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Veröffentlicht am 17.05.2022

Bots sind auch nur Menschen

Kurioses über euch Menschen
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„Lassen Sie sich bitte nicht von meinem menschenähnlichen Äußeren täuschen. Ich bin nur ein Bot! Ich habe keine Gefühle oder sonst irgendetwas, das als missverstanden werden könnte. Stattdessen wurde ...

„Lassen Sie sich bitte nicht von meinem menschenähnlichen Äußeren täuschen. Ich bin nur ein Bot! Ich habe keine Gefühle oder sonst irgendetwas, das als <> missverstanden werden könnte. Stattdessen wurde ich zu einem höchst leistungsfähigen Zahnarzt programmiert!“ (S. 6) So stellt sich Jared seinen Patienten in Ypsilanti / Michigan vor.
Wir schreiben das Jahr 2054. Die Menschen kommen nicht mehr ins Internet, Elon Musk hat den Mond verbrannt, es gibt keine Flugzeuge mehr und kaum noch von Menschen gesteuerte Fahrzeuge (die Fehlerquote war einfach zu hoch), und alle potentiell gefährlichen Arbeiten, die keine Empathie benötigen, werden von Bots erledigt. Bots sind keine Roboter, wie wir sie uns wahrscheinlich vorstellen. Sie werden aus DNA und Zellen aufgebaut und bis zum perfekten Alter vorgereift, brauchen Nahrung, Wasser, Sauerstoff – und Bewegung. Nicht mehr.
Und doch stimmt seit einiger Zeit etwas nicht mit Jared. Sein Arzt diagnostiziert eine Depression und sagt, er soll sich einen alten Film ansehen. Der Film bringt Jared zum Weinen. „In neunzig Minuten hatte der alte Film alles gesagt, was über ein ganzes Menschenleben gesagt werden kann.“ (S. 55) Ja, er hat Gefühle! Mit jedem weiteren Film überwindet er die Depression und den Zustand der Automatisierung mehr. Und eines morgens ist er dann plötzlich glücklich.
Doch es gibt ein Problem. Obwohl die Menschen die Bots geschaffen haben und sie ständig kontrollieren, haben sie Angst vor ihrer eigenen Schöpfung. Als Jared „auffällig“ wird, soll er resettet oder zerstört werden. Ihm bleiben 10 Tage, um zu beweisen, dass er harmlos ist. Er will einen Film schreiben, „… der die Einstellung der Menschen zu Bots mit Gefühlen ändert!“ (S. 98) Und wo könnte man das besser machen als in LA? Er flüchtet aus seinem Leben und Ypsilanti, besorgt sich eine neue Identität, jobbt neben dem Schreiben in einem Tacoladen und verliebt sich in die Kellnerin Amber. Und damit fangen die Probleme dann erst richtig an …

Als ich den Klappentext des Buches gelesen habe, hatte ich kurz Bedenken, dass es in Richtung Dystopie gehen könnte. Doch Simon Stephenson ist es gelungen, eine zukünftige Welt zu erschaffen, die bei allen Endzeit-Ängsten auch Hoffnung weckt. Ja, es hat DEN großen Knall gegeben und viele Menschen wurden getötet. Viele Orte sind von der Landkarte verschwunden oder brennen seit 30 Jahren. Die Welt ist durch die Bots hochtechnisiert, aber diese sehen so menschlich aus, dass man sie nur selten erkennt. Denn alles ist darauf ausgerichtet, es den verbliebenen Menschen so angenehm wie möglich zu machen und Gefahren von ihnen fernzuhalten. Aber da der Mensch ein Feindbild braucht und sich nicht mehr gegenseitig abschlachten soll, werden die Bots als Gegner initiiert. In allen aktuellen Filmen und Nachrichten sind immer die Bots die Bösen, die die Menschen ausrotten und die Weltherrschaft an sich reißen wollen. Und dann kommt da ein mittelalter Zahnarzt-Bot aus einer Kleinstadt und will ihnen klarmachen, dass ihre Sicht der Dinge falsch ist?! Geht gar nicht!

