Im Stich lassen
Es sind die 60er Jahre im tiefsten Bayern. Die Gesellschaft ist immer noch dabei sich zu finden, taumelte sie doch erst aus einem Weltkrieg heraus und befindet sich nun mitten in einem wirtschaftlichen ...
Es sind die 60er Jahre im tiefsten Bayern. Die Gesellschaft ist immer noch dabei sich zu finden, taumelte sie doch erst aus einem Weltkrieg heraus und befindet sich nun mitten in einem wirtschaftlichen Boom. Diese Diskrepanz von mentaler Verarbeitung und offensichtlich materiellem Fortschritt klafft weit auseinander. In dieser Gemengelage lebt der 11jährige Max, der mit seiner Familie als Zugezogene hier leben muss. Sein Bruder und er haben fortlaufend großen Ärger mit der Bande um Tschernik und das Unglück geschieht: Max Bruder wird von den angreifenden Steinen der Bande erschlagen. Im Dorf wird es als Unfall gewertet und Max bleibt mit seiner Schuld alleine, denn er machte sich vom Acker aus Selbstschutz.
Der Roman wird aus Max Perspektive erzählt und nur zum Ende betrachten wir die Welt aus den Augen eines Mädchens. Max versucht mit seinem Schmerz und dem einhergehenden Schuldgefühl zu leben und kämpft mit sich. Hat er doch Wenige, denen er sich öffnen kann. Die Eltern waren physisch anwesend, aber mental nicht für ihn erreichbar.
Überhaupt für einen 11jährigen ist Max sprachlich und geistig extrem reflektiert. Natürlich, es ist eine fiktive Geschichte, die uns hier erzählt wird und dadurch Spielraum ermöglich. Ich denke aber auch, dass Kinder der 60er Jahre, sprich kurz nach Kriegsende geboren leider sehr schnell erwachsen werden mussten. Und A propos Erwachsen werden, Max hat sehr frühreife sexuelle Erlebnisse mit Ellie. Diese werden recht deutlich ausgebreitet. Aus meiner Sicht hätte es in diesem Roman nicht sein müssen, gibt aber durchaus Diskussionsraum. Könnte einige abstoßen, bedenke man die expliziten Szenen und das Alter.
Volker Widmann hat mit ‚Die Molche‘ debütiert. Der Schreibstil ist verschachtelt, aber äußerst gut. Vor allem die Naturbeschreibungen und wie er das Leben in und mit der Natur beschreibt macht Volker Widmann grandios. Auch hat der Roman die große Stärke, das Leid und Freud nah beieinander liegen und keine einseitige Sicht auf die Dinge transportiert wird. Hoch reflektiert, wenig Handlung, aber es arbeitet in einem.
Diesen Roman lohnt es sprachlich zu lesen und vor allem die titelgebenden Seiten wie Max die Molche trifft, sind äußerst gut gelungen.
Fazit: Nicht für jede:n Leser:in. Komplex und doch in vielerlei Hinsicht ist das Leben einfach und undurchdringlich zugleich.