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Veröffentlicht am 30.04.2022

Der Widerspenstigen Zähmung

Die Ladys von Somerset – Die Liebe, der widerspenstige Ambrose und ich
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1807 London. Die junge Emma Smart lebt als Mündel bei Ihrem Onkel und hat eine Vorliebe fürs Theater. Als ihr Onkel seine Schulden bei der Bank nicht bedienen kann und dafür ins Gefängnis muss, steht sie ...

1807 London. Die junge Emma Smart lebt als Mündel bei Ihrem Onkel und hat eine Vorliebe fürs Theater. Als ihr Onkel seine Schulden bei der Bank nicht bedienen kann und dafür ins Gefängnis muss, steht sie von einem Moment auf den anderen nur mit einer Tasche auf der Straße und muss sich selbst durchschlagen. Ihr erster Gang führt sie ins Theater in der Drury Lane, um dem dortigen Direktor ihr eigenes geschriebenes Stück anzudienen. Doch damit bleibt sie erfolglos, dafür kreuzen sich ihre Wege mit dem attraktiven Herzensbrecher Ambrose Beauchamp, der ihr sofort ein Dorn im Auge ist. Mit viel Glück ergattert Emma eine Anstellung bei Lady Darlington als Gesellschafterin für deren Tochter Anthea, die mit dem reichen Nachbarn Mr. Livingston verheiratet werden soll, um das Auskommen der Familie zu sichern. Leider wird Emmas Engagement immer wieder von Ambrose torpediert, der als Gast bei den Darlingtons weilt und ebenfalls Ambitionen hat, Anthea den Hof zu machen. Die Aufführung ihres Theaterstückes auf einem Sommerfest soll der Zuneigung zwischen Anthea und Mr. Livingston einen Schub geben, doch dann entwickelt sich alles in eine völlig andere Richtung…
Julie Marsh hat mit „Die Liebe, der widerspenstige Ambrose und ich“ den ersten Band ihrer historischen Somerset-Ladys-Reihe vorgelegt, der den Leser ins Regency-Zeitalter zurückversetzt, um ihn dort mit viel Romantik und einigen Verwicklungen gut zu unterhalten. Der eingängige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil stellt den Leser schnell an Emmas Seite, wo er ihr bei all ihren Unternehmungen über die Schulter sieht, während ihm ihre Gedanken- und Gefühlswelt wie ein offenes Buch präsentiert werden. Emma steht von jetzt auf gleich vor der Situation, auf eigenen Beinen zu stehen. Zu gern würde sie als Autorin für Theaterstücke ihren Unterhalt verdienen, doch die Rolle der Frau war damals anderen Dingen zugedacht. So versucht sie sich als Gesellschafterin für eine junge Frau, die keinerlei Interesse an dem Mann hat, den sie nach dem Wunsch ihrer Mutter heiraten soll. So endet dieser Kuppelversuch auch in einem Desaster, so dass Emma sich schon bald wieder auf der Straße wiederfindet, aber nicht ohne vorher ihr eigenes Theaterstück auf einer Laienbühne aufgeführt und ein Zweckeheversprechen gegeben zu haben. Emma lässt sich allerdings nicht unterkriegen und landet wieder im Theater in der Drury Lane, um dort nicht nur zu arbeiten, sondern auch anderen liebgewonnenen Menschen unter die Arme zu greifen und auch ein neues Stück zu schreiben. Die Autorin webt das Theaterleben sowie den Klatsch und Tratsch wunderbar in ihre Handlung mit ein, der zu allerlei Missverständnissen und Verwicklungen führt und dabei für humorvolle Unterhaltung sorgt. Die Geschichte erinnert ein wenig an „Der Widerspenstigen Zähmung“ und hält den Leser in Atem.
Die Charaktere sind liebevoll in Szene gesetzt und wissen mit ihren menschlichen Eigenschaften den Leser schnell zu überzeugen. Emma ist eine mutige junge Frau, die sich ihrem Schicksal nicht unterordnet, sondern ihr Leben in die Hand nimmt, um ihre Träume trotz aller Widerstände zu verwirklichen. Die Liebe überrascht sie und lässt sie doch nicht ihre Ziele aus den Augen verlieren. Anthea ist eine liebenswürdige Frau, die ihrem Herzen folgt. Ambrose wirkt wie ein Gockel, der jedem Rock hinterher läuft. Erst spät entwickelt er einen gewissen Ernst. Warwick hat ein Händchen für Nadel und Faden, während Lady Darlington selbstverliebt ist und nur Augen für ihren Hund hat. Francis, Mr. Livingston und vor allem die alte Lady tragen ebenfalls einiges zum Unterhaltungswert dieser Geschichte bei.
„Die Liebe, der widerspenstige Ambrose und ich“ ist eine romantische Verwicklungskomödie, die den Leser nicht nur auf Zeitreise schickt, sondern in regelrecht in die Handlung hineinsaugt, wo er sich als unsichtbarer Statist wiederfindet. Verdiente Leseempfehlung für einen unterhaltsamen Schmöker! Gern mehr davon!!!

