und zwei ...

Es ist eine Szene, wie sie sich vermutlich in vielen Haushalten in Deutschland und auf der Welt abgespielt haben könnte. Eine Familie sitzt beim Abendessen. Vater, Mutter, eine Teenager-Tochter und zwei kleine Söhne. „Haben wir kein Salz?“, fragt der Vater. Die Mutter steht auf, niemand beachtet sie; vermutlich wird sie nur das Salz holen gehen, wie alle es von ihr erwarten. Doch Helene macht stattdessen drei Schritte zur Balkontür, geht hinaus und springt.

Mit diesen eindrücklichen Sätzen beginnt Mareike Fallwickls neuer Roman „Die Wut, die bleibt“. Erzählt wird die Handlung abwechselnd aus der Perspektive zweier sehr unterschiedlicher Frauen: auf der einen Seite Lola, 15 Jahre alt, Helenes Tochter. Sie liest das Missy Magazin, gendert, ist Feministin und immerzu wütend. Auf der anderen Seite Sarah, Helenes beste Freundin. Sie ist Schriftstellerin, angepasst, zweifelt ständig an sich selbst und vor allem an ihrer Figur. Während Sarah sich in die neue Choreografie einfügt und wie selbstverständlich die Betreuung von Helenes Kindern und den Haushalt übernimmt, gibt Lola sich ganz ihrer Wut hin.

„Die Wut, die bleibt“ ist ein passender Titel für diesen Roman, denn sie bleibt tatsächlich – von der ersten bis zu der letzten Seite. Die Wut auf Johannes, den Vater, der sich aus der Affäre zieht, weil er ja „das Geld verdienen“ muss und kaum noch zuhause ist. Die Wut auf Sarah, die ihm diese Flucht aus dem eigenen Familienleben möglich macht und die sich auch von ihrem Partner nach Belieben herumschubsen lässt. Und schlussendlich die Wut auf ein System, das Patriarchat, das Frauen immer wieder im Stich lässt.

Das vordergründige Thema des Buches liegt auf der Hand: weibliche Wut, so verständlich und dennoch so abgewertet, als Hysterie, als Überreaktion, als unfein. Doch „Die Wut, die bleibt“ spricht noch so viel mehr an: Bodyshaming und den Bezug zum eigenen Körper, Frauen, die den Großteil unbezahlter Care-Arbeit leisten und zum Dank dafür gerne vergessen werden, sexualisierte und physische Gewalt gegen Frauen, Partner, die sich ihrer Verantwortung entziehen. Unbedingt lesen, absolutes Jahreshighlight!

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