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Veröffentlicht am 04.06.2017

Auf der Flucht

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Seit langer Zeit bin ich ein Fan von Roger Smiths Romanen mit Schauplatz Südafrika – Kap der Finsternis, Blutiges Erwachen, Staubige Hölle, Stiller Tod usw. – und hatte große Erwartungen an den neuen, ...

Seit langer Zeit bin ich ein Fan von Roger Smiths Romanen mit Schauplatz Südafrika – Kap der Finsternis, Blutiges Erwachen, Staubige Hölle, Stiller Tod usw. – und hatte große Erwartungen an den neuen, unter dem Pseudonym James Rayburn geschriebenen Thriller des Autors. Er bewegt sich in einem völlig anderen Milieu. Es geht um Spionage und die Aktivitäten der Geheimdienste.
Die ehemalige Agentin und Profi-Killerin Kate Swift wurde zur Whistleblowerin, nachdem ihr Mann bei einem Einsatz von der CIA ermordet wurde. Sie deckte die Vorgänge auf, belastete ihren ehemaligen Chef schwer und musste untertauchen, weil sie zu Recht seine Rache fürchtete. Dann fliegt ihre Tarnung auf, und sie muss fliehen, um sich und ihre 6jährige Tochter Suzie zu retten. Nach mehreren Zwischenstationen gelangt sie nach Thailand, wo sie sich Hilfe von ihrem ehemaligen Mentor erhofft, der einst ihr Idol war. Er kann ihr nicht helfen, und sie muss sich etwas Anderes einfallen lassen. Ihre Verfolger sind ihr auf der Spur. Wird sie mit ihrer Tochter entkommen können?
Die Ereignisse werden in kurzen Kapiteln aus wechselnden Perspektiven erzählt und entwickeln zunächst ein großes Tempo. Später lässt die Spannung deutlich nach. Insgesamt wirkt die Geschichte reichlich wirr mit losen Enden und wenig schlüssigen Abläufen. Ich vermisse Tiefgang und sorgfältige Charakterisierung der Figuren, von denen es viel zu viele gibt. Auch sprachlich gefällt mir der Roman nicht. Die Sprache ist sehr derb. Vor allem aber stört mich die exzessive Gewalt, obwohl der Autor natürlich auch bei den in Südafrika spielenden Romanen nicht zimperlich war. Insgesamt war dieser Thriller für mich eine Enttäuschung.

Veröffentlicht am 30.04.2017

Geschichten von Bienen

Die Geschichte der Bienen
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Mit „Die Geschichte der Bienen“ legt die Norwegerin Maja Lunde nach mehreren Jugendbüchern ihren ersten Roman für Erwachsene vor – einen Roman wohlgemerkt und kein Sachbuch. In drei auf unterschiedlichen ...