„Kurioses über euch Menschen“ hat mich an Sophies Welt erinnert. Was ist real und was nicht? Was passiert in Wirklichkeit und was nur in den Köpfen der Bots oder Menschen? Ich finde das Buch sehr philosophisch. Durch Jared wird uns ein Spiegel vorgehalten, wird uns gezeigt, wie wir Menschen uns untereinander und gegenüber Fremden verhalten, zeigt unsere Fehler und Macken, unseren Neid und Missgunst, unseren Egoismus. Wie wir immer wieder versuchen, andere zu übervorteilen und zu betrügen. Doch das Schlimmste ist unser Selbstbetrug. Hauptsache wir fühlen uns gut und im Recht.
Jared wurde neben seinen medizinischen Kenntnissen auch mit Wissen über die Gefühle und Entwicklung von Menschen programmiert. Doch als er die alten Filme sieht und aus seinem Alltag ausbricht, ändert sich seine Sicht auf diese Dinge. Er lebt plötzlich sehr intensiv, macht fast jeden Tag eine neue Erfahrung oder Entdeckung und einen extrem schnellen Prozeß der Selbstfindung durch. Und dann muss er sich der Frage stellen, ob er weiter intensiv und nur noch kurz, oder lange und stumpf „leben“ will …

Ein toll geschriebenes, sehr berührendes Gedankenexperiment!

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Veröffentlicht am 16.05.2022

Eine Hand wäscht die andere

Tod in Rimini
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„Du musst Chiara helfen – denn wenn du es nicht tust, mein Freund, werde ich dich bis ans Ende deiner Tage verfolgen und dafür sorgen, dass du niemals wieder Schlaf oder Ruhe findest.“ (S. 91/92) Diese ...

„Du musst Chiara helfen – denn wenn du es nicht tust, mein Freund, werde ich dich bis ans Ende deiner Tage verfolgen und dafür sorgen, dass du niemals wieder Schlaf oder Ruhe findest.“ (S. 91/92) Diese Drohung stößt nicht etwa ein Mafioso gegen Paolo Ritter aus, sondern ein toter Tenor. Den hatte Paolo erst am Abend zuvor bei einem Konzert kennengelernt, zu dem ihm seine Geschäftspartnerin und Köchin Lucia „gezwungen“ hatte. Lucias beste Freundin Chiara ist bzw. war die aktuelle Lebensgefährtin des Toten und steht jetzt unter dringendem Mordverdacht.

„Tod in Rimini“ ist der zweite Band der Reihe mit dem ehemaligen LKA-Ermittler mit dem episodischen Gedächtnis. Paolo hat überraschend das Hotel seines verstorbenen Bruders übernommen und steckt mitten in der ausufernden Sanierung. Da kommt ihm ein neuer Fall sehr ungelegen, zumal der Tenor ein extrem unsympathischer Mensch war. Doch nicht nur der Tote, auch Lucia drängt ihn zur Aufklärung des Mordes, denn ihre beste Freundin kann es einfach nicht gewesen sein! Sie hatte gar kein Motiv. Lucia schlägt ihm einen Deal vor: Er klärt den Mord auf, dafür kümmert sie sich um die Handwerker und die Sanierung – eine Hand wäscht die andere ...

Doch es sieht nicht gut aus für Chiara. Obwohl sich ihr Freund mit so ziemlich jedem zerstritten hatte, sind die Beweise gegen sie erdrückend. Paolo hat zwar das Gefühl, dass am Tatort irgendwas nicht stimmt, doch er kommt lange nicht darauf, was das ist. Er folgt verschiedenen Spuren und sammelt ein Puzzlestück nach dem anderen zusammen, bis sich letztlich ein Bild ergibt, dass sogar die ermittelnde Ispettore überzeugt.

Mir hat Paolo Ritter mit seiner etwas ungelenken und zum Teil sehr deutschen Art wieder sehr gut gefallen, zumal er langsam besser mit der italienischen Lebensart zurechtkommt. Nur mit dem Zwischenmenschlichen (vor allem bei Frauen) hapert es immer noch. Lucias Bemerkungen und Andeutungen sind für ihn oft ein Buch mit sieben Siegeln. Da versteht er die sehr offensiv flirtende Ispettore deutlich besser. Doch Lucia ist der perfekte Gegenpart für ihn – weich, freundlich und flirtend, wo seine direkte Art sein Gegenüber wiedermal in die Flucht zu schlagen droht.

Dani Scarpa schreibt sehr spannend und gleichzeitig amüsant. Paolos Dramen bei der Sanierung haben mich mehrfach schmunzeln lassen, scheint der beauftragte Vermessungsingenieur doch seine gesamte Verwandtschaft auf dem Bau unterbringen und aus dem Hotel ein Luxusresort machen zu wollen.
Auch la Dolce Vita kommt nicht zu kurz. Land und Leute werden sehr lebendig beschrieben und die regionalen Gerichte lassen einem beim Lesen das Wasser im Mund zusammenlaufen (und am Ende des Buches gibt es wieder ein leckeres Rezept).

