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Veröffentlicht am 28.04.2022

Mit den Puhdys durchs Ruhrgebiet

Der Markisenmann
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Dieses Buch ist ohne Frage ein Hingucker. Haptisch macht es etwas her; der Leineneinband fühlt sich gut an. Und es ist toll, dass es den Leserinnen und Lesern Kopenhagen auf dem Einband und Mumbai auf ...

Dieses Buch ist ohne Frage ein Hingucker. Haptisch macht es etwas her; der Leineneinband fühlt sich gut an. Und es ist toll, dass es den Leserinnen und Lesern Kopenhagen auf dem Einband und Mumbai auf dem Vorsatz zeigt – allerdings nicht die Städte, die dürfte auch keine der Hauptfiguren schon einmal besucht haben. Nein, hier geht es um gleichnamige Markisenmuster.

Dass Markisen in Jan Weilers neuestem Roman eine tragende Rolle spielen, macht schon der Titel „Der Markisenmann“ deutlich. „Der Markisenmann“ heißt eigentlich Ronald Papen und ist der Erzeuger der 15-Jährigen Kim, die ohne Kontakt zu ihm zusammen mit Mutter, Stiefvater und Halbbruder im noblen Köln Hahnwald lebt. Doch nach einem schrecklichen Unglück fährt Kims Familie ohne sie in den Miami-Urlaub und schickt sie über die Sommerferien zu Ronald Papen, der in einem relativ verlassenen Gewerbegebiet im Duisburger Stadtteil Ruhrort eine Lagerhalle bewohnt und 3.406 Markisen sein Eigen nennt. Um diese zu verkaufen, bereist er so systematisch wie erfolglos das Ruhrgebiet. Seine Freizeit verbringt er mit seinen Freunden im Gewerbegebiet, auf den ersten Blick ebenso gescheiterte Existenzen wie er.

Das Ganze ist sicher kein Traumurlaub für eine 15-Jährige, doch Kim arrangiert sich nach ein paar Tagen mit diesen ungewohnten Ferien. Sie lernt von den Freunden ihres Vaters einiges über Fußball, Wetten und Skat. Sie trifft den fast gleichaltrigen Alik, der sich für Recycling begeistert. Und schließlich begleitet sie ihren Vater auf seinen Verkaufstouren, hört mit ihm die Puhdys (den Soundtrack zum Buch kann ich nur empfehlen, er passt perfekt) und versucht, den Markisenverkauf mit kreativen Methoden anzukurbeln.

„Der Markisenmann“ beginnt mit einem schnellen Abriss von Kims Jugend in Köln Hahnwald, um sich dann einem langen, heißen Sommer zu widmen. Hitze, Gewerbegebietsgeruch und Ereignislosigkeit werden hierbei fast greifbar, doch auch der raue Charme des Ruhrgebiets verfängt und macht aus „Der Markisenmann“ einen kuriosen Lesegenuss. Erst gegen Ende nimmt der Roman nochmal richtig an Fahrt auf – und das auf eine Art und Weise, die ich nicht hatte kommen sehen und gleichzeitig rund und überzeugend fand. Jan Weiler ist ein sehr ungewöhnliches Buch gelungen, dessen originelle Figuren mir in Erinnerung bleiben werden. „Der Markisenmann“ lässt sich kaum in eine Schublade stecken, wartet aber mit liebenswerter Skurrilität und Tiefgang auf, wenn man sich auf die zunächst absonderlich anmutende Geschichte einlässt.

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Veröffentlicht am 25.03.2022

Fallstricke und Gewissenskonflikte

Vertrauen
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Avi Avraham, Oberinspektor im Ayalon-Polizeidistrikt in Tel Aviv, ist mit seinem Job nicht mehr zufrieden und plant eine berufliche Umorientierung, was seinen Chef aus allen Wolken fallen lässt. Bevor ...