Veröffentlicht am 24.04.2022

Manches Ziel wird erst durch Umwege erreicht.

Umwege der Liebe
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1813 England. Lady Georgina Hawthorne mangelt es nicht an Ehrgeiz, ihr Ziel zu erreichen, ihre Saison in London mit ihrer Einführung in die Gesellschaft mit dem Erfolg zu krönen, sich einen standesgemäßen, ...

1813 England. Lady Georgina Hawthorne mangelt es nicht an Ehrgeiz, ihr Ziel zu erreichen, ihre Saison in London mit ihrer Einführung in die Gesellschaft mit dem Erfolg zu krönen, sich einen standesgemäßen, reichen, angesehenen Ehemann zu angeln, der ihren bislang gut gehüteten Makel zu wahren weiß. Doch ausgerechnet Colin McCrae, ein Finanzberater und wohlhabender Freund ihrer Geschwister, den Georgina nicht ausstehen kann, stellt sich ihrem Vorhaben in den Weg. Als er auch noch hinter ihr Geheimnis kommt, dass nicht einmal ihre Familie kennt, muss Georgina für sich eine wichtige Entscheidung treffen…
Kristi Ann Hunter hat mit „Umwege der Liebe“ den Nachfolgeband ihres historischen Romans „Entführung ins Glück vorgelegt, der allerdings in punkto Spannung und Unterhaltungswert leider nicht ganz an den Vorgänger heranreicht. Der flüssige, gefühlvolle und bildhafte Erzählstil lässt den Leser gedanklich ins englische Regency-Zeitalter zur Familie Hawthorne reisen, wo er sich an die Fersen von Georgina heftet, das verwöhnte Nesthäkchen und jüngere Schwester von Miranda, deren Geschichte im ersten Band erzählt wurde. Leider wird auch ein Drittel dieses Romans von Mirandas Geschichte bestimmt, so dass die Handlung manchmal recht langatmig und unzusammenhängend wirkt. Wer den ersten Roman nicht kennt, bekommt einiges im Schnelldurchlauf serviert, während die Kenner der Geschichte die Wiederholungen über sich ergehen lassen müssen. Georginas Erlebnisse bekommen dann aber Schwung durch ihre Unzulänglichkeit, die dem Leser schon bald offenbart werden. Das Katz und Maus-Spiel mit Colin, der hartnäckiger ist als Georgina lieb ist, bringt Würze in die Handlung und als Leser wartet man regelrecht darauf, wie die verwöhnte Georgina sich nun mit Colin arrangiert, der ihren hohen Ansprüchen nicht genügt, jedoch ausgerechnet derjenige ist, der hinter ihre perfekt errichtete Fassade geblickt hat. Ihre Handlung hat die Autorin mit den damaligen Gepflogenheiten versehen und erlaubt dem Leser einen guten Einblick in gesellschaftlichen Standesdünkel sowie der herrschenden Konventionen. Auch der christliche Aspekt ist unaufdringlich mit in die Geschichte eingebaut, in dem es um Glauben, Vertrauen und Vergebung geht.
Die Charaktere sind lebendig ausgearbeitet und besitzen glaubwürdige menschliche Eigenschaften, die es dem Leser erlauben, sich schnell in ihrer Mitte wiederzufinden. Während ihr ältere Schwester Miranda eine warmherzige und freundliche Frau ist, besticht Georgina im ersten Moment durch Arroganz, Egoismus und Kälte. Sie hat ihren eigenen Kopf und will diesen mit allen Mitteln durchsetzen. Doch sie ist auch umsichtig, überlässt nichts dem Zufall und ist, was ihren Makel betrifft, zutiefst verunsichert, so dass sie sich noch nicht einmal ihrer Familie anvertraut. Colin ist ein freundlicher, empathischer und optimistischer Mann, der sich seinen Platz in der Gesellschaft hart erarbeiten musste und trotzdem noch immer mit Standesdünkel zu kämpfen hat.
„Umwege der Liebe“ entführt den Leser mit einer romantischen Geschichte ins englische Regency-Zeitalter. Humorvolle Dialoge, gegensätzliche Charaktere sowie ein Geheimnis sorgen für kurzweilige Unterhaltung. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 23.04.2022