Mich hat der Krimi extrem gut unterhalten und ich bin schon sehr gespannt auf Paolos und Lucias nächste Ermittlung – dann ja vielleicht wirklich schon als Privatdetektive?

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Veröffentlicht am 02.05.2022

Vom Jäger zum Gejagten

Einsame Entscheidung
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„Manchmal muss man das Gesetz brechen, um das Richtige zu tun.“ Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet Leander Lost, der aufgrund seines Asperger-Syndroms nicht lügen oder etwas Unrechtes tun kann, diesen ...

„Manchmal muss man das Gesetz brechen, um das Richtige zu tun.“ Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet Leander Lost, der aufgrund seines Asperger-Syndroms nicht lügen oder etwas Unrechtes tun kann, diesen Satz sagt.
Dabei fängt alles so harmlos an. Es ist Mitte Juni und die Touristen haben die Algarve noch nicht überrannt, als ein anonymer Anruf bei der Polizei eingeht. In einem Ferienhaus soll eine Frau um Hilfe geschrieben haben. Die Frau finden Leander Lost und seine Kollegen Graciana Rosado, Miguel Duarte und Carlos Estebes von der Polícia Judicária nicht vor, aber einen erstochenen Briten. Alles deutet auf eine Beziehungstat hin, zumal die Frau, die das Haus gemietet hat, nicht (mehr?) da ist. Und noch etwas Wichtiges fehlt, fällt Leander Lost auf. Sie finden einer Spur, die nach Spanien führt, in den „Wintergarten Europas“, in dem das ganze Jahr Obst und Gemüse angebaut wird. Doch dann wird ihnen ein Team aus Lissabon vor die Nase gesetzt und aus den Jägern werden Gejagte, denn plötzlich ist Leander Lost mit der Mordverdächtigen auf der Flucht. Doch nicht nur Leander Lost, auch Miguel Duarte wagt wieder mal den Alleingang, weil er endlich und um fast jeden Preis in die Hauptstadt befördert werden möchte ...

„Einsame Entscheidung“ ist bereits der fünfte Teil der „Lost in Fuseta“ Reihe, aber immer noch so spannend wie zu Beginn. Mit dem Asperger-Autisten Leander Lost hat Gil Rebeiro einen ganz besonderen Protagonisten geschaffen, der auf seine Umwelt oft wie ein Roboter wirkt, da er Probleme hat, Gefühle zu erkennen oder zu zeigen. Aber als Ermittler ist er unbestechlich und wird von seinen Kollegen gern als menschlicher Lügendetektor eingesetzt. Auch sein szenisches Gedächtnis hilft ihnen bei den Ermittlungen, da er einmal Erlebtes oder Gesehenes immer wieder abrufen kann. Ich finde es toll, innerhalb dieser Reihe seine Entwicklung zu begleiten, zu sehen, wie er langsam lockerer und „normaler“ wird.

Als Hintergrund für den Fall dienen Gil Ribeiro die Überbevölkerung und Nahrungsmittelknappheit, Industriespionage, illegale Erntehelfer und geheime Studien, bei denen nicht mal die Probanden wissen, dass sie welche sind.

Den Wechsel zwischen ruhigen und Action-Szenen finde ich ausgewogen, mich hat „Einsame Entscheidung“ von Anfang bis Ende gefesselt. Auch die privaten Hintergründe des Ermittlerteams und das Urlaubsfeeling der Algarve passen gut zur Handlung. Besonders hervorheben möchte ich wieder den Sprecher Andreas Pietschmann, der Leanders Art sehr gut mit seiner Stimme rüberbringt. Ich bin schon sehr gespannt auf den hoffentlich nächsten Fall.

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Veröffentlicht am 29.04.2022

Lenni und Margot waren hier

Die hundert Jahre von Lenni und Margot
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„Das Leben und das Sterben sind große Geheimnisse, man kann beides nicht verstehen, so lange man es nicht selbst erlebt hat.“ (S. 21)
Lenni ist siebzehn, als sie erfährt, dass sie eine tödlich verlaufende ...