Avi Avraham, Oberinspektor im Ayalon-Polizeidistrikt in Tel Aviv, ist mit seinem Job nicht mehr zufrieden und plant eine berufliche Umorientierung, was seinen Chef aus allen Wolken fallen lässt. Bevor es jedoch zu einer Versetzung kommt, stellt sich Avis neuer Fall als weniger trivial heraus, als er angenommen hatte: Der aus einem Hotel verschwundene europäische Gast, der angeblich bei israelischen Verwandten untergekommen ist, hat seiner Tochter erzählt, er würde für den Mossad arbeiten. Und auch sonst gibt es einige Ungereimtheiten, die Avi skeptisch werden lassen. Seine Kollegin ist dagegen relativ schnell einer Frau auf die Spur gekommen, die einen Säugling ausgesetzt hat. Allerdings ist sie weder die Mutter des Kindes noch auf irgendeine Art und Weise kooperativ. Oberinspektor Avi will zwar genau solchen Fällen den Rücken kehren, aber sie lesen sich durchaus spannend und vermitteln darüber hinaus auch noch einmal einen Eindruck vom Leben in Israel. Der Schreibstil des Tel Aviver Autors Dror Mishani macht außerdem Spaß: unaufgeregt, in die Tiefe gehend und seine komplexen Figuren mit ihren unterschiedlichen Perspektiven immer ernst nehmend. „Vertrauen“ ist ein literarischer Krimi mit wenig Blut und ohne wilde Verfolgungsjagden. Aber er stellt seine Leser*innen immer wieder vor die Frage, wie sie sich entscheiden oder vorgehen würden, er zeigt Fallstricke und Gewissenskonflikte und ist dadurch stellenweise interessanter und packender als ein klassischer „Whodunit“-Roman. Selbst wenn Oberinspektor Avi tatsächlich beruflich weiterziehen sollte – ich würde ihn gerne lesend begleiten.

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Veröffentlicht am 10.03.2022

Verständlich, lebendig, erstaunlich

Das einzige Buch, das Du über Finanzen lesen solltest
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Der selbstbewusste Titel dieses Buches ließ mich erst skeptisch werden. Ratgeber, die schon auf dem Cover verkünden, was Leserinnen und Leser tun sollten, sind mir suspekt. Andererseits klang es natürlich ...

Der selbstbewusste Titel dieses Buches ließ mich erst skeptisch werden. Ratgeber, die schon auf dem Cover verkünden, was Leserinnen und Leser tun sollten, sind mir suspekt. Andererseits klang es natürlich verlockend, über das eher dröge Thema Finanzen nur ein einziges Buch lesen zu müssen – vor allem für jemanden wie mich, der bisher einen größeren Bogen um derartige Werke gemacht hat.

Hält „Das einzige Buch, das Du über Finanzen lesen solltest“ denn nun, was es verspricht? Aus Mangel an vergleichbaren Lektüren kann ich das nicht unbedingt beantworten. Es stimmt allerdings, dass die Autoren Thomas Kehl und Mona Linke ihre Leserinnen gewissermaßen an die Hand nehmen, um sie durch den Dschungel möglicher Geldanlagen zu führen. Geduldig beginnen sie mit verbreiteten Denkfehlern, streifen das Thema Versicherungen und kommen schließlich zu Non-Profit-Bankanlagen, Immobilien, Aktien und Investmentfonds. Alles wird in kurzen Kapiteln erklärt und von verschiedenen Seiten betrachtet – und zwar so, und das fand ich wirklich bewundernswert, dass es weder langweilig noch unverständlich wird. Vergleiche, persönliche Erfahrungsberichte und Beispiele sorgen dafür, dass dieses Sachbuch lebendig bleibt und seine Leserinnen bei der Stange hält. Wer sich hier und da doch schon einmal mit seinen Finanzen beschäftigt hat, wird bereits einiges wissen – doch in einer so komprimierten, klar auf den Punkt gebrachten Form mit weiterführenden Erklärungen sind mir Finanzthemen noch nie begegnet. Ich habe beim Lesen tatsächlich viel gelernt und Berührungsängste abgebaut. Gleichzeitig schreiben Kehl und Linke weniger forsch, als der Titel ihres Werks vermuten lassen würde: Sie informieren und sprechen allgemeine Empfehlungen aus, aber sie verkaufen nichts – weder den einen todsicheren Geheimtipp noch ein weiterführendes Mentoring o.ä. Und so hat mich dieses Buch tatsächlich irgendwie begeistert, was ich weder vom Thema noch vom Titel her erwartet hätte.

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Veröffentlicht am 14.02.2022

Fordernd und bereichernd

Manifesto. Warum ich niemals aufgebe. Ein inspirierendes Buch über den Lebensweg der ersten Schwarzen Booker-Prize-Gewinnerin und Bestseller-Autorin von »Mädchen, Frau etc.«
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Gleich das erste Kapitel von Evaristos „Manifesto“ fand ich am packendsten: Hier geht es um „Herkunft, Kindheit, Familie, Ursprünge“ und die Autorin beschreibt ihr Aufwachsen als viertes von acht Kindern ...

