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Veröffentlicht am 23.11.2023

Ein neues Lieblingsbuch

Kleine Probleme
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Dies ist ein wunderbares Buch, ein Buch zum zweimal oder vielleicht auch dreimal hören und das Buch, das ich allen meinen Freunden schenken möchte. Es ist originell, sehr klug, sehr anrührend, so wahr ...

Dies ist ein wunderbares Buch, ein Buch zum zweimal oder vielleicht auch dreimal hören und das Buch, das ich allen meinen Freunden schenken möchte. Es ist originell, sehr klug, sehr anrührend, so wahr und dabei noch saukomisch.

Es geht um Lars, der ein begnadeter Schriftsteller wäre, würde er endlich damit anfangen, sein Buch zu schreiben. Lars kann eigentlich nur eins richtig gut: Dinge aufschieben.

Am Silvestertag beschließt er, sich zu ändern. Er vermisst seine Frau, die ihn verlassen hat und für sie nimmt er jede Anstrengung auf sich. Akribisch arbeitet er eine Liste mit Aufgaben ab, die er sich selbst gestellt hat. Mit jedem Haken auf dieser Liste möchte er Johanna beweisen, dass es ihm ernst ist, heute noch, scheitern ist keine Option. Heute ist Silvester, der Startpunkt für Veränderungen.

Der Erzählstil ist zum Niederknien:

„…und ehe man es sich versieht, sieht man, wenn man jetzt tatsächlich hinsähe, dann müsste man das ganze Leben aufräumen, also sieht man besser nicht hin. Und die Welt denkt dann vielleicht man sei faul, dabei ist man den ganzen Tag schwer damit beschäftigt, nicht hinzusehen. Und das wissen die Wenigsten, wie anstrengend es ist, nicht hinzusehen, wieviel Kraft es kostet, den Fuß nach jedem Schritt am Hosenbein abzustreifen und trotzdem nicht zu putzen.“

So etwas kennt jeder, aber nicht jeder formuliert es so pointiert. Da gibt ein Wort das andere, man weiß gar nicht, was man zuerst zitieren soll. Natürlich ist das weitschweifig, aber hier sitzt jedes Wort und es ist kein Wort zu viel.

Das Hörbuch liest die Autorin selbst und niemand könnte das besser tun. Man muss sich anfangs daran gewöhnen, dass Lars eine Frauenstimme hat, aber das geht schnell und dann ist es grandios. Man sieht ihm ins Herz, diesem verkopften Nerd, der hier gnadenlos seine eigene Unzulänglichkeit analysiert und verzweifelt versucht, es besser zu machen.

Jetzt muss ich mir wohl noch die Printausgabe kaufen, damit ich dieses Schätzchen ins Regal meiner Lieblingsbücher stellen kann.

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Veröffentlicht am 23.11.2023

Wundervoll

Das Klugscheißerchen
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Eigentlich dachte ich, man kann unmöglich das neue Bilderbuch von Marc Uwe Kling als Hörbuch hören, weil man dann doch die wunderbaren Zeichnungen verpasst. Ich wollte es nicht tun, aber dann lief es mir ...

Eigentlich dachte ich, man kann unmöglich das neue Bilderbuch von Marc Uwe Kling als Hörbuch hören, weil man dann doch die wunderbaren Zeichnungen verpasst. Ich wollte es nicht tun, aber dann lief es mir zu und ich tat es doch und hatte ganz wunderbare 28 Minuten.

Ist das niedlich! Wir bekommen hier das garantiert wunderbare Bilderbuch als Hörspiel mit Musikuntermalung, toll gelesen vom Autor selbst. Das kann einfach niemand besser machen.

Es geht natürlich um Leute, die immer alles besserwissen müssen und da liegt die Familie Teufel ganz vorne. Tina und Theo Teufel haben das Erbsenzählen von Vater gelernt, das liegt ihnen im Blut und deshalb können auch nur sie das seltsame kleine blaue Wesen sehen. (Genau genommen ist es türkis, klar.) Ob Papa es auch sehen kann?