„Das Leben und das Sterben sind große Geheimnisse, man kann beides nicht verstehen, so lange man es nicht selbst erlebt hat.“ (S. 21)
Lenni ist siebzehn, als sie erfährt, dass sie eine tödlich verlaufende Krankheit und nicht mehr viel Zeit hat. Die letzten Monate ihres Lebens verbringt sie im Krankenhaus und hadert mit Gott und der Welt, denn sie hat noch nichts von dem erlebt, was man sich in dem Alter erträumt: Keinen Freund oder wenigstens den perfekten ersten Kuss. Da entdeckt sie den Kunstkurs des Krankenhauses und darin Margot – 83 Jahre alt, im Kopf jung geblieben, auch wenn ihr Herz gerade streikt – die ein sehr erfülltes und bewegtes Leben hinter (und wenn sie Glück hat, auch noch einen Rest vor) sich hat. „Zusammen sind wir hundert Jahre alt.“ (S. 57) stellen sie fest. Und schmieden einen Plan. Für jedes gelebtes Jahr werden sie das Bild einer Erinnerung zeichnen. Das wird ihre Art sein, einen Fußabdruck auf der Erde zu hinterlassen, wenn sie nicht mehr da sind. Aber hundert Jahre bedeuten hundert Bilder – schaffen sie das, bevor Lenni gehen muss?

„Die hundert Jahre von Lenni und Margot“ sollte nur zusammen mit Taschentüchern verkauft werden, denn ich habe Rotz und Wasser geheult.
Lenni scheint sehr einsam zu sein, bekommt nie Besuch und gibt kaum etwas von sich Preis. Sie will sich auch nicht mit anderen PatientInnen in ihrem Alter anfreunden, die im Gegensatz zu ihr irgendwann wieder nach Hause gehen werden. Sie haben einfach nichts gemein.
„Die Leute sagen, wenn man stirbt, dann bedeutet das, dass Gott einen zu sich ruft, also dachte ich mir, am besten stelle ich mich schon mal vor.“ (S. 9) Stattdessen besucht sie regelmäßig den Pater des Krankenhauses und diskutiert mit ihm über die Bibel und Gott, stellt Fragen, auf die er keine Antworten hat und entwickelt eine Marketingstrategie für seine kaum besuchte Kapelle. Ich hatte das Gefühl, sie geben sich dadurch gegenseitig Halt und Lenni hilft ihm, seinen Glauben zu überprüfen und zu behalten. Dabei klingt sie manchmal extrem jung und verloren, aber schon kurz darauf wieder so weise, als hätte sie ein ganzes erfülltes Leben hinter sich. Ich mochte ihren oft versteckten, sehr intelligenten Witz und ihre warmherzige und rücksichtsvolle Art, selbst beim Sterben noch an andere zu denken.
Margot hingegen blickt auf ein sehr ereignisreiches Leben zurück, an dem sie Lenni durch ihre Bilder und Geschichten teilhaben lässt. Sie hat geliebt, verloren und wiedergefunden, große Enttäuschungen erlebt und die eine ganz große Liebe gefunden, um die sie fast ihr ganzes Leben kämpfen musste.

Ich hatte Lenni und Margot sofort in mein Herz geschlossen, habe mit ihnen gebangt und gelitten und jedes Schnipselchen ihres Lebens aufgesaugt, das sie nach und nach erzählt haben. Ihre Geschichten haben mich extrem berührt und nachdenklich gemacht – was macht ein erfülltes, glückliches Leben aus? Und wie leicht oder schwer ist es, am Ende loszulassen?

Marianne Cronin hat einen wunderbaren, sehr empathischen und packenden Schreibstil, obwohl ihr Roman eher unaufgeregt ist. Ich bin schon sehr gespannt auf ihr nächstes Buch.

„Die hundert Jahre von Lenni und Margot“ von Marianne Cronin ist mein Geheimtipp für LeserInnen von Cecelia Ahern oder Anna McPartlin.

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Veröffentlicht am 25.04.2022

Nur ein großer Wunsch

Warten auf ein Wunder
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Dublin 2010: Jede Woche treffen sich Caroline, Natalie und Janet in einer Selbsthilfegruppe für Frauen, die ungewollt kinderlos bleiben. Sie haben (fast) keine Geheimnisse voreinander, teilen sie doch ...

Dublin 2010: Jede Woche treffen sich Caroline, Natalie und Janet in einer Selbsthilfegruppe für Frauen, die ungewollt kinderlos bleiben. Sie haben (fast) keine Geheimnisse voreinander, teilen sie doch das gleiche Schicksal. Nur Ronnie, die Neue, schweigt sich aus.