Mit „Die Geschichte der Bienen“ legt die Norwegerin Maja Lunde nach mehreren Jugendbüchern ihren ersten Roman für Erwachsene vor – einen Roman wohlgemerkt und kein Sachbuch. In drei auf unterschiedlichen Zeitebenen angesiedelten Handlungssträngen erzählt sie in vielen kurzen Kapiteln mit ständig wechselnder Perspektive die Geschichte von drei Familien, die alle irgendwie mit Bienen zu tun haben. William lebt im 19. Jahrhundert in England. Er musste seine Träume von einer Karriere als Wissenschaftler angesichts seiner schnell wachsenden Familie aufgeben und verdient sein Geld als Samenhändler. Irgendwann hat er die Idee für einen neuartigen Bienenstock. Allerdings ist eine Anmeldung als Patent nicht möglich, weil es so etwas anderswo schon gibt. George ist Imker und lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Ohio. Finanziell wird es sehr eng für ihn, als 2007 der größte Teil seiner Bienenvölker von einen Tag auf den anderen verschwindet wie in vielen anderen Teilen der USA auch. Der dritte Teil spielt im China der Zukunft. Im Jahr 2098 gibt es dort keine Bienen mehr. Millionen von Arbeitern bestäuben die Obstbäume von Hand. Die Menschen arbeiten sehr schwer und sind trotzdem arm, haben kaum genug zu essen. In diesem Teil geht die Autorin auf die Probleme ein, die uns auch aktuell beschäftigen. Wie sieht die Zukunft für uns Menschen aus, wenn es keine Bienen mehr gibt? Was können wir tun?
Mich hat das Buch sehr interessiert. Allerdings bin ich nach der Lektüre etwas enttäuscht. Es passiert nicht allzu viel auf den gut fünfhundert Seiten. Es gibt keine bedeutenden oder überraschenden Entwicklungen. Auf mich wirkte es eher wie eine endlose Wiederholung des ewig Gleichen. Mich stört aber vor allem auch der irreführende Titel. Bei diesem Roman handelt es sich nicht um eine Geschichte der Bienen und der Imkerei, wie man erwarten könnte, und auch das Thema “Bienensterben“ wird nicht besonders ausführlich dargestellt. Auf der anderen Seite spielt eine zweite Thematik eine große Rolle: Die Autorin beschreibt sehr ausführlich familiäre Beziehungen, vor allen Dingen das Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern und die Sprachlosigkeit in großen Krisen. Das ist nicht uninteressant, hat aber mit Bienen nichts zu tun. Aus all diesen Gründen kann ich den Roman nur bedingt empfehlen.

Veröffentlicht am 17.02.2017

Die Unzuverlässigkeit der Erinnerung

Das Buch der Spiegel
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"Das Buch der Spiegel" von E. O. Chirovici ist ein Buch in einem Buch, aufgegliedert in drei Teile. Im ersten Teil der Geschichte verspricht der Erzähler Richard Flynn in einem unaufgefordert eingesandtem ...

"Das Buch der Spiegel" von E. O. Chirovici ist ein Buch in einem Buch, aufgegliedert in drei Teile. Im ersten Teil der Geschichte verspricht der Erzähler Richard Flynn in einem unaufgefordert eingesandtem unvollständigem Manuskript mit dem Arbeitstitel "Das Buch der Spiegel" an Peter Katz, einen Literaturagenten, der für Bronson & Matters arbeitet, der Wahrheit der Ereignisse auf den Grund zu gehen, die zum Tod des charismatischen Professors Joseph Wieder im Dezember 1987 führte. Im Mittelpunkt standen damals Professor Joseph Wieder, Erzähler Richard Flynn und Laura Baines. Rückblickend beginnt seine Erzählung vor siebenundzwanzig Jahren, als er in Princeton Anglistik studierte und mit Laura befreundet war. Sie war es auch, die Flynn dem Professor vorstellte. Das Manuskript endet abrupt, ohne dass entscheidende Fakten des Tatherganges ans Licht kommen. Könnte die Geschichte, die Richard Flynn aufgeschrieben hat, wahr sein, oder haben die vergangenen Jahre seine Erinnerungen verfälscht, so dass er jetzt glaubt, die Wahrheit zu kennen? Oder will er am Ende selbst ein Geständnis ablegen? Immerhin zählte er damals eine Zeit lang zu den Tatverdächtigen. Peter Katz ist an dem Buch interessiert, das er einem Verlag anbieten will. Doch bevor er von dem Autor das komplette Manuskript erhält, stirbt dieser. Im Zentrum des zweiten Teils steht der Journalist John Keller. Er ist mit Peter Katz befreundet und wird von ihm beauftragt, den Rest des Manuskripts zu suchen. Keller spricht mit vielen Leuten, deren Geschichten sich alle widersprechen. Entscheidende Fakten kann er nicht finden. Er trifft sich mit dem pensionierten Polizisten Roy Freeman, der damals in dem Mordfall ermittelte. Freeman rollt das Verbrechen neu auf. Er wird es sein, der am Ende das Puzzle zusammenfügt.