Also, dieses Buch ist wundervoll, klug, witzig, spitzfindig, herrlich gelesen und viel zu schnell vorbei. Leider habe ich die Bilder verpasst. Ich schätze man braucht ganz dringend beides, das Buch und das Hörbuch, weil auch die Buchbesitzer ganz unbedingt etwas verpasst haben, wenn sie nicht dieses Hörbuch hören.

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Veröffentlicht am 02.05.2022

Leise, treffend und ein großer Spaß

Mädchen auf den Felsen
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Dieses Buch ist hinterhältig. Es schleicht sich an und gibt vor, lustig zu sein, lullt den Leser ein, der dann kaum bemerkt, dass das dicke Ende ein dickes Ende war. Ich habe den letzten Teil zweimal gehört, ...

Dieses Buch ist hinterhältig. Es schleicht sich an und gibt vor, lustig zu sein, lullt den Leser ein, der dann kaum bemerkt, dass das dicke Ende ein dickes Ende war. Ich habe den letzten Teil zweimal gehört, bis ich glauben konnte, was ich da hörte.

Auf den ersten Blick ist es ein großer Spaß. Wir sind in England, wild romantisch an der Küste, man geht zum Strand und legt das Korsett ab, wenn keiner guckt. Lydia meinte, das große Los gezogen zu haben, als sie die Anstellung als Mädchen im respektablen Haushalt der Familie March bekam.

„Er und seine Frau gehörten den Primal Saints an und sie verbrachten den Großteil ihrer freien Zeit in der Primal Hall in der Turner Street, einer wirklich unangenehmen Straße in Pflaume, Sandstein und Stille.“

Was köstliche Formulierung, denkt man, aber die Autorin hat gerade erst Luft geholt.

„Zweimal am Sonntag und an einem Abend in der Woche erhob March sein vorsichtiges kleines Gesicht zu seinem Gott und die unwahrscheinliche Lautstärke seiner Gebete erstickte jedes Geräusch, das vom Imbiss oder der Kneipe um die Ecke kam. Keine leere Pommestüte wage es, sich durch die Turner Street entlangwehen zu lassen, wenn March für diejenigen betete, die lieber Pommes essend am Geländer lehnten, als über die Ewigkeit nachzudenken.“

Da kann man doch nur noch vor Ehrfurcht erschauern.

Mit sanfter Ironie und nur ein klein wenig despektierlich seziert Jane Gardam eine Gesellschaft, malt ein treffendes Sittenbild, kreiert Typen, die originell und trotzdem so typisch sind. Es geht um Standesdünkel, Bigotterie, die englische Gesellschaft, die geheiligte Teatime und die Ignoranz von Erwachsenen, die so mit ihren Angelegenheiten beschäftigt sind, dass sie vergessen, nach den Kindern zu sehen.

Dieses Buch ist große Kunst ohne Wortakrobatik, ohne Pomp, ohne Kitsch, schlicht, elegant, ein klein wenig böse und dabei durch und durch liebevoll.

Das Hörbuch wird von Leslie Malton engagiert gelesen, man sollte nur das Tempo ein klein wenig anziehen. Es dauert 6 Stunden, 15 Minuten.

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Veröffentlicht am 20.03.2022

Diplomatie für Fortgeschrittene

Die Diplomatin
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Was machen eigentlich Botschafter genau? Das ist eine Berufsgruppe, mit der man selten zu tun hat und die man nicht wahrnimmt, wenn sie nicht gerade Reisehinweise verfassen. Wie aufreibend, verantwortungsvoll ...

Was machen eigentlich Botschafter genau? Das ist eine Berufsgruppe, mit der man selten zu tun hat und die man nicht wahrnimmt, wenn sie nicht gerade Reisehinweise verfassen. Wie aufreibend, verantwortungsvoll und gefährlich so ein Job ist, zeigt uns Lucy Fricke in diesem Buch.

Fred ist schon seit Jahren Konsulin und kennt sich aus. In ihrer Branche wechselt man alle vier Jahr das Land. Ihr Posten im beschaulichen Montevideo scheint etwas zum Ausruhen zu sein.

