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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.06.2017

Märchen aus Zamonien

Ensel und Krete
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„Ensel und Krete“ ist Moers zweites Buch, das auf dem fantastischen Kontinent Zamonien spielt. Diesmal dreht sich die Geschichte um die Zwillinge Ensel und Krete, die mit ihren Eltern Urlaub im „Großen ...

„Ensel und Krete“ ist Moers zweites Buch, das auf dem fantastischen Kontinent Zamonien spielt. Diesmal dreht sich die Geschichte um die Zwillinge Ensel und Krete, die mit ihren Eltern Urlaub im „Großen Wald“ machen – eine Art Naherholungsgebiet in Zamonien. Weil das aber ganz schön langweilig ist, ziehen die beiden Fhernhachen-Kinder alleine los und wollen den Wald erkunden. Nach kurzer Zeit haben sich die beiden aber verlaufen. Während die Kinder durch den Wald irren, treffen sie auf allerlei Gestalten – nicht alle meinen es gut mit ihnen. Wie man schon ahnen kann, ist „Ensel und Krete“ eine fantastische Adaption des Grimm-Märchens „Hänsel und Gretel“. Doch wer glaubt, hier handelt es sich um eine reine Nacherzählung des Märchens, der irrt. Das richtig Grandiose an dem Buch ist nämlich, dass es neben der eigentlichen Geschichte noch eine zweite Erzählebene gibt. Moers gibt ja auch bei „Ensel und Krete“ vor, nicht der Autor, sondern nur der Übersetzer zu sein. Eigentlicher Autor ist Hildegunst von Mythenmetz, ein schriftstellernder und sehr alter Lindwurm. Hildegunst von Mythenmetz unterbricht nun die Geschichte von „Ensel und Krete“ immer mal wieder und nutzt die Gelegenheit, um zum Beispiel seinen Arbeitsraum zu beschreiben oder auf seine schriftstellerische Raffinesse hinzuweisen. „Mythenmetsche Abschweifungen“ nennt er diesen „Kunstgriff“. Gerade diese Einschübe von Mythenmetz haben dann dazu beigetragen, dass mir das Buch doch so gut gefallen hat: Sie sind sehr ironisch, pointiert und witzig und es gibt wahnsinnig viele Anspielungen auf den Literaturbetrieb. Die eigentliche Geschichte um Ensel und Krete war ganz in Ordnung, war aber nichts Besonderes und hatte dann doch ein paar Längen – obwohl das Buch ja nur knapp 240 Seiten hat. Toll ist auch noch der Abschnitt zum Leben und Werk des Schriftstellers Mythenmetz im Anhang des Buchs – eine wunderbare Parodie auf Dichterbiografien und Werkanalysen. Ein unterhaltsames, gut zu lesendes Fantasy-Abenteuer. Zamonien-Einsteiger sollten allerdings mit einem anderen Buch anfangen.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Spannend und blutig

Abgeschnitten
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Schon mal eine Leiche seziert? Für sein Werk „Abgeschnitten“ hat sich Fitzek den Gerichtsmediziner Michael Tsokos ins Boot geholt. Die Zusammenarbeit der beiden hat sich durchaus gelohnt: Herausgekommen ...

Schon mal eine Leiche seziert? Für sein Werk „Abgeschnitten“ hat sich Fitzek den Gerichtsmediziner Michael Tsokos ins Boot geholt. Die Zusammenarbeit der beiden hat sich durchaus gelohnt: Herausgekommen ist ein nervenzerreißender, gruseliger und vor allem blutiger Thriller, der einem schon mal den Magen umdrehen kann. Hauptfigur ist der Rechtsmediziner Paul Herzfeld. Als er eines Morgens eine brutal zugerichtete Frauenleiche obduziert, ahnt er nicht, dass er bald in ein grausames Spiel hineingezogen wird. Herzfeld findet in der Leiche einen Zettel mit einer Telefonnummer und dem Namen seiner Tochter. Als er die Nummer anruft, geht aber nur eine Mailbox ran, auf die seine Tochter eine verstörende Nachricht gesprochen hat. Von da an beginnt eine wilde (Schnitzel-)Jagd auf Leben und Tod. Dass Fitzek extrem spannend schreiben kann, ist ja mittlerweile weithin bekannt. Auch bei „Abgeschnitten“ ist der Spannungsbogen sehr gut ausgearbeitet. Eine Wendung jagt die andere und ich hatte beim Lesen wirklich oft das Gefühl, dass mir das Herz gleich stehen bleibt. Gelungen ist auch das Setting – zum Teil schön unheimlich und furchteinflößend. Bedauerlicherweise wird die Geschichte aber etwas arg aufgebläht. So circa ab der Hälfte des Romans war mir vieles einfach etwas zu over the top und stellenweise hatte ich das Gefühl mich mitten in einem billig produzierten Fernsehhorrorfilm zu befinden. Die Gesellschaftskritik, die Fitzek anklingen lässt, geht so einfach unter. Auch die psychologische Tiefe hat mir bei diesem Thriller gefehlt. Nichts desto trotz hat mich „Abgeschnitten“ aber extrem gut unterhalten und mir mehr als einmal Gänsehaut verursacht. Der Thriller entwickelt von Anfang an eine immense Dynamik, ist spannend und wird an keiner Stelle langweilig. Daher hat der Roman absolut seinen Zweck erfüllt.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Üppig und facettenreich