Unser Gedächtnis ist der wahre Sitz unseres Ich. (Benjamin Stein)

Das Haus auf dem Wasser
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Der international erfolgreiche israelische Schriftsteller Joel Blum folgt der Einladung seines holländischen Verlegers und unternimmt mit seiner Frau Bat-Ami eine Reise nach Amsterdam. Bisher hat Joel ...

Der international erfolgreiche israelische Schriftsteller Joel Blum folgt der Einladung seines holländischen Verlegers und unternimmt mit seiner Frau Bat-Ami eine Reise nach Amsterdam. Bisher hat Joel es tunlichst vermieden, dorthin zu reisen, denn seine verstorbene Mutter Sonia hat ihm vor ihrem Tod das Versprechen abgenommen, die holländische Metropole nie mehr zu betreten, obwohl er dort geboren wurde. Kaum auf Amsterdamer Boden, stellt ihm ein Journalist sehr private Fragen über seine Herkunft und legt damit Joels Geheimnis frei. Joel entstammt einer alten Amsterdamer Familie, die während des Zweiten Weltkrieges nach Israel emigriert ist. Joel selbst kann sich an diese Zeit zwar nicht erinnern, da er selbst noch ein Kleinkind war und seine Mutter nie ein Wort über diese Zeit verloren hat. Seit er im Holocaust-Museum ein altes Foto seiner Familie gesehen hat, lassen die offenen Fragen Joel keine Ruhe, und kurz nach seiner Rückkehr nach Israel sitzt er erneut in einem Flieger nach Amsterdam, um Antworten auf seine Fragen zu finden…
Emuna Elon hat mit „Das Haus auf dem Wasser“ einen unterhaltsamen Roman vorgelegt, der sich mit der Vergangenheit und vor allem mit der Suche nach der eigenen Identität beschäftigt. Der flüssige, anspruchsvolle und einfühlsame Erzählstil gestattet dem Leser, Joel wie ein Schatten zu begleiten, um ihm bei seinen Erlebnissen und Recherchen in Bezug auf seine Herkunft über die Schulter zu sehen. Dabei liegt seine Gedanken- und Gefühlswelt allzeit offen. Über vier einzeln ausgearbeitete Notizhefte, die nicht nur Joels Eindrücke, sondern auch den Inhalt eines von ihm neu geschaffenen Romans darstellen sollen, erlebt der Leser nicht nur seine erste Reise nach Amsterdam und die für ihn überraschende Filmszene, sondern auch eine Reise in die Vergangenheit über seine Familie und Mutter Sonia, die als Juden im Zweiten Weltkrieg schlimmsten Repressalien ausgesetzt waren, die sie ihre Rettung in der Flucht aus Europa suchen ließen. Mit unterschwellig steigender Spannung lässt die Autorin den Leser miterleben, wie Joel nach und nach das Geheimnis seiner Familie und vor allem seine eigene Herkunft aufdeckt. Die plastischen, bildhaften Beschreibungen des alten und neuen Amsterdams gewähren dem Leser sehr gute Eindrücke der Vergangenheit und der Gegenwart, während man Joel regelrecht dabei zusehen kann, wie er die lange verdrängten Erinnerungen endlich an die Oberfläche zieht und sich endlich den Wahrheiten stellt, die bisher zu schmerzhaft waren und er nicht wahrhaben bzw. sich eingestehen wollte.
Die Charaktere sind gut durchdacht gestaltet und werden durch ihre realistisch anmutenden menschlichen Ecken und Kanten für den Leser lebendig. Joel ist ein Mann älteren Jahrgangs, der sich nur aufgrund eines beruflichen Termins plötzlich mit Dingen konfrontiert sieht, die lange in ihm verschüttet waren. Die Erlebnisse in der Gegenwart sowie die alten Erinnerungen aus der Vergangenheit gepaart mit den Ergebnissen seiner Recherche lassen ihn mal zuversichtlich, hoffnungsvoll, aber dann auch verzweifelt, unsicher und verletzt wirken. Der Leser erlebt mit ihm ein Auf und Ab des gesamten Gefühlsbarometers, obwohl auch immer eine gewisse Distanz zu spüren ist.
„Das Haus am Wasser“ ist ein tiefgründiger und berührender Roman über ein tragisches Familiengeheimnis sowie die Aufarbeitung einer verlorenen Identität. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 23.04.2022

Wer genießen kann, trinkt keinen Wein mehr, sondern kostet Geheimnisse. (Salvador Dalí)

Gretas Erbe
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70er Jahre in der Pfalz. Schon ihre Mutter Marie hat als Helferin bei der Familie Hellert gearbeitet. Als diese bei ihrer Geburt gestorben starb, wuchs Greta Piontek als Ziehkind auf dem Gut der Winzerfamilie ...