Im Roman geht es um die Aufklärung eines alten ungelösten Falls. Vier Ich-Erzähler bieten ihre Erkenntnisse und ihren Blick auf die Ereignisse an. Was die Lektüre etwas mühsam macht, ist, dass sie sich gar nicht so sehr voreinander unterscheiden, jedenfalls haben sie im Roman keine klar erkennbare eigene Stimme. Zudem ist der Roman recht handlungsarm. Wechselnde Erzählperspektiven sind nicht grundsätzlich problematisch. Aussagen aus Flynns Manuskript ergeben zusammen mit den Entdeckungen von Katz, Keller und Freeman ein Mosaik, und man hofft, dass sich allmählich die Wahrheit abzeichnen wird. Doch dem ist nicht so. Stattdessen wird der Leser immer wieder auf falsche Fährten gelockt. Es ist alles anders. Alle irren sich. Chirovicis zentrale Thematik ist, unterstrichen durch das Proust-Zitat am Ende, unübersehbar: Unsere Erinnerung ist unzuverlässig, subjektiv sowieso, aber auch nicht immer wahr. Ich fand den Roman nicht uninteressant, aber überzeugt oder begeistert hat er mich auch nicht.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Coming of age

The Girls
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Im Mittelpunkt von Emma Clines vielbeachtetem Debütroman “The Girls“ steht die 14jährige Evie Boyd. Sie befindet sich gerade in einer Übergangsphase, kein Kind mehr, aber auch noch keine Erwachsene. ...

Im Mittelpunkt von Emma Clines vielbeachtetem Debütroman “The Girls“ steht die 14jährige Evie Boyd. Sie befindet sich gerade in einer Übergangsphase, kein Kind mehr, aber auch noch keine Erwachsene. Ihre Familie ist zerbrochen, die Eltern frisch geschieden. Sie sehnt sich nach Liebe und Bestätigung, aber ihre Eltern geben ihr nicht den dringend benötigten Halt. In dieser Situation ist sie das ideale Opfer für die Verlockungen einer Sekte. Sie lernt einige Anhängerinnen des Sektenführers Russell kennen und verbringt einen Sommer auf der Farm, auf der sich die Kommune eingerichtet hat. Schon bald gibt sie die Kontrolle über ihr Leben ab und macht alles mit, was von ihr verlangt wird. Das Besondere an dieser Geschichte ist, dass sie nicht vom Anführer der Sekte und seinen Lehren fasziniert ist, wie man erwarten könnte, sondern von Suzanne, einem 19jährigen Mädchen. Da die Autorin sich von Charles Manson und seiner Sekte hat inspirieren lassen, endet die Sache blutig mit einigen grausamen Morden. Der Sommer 1969 ist die Zeit, in der sich Evies Leben entscheidend und für immer ändert.
Die Autorin erzählt die Geschichte im Rückblick aus der Perspektive der erwachsenen Evie, die durch zwei junge Leute im Haus eines alten Freundes mit ihrer Vergangenheit konfrontiert wird. Die Szenen in der Erzählgegenwart zeigen, dass Evie ihr Leben nie wieder in den Griff bekommen hat, dass sie unter diffusen Ängsten und Panikattacken leidet. Das Porträt der jungen Evie und der Frau in mittleren Jahren ist der Autorin gut gelungen.
Allerdings gibt es auch einiges, was mir nicht gefallen hat. Die langen Rückblenden sind nicht spannend zu lesen, vor allem deshalb nicht, weil durch allerlei deutliche Hinweise und explizite Vorausdeutungen schon frühzeitig klar ist, worauf alles hinausläuft. Eine chronologische Erzählung eignet sich wesentlich besser zum Spannungsaufbau. Hinzukommt, dass mir Evie nicht besonders sympathisch ist. Keine Figur dieses Romans bietet Identifikationsmöglichkeiten oder eignet sich als Sympathieträger. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob wohl jugendliche Leser hier die intendierte Zielgruppe sind. Insgesamt bin ich eher enttäuscht, weil ich mehr und anderes erwartet habe.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Was es bedeutet, Jude zu sein

Shylock
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Zum 400. Todestag von William Shakespeare hat der Verlag Hogarth eine Reihe von narrativen Neubearbeitungen der alten Shakespeare-Texte in Auftrag gegeben. Howard Jacobson legt als Auftragsarbeit “Shylock ...