Irland 1976: Als Catherine mit 17 unverheiratet schwanger wird und ihr Freund sich nicht zu dem Kind bekennt, wird sie in ein katholisches Mutter-Kind-Heim abgeschoben. Als sie ihr Kind dann nicht zu Adoption freigeben will, löst sie einen Skandal aus.

„Warten auf ein Wunder“ ist mir extrem nahe gegangen. Was die Frauen in der Hoffnung auf ein eigenes Kind alles auf sich nehmen, die unzähligen Behandlungen, Operationen und Schmerzen, den physischen und psychischen Druck, ist unvorstellbar. Leider bleiben ihre Beziehungen dabei oft auf der Strecke, weil der Wunsch nach dem Kind irgendwann größer ist als die Liebe zu ihrem Partner. „Acht Jahre, vier Operationen, sechs IVFs, ein toter Hund und ein Ehemann, der mich soeben verlassen hat, und sogar ich will noch mal von vorne anfangen.“ (S. 33) Trotzdem können sie den einen großen Wunsch einfach nicht loslassen – und obwohl ich ihre körperlichen Schmerzen beim Lesen selber spüren konnte, habe ich sie verstanden, mit ihnen gehofft und gebangt und auch geweint, wenn es wieder einen Rückschlag gab – vielleicht auch darum, weil ich selber keine Kinder bekommen kann.

Während ich mit Caroline, Natalie, Janet und Ronnie eher mitgelitten habe, hat mich Cathrines Geschichte sehr wütend und traurig gemacht. Obwohl sie auf einem Bauernhof lebt, wurde sie nie aufgeklärt, wusste nicht, wie ein Baby entsteht. „Woher weißt du, dass du schwanger bist?“ „Weil meine Mami mich geschlagen hat.“ (S. 99)
Was sie in dem Heim erlebt, lässt sich nur mit unmenschlich bezeichnen. Die schwangeren, oft minderjährigen Mädchen bekommen (angeblich zu ihrem Schutz) neue Namen und eine Arbeitsnummer, mit der sie gerufen werden – das hat bei mir sofort Assoziationen an die Verhältnisse in den KZ´s geweckt. Sie werden wie Dreck behandelt, müssen bis zum Umfallen arbeiten und bekommen meist erst dann medizinische Betreuung, wenn es schon zu spät ist. Nicht wenige Mädchen sterben bei der Geburt. Das ist aber egal, denn die Nonnen interessieren sich sowieso nur für die Babys, die sie für viel Geld an neue Eltern vermitteln. „Wir waren alle Gefangene in dem engen Netz aus einer engstirnigen Gesellschaft und Eltern, die uns jegliche Unterstützung verweigerten, einer Kirche, die uns als verdorbene, unzüchtige Sünderinnen hinstellte, und einem Geschäftsmodell, welches Kinder gegen Spenden an Adoptiveltern vermittelte, sowohl innerhalb Irlands als auch ins Ausland.“ (S. 223) Vor allem war es mit der Geburt für Cathrine noch nicht vorbei, ganz im Gegenteil, der von vornherein fast aussichts- und hoffnungslose Kampf um ihr Kind beginnt erst danach richtig …

Anna McPartlins neues Buch ist eine emotionale Achterbahnfahrt, hat mich sprachlos, wütend und traurig gemacht. Abwechselnd erzählt sie sehr einfühlsam Carolines, Natalies und Janets zum Teil verzweifelte Anstrengungen auf dem Weg zum eigenen Kind und lässt Ronnie immer ein bisschen mehr von sich preisgeben. Der Zusammenhalt und die beispiellose gegenseitige Unterstützung, das Mutmachen, aber auch die Versuche, sich von dem Kinderwunsch zu lösen haben mich sehr berührt. „Manchmal müssen wir uns auf das konzentrieren, was wir haben, anstatt auf das, was wir nicht haben.“ (S. 152)
Parallel dazu wird Cathrines Geschichte weitererzählt, wie schwer es ihr fällt, nach der Geburt wieder Fuß zu fassen, sich ein neues Leben aufzubauen. Sie weiß nicht, ob sie je wieder Vertrauen zu einem Mann fassen und eine körperliche Beziehung zulassen kann, denn eigentlich haben die Nonnen sie gebrochen.

„Warten auf ein Wunder“ ist ein ganz besonderes und sehr emotionales Lesehighlight für mich.

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