70er Jahre in der Pfalz. Schon ihre Mutter Marie hat als Helferin bei der Familie Hellert gearbeitet. Als diese bei ihrer Geburt gestorben starb, wuchs Greta Piontek als Ziehkind auf dem Gut der Winzerfamilie Hellert auf, denn ihr Vater ist unbekannt. Die 17-jährige Greta geht noch zur Schule, hilft den Hellerts aber nicht nur im Haushalt, sondern auch bei der Arbeit in den Weinbergen, sie hat ein gutes Gespür für die Pflanzen und deren Geschmack. Ihr größter Wunsch wäre allerdings, dass Gymnasium zu besuchen, um dann Lehrerin zu werden. Doch die Hellerts, allen voran Vater Harald haben andere Pläne mit Greta: sie soll nach dem Schulabschluss ganz in der Winzerei mithelfen. Greta fühlt sich oft einsam, vor allem, da die Familie sie oft genug spüren lässt, dass sie eigentlich nicht zu ihnen gehört. Als der älteste Sohn Robert aus Berlin auf das Gut zurückkehrt, ist Greta froh, ihren alten Jugendfreund endlich wieder zu haben. Schon bald verlieben sich die beiden und halten ihre Gefühle geheim, bis die Familie dahinterkommt, und Robert im Streit das Gut verlässt, um sich in der Nachbarstadt niederzulassen. Greta wird dagegen noch mehr zur Arbeit eingespannt. Als der wohlhabende Nachbarwinzer, mit dem die Hellerts seit Jahrzehnten im Streit liegen, bei einem Unfall stirbt, bekommt Greta unverhofft eine Einladung zur Testamentseröffnung…
Das Autorenduo Nora Engel hat mit „Gretas Erbe“ den Auftaktband ihrer Winzerreihe vorgelegt, der nicht nur die vergangenen 70er Jahre wieder aufleben lässt, sondern auch das harte Schicksal der Halbwaise Greta widerspiegelt. Der flüssige, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil lässt den Leser schnell an Gretas Seite gleiten, um ihr bei ihrem täglichen Leben über die Schulter zu schauen. Als Ziehkind darf sie zwar in einer Familie aufwachsen, doch wirkt sie oft wie ein Fremdkörper, denn richtige Liebe und Zuneigung wird ihr von ihren Ersatzeltern nicht zuteil. Diese erhält sie nur von dem jüngsten Sohn Mathias, der mit seiner feinsinnigen Art selbst wie ein Außenseiter wirkt, und von Robert, der als schwarzes Schaf der Familie gilt. Greta wird als billige Arbeitskraft von den Hellerts regelrecht ausgenutzt, muss von morgens bis