Zum 400. Todestag von William Shakespeare hat der Verlag Hogarth eine Reihe von narrativen Neubearbeitungen der alten Shakespeare-Texte in Auftrag gegeben. Howard Jacobson legt als Auftragsarbeit “Shylock is my Name“ auf der Grundlage des Shakespeare-Stücks „The Merchant of Venice“ vor. Jacobson erscheint in zweifacher Hinsicht qualifiziert für diese Aufgabe. Er hat als ehemaliger Lehrer und Shakespeare-Forscher 1978 zusammen mit Wilbur Sanders das Buch „Shakespeare´s Magnanimity. Four Tragic Heroes, Their Friends and Families“ veröffentlicht, und er ist Jude und damit prädestiniert, sich zu Fragen der jüdischen Identität zu äußern, zumal er dies auch in seinen letzten Romanen - zum Beispiel in The Finkler Question – ausgiebig getan hat.
In „Shylock Is My Name“ gibt es einen zweiten Juden, nämlich den reichen Kunstsammler und Philanthropen Simon Strulovitch. Zu Beginn des Romans treffen sich beide auf einem Friedhof in Cheshire, wo Shylock sich in Zwiesprache mit seiner geliebten, vor langer Zeit gestorbenen Frau Leah befindet. Strulovitch steht am Grab seiner Mutter. Shylock und Strulovitch kommen ins Gespräch, und Strulovitch lädt seinen Doppelgänger in sein Haus ein. Über weite Strecken des Romans werden beide ausführlich jüdische Fragen, Antisemitismus und die Erziehung von Töchtern diskutieren, die vor ungeeigneten, nicht-jüdischen Bewerbern geschützt werden müssen. Shylock fühlt sich von seiner Tochter Jessica verraten, weil sie den Ring, den ihm einst Leah geschenkt hat, versetzt und von dem Erlös einen Affen gekauft hat. Strulovitch sorgt sich um seine schöne frühreife Tochter Beatrice, die sich mit dem zweitklassigen Fußballer Gratan Howsome eingelassen hat. Es gibt in Abwandlung der Shakespeare-Figuren viele weitere Personen, zum Beispiel Plurabelle und D´Anton als moderne Version von Portia und Antonio. Einige dieser Figuren sind stark überzeichnet und wirken wie Karikaturen, vor allem Anna Livia Plurabelle Cleopatra A Thing Of Beauty Is A joy Forever Christine, genannt Plurabelle.
Im Roman hat Strulovitch den Rechtsanspruch auf Wiedergutmachung gegenüber D´Anton, der für den Fußballer Gratan Howsome bürgt für den Fall, dass dieser nicht fristgerecht mit Beatrice aus Venedig zurückkehrt. In diesem Fall geht es nicht um ein Pfund Fleisch, sondern um Beschneidung. Auch im Roman passiert dem Schuldner nichts. Dafür verschwindet Shylock im Roman am Schluss nicht sang- und klanglos, sondern bekommt die Gelegenheit zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für religiös motiviertes Erbarmen.
Es passiert nicht viel in diesem Roman. Im Wesentlichen wird diskutiert, meist darüber, was es bedeutet Jude zu sein in feindseliger, nicht-jüdischer Umgebung. Es geht immer wieder um Antisemitismus, Stereotypen und die Bedeutung der Beschneidung. Der Autor scheint besessen zu sein von diesen Themen und der nicht-jüdische Leser reagiert darauf genauso befremdet wie auf die Darstellung von Vater-Tochter-Beziehungen und die exzessive Kontrolle von Beatrice durch ihren Vater. Die dargestellte Welt ist mir so fremd, dass sich meine Begeisterung über den Roman in Grenzen hält. Sprachlich hervorragend, aber insgesamt zu theorielastig.