Gleich das erste Kapitel von Evaristos „Manifesto“ fand ich am packendsten: Hier geht es um „Herkunft, Kindheit, Familie, Ursprünge“ und die Autorin beschreibt ihr Aufwachsen als viertes von acht Kindern in einer britisch-nigerianischen Familie. Wobei das nigerianische Erbe erst einmal keine große Rolle spielt, denn Evaristos Vater hatte alle Brücken hinter sich abgebrochen, pflegte keine Kontakte in seine Heimat und versuchte erst gar nicht, Sprache, Tradition o.ä. an seine Kinder weiterzugeben. Was allerdings für die Nachbarschaft bis hin zur Oma mütterlicherseits eine große Rolle spielte: seine Hautfarbe und die der Evaristo-Kinder. Die Autorin wurde 1959 in ein Land geboren, in dem ihr von klein auf vermittelt wurde, als person of colour keine echte Engländerin zu sein. Was es bedeutet, nur die englische Kultur zu kennen, ihr aber gleichzeitig nicht als zugehörig bzw. ebenbürtig angesehen zu werden, macht Evaristo für ihre Leserinnen annähernd erlebbar.

In weiteren Kapiteln beschäftigt sich die Autorin mit den Prägungen durch ihre wechselnden Wohnsituationen und ihr mindestens ebenso abwechslungsreiches Liebesleben, außerdem mit ihrer kreativen Entwicklung am Theater und schließlich als Autorin. Evaristo gewährt dabei zwar sehr persönliche Einblicke in ihr Seelenleben, bewahrt aber trotzdem eine gewisse Distanz, was vermutlich daran liegt, dass sie beim Schreiben ihres „Manifesto“ bereits um die 60 Jahre alt war und vor allem auf ihr deutlich jüngeres Ich zurückblickt. Vor allem die Einblicke in ihr Arbeitsethos und ihre Herangehensweise an den Schreibprozess fand ich interessant. Aber auch ihr Umgang mit den großen Themen Rassismus und Gender im Wandel der Zeit ist überaus reflektiert und bietet viele Denkanstöße. Bernardine Evaristo wirkt sehr ehrlich mit ihren Leser
innen, fordert sie aber auch mit komplexen Themen und Gedankengängen, die jedoch immer nachvollziehbar bleiben, weil sie eine Meisterin im Umgang mit Sprache ist (und die Übersetzerin Tanja Handels ihr Buch offensichtlich sehr gekonnt ins Deutsche übertragen hat). Wieder eine äußerst bereichernde Lektüre dieser Autorin.

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Veröffentlicht am 06.01.2022

Drogen, Geldprobleme und ein lost place

Das Präsidium
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Der Frankfurt-Krimi „Das Präsidium“ von Ralf Schwob beginnt mit großem Pech für Drogenkurier Maik: Sein alter Freund Zoran verschwindet auf Nimmerwiedersehen mit der von ihnen zu transportierenden Lieferung. ...

Der Frankfurt-Krimi „Das Präsidium“ von Ralf Schwob beginnt mit großem Pech für Drogenkurier Maik: Sein alter Freund Zoran verschwindet auf Nimmerwiedersehen mit der von ihnen zu transportierenden Lieferung. Maik ist klar: Wenn er das Zeug nicht wieder ranschafft, ist er so gut wie tot. Doch selbst als Zoran wieder auftaucht, bleiben die Drogen verschwunden. Dass der biedere Groß-Gerauer Familienvater Thomas Danzer etwas über ihren Verbleib weiß, scheint ausgeschlossen: Der ehemalige Banker, der Frau und Sohn noch nicht gestanden hat, dass ihm wegen Veruntreuung von Geldern gekündigt wurde, hätte eigentlich auch so schon genug Probleme. Aber vielleicht lassen gerade die sich durch einen unerwarteten Geldsegen lösen – oder wird am Ende alles nur noch schlimmer?

Ralf Schwob ist mit „Das Präsidium“ ein kurzweiliger Krimi mit glaubwürdig gestalteten Protagonisten gelungen: Sie sind fehlbar, verstockt, auch mal unsympathisch, aber durch ihre nachvollziehbaren Sorgen und Nöte sehr menschlich. Durch unerwartete Wendungen und die immer wieder wechselnde Erzählperspektive bekommt die Geschichte Tempo und liest sich wie in einem Rutsch durch. Ein Krimivergnügen – nicht nur für Frankfurter.

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