abends schuften und hat keine Wünsche zu äußern, sondern muss tun, was Harald und seine Frau Elfriede ihr vorschreiben. Die scheuen auch nicht davor zurück, Greta von der Schule abzumelden und wie eine Gefangene im Haus einzuschließen, um die Beziehung zu Sohn Robert zu unterbinden. Es dauert eine Weile, bis Greta durch ein gut gehütetes Geheimnis erkennt, dass nur sie selbst sich von der Abhängigkeit der Hellerts befreien kann. Während die Autoren die Landschaft mit bildhafter Sprache vor dem Auge des Leser erscheinen lassen, malen sie auch ein recht trauriges Bild von Gretas Leben bei der Familie Hellert, so dass man sich die ganze Zeit wünscht, Greta möge endlich ausbrechen und das Weite suchen.
Die Charaktere sind realistisch ausgestaltet und lebendig in Szene gesetzt worden, ihre glaubwürdigen Ecken und Kanten sind überzeugend und lassen den Leser sich ihnen anschließen. Greta ist eine liebenswerte, fleißige und intelligente junge Frau, die gerne lernt, die Arbeit in den Weinbergen liebt und Träume für die Zukunft hat. Gleichzeitig ist sie einsam und hat bis auf einen Schulfreund keine engere Bezugsperson. Harald und Elfriede sind hart arbeitende Leute, doch Gefühle hegen sie nur für die eigenen vier Kinder. Tochter Renate ist eingebildete und altklug, während Bruder Johannes eher dümmlich wirkt. Robert liebt Musik, seine Gedanken kreisen nur um seine Band, aber auch technisch ist er versiert. Mathias liebt Mode, näht gern, ist feinsinnig und schlägt mit seinem Wesen völlig aus der Art.
„Gretas Erbe“ ist ein unterhaltsamer Roman, der nicht nur die 70er Jahre gesellschaftlich und historisch wunderbar widerspiegelt, sondern auch Gretas hartes Leben bei den Hellerts dem Leser sehr nahe bringt. Verdiente Leseempfehlung mit Vorfreude auf die Fortsetzung!

Veröffentlicht am 23.04.2022

Man braucht nichts im Leben zu fürchten, man muss nur alles verstehen. (Marie Curie)

Die Schokoladenfabrik – Das Geheimnis der Erfinderin
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1862 Köln. Anna Sophia und Franz Stollwerck sind mit ihrer Schokoladenfabrik inzwischen recht erfolgreich und ihre gemeinsamen Söhne im heiratsfähigen Alter. Die Tochter der Nachbarn, Apollonia Krusius ...