Die Rosenzüchterin
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Historischer Roman, psychologischer Roman oder doch Krimi? – Charlotte Links Roman „Die Rosenzüchterin“ lässt sich nur sehr schwer einem Genre zuordnen. Erzählt werden im Grunde vier verschiedene Geschichten, ...

Historischer Roman, psychologischer Roman oder doch Krimi? – Charlotte Links Roman „Die Rosenzüchterin“ lässt sich nur sehr schwer einem Genre zuordnen. Erzählt werden im Grunde vier verschiedene Geschichten, die aber natürlich alle zusammenhängen. Zum einen ist da die junge Lehrerin Franca Palmer, die unter Depressionen und Panikattacken leidet. Auf der Kanalinsel Guernsey sucht sie Abstand zu ihrem Leben in Berlin und mietet sich in einem alten Haus in Le Variouf ein, das der Rosenzüchterin Beatrice Shaye gehört. Beatrice ist um die 70 und teilt sich das Haus mit der zehn Jahre älteren Helene – eine Deutsche und einst Frau eines Nazi-Offiziers. Das deutsche Ehepaar hatte das Rosenzüchter-Haus während der Besetzung der Kanalinseln im zweiten Weltkrieg okkupiert. Die beiden Frauen sind seitdem eine etwas seltsame Schicksalsgemeinschaft. Schließlich wird in „Die Rosenzüchterin“ auch noch die Geschichte von Beatrices Sohn Alan angeschnitten, der als Anwalt in London lebt und ein Alkoholproblem hat. Ganz zum Schluss gibt’s dann noch einen Kriminalfall, der die Insel erschüttert. An sich hat mir der Roman ganz gut gefallen, obwohl die Geschichte doch relativ vorhersehbar und auch nur mäßig spannend war. Die Stärke des Romans ist aber ganz klar auch nicht sein Spannungsbogen, sondern seine psychologische Dichte und das extrem gut ausgearbeitete Beziehungsgeflecht zwischen den Protagonisten. Von Anfang an kann man sich wahnsinnig gut mit den Figuren identifizieren, macht mit ihnen Entwicklungen durch, versteht ihre Ängste, Sorgen und Probleme und warum sie so sind, wie sie sind. Besonders gut gefallen haben mir die Passagen im Roman, die während des zweiten Weltkriegs spielen – man hat danach das Gefühl, die Besatzungszeit auf der Insel selbst miterlebt zu haben. Link schreibt generell sehr bildhaft und auch atmosphärisch und ich hatte nach der Lektüre große Lust, mal selbst nach Guernsey zu fliegen. Den Kriminalfall zum Schluss fand ich allerdings ein wenig an den Haaren herbeigezogen, überflüssig und fehl am Platz. Diesen Handlungsstrang hätte sich Link echt sparen können, weil er die Geschichte auch nicht aufregender gemacht hat. Im Großen und Ganzen ein üppiger, facettenreicher und interessanter Roman mit einem tollen Schreibstil – wenn auch nicht das beste Buch von Charlotte Link.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Ein Wohlfühl-Roman

Die Frauen der Rosenvilla
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Rosen, Schokolade und ein Familiengeheimnis – Teresa Simons Roman beginnt im Frühjahr 2013: Anna Kepler, Erbin einer Schokoladendynastie, hat gerade viel um die Ohren: In ihrer Heimat Dresden hat sie gerade ...

Rosen, Schokolade und ein Familiengeheimnis – Teresa Simons Roman beginnt im Frühjahr 2013: Anna Kepler, Erbin einer Schokoladendynastie, hat gerade viel um die Ohren: In ihrer Heimat Dresden hat sie gerade ihren zweiten Schokoladenladen eröffnet. Außerdem ist Anna gerade dabei die Familienvilla in Blasewitz zu renovieren. Das DDR-Regime hatte Annas Opa, dem die Villa zuletzt gehörte, einst enteignet. Erst lange nach dem Fall der Mauer ist die Immobilie in den Familienbesitz zurückgekehrt. Anna möchte nun möglichst alles wieder so herstellen, wie es einmal war. Als sie den einst so berühmten Rosengarten der Villa neu anlegt, findet sie ein vergrabenes Bankschließfach. Darin mehrere lose Tagebuchseiten, Schmuck und andere Gegenstände. Anna beginnt fasziniert zu lesen und stößt auf ein Geheimnis, das fast 100 Jahre alt ist.