Mit köstlichem Humor beschreibt die Autorin das Leben und Lebenlassen in Uruguay, einem Land, das irgendwas zwischen kuschelig und kurios ist. Herrlich zu lesen, wie sich die deutsche Botschaft damit arrangiert, bis ein unglücklicher Zwischenfall erfordert, dass jemand Verantwortung übernimmt. Auch das ist ein Aspekt von Freds Beruf.

Jahre später bekommt sie den Posten in Istanbul und da geht es anders zu. Hier ist dann echte Diplomatie gefragt, wenn einen ein falsches Wort ins Gefängnis bringen kann, Deutsche aus unterschiedlichsten Gründen in Schwierigkeiten geraten und Hilfe von der deutschen Botschaft erwarten. Ein Tanz auf dem Drahtseil. Fred muss plötzlich abwägen, was nötig, was legal und was sinnvoll ist. Und sie selbst ist auch nicht aus Stein.

Dieses Buch ist viel zugleich, ein eindrucksvolles Berufsportrait, beinahe ein Thriller, ein kritischer Blick in die Türkei, die Geschichte einer Frau, die sich in einer Männerdomäne behauptet, wobei auch das Zusammenspiel von Karrierewunsch, Älterwerden, Liebe und Einsamkeit im Alter kommt zum Tragen kommt. Es ist einfühlsam und auch urkomisch, ergreifend und staubtrocken, spannend und originell.

Bettina Hoppe ist eine geniale Sprecherin für das Hörbuch und trifft ganz wunderbar den maliziösen Ton des Textes, ein großer Spaß und ein Erlebnis. Es dauert 5 Stunden, 1 Minute. Ich hätte auch mehr davon vertragen.

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Veröffentlicht am 23.02.2022

Ein Geniestreich

Tell
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Die Geschichte von Wilhelm Tell hat kennt man vielleicht, hat man auf der Bühne gesehen, mehrfach gelesen, gibt es ein Musical? Auf jeden Fall hat man sie noch nicht wirklich miterlebt, bis man dieses ...

Die Geschichte von Wilhelm Tell hat kennt man vielleicht, hat man auf der Bühne gesehen, mehrfach gelesen, gibt es ein Musical? Auf jeden Fall hat man sie noch nicht wirklich miterlebt, bis man dieses Buch gelesen hat.
In lustig altertümelnder Sprache erzählen hier alle Betroffenen persönlich, wie sie die Geschehnisse um Tell und den Apfel erlebt haben, Tells Familie, Nachbarn, der Pfarrer, einige Soldaten und sogar Gessler, der Landvogt, der Blick wechselt ständig. Es ist ein bisschen wie ein Staffellauf, nach zwei-drei Seiten gibt man das Stöckchen an den nächsten weiter. Das ist anfangs gewöhnungsbedürftig, man muss gut aufpassen, aber es macht Spaß und das Leseerlebnis sehr intensiv.
Es ist erschütternd, wenn man dabei ist, wie betrunkene Habsburger sich durchs Land schlagen, schrecklich, was die einfache Bevölkerung in der Schweiz zu erleiden hatte, herzzerreißend jedes einzelne Schicksal. Dieses Buch entwickelt nach kürzester Zeit Sogwirkung, man kann es nicht mehr aus der Hand legen, ist mittendrin und leidet mit.
Joachim B. Schmidt ist hier ein Geniestreich gelungen. Er schafft es bewundernswert, sich in jede einzelne Figur glaubhaft einzufühlen, verleiht auch der kleinsten Randfigur ein Gesicht und einen Hintergrund und das auf nur 288 Seiten. Dazu vermittelt er eindrucksvoll das Ambiente und den Zeitgeist, Mittelalter in der Schweiz, pur und authentisch, großes Kino!
Und letztlich wird auch nicht nur eine Geschichte erzählt. Man bekommt außerdem vorgeführt, wie Legenden entstehen, wie ein eigenbrötlerischer Bergbauer zum Helden werden kann, den heute noch jeder kennt.
Ich bin tief beeindruckt und würde gerne sieben Sterne verteilen für ein absolutes Ausnahmebuch mit Schleife und Glöckchen.

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