1862 Köln. Anna Sophia und Franz Stollwerck sind mit ihrer Schokoladenfabrik inzwischen recht erfolgreich und ihre gemeinsamen Söhne im heiratsfähigen Alter. Die Tochter der Nachbarn, Apollonia Krusius wäre eine geeignete Ehekandidatin, aber diese möchte viel lieber studieren und sich ihrem Erfindergeist widmen. Als ihr Vater stirbt und ihr Onkel sie mit dem ältesten Stollwerck-Sohn Nikolaus verheiraten will, versucht sie sich zur Wehr zu setzen, doch dann kommt ihr die Liebe dazwischen, denn der jüngere Bruder Heinrich Stollwerck erobert ihr Herz im Sturm. Bei Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges steht die junge Liebe, vor allem aber Apollonia vor großen Herausforderungen…
Rebekka Eder hat mit „Das Geheimnis der Erfinderin“ den zweiten Band ihrer historischen Stollwerck-Saga vorgelegt, der nicht nur sehr gekonnt Fiktion mit realen Fakten verbindet, sondern dem Vorgängerband in Spannung und Unterhaltung in nichts nachsteht. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil lädt den Leser ins vergangene 19. Jahrhundert ein, wo er nicht nur erneut auf Anna Sophia, Franz und deren Familie trifft, sondern vor allem die junge Apollonia Kruse kennenlernt, die sich mit ihrem Wissensdurst, technischem Erfindergeist und ihrer rebellischen Art schnell ins Herz des Lesers schleicht. Über wechselnde und abwechslungsreiche Perspektiven bringt die Autorin ihre Geschichte dem Leser näher. So reist man zwischendurch Schiff nach Afrika und Amerika, um dort neben der Sklavenarbeit auch die Kakaobohnengewinnung mitzuerleben. Oder man treibt sich in der Schokoladenfabrik herum und erfährt einiges über die Entstehung der unterschiedlichsten Erzeugnisse sowie die Gestaltung der Verpackungen. Gleichzeitig spinnt die Autorin ihre Fäden innerhalb der Familie und deren zwischenmenschlichen Beziehungen weiter, baut unerwartete Wendungen mit ein und lässt so den Spannungslevel immer wieder in die Höhe schnellen. Auch der Krieg und die damit einhergehenden Veränderungen finden Einzug in die Handlung, ebenso interessant eingewebt ist die Rollenverteilung innerhalb der Gesellschaft, wobei einmal mehr deutlich wird, dass man Frauen damals außer Ehefrau und Mutter nur wenig zutraute.
Die Charaktere sind lebendig und realistisch in Szene gesetzt, so dass der Leser sich schnell unter ihnen wiederfindet, mit ihnen hofft, bangt und fiebert. Apollonia ist eine sympathische, junge Frau, die sich durch eine gesunde Neugier sowie Intelligenz auszeichnet. Sie ist klug, dabei manchmal etwas störrisch, doch durchweg liebenswert. Anna Sophia und Franz Stollwerck haben gemeinsam mit Liebe, Fleiß und Ideenreichtum viel erreicht. Während Anna Weitblick besitzt, besticht Franz durch seine Warmherzigkeit, die er auch an seinen Sohn Heinrich vererbt hat. Heinrich ist technisch versiert und hält mit seinem Wissen die Herzstücke der Fabrik am Laufen. Aber auch andere Protagonisten wie z.B. Kaspar Rockstroh bringen Spannung und Farbe in die Handlung.
„Das Geheimnis der Erfinderin“ unterhält mit einer gelungenen Mischung aus Historie, Familiengeschichte, Liebe, Geheimnissen, Reisen und viel Hintergrundwissen rund um die Herstellung von Schokolade, wobei der Leser während der kurzweiligen Lektüre ein farbenfrohes Kopfkino erleben darf. Verdiente Leseempfehlung für diesen abwechslungsreichen Schmöker!