„Die Frauen der Rosenvilla“ ist eine reizende Familiengeschichte und ein richtiger Wohlühl-Roman. Zu gerne würde man Anna in ihrem Laden „Schokolust“ bei einer Tasse Kakao Gesellschaft leisten. Und wenn sie in ihrer Küche werkelt und neue Pralinen kreiert, läuft einem richtig das Wasser im Mund zusammen. Auch der Rosengarten wird so anschaulich beschrieben, dass man die vielen exquisiten Rosensorten richtig vor sich sieht und ihren Duft erahnt. Und wer würde sich in so einer tollen Villa nicht wohl fühlen? Natürlich geht es in dem Roman aber nicht nur um Rosen und Schokolade. Anhand der Tagebucheinträge, die Anna findet, reist der Leser zurück in die Vergangenheit – einmal in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg, dann in die Zeit zwischen den Weltkriegen und schließlich in die Zeit während des dritten Reichs. Dabei trifft man auf drei Frauen aus drei Generationen, die alle einmal in der Rosenvilla gelebt haben. Nach und nach lüftet man zusammen mit Anna ein tragisches Familiengeheimnis. Auch ein paar historische Fakten über die Weltkriege und den Schauplatz Dresden hat die Autorin eingestreut. Zum Schluss hin war mir die Geschichte zwar ein bisschen zu arg konstruiert und es gibt schon sehr viele Zufälle. Auch die Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart hätte eleganter gelöst werden können, trotzdem hab ich den Roman richtig gern gelesen. Dazu hat vor allem der flüssige und lebendige Schreibstil beigetragen. Ein wirklich schöner Roman fürs Herz und für einen entspannten Sonntagnachmittag bei einer großen Tasse heißer Schokolade.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Meisterhafte Dialoge

Der Verdacht
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Bern, 1948: Kommissar Bärlach liegt todkrank im Krankenhaus, er hat vielleicht noch ein Jahr zu leben. In der Zeitschrift „Life“ stößt er auf das Bild des berüchtigten Arztes Nehle, der im Konzentrationslager ...

Bern, 1948: Kommissar Bärlach liegt todkrank im Krankenhaus, er hat vielleicht noch ein Jahr zu leben. In der Zeitschrift „Life“ stößt er auf das Bild des berüchtigten Arztes Nehle, der im Konzentrationslager Stutthof Gefangene ohne Narkose operiert hat. Bärlachs behandelnder Arzt und Freund Dr. Hungertobel erschrickt, als er das Bild sieht, denn er glaubt, den Arzt zu kennen. Er ist jetzt der Leiter einer erlesenen Privatklinik in Zürich. Obwohl er sehr krank ist und eigentlich auch schon pensioniert, beginnt Bärlach zu ermitteln. Denn er will die „Unmenschlichkeit in jeder Form“ bekämpfen.

Dürrenmatts „Der Verdacht“ mutet auf den ersten Blick an wie ein Kriminalroman, ist aber weitaus mehr – nämlich eine philosophische Betrachtung über Moral, Glaube, Freiheit und Überzeugung. Vor allem geht es um die Frage: Wer hindert den Menschen daran böses zu tun, wenn er an nichts glaubt? Zwischendurch setzt sich Bärlach auch sehr selbstkritisch mit der Rolle der Schweiz während des dritten Reichs auseinander. Die Krimihandlung bildet lediglich den Rahmen. Es soll aber auch gar nicht darum gehen, herauszufinden wer der Täter ist.

Dürrenmatts große Stärke sind seine Dialoge. Stellenweise sind diese wirklich meisterhaft – wie der Dialog zwischen Bärlach und dem verdächtigen Arzt im zweiten Teil des Romans. „Zeigen Sie mir Ihren Glauben“ fordert da der Arzt den Kommissar auf. Als Bärlach schweigt, setzt der Arzt nach: „Man liebt es heute zu schweigen, wenn man gefragt wird, wie ein Mädchen, dem man eine peinliche Frage stellt. Man weiß ja auch nicht recht, woran man eigentlich glaubt.“ Wie soll man bei so viel Sprachlosigkeit, dem Bösen in der Welt etwas entgegensetzen können? „Der Verdacht“ ist nicht Dürrenmatts bester Roman, aber trotzdem sehr zu empfehlen. Tiefgründig, philosophisch und exzellent